Boris Palmer

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Porträt Boris Palmer

Boris Palmer wurde am 23.10.2022 zum zweiten Mal als Oberbürgermeister der Universitätsstadt Tübingen wiedergewählt. Er erhielt 52,4% der Stimmen bei einer Wahlbeteiligung von 62,6%. Der Wahl war ein längerer Streit zwischen Palmer und seiner grünen Partei vorausgegangen, in deren Verlauf sich beide Seiten auf ein Ruhen von Palmers Parteimitgliedschaft einigten und die Grünen eine eigene Kandidatin aufstellten.

Palmer war von 2001-2007 Abgeordneter im Landtag Baden-Württemberg für Bündnis 90 / Die Grünen. 2006 hatte Palmer bei der Oberbürgermeisterwahl in Tübingen 50,4 Prozent der Stimmen erhalten, damals ebenfalls im ersten Wahlgang, das Amt trat er 2007 an. Am 19.10.2014 wurde er zum ersten Mal wiedergewählt. Bei einer Wahlbeteiligung von ca. 55% erhielt er 61,7% der abgegebenen Stimmen. Die aussichtsreichste Gegenkandidatin Beatrice Soltys (parteilos) kam auf 33,2%.

Konflikte mit der eigenen Partei[Bearbeiten]

Boris Palmer ist für gelegentliche provozierende Äußerungen in der Öffentlichkeit bekannt und lag damit mehr als einmal auch mit seiner eigenen Partei überkreuz. Als im Mai 2021 ein Post Palmers in einem sozialen Netzwerk von vielen innerhalb der grünen Partei als rassistisch eingeordnet wurde, leitete die Partei ein Ausschlussverfahren gegen ihn ein.[1] Bereits ein Jahr zuvor hatte der Stadtverband der Grünen in Tübingen angekündigt, Palmer bei der nächsten Wahl zum Oberbürgermeister nicht mehr unterstützen zu wollen.

Im Oktober 2021 beschlossen die Grünen in Tübingen, ihren nächsten OB-Kandidaten im April 2022 per Urwahl zu bestimmen.[2] Als Erste kündigte Ulrike Baumgärtner, langjährige Fraktionsvorsitzende im Rat und jetzt Ortsvorsteherin von Tübingen-Weilheim, ihre parteiinterne Kandidatur für die Aufstellung zur OB-Wahl am 23.10.2021 an.[3]

Eigene Kandidatur 2022[Bearbeiten]

Palmer bewarb sich nicht um eine Kandidatur für die Grünen, sondern kündigte eine eigene, individuelle Kandidatur zur OB-Wahl am 23.10.2022 an - auch in Konkurrenz zu einem*einer grünen Kandidat*in. Zur Finanzierung seines Wahlkampfes setzte Boris Palmer auf Crowdfunding. Die angestrebte Summe von 100.000 € war innerhalb einer Woche erreicht; zudem gab es einen Kreis von Unterstützer*innen, der seine Wahl öffentlich befürwortete.[4] Daraufhin kündigte Palmer - mit entsprechender Kritik aus der grünen Partei - seine Kandidatur zur Wiederwahl an.[5]

Bei der Urwahl im Stadtverband am 03.04.2022 erhielt Ulrike Baumgärtner 149 Stimmen (55%), 103 (38%) Mitglieder stimmten mit Nein, 19 Enthaltungen (7%) wurden gezählt. Auf einem Freifeld konnten auch andere Personen angegeben werden; die Grünen hatten aber zuvor angekündigt, Stimmen für Boris Palmer als ungültig zu werten, nachdem dieser erklärt hatte, eine Nominierung durch die Grünen nicht anzunehmen. Tatsächlich war Palmers Name auf 14 Stimmzetteln zu finden.[6]

Im April 2022 endete das Parteiordnungsverfahren gegen Boris Palmer mit einem Kompromiss, den das Landesschiedsgericht nach der mündlichen Verhandlung vorgeschlagen hatte: Palmer lässt seine Parteimitgliedschaft bis Ende 2023 ruhen. Im Laufe des Jahres 2023 will der Landesverband mit Boris Palmer darüber sprechen, "wie der Politiker kontroverse innerparteiliche Meinungen in Zukunft äußern könnte - unter Beachtung der Grundsätze und Ordnung der Partei". Palmers Anwalt Rezzo Schlauch sagte nach der Verhandlung, das Schiedsgericht habe diese sehr gut und mit hoher Sachkompetenz geführt: "Man kann es sich eigentlich nicht besser, nicht professioneller, nicht seriöser wünschen."[7]

Für seinen Wahlkampf hat Palmer als Wahlkampfmanager den Berater Lorenz Brockmann verpflichtet.[8] Am 12.09.2022 legte er sein Wahlprogramm vor.[9] Das Wahlprogramm widmet sich in jedem Themenbereich zunächst den Erfolgen von Palmers bisheriger OB-Tätigkeit, um dann die Ziele für die nächste Amtszeit zu formulieren. Kernpunkte dabei sind:

  • Klimaschutz und Klimaanpassung, u.a.: "Die Erzeugung von Strom aus erneuerbarer Energie müssen wir von derzeit 65% auf mehr als 150% des heutigen Bedarfs steigern", außerdem der Bau neuer Windräder und ein Ausbau des Fern- und Nahwärmenetzes.
  • Um mehr Menschen für den Beruf des Erziehers / der Erzieherin zu gewinnen, soll ein Personalwohnheim entstehen, da Interessent*innen sonst kaum Wohnungen finden.
  • Bau eines neuen Hallenbades und eines Konzertsaals sowie ein "9-Euro-Ticket für die Tübinger Kultureinrichtungen"
  • Jährlich 500 neue Wohnungen, davon 40% im sozialen Wohnungsbau; Einsatz für eine wirksame Mietpreisbremse sowie Streichung des Zwangs zum Bau von Parkplätzen für neue Wohnungen
  • Die Gasverstromung in Blockheizkraftwerken soll möglichst schnell beendet werden, um die Tübinger Industrie weiter mit Gas versorgen zu können. Neue Gewerbegebiete sollen flächensparend entwickelt werden.
  • Das zentrale Radwegenetz soll an die Schnellradwege angeschlossen und die Fußgängerzone vergrößert werden. Der TüBus soll bis 2030 komplett klimaneutral verkehren. Palmer strebt außerdem eine Umlagefinanzierung und damit ticketfreie Nutzung des Stadtverkehrs für Alle an, was jedoch an landesgesetzliche Voraussetzungen gebunden ist.
  • Der Nahverkehr soll bis 2030 vollständig barrierefrei werden, die Tübinger KinderCard systematisch weiter ausgebaut und der Maßnahmenkatalog gegen Kinderarmut weiter vorangebracht werden.

Weitere Ziele betreffen die Innenstadt, die Finanzierung notwendiger Innovationen, die Digitalisierung der Verwaltung sowie den Zusammenhalt von Stadt und Teilorten.

Erfolgreich im ersten Wahlgang[Bearbeiten]

Mit 52,4% der Stimmen war Palmer bereits im ersten Wahlgang am 23.10.2022 erfolgreich. Zuvor hatte er angekündigt, sich andernfalls aus der Politik zurückzuziehen.[10] Seine grüne Gegenkandidatin Ulrike Baumgärtner erreichte mit 22,0% den zweiten Platz, wenige Zehntel vor der SPD-Kandidatin. Die Wahlbeteiligung war mit 62,6% für eine Kommunalwahl ungewöhnlich hoch. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir kommentierte: "Man kann’s ja so sehen: Über 70 Prozent wählen auf die ein oder andere Art in Tübingen grün" und mahnte: "Als Ex-Tübinger wünsche ich der Stadt weiterhin viel Öko & mehr Zusammenhalt, zu dem alle ihren Beitrag leisten können." Rückblickend auf die Auseinandersetzungen mit der eigenen Partie zitierte Palmer Helmut Schmidt: "Eine Demokratie, in der nicht gestritten wird, ist keine". Damit bleibt er für eine dritte Amtszeit von 8 Jahren Oberbürgermeister.[11]

Nach erneutem Skandal Austritt[Bearbeiten]

Auf einer Veranstaltung am 29.04.2023 in Frankfurt sah sich Palmer, nachdem er mehrfach das "N-Wort" benutzt hatte, mit "Nazis raus!"-Rufen konfrontiert, die er mit den Worten kommentierte, das sei "nichts anderes als der Judenstern". Daraufhin entzogen ihm auch engere Freund:innen öffentlich die Unterstützung; u.a. gab sein Anwalt Rezzo Schlauch bekannt, nicht mehr für Palmer arbeiten zu wollen. Palmer kündigte zunächst an, eine Auszeit zu nehmen, vorerst keine öffentlichen Äußerungen zu tätigen und sich professionelle Unterstützung zu holen; die Äußerung zum Judenstern bezeichnete er zwei Tage später als "unangemessen". Am 01.05. erklärte er seinen Austritt aus der Partei Bündnis 90 / Die Grünen.[12]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. SWR, Grünen-Ausschlussverfahren gegen Tübinger OB Palmer könnte bis zu sechs Monate dauern, 09.05.2021; t-online, Parteiausschluss von Boris Palmer zieht sich hin, 08.09.2021
  2. Zeit, Tübinger Grüne wählen nächsten OB-Kandidaten mit Urwahl, 20.10.2021
  3. SWR: Grüne Ortsvorsteherin will Oberbürgermeisterin in Tübingen werden, 23.10.2021; Süddeutsche Zeitung, Ulrike Baumgärtner bewirbt sich bei Grünen um OB-Kandidatur, 23.10.2022
  4. Siehe die Homepage der Initiative: Wahlinitiative für Oberbürgermeister Boris Palmer
  5. Spiegel, Palmer tritt als unabhängiger Kandidat an, 30.01.2022; t-online: Grüne enttäuscht von Palmer: "Die Partei ist ihm egal", 30.01.2022; Zeit, Palmer will erneut zur OB-Wahl antreten: Gegen eigene Partei, 30.01.2022. Siehe auch den Kommentar in der Zeit: Boris Palmer: Grüne Ich-AG, 30.01.2022
  6. ntv, Grüne werten Stimmen für Palmer bei Urwahl als ungültig, 31.03.2022; SWR, Ulrike Baumgärtner ist Grünen-Kandidatin für die Tübinger OB-Wahl, 03.04.2022
  7. Süddeutsche Zeitung: Grünen-Rebell Palmer lässt Mitgliedschaft ruhen, 24.04.2022; SWR, Tübinger OB Palmer lässt Grünen-Mitgliedschaft ruhen - Landesvorstand einverstanden, Grüne Jugend übt Kritik, 25.04.2022
  8. Süddeutsche Zeitung: Palmers Wahlkampfleiter gibt Einblick in Strategie, 11.05.2022
  9. Das Wahlprogramm ist nach Themen auf Palmers Homepage abrufbar und auch komplett als pdf verfügbar. Siehe auch Stuttgarter Zeitung: Boris Palmer legt Wahlprogramm vor, 12.09.2022
  10. Welt, Boris Palmer kündigt Rückzug aus der Politik bei Wahlschlappe an, 15.10.2022; t-online, Bei Wahlniederlage: Palmer will Politik den Rücken kehren, 16.10.2022
  11. Tagesspiegel, Mit absoluter Mehrheit: Boris Palmer bleibt Oberbürgermeister in Tübingen, aktualisiert 24.10.2022; Merkur, Palmer pokert hoch und gewinnt: Tübingen-OB will jetzt weiter „streiten“ – Grüne reagieren zugeknöpft, 24.10.2022. Siehe auch Süddeutsche Zeitung: Risiko und Chance für die Grünen, Kommentar, 23.10.2022
  12. FAZ, Boris Palmer tritt bei den Grünen aus, 01.05.2023; Süddeutsche Zeitung: Stadt Tübingen: Palmer hat sich krankgemeldet, 02.05.2023

Weblinks[Bearbeiten]