Gentrifikation

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Mit dem Begriff Gentrifikation, oft auch in der englischen Form Gentrification oder eingedeutscht Gentrifizierung, wird der Prozess der Aufwertung eines Wohngebietes durch Zuzug einer statushöheren Wohnbevölkerung gekennzeichnet. Städtische Wohngebiete unterliegen grundsätzlich einem Wandel, der sich auf verschiedene Merkmale beziehen kann: Gebäudeverdichtung, Altersstruktur der Bevölkerung, Anteil ethnischer Minoritäten, Gebäudenutzung, Veränderung der sozialen Zusammensetzung der Bevölkerung, Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen etc. In diesem Kontext kann sowohl ein "Invasions-Sukzessions-Zyklus" stattfinden, der den vermehrten Zuzug von statusniedrigerer Bevölkerung zur Folge hat, wie auch umgekehrt die Revitalisierung eines Wohngebietes durch statushöhere Gruppen. Ruth Glass hat für letzteres 1964 den Begriff "gentrification" eingeführt, abgeleitet von "gentry", einer vornehmeren Bürgerschaft.

Gentrifikation findet nach den bisherigen Erkenntnissen überwiegend in Wohngebieten statt, die folgende Merkmale aufweisen:

  • nahe dem Stadtzentrum gelegen,
  • relativ niedrige Mieten und relativ schlechter Erhaltungszustand der Gebäude,
  • tendenziell überalterte Bevölkerung mit niedrigerem Sozialstatus,
  • attraktive Gebäudesubstanz um 1900 errichtet.

Der Stadtsoziologe Jürgen Friedrichs beschreibt den Prozess der Gentrifikation in 4 Phasen:

  1. Eine Gruppe von "Pionieren" (Studenten, Künstler) zieht, um der preiswerten Mieten willen und weil sie sich in einem Gebiet mit "bunter Mischung" am wohlsten fühlt, ein. Zumeist sind des Wohngemeinschaften oder kinderlose Haushalte mit ein bis zwei Personen, die über Einkommen von unter 1.000 € monatlich, aber höhere Bildung verfügen.
  2. Neben den risikofreudigen Pionieren kommen nun die eher risikoscheuen "Gentrifier" hinzu. Diese suchen ein Viertel mit urbanem Lebensstil, aber dennoch "guter" Adresse. Die Merkmale der Gentrifier sind: Single- oder Paarstruktur, Familiengründung beabsichtigt mit ein bis zwei Kindern, Haushaltseinkommen deutlich über 1.000 € monatlich und ebenfalls höhere Bildung. Bevorzugt wird die Bewahrung eines unkonventionellen Lebensstils. Nun ändert sich das Image, es entstehen Szenekneipen, Kinos, Fahrradwerkstätten und Alternativläden. Der Nachfragedruck auf Wohnungen in diesem Gebiet erhöht sich.
  3. Makler und Investoren entdecken die Gegend, und es kommt nun verstärkt zur Umwandlung von Miet- in Eigentumswohnungen. Der Zuzug von Gentrifiern der Altersgruppe 26-45 Jahre liegt deutlich über dem der Pioniere der Altersgruppe 18-25 Jahre. Das Ausmaß der Modernisierung nimmt weiter zu, der Wert der Wohnungen wird stark kapitalisiert. Kneipen, Dienstleistungsanbieter (Haarstylist statt Frisör) und Geschäfte (Antiquitäten, Boutiquen, hochwertige Soundstudios) stellen sich vermehrt auf den Bedarf ihres "Schicki-Micki-Klientels" bzw. der "konsumfreudigen Citoyens" ein. Inzwischen findet eine massive Verdrängung der alteingesessenen Bevölkerung und teils auch schon der Pioniere statt.
  4. Die Gruppe der Gentrifier erreicht nun einen Anteil von 60 %. In Kreisen von Immobilenmaklern gilt die Gegend als sichere Kapitalanlage. Mit den modernisierten und per Abgeschlossenheitserklärung und Teilungsvertrag in Eigentumswohnungen umgewandelter Altbauten lassen sich Spitzenpreise erzielen. Das Gebiet hat inzwischen ein gänzlich neues Image oder sogar Flair gewonnen. Die Aufwertung ist abgeschlossen.

Dieser Prozess der Gentrifikation, der so in Studien für zahlreiche deutsche Städte belegt ist, ist aus einer von den ursprünglichen Akteuren, den Pionieren, unbeabsichtigten Konsequenz erwachsen, teils formiert sich sogar organisierter Protest gegen die weitere Aufwertung. Teils werden aus den Pionieren aber auch Gentrifier, wenn sie die definierte Grenze von 1.000 € Haushaltseinkommen überschreiten. Als positiver Aspekt der Gentrifikation wird gewertet, dass dadurch ansonsten verfallende Altbausubstanz erhalten wird, ferner dass statushohe Haushalte nicht ins Umland abwandern. Durch ihre Konsumtionsfähigkeit bleibt eine innenstadtnahe bzw. auf das Viertel bezogene Infrastruktur lohnenswert. Nicht zuletzt die mit dieser Bevölkerung verbundenen kommunalen Einnahmen sind es, die nach der Abrisswut der 70er Jahre ein Umdenken bei Stadtplanern und Kommunalpolitikern bewirkt haben, so dass solche Gebiete heute gefördert und saniert werden. Kehrseite ist die Tatsache, dass ältere und einkommensschwache Haushalte aus diesen innenstadtnahen Wohnlagen verdrängt werden und dem Segment des preiswerter Mietwohnungsmarktes ein Teil entzogen und zur "teuren" Wohngegend umgewandelt wird.

Literatur[Bearbeiten]

  • Hartmut Häußermann: Großstadt – Soziologische Stichworte; Opladen 1998, Leske+Budrich, ISBN 3-8100-2126-1, S. 57-66
  • Jörg Blasius / Jens S. Dangschat (Hrsg): Gentrification – Die Aufwertung innenstadtnaher Wohnviertel; Ffm., New York 1990, Campus
  • Jürgen Friedrichs/Robert Kecskes (Hrsg.): Gentrification – Theorie und Forschungsergebnisse; Opladen 1996, Leske+Budrich
  • Robert Kecskes: Sozialräumlicher Wandel in westdeutschen Großstädten. Ursachen, Folgen, Maßnahmen; in Jürgen Friedrichs (Hrsg.): Die Städte in den 90er Jahren; Opladen/Wiesbaden 1997, Westdeutscher Verlag, ISBN 3-531-13052-8, S. 213-244
  • Gunar Bodendiek, Gentrification: Ursachen, Verlauf & Folgen, in: Wissen Erleben, Online-Magazin zu Geschichte und Geographie

Weblink[Bearbeiten]