Detroit

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Die US-amerikanische Stadt Detroit ist das größte Beispiel einer kommunalen Insolvenz nach Chapter 9 der US-Insolvenzordnung. Die USA sind eines der wenigen Länder, in denen eine kommunale Insolvenz möglich ist. Sie kann als Spitze eines System interpretiert werden, das auf Wettbewerb setzt und in dem es weder einen Finanzausgleich noch eine Einstandspflicht des Landes oder eine Kommunalaufsicht gibt. Mit der Insolvenzerklärung erregte die Stadt eine weltweite Öffentlichkeit und wurde zum Symbol für Niedergang und Verarmung.

Das Insolvenzrecht nach Chapter 9 der US-Insolvenzordnung[Bearbeiten]

Das Insolvenzrecht entstand aus den Erfahrungen der Weltwirtschaftskrise in den 1930er Jahren, als reihenweise Kommunen Bankrott gingen, ohne dass hierfür ein Verfahren existierte. Ziel der Insolvenz ist es, die bestehenden Verbindlichkeiten auf ein für den Haushalt tragfähiges Maß zu reduzieren, auf dass die Kommune finanziell wieder handlungsfähig werde (Spiotto 2012). Allein die Kommune selbst kann die Insolvenz beantragen. Weder Gläubiger noch das Land können sie zwingen. Diese rechtliche Option setzt allerdings eine entsprechende Verfahrensvorschrift des Landes voraus. Chapter 9 als Bundesgesetz allein genügt nicht. Ein spezielles Landesrecht führen 2013 27 der 50 Bundesstaaten in ganz unterschiedlichen Variationen. Eine Voraussetzung ist meist die Zustimmung des Landes zur Insolvenzerklärung. Eine andere ist der Versuch gütlicher Einigung mit den Gläubigern. Chapter 9 läuft auf einen Schuldenschnitt der Gläubiger hinaus. Eine Pfändung des Vermögens ist nicht zulässig. Die Kommune entwickelt einen Insolvenzplan, dem der Richter zustimmen muss, sofern er ihn für ausgewogen hält.

Insolvenzen sind sehr selten und infolge der Rechtslage auf vier Bundesstaaten konzentriert. Für klassische Gemeinden und Kreise sind seit 1980 49 Fälle bekannt.

Letztlich ist eine Insolvenz eine ultima ratio. Sie liegt nicht im Interesse des Landes, da Ausstrahlungseffekte auf andere Kommunen befürchtet werden. Für die Kommunen selbst ist das Verfahren teuer und der Ausgang offen.

Hintergründe der Insolvenz[Bearbeiten]

Die Insolvenz der Stadt war für Beobachter in den USA keine wirkliche Überraschung. Sie war das Ergebnis eines jahrzehntelangen Niederganges[1]. Die Ursachen liegen in der Wirtschaft, der Bevölkerungsstruktur, gesellschaftlichen Konflikten, dem System der Kommunalfinanzen und nicht zuletzt einer überforderten Lokalpolitik.

Abbildung 1: Räumliche Segregation in Detroit 2011

Der größte Faktor ist die Entwicklung der Automobilindustrie, welcher die Stadt Detroit ihr Wachstum bis auf 1,8 Millionen Einwohner und ihren Wohlstand verdankte. In den 1950er Jahren war sie quasi der einzige Wirtschaftszweig, der eine enorme Migration, primär aus den Südstaaten, auslöste. Technologischer Fortschritt und die internationale Konkurrenz verursachten einen Strukturwandel, der in wenigen Jahren die Hälfte der Arbeitsplätze verschwinden ließ. Neue Wirtschaftsstrukturen entwickelten sich nicht. Somit verließ über die Jahrzehnte ein großer Teil der Bevölkerung die Stadt. Seit Ende der 1960er Jahre entstand in der Region Detroit eine Segregation, die auch in den USA ihresgleichen sucht. Sie verläuft zwischen der wachsenden Gruppe der „African Americans“ und der „Nicht-African-Americans“. Die „weiße“ Mittelschicht-Bevölkerung zog mehr und mehr in die Vororte (z.B. Livonia; Abbildung 1). Auf regionaler Ebene blieb die Bevölkerungszahl relativ konstant. Zurück blieb die „schwarze“ Bevölkerung, welche zusehends verarmte und keine Lebenschancen sah. Dieser Rassenkonflikt hat eine lange Geschichte, führte mehrfach zu bürgerkriegsartigen Unruhen und prägt die gesamte Stadtgesellschaft[2].

Die Schrumpfung spiegelte sich direkt in den städtischen Einnahmen wider. Ein kommunaler Finanzausgleich existiert nicht. Die einwohnerbezogenen Schlüsselzuweisungen sanken, ebenso die Grundsteuer, welche an die aktuellen Immobilienwerte gekoppelt ist. In Reaktion erhöhte die Stadt Detroit fortwährend die Einkommenssteuer, was die Stadtflucht der Beschäftigten verstärkte. Abbildung 2 zeigt Haushaltsvolumen und Struktur im Zeitvergleich. Der Rückgang der Gesamteinnahmen betrug binnen zehn Jahren nominal mehr als ein Viertel. Hinzu trat eine ungenügende Lokalpolitik, die sich weigerte, die Schrumpfung anzuerkennen. Die Lokalpolitik betrieb zunehmend Klientelpolitik. Die rassistischen Spannungen verhinderten eine Kooperation mit den Vororten und mit der Landesregierung. Ein weiteres Problem wurde das öffentliche Dienstrecht. In den Zeiten des Wohlstandes wurden für einige Beschäftigtengruppen großzügige Tarifverträge vereinbart, die in der Folge nie angepasst wurden. In Detroit gab es im Jahr 2013 48 verschiedene Tarifverträge. Polizisten und Feuerwehrleute konnten nach 25 Dienstjahren ohne Abzüge in Pension treten.

Abbildung 2: Haushaltsvolumen und -struktur Detroits im Zeitvergleich

Spätestens seit 2004 gelang es der Stadt nur noch mittels Hilfen des Landes und diverser Buchhaltungstricks, den Haushalt formal auszugleichen. Parallel wuchsen die Verbindlichkeiten. Sie beliefen sich insgesamt auf knapp 16 Mrd. Euro. Dazu zählen Kassenkredite, Anleihen des Kernhaushaltes, Anleihen des Wasserbetriebes, Notfallkredite des Landes und vor allem ungedeckte Pensionsverpflichtungen. Im Jahr 2013 banden die Verpflichtungen der Stadt für den Schuldendienst fast ein Fünftel der Einnahmen. Parallel sanken die Ratings bis auf Junk Status. Über Jahrzehnte verfiel die Stadt im wörtlichen Sinne, denn Kapital zum Erhalt der Infrastruktur war nicht vorhanden. Allgemein sank die Qualität der kommunalen Dienstleistungen.

Dass es zur Insolvenzerklärung kam, begründet sich neben der rechtlichen Zulässigkeit im Bundesstaat Michigan aus einer weiteren rechtlichen Besonderheit, die nur kurz gültig war: das Notfallmanagergesetz. Über dieses Gesetz verschaffte sich das Finanzministerium tiefe Eingriffsrechte in die Haushalte krisenhafter Kommunen. Es wurde nur sieben Mal angewandt und bedurfte stets der Einzelgenehmigung des Gouverneurs. Im Jahr 2010 wurde die Rechtslage deutlich verschärft. Die Kompetenzen des Notfallmanager reichten nun bis hin zur Erklärung der Insolvenz. Bereits 2012 wurde diese Regelung durch einen Volksentscheid wieder gekippt.

Verlauf des Verfahrens[Bearbeiten]

Das Verfahren hatte somit eine Vorgeschichte über den Einfluss des Finanzministeriums und die Berufung eines Notfallmanagers. Nachdem der gesetzlich vorgeschriebene außergerichtliche Vergleich mit den Gläubigern scheiterte, erklärte dieser am 18. Juli 2013 die Insolvenz. Der Gouverneur stimmte zu. Das zuständige Insolvenzgericht erließ einen Insolvenzplan. Widersprüche der Gläubiger gegen das Verfahren scheiterten. Die Stadt entwickelte einen Insolvenzplan mit erheblichen Kürzungen in Tilgung und Pensionen. Am Ende stand ein Verhandlungspaket, dem (fast) alle Gläubiger zustimmten. Entscheidend war das Engagement einiger lokaler Stiftungen und regionaler Großunternehmen. Der Kampf um die Kunstsammlung wurde zum Symbol für die Stadt, hinter dem sich die Region versammeln konnte. Im November 2014 erklärte der Insolvenzrichter den Insolvenzplan für gültig.

Ergebnisse[Bearbeiten]

Das Insolvenzverfahren verlief unerwartet schnell und für die Stadt günstig. Die bilanziellen Entlastungen belaufen sich auf 7 Mrd. Dollar. Die Anleihegläubiger erlitten hohe Verluste von rund 80%. Zukünftige Pensionen und Krankenversicherungen wurde gekürzt. Die Stadt steht für die Zukunft unter Aufsicht des Finanzministeriums. Positiv sind die globale Aufmerksamkeit, das Engagement des Landes, des Bundes, der Bürger und Unternehmen über die Stadtgrenzen hinaus anzusehen. Die wirtschaftlichen und sozialen Ursachen bestehen fort.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Mallach und Scorsone 2011
  2. Martelle 2014

Verweise[Bearbeiten]

  • Bertelsmann Stiftung (2014): Die Geschichte eines beispiellosen Niedergangs. Ein Blog in zehn Teilen
  • Geißler, René (2015):. Detroit. Hintergründe eines historischen Bankrotts. Analysen & Konzepte Nr. 2/2015
  • Mallach, Alan und Edward Scorsone. Long-Term Stress and Systemic Failure. Taking Seriously the Fiscal Crisis of America’s Older Cities. Center for Community Progress. Flint 2011
  • Spiotto, James. Financial Emergencies. Default and Bankruptcy. In. The Oxford Handbook of State and Local Government Finance. Hrsg. Robert D. Ebel und John E. Petersen. Oxford University Press. 2012. S. 756-783