BVV-Planspiel Berlin

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Kommunalpolitik, wie geht das? Wie sind die Abläufe einer Parlamentssitzung? Wie funktioniert eine Fraktion? Wie schreibe ich einen Antrag oder eine Anfrage? Fragen über Fragen, die angehende KommunalpolitikerInnen immer wieder stellen. Ein Planspiel kann Abhilfe schaffen. Und vor allem: KandidatInnen motivieren.

Zum Beispiel: Das große BVV-Planspiel der Berliner Grünen[Bearbeiten]

Berliner Grüne probieren vor den Wahlen im September 2011 ein neues Schulungsformat für angehende Kommunalos aus. Noch steckt es in der Entwicklungsphase, aber ein erster Testballon im Februar 2011 war sehr erfolgreich. Motivation ist das Ziel des „Großen BVV-Planspiels“: Zielgruppe sind Parteimitglieder und SympathisantInnen, die sich auf einer der bündnisgrünen Listen zur Wahl in eine der zwölf Bezirksverordnetenversammlungen stellen wollen bzw. eine solche Kandidatur erwägen.

Zum Hintergrund: Die Berliner Bezirke haben im Durchschnitt 300.000 Einwohner. Das Kommunalparlament nennt sich Bezirksverordnetenversammlung (BVV), ihre Mitglieder Bezirksverordnete. Ein Bezirksamt setzt sich derzeit aus dem/r BezirksbürgermeisterIn sowie fünf weiteren StadträtInnen zusammen.

Konzept[Bearbeiten]

Das Konzept des Planspiels sieht vor, dass sich angehende Kommunalos in einer realitätsnahen, aber spielerischen Situation den politischen Entscheidungsprozessen innerhalb einer Fraktion und des Parlamentes stellen. Es tritt dabei ein Doppeleffekt ein: Zum einen lernen sie die strukturellen Abläufe einer Fraktions- und Parlamentssitzung mitsamt der Geschäftsordnung kennen. Zum anderen können sie sich sowohl in der „Bütt“ als RednerIn versuchen, als auch die politisch strategische Bedeutung von Anfragen und Anträgen erkennen und ausprobieren.

Das Planspiel wurde von uns in Zusammenarbeit mit dem bündnisgrünen Landesverband[1] entwickelt und Ende Februar 2011 zum ersten Mal „gespielt“. Mehr als 70 Interessierte kamen damals in das Rathaus Schöneberg. Sie erwartete:

  • ein Bezirksamt, bestehend aus fünf Bezirksstadträtinnen (vergleichbar den DezernentInnen) inklusive BezirksbürgermeisterIn. Allesamt waren es echte grüne StadträtInnen und eine echte grüne Bezirksvorsteherin.
  • Es spielten auch echte bündnisgrüne Fraktionsvorsitzende aus verschiedenen Bezirken mit, die als ExpertInnen bzw. MentorInnen den angehenden Kommunalos zur Seite standen.

Alle Beteiligten bekamen für diesen Sonntag ein neues, meist anderes Parteibuch. Als Entwickler[2] des Planspiels leiteten wir die Simulation einer kommunalen Parlamentssitzung; einige HelferInnen garantierten zudem den reibungslosen Ablauf der Veranstaltung.

Ablauf[Bearbeiten]

Der Ablauf orientiert sich am kommunalpolitischen Alltag: Er wird komplett durchgespielt, beginnend mit einer Fraktionssitzung mit Antrags- oder Anfragebesprechung, „Höhepunkt“ ist dann die BVV-Sitzung. Zuvor bekamen die angehenden PolitikerInnen einen kurzen, halbstündigen Überblick: Was sind die Voraussetzungen, welche rechtlichen Rahmenbedingungen gibt es, welche Zuständigkeiten haben Berliner Bezirksverordnete? Danach wurden die TeilnehmerInnen per Los in fünf Fraktionen aufgeteilt – wie in einer realen BVV gibt es Grüne, SPD, CDU, Linke und FDP.

Wie in der Realitität konstituierten sich zu Beginn der Wahlperiode die Fraktionen, wählten SprecherInnen und eine Sitzungsleitung. Pro Fraktion beriet ein echter Fraktionsvorsitzender ihre Bezirksverordneten: Wie sollten sie ihre Besprechung struktuieren, welche taktische Vorgehensweisen wäre klug? Die echten BezirksstadträtInnen kommentierten die Fraktionssitzung aus ihrer Dezernenten-Sicht.

Regiebuch[Bearbeiten]

Ein „Regiebuch“ diente dabei als Anleitung mit Vorgaben für die Rollenaufteilung der einzelnen Agierenden. Als Ausgangsmaterialien bekamen alle Fraktionen bestimmte Fallbeispiele einer Situation mit realem Hintergrund, die sie politisch auswerten sollten, sowie eine Geschäftsordnung für die BVV-Sitzung. So stellte ein Grundstücksbesitzer in der Kastanienallee einen Bauantrag, für den zwei Kastanien gefällt werden müssten – was natürlich auf Proteste stoßen würde. Es galt herauszufinden, welche politischen Zielsetzungen die Fraktionen aus solchen Beispielen ableiten und welche Mittel zur Umsetzung dieser Ziele eingesetzt werden könnten. Der Auftrag war, dieses in eine Anfrage oder einen Antrag einfließen zu lassen. Redebeiträge dazu mussten vorbereitet und abgesprochen werden. Dies alles mit einer klaren Zeitvorgabe.

BVV-Büro[Bearbeiten]

Die Anträge und Anfragen der Fraktionen wurden gesammelt und zu einer Tagesordnung für die BVV-Sitzung zusammengestellt. In der Pause zwischen der Phase 1 des Planspiels, der Fraktionssitzung, und der Phase 2, der BVV-Sitzung, wurden die Sitzungsunterlagen von einem kleinen Team aufbereitet und für alle TeilnehmerInnen vervielfältigt – im eigens eingerichteten BVV-Büro war das in der Kürze der Zeit eine logistische Leistung.

Danach war es dann soweit. In der simulierten BVV-Sitzung wurde gestritten, argumentiert und um Mehrheiten für die Anträge gekämpft. Das Bezirksamt griff oftmals in die Diskussionen ein und stellte Sachverhalte klar, wie im richtigen Kommunalparlament. Es gab wechselnde Mehrheiten, leidenschaftliche Auseinandersetzungen um politische Inhalte und Richtungen.

Positive Resonanz[Bearbeiten]

Das Planspiel war ein voller Erfolg. Die TeilnehmerInnen übernahmen ihre Rolle mit viel Engagement. Das Bedürfnis, sich selbst auszuprobieren, wirkte sehr belebend. Erstaunlich waren die Qualität der Anträge und Anfragen sowie die Redebeiträge im Plenum. Die Argumentationslinien waren so, wie man das von „alten Hasen“ erwarten würde. Das Ziel „Motivation“ wurde allenthalben erreicht, nicht nur für die Interessierten, von denen sich inzwischen die meisten auf den grünen Bezirkslisten wiederfinden. Auch die PraktikerInnen hatten großen Spaß. Eine Mentorin ließ sich aus Begeisterung sogar dazu hinreißen, in der BVV-Sitzung kurzerhand selbst mitzustimmen.

Im Juni (kurz nachdem dieser Beitrag verfasst wurde) steht das „Planspiel 2.0“ an. Von den Grundzügen und dem Ablauf wird sich nicht viel ändern. Allerdings wird es mit dem näher rückenden Wahltermin noch konkreter: Zielgruppe sind die nun aufgestellten KandidatInnen, einziges – kniffliges – Thema wird der Haushalt sein, denn gleich nach der Wahl stehen in Berlin die Beratungen zum Doppelhaushalt 2012/13 an. Gerade für „frische“ Kommunalos ist das Haushaltsrecht schwere Kost. Aber auch sie wird anschaulich präsentiert; ein mögliches Fallbeispiel werden die Unterhaltskosten für das beliebte DDR-Relikt „Kinderplansche“ sein.

Modularer Aufbau[Bearbeiten]

Da das Planspiel modular aufgebaut ist, lassen sich weitere Themen gut vermitteln. Der Doppeleffekt – Lernen und Ausprobieren – bleibt erhalten. Die TeilnehmerInnen erlernen das kommunalpolitische Handwerk, haben viel Spaß bei der Sache und werden folglich für ihre kommenden Aufgaben stark motiviert. Sie lernen dabei Arbeitstechniken kennen, die ihnen helfen, sich schnell als KommunalpolitikerInnen zurechtzufinden.

Rückmeldung erwünscht[Bearbeiten]

Wir möchten als Initiatoren des Planspiels unsere Erfahrungen gerne weitergeben und sind an einem Austausch interessiert. Das Planspiel für angehende Kommunalos kann dabei ein wichtiger Baustein für ein bündnisgrünes kommunalpolitisches Bildungsangebot sein. Hiermit lassen sich neue Menschen für die Kommunalpolitik gewinnen. Kreise, Städte und Gemeinden können neue, motivierte LokalpolitikerInnen gut gebrauchen. Hierfür brauchen wir neue Konzepte und einen systematischen Ansatz der Personalentwicklung in der politischen Bildungsarbeit.

Zum Weiterlesen[Bearbeiten]

Weiterer Beitrag zum Thema Planspiel: Haas, Matthias / Theisling, Ulla: Der Viersener Weg von passiven zu aktiven jungen Demokraten

Quelle[Bearbeiten]

Jaath, Jörn / Bechtler, Cornelius: Vor den BVV-Wahlen in Berlin, in: Alternative Kommunalpolitik 4/2011, S. 26f

Einzelnachweise[Bearbeiten]

  1. http://gruene-berlin.de/
  2. Jörn Jaath ist ehrenamtlicher AKP-Redakteur und Geschäftsführer des Kommunalpolitisches Forum Bündnis 90 / Die Grünen Berlin e.V. (KoPoFo). Cornelius Bechtler ist Geschäftsführer des Berliner Bildungswerkes für Alternative Kommunalpolitik (BiwAK) sowie Mitherausgeber des AKP-Buches „Shared Space - Beispiele und Argumente für lebendige öffentliche Räume“. Beide haben ein Mandat in ihrem jeweiligen Bezirksparlament.
    Weitere Infos: www.gruene-berlin.de/kopofo und www.biwak-ev.de