Gemeindefinanzbericht 2011

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Der Gemeindefinanzbericht 2011 des deutschen Städtetages wurde von Uwe Anton und Dörte Diemert verfasst und im Oktober 2011 in Heft 5/2011 der Zeitschrift "der städtetag" veröffentlicht.[1]

Keine Entwarnung[Bearbeiten]

Die weltweite Finanzkrise scheint vorläufig überwunden, der Konjunkturhimmel hat sich aufgehellt, auch wenn mit der Schuldenkrise neue Gewitterwolken am Horizont erscheinen. Und mit den aufwärts weisenden Konjunkturdaten steigen auch die Steuereinnahmen. Teilweise gibt die Presse schon Entwarnung: "Sprudelnde Steuern verkleinern Löcher in öffentlichen Kassen" titelt etwa die Online-Ausgabe des Handelsblatts am 30.9.2011. Man muss schon genauer hinschauen, um zu verstehen, dass nicht etwa die vorhandenen Schulden verkleinert werden, sondern lediglich die neu hinzukommenden geringer ausfallen als vor einem Jahr prognostiziert. 2010 lag das bundesweite kommunale Defizit mit 7,7 Mrd. Euro rund halb so hoch wie im letzten Gemeindefinanzbericht erwartet, für das laufende Jahr wird ein Minus von 5 Mrd. € vorhergesagt. Defizite, die stark ausgeblutete Kommunen treffen: Seit 1992 haben die Kommunen in Deutschland insgesamt – sechs positive Jahre eingerechnet – über 40 Mrd. € mehr ausgegeben als eingenommen (die Hälfte davon in den Jahren 2009-2011). Und da sie schon zuvor kein nennenswertes Vermögen wie Rücklagen oder andere leicht veräußerbare Werte mehr besaßen, übersteigen seit Beginn 2011 auch die Kassenkredite bundesweit die 40-Mrd.-€-Marke.

In manchen Szenarien – die optimistische Annahmen für den weiteren Konjunkturverlauf voraussetzen – werden für den kommunalen Gesamthaushalt ab 2012 Überschüsse von 1 Mrd. Euro oder mehr jährlich erwartet. Auch dies reicht für eine Entwarnung nicht aus. Würden alle Kommunen in eine gemeinsame Kasse wirtschaften, würde immerhin die aufgelaufene Verschuldung langsam wieder abgebaut. Doch die Unterschiede zwischen den Kommunen sind immens. Und so werden die Überschüsse vorwiegend bei jenen Kommunen anfallen, die auch in den vergangen Jahren relativ gut über die Runden kamen. Sie werden damit ihre Mindestrücklage wieder aufbauen oder aufgeschobene Investitionen nachholen, doch die anderen, die überschuldeten Gemeinden haben nichts davon. Allein für die nordrhein-westfälischen Kommunen, die derzeit mit 20 Mrd. € rund die Hälfte der bundesweiten Kassenkredite angesammelt haben, wird erwartet, dass sich dieser Betrag bis Ende 2020 mehr als verdoppelt. Hier entwickelt sich eine kommunale Schuldenkrise, die außer Kontrolle zu geraten droht.

Einnahmen und Ausgaben[Bearbeiten]

Betrachten wir die Einnahmen und Ausgaben, wie sie der neue Gemeindefinanzbericht für die Jahre 2010 und 2011 auflistet. Die Gewerbesteuer zeigt, wie üblich, eine überschießende Reaktion. Nicht nur höhere Gewinne sorgen für Mehreinnahmen im Jahr 2010, auch Nachzahlungen für 2009 wurden fällig, so dass das Aufkommen 2010 um 9,6% anstieg. Der weitere Zuwachs um 8,2% im Jahr 2011 geht überwiegend auf die Konjunktur zurück. Der Anstieg wird – wie der vorausgegangene Einbruch – in den gewerbesteuerstarken Städten stärker ausfallen als dort, wo diese Steuer geringere Bedeutung hat. Moderater reagiert die Einkommensteuer: Sie sank 2010 um 3,6% und steigt 2011 um 1,8%, liegt also weiterhin unter dem Niveau von 2008. Der Gemeindeanteil an der Umsatzsteuer steigt 2010 um 2,2%, 2011 um 4,1%, doch trägt diese Steuer nicht viel zu den kommunalen Gesamteinnahmen bei.

Auch die Zuweisungen für Investitionen steigen 2011 noch einmal, jedenfalls im Westen – im Osten sinken sie. Ursache ist in beiden Fällen das Konjunkturpaket II, das im Osten weitgehend abgewickelt ist, in westdeutschen Gemeinden noch in der Umsetzung. In Ostdeutschland werden zusätzlich die Sonderbedarfs-Ergänzungszuweisungen an die Länder abgeschmolzen, was auf die Kommunen durchschlägt. Die Zuweisungen für laufende Zwecke steigen im Westen mit 9,6% stärker als im Osten, wo ein Zuwachs von 4,2% erwartet wird.

Die Personalausgaben steigen 2010 um 2,2 %, 2011 um 2,6% – wichtigste Ursache dafür ist die Tarifentwicklung. Die Sachausgaben stiegen 2010 um 5,3%; als Grund nennt der Bericht die Einführung der Doppik sowie die Beseitigung von Straßenschäden nach zwei strengen Wintern. Da es sich um Sondereffekte handelt, wird für 2011 ein Rückgang um 0,5% erwartet. Dramatisch ist wieder einmal der Anstieg der sozialen Leistungen, der 2010 4,5% und 2011 6% beträgt. Diese Ausgabenposition stellt das eigentliche langfristige, bis heute ungelöste Problem der Kommunalfinanzen dar.[2] Die Sachinvestitionen steigen 2010 um 5,5%, 2011 bleiben sie mit +0,2% praktisch konstant. Nach Auslaufen des Konjunkturpakets werden sie wieder sinken und auf niedrigem Niveau verharren, selbst wenn die Einnahmen weiter anziehen sollten, weil die steigenden Sozialausgaben keine Spielräume übrig lassen.

Im Ergebnis wachsen im Jahr 2010 die Einnahmen um 2,6%, die Ausgaben um 2,8%; das Defizit fällt damit noch etwas höher aus als 2009. 2011 dagegen führt der Anstieg der Einnahmen um 3,7% bei einem Ausgabenwachstum von 2,0% zu einem sinkenden Defizit. Bei sehr optimistischen Annahmen wird, wie erwähnt, für 2012 sogar ein leicht positiver Saldo zwischen Einnahmen und Ausgaben erwartet. Die kommunale Finanzkrise ist damit nicht gelöst; sie kommt möglicherweise für viele Gemeinden zum Stillstand, doch die aufgelaufenen Schulden und Investitionsrückstände bleiben bestehen.

Reformkommission[Bearbeiten]

Vom März 2010 bis Juni 2011 tagte eine Kommission der Bundesregierung zur Reform der Gemeindefinanzen. Ein wesentliches Motiv für ihre Einsetzung war die Absicht der FDP, die Gewerbesteuer abzuschaffen. Das ist nicht gelungen, was aus kommunaler Sicht als Erfolg zu werten ist. Immerhin, ein positives Resultat ist zu vermelden: Der Bund übernimmt ab 2012 in drei Schritten die Kosten der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung; 2014 kommt die Entlastung von ca. 4 Mrd. € ganz bei den Kommunen an – wenn die Länder sie vollständig weiterleiten, was aufgrund der schwach formulierten Verpflichtung im Gesetzentwurf noch nicht sicher ist.

Mehr zur Reformkommission: Kommission zur Reform der Gemeindefinanzen 2010

Entschuldungshilfen[Bearbeiten]

Angesichts der wachsenden Verschuldungsprobleme vieler Kreise und Gemeinden, insbesondere der ungebremst ansteigenden Kassenkredite, haben die meisten Bundesländer zusätzliche Programme geschaffen, um die finanzschwächsten Kommunen zu unterstützen. Die Modelle sind vielfältig und reichen von Konsolidierungsfonds (Hessen, Mecklenburg-Vorpommern) über Tilgungszuschüsse bei älteren Krediten (Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Niedersachsen) bis zu Konsolidierungshilfen (Schleswig-Holstein) und an vertragliche Bedingungen gekoppelte Einzelfallhilfen (Baden-Württemberg). Die Vielzahl der manchmal auch kombinierten Modelle kann hier weder erläutert noch bewertet werden. Gemeinsam ist allen Modellen, dass sie an den strukturellen Grundproblemen nichts ändern: Weder stärken sie die Einnahmebasis der Kommunen (in einigen Fällen stabilisieren sie sie ein wenig) noch ändern sie etwas an der permanent und stark wachsenden Kostenbelastung durch soziale Leistungen – letzteres könnte wohl auch nur der Bund regeln. Gemeinsam ist den neuen Landesprogrammen auch, dass sie angesichts der aufgelaufenen Probleme bei weitem nicht ausreichen. Selbst wenn ab sofort keine weiteren Defizite hinzukämen, müssten sie über Jahrzehnte fortgeführt werden, um die vorhandenen Schulden abzubauen. Und dies gilt wohlgemerkt nur für die Finanzschulden, nicht für den immer größer werdenden Stau aufgeschobener, aber dringender Investitionen.

Neue Probleme am Horizont[Bearbeiten]

Zwei Entwicklungen machen den AutorInnen des Berichts Sorgen für die Zukunft: die im Grundgesetz verankerte staatliche „Schuldenbremse“ und die Neufassung der bankaufsichtlichen Regelungen („Basel III“).

Die neue, in den kommenden Jahren schrittweise greifende „Schuldenbremse“ gilt nur für Bund und Länder, nicht für die Gemeinden. Diese unterliegen schon lange strengen, durch die Kommunalaufsicht kontrollierten Regeln, die ihre Verschuldung wirksam begrenzt haben. Im Ergebnis machen die „normalen“, an Investitionen gebundenen kommunalen Schulden heute nur rund 7% der staatlichen Gesamtverschuldung in Deutschland aus (hier sind allerdings noch die in jüngerer Zeit stark zunehmenden Kassenkredite hinzuzurechnen). Doch wird die Schuldenbremse in den kommenden Jahren zu ungeahnten Haushaltsklemmen in vielen Bundesländern führen. Es gehört angesichts entsprechender Erfahrungen nicht viel Fantasie dazu, zu befürchten, dass dann auch die Zahlungen an Kommunen, insbesondere die Ausstattung des kommunalen Finanzausgleichs zur Reservekasse der Länder werden. Der Gemeindefinanzbericht fordert daher einen Schutzmechanismus für Kommunen in Form einer garantierten Untergrenze für die kommunale Finanzausstattung unabhängig von der Leistungsfähigkeit des jeweiligen Bundeslandes.

Als eine Antwort auf die jüngste Finanzkrise haben die G20-Staaten beschlossen, die Eigenkapitalregeln für Finanzinstitute zu ändern. Konsequenz wird u. a. sein, dass die Banken eine größere Eigenkapitalreserve vorhalten müssen oder bei gegebenem Eigenkapital ihr Kreditgeschäft einschränken müssen.[3] Der Städtetag befürchtet, dies könne zu Verknappungen bzw. schlechteren Konditionen für Kommunalkredite führen. Diese sind zwar für die Banken ohne Risiko (eine Insolvenz von Kommunen schließt das deutsche Recht aus), versprechen ihnen aber auch keine hohen Gewinnmargen. Unter verschärften Bedingungen könnten Banken versucht sein, dies Geschäft durch rentablere, jedoch auch riskantere Vergaben an andere Kreditnehmer zu ersetzen. Der Gemeindefinanzbericht fordert daher, die Regeln (die die EU-Kommission als Verordnung, daher ohne Beteiligung der Parlamente und so möglicherweise auch ohne Berücksichtigung deutscher Besonderheiten umsetzen will) an die Gegebenheiten der deutschen Kommunen anzupassen.

Fazit[Bearbeiten]

Diese Zusammenfassung, die keineswegs vollständig ist, zeigt: Es steht nicht ganz so dramatisch um die Kommunen wie noch vor einem Jahr befürchtet. Doch bleibt die Aussage richtig, dass sich die chronische Auszehrung der Kommunalfinanzen durch die Finanzkrise ab 2008 noch einmal verschärft hat und dass eine echte Besserung, die den kommunalen Handlungsspielraum wieder erweitert, nicht in Sicht ist. Im Gegenteil, mit der Schuldenbremse hat sich der Staat insgesamt Fesseln angelegt, die auch die Kommunen noch schmerzlich zu spüren bekommen werden. Ohne einen neuen gesellschaftlichen Konsens über die Bedeutung des öffentlichen Sektors, zu dem die Leistungsfähigsten in der Gesellschaft auch den größten Beitrag leisten müssen, und ohne eine andere Bundesregierung, die die staatlichen Mittel neu zwischen den Ebenen austariert, wird sich daran auch nichts ändern.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Stefan Anton und Dr. Dörte Diemert, Gemeindefinanzbericht 2011, in: der städtetag 5/2011, S. 6-88; Grafiken und Tabellen auch online
  2. Siehe dazu den Artikel „Kommunale Finanzkrise
  3. Siehe hierzu den Artikel: Basel III