Kommunen ins Zentrum der Demokratie rücken!

Aus KommunalWiki

Ein Argumentationspapier von Karl-Martin Hentschel[1]

„Stärkung der Kommunen“ – wichtig für die Weiterentwicklung der Demokratie[Bearbeiten]

Die Idee der stärkeren Verlagerung der Politik auf die kommunale Ebene findet bei den meisten Menschen spontan Zustimmung. Umfragen ergeben, dass die meisten Bürgerinnen und Bürger sich ihren Bürgermeistern und Kommunalpolitiker*innen viel mehr verbunden fühlen als z. B. ihren Bundestagsabgeordneten. Das Vertrauen zu Landespolitikern liegt dazwischen. Das hat nichts damit zu tun, welche Partei die Bürger präferieren. Bürger können sich einfach auf kommunaler Ebene leichter einmischen und eher vorstellen, um was es geht. Die Politik vor Ort ist näher. Auch andere lokale Einrichtungen von den Sparkassen bis zu den Stadtwerken genießen weitaus mehr Vertrauen als Großorganisationen wie die Deutsche Bank oder E.ON. Nicht nur das Vertrauen in die Politik vor Ort ist größer, sondern auch das in die Wirksamkeit des eigenen Handelns. Die Menschen mischen sich auf lokaler Ebene schneller ein, weil die Politik vor Ort leichter zu durchschauen ist. Und die Ergebnisse sind leichter zu kontrollieren.

Umso ärgerlicher ist die Tatsache, dass die Demokratie in Deutschland vergleichsweise sehr kopflastig ist. In Deutschland erfolgen (nach OECD-Angaben) 64 Prozent der Staatsausgaben auf Bundesebene, nur 20 Prozent durch die Länder und lediglich 16 Prozent durch die Kommunen. Und die Mittel der Kommunen sind auch noch weitgehend durch Bundes- und Landesgesetze festgelegt. Kreistage dürfen teilweise nur über weniger als fünf Prozent des Haushaltes selbst entscheiden. In den meisten Belangen handelt die Kreisverwaltung als untere Landesbehörde – die gewählten Kreistagsmitglieder können den Haushalt dann in weiten Teilen nur abnicken.

Das ist kein Naturgesetz, das zeigen Dänemark und die Schweiz. Dort verfügen die Kommunen und Regionen über 65 beziehungsweise 58 Prozent aller staatlichen Mittel. In Dänemark gestalten die Bürgermeister und Gemeinderäte das gesamte soziale Leben des Staates: Kitas, Altenpflege, Schulen, Arbeitsverwaltung, Gesundheitsversorgung, öffentlicher Verkehr – all das liegt vollverantwortlich in der Hand der Kommunen und Regionen, die obendrein über ihre Steuereinnahmen selbst entscheiden können. In Deutschland dagegen sind viele Gemeinderäte frustriert – sie dürfen seit Jahren nur noch den Mangel verwalten und über Einsparungen entscheiden.

Aus diesen Gründen erscheint eine stärkere Kommunalisierung als eine Chance für mehr Demokratie, mehr Bürgerbeteiligung und mehr Akzeptanz von Politik. Um das zu erreichen, müsste in Deutschland der Staatsaufbau geradezu vom Kopf auf die Füße gestellt werden. Die Kommunen sollten ins Zentrum der Demokratie gerückt werden.

Kurzfassung der Thematik in vier Grafiken[Bearbeiten]

Die folgenden Grafiken sollen die Bedeutung des Themas verdeutlichen:

Grafik 1: Nach den Angaben der OECD ist Deutschland extrem zentralisiert[Bearbeiten]

In Ländern wie Dänemark oder der Schweiz werden zwei Drittel der Staatsausgaben durch die Kommunen getätigt, in Deutschland nur ein Sechstel.

Abbildung 1: Anteil an den gesamten Staatsausgaben

Quelle für die Daten: OECD 2009/JLGBA 2012
Anmerkung: Die Kantone der Schweiz entsprechen von ihrer Größe her den Kreisen und kreisfreien Städten in Deutschland.

Grafik 2: Die BürgerInnen wünschen eine stärkere Rolle der Kommunen[Bearbeiten]

Die große Mehrheit der Bürger*innen befürwortet höhere Steuern nur dann, wenn sie an die Kommunen gehen. Zwei Drittel wollen die jetzige Verteilung zu Gunsten der Kommunen ändern.

Abbildung 2: Wer sollte Mehreinnahmen aus Steuern bekommen?

Quelle für die Daten: Forsa-Umfrage für den DBB 2010

Grafik 3: Der Grund ist offensichtlich - die Bürger haben zu ihren Repräsentanten am Ort mehr Vertrauen[Bearbeiten]

Die Bürger*innen vertrauen ihren kommunalen Repräsentanten mehr als achtmal soviel wie den Bundespolitikern.

Abbildung 3: Welchen Politikern vertrauen Sie am meisten?

Quelle für die Daten: TSN Emnid 2011

Grafik 4: In Staaten, die dezentral organisiert sind, haben die Bürger mehr Vertrauen in die Politik[Bearbeiten]

In den Staaten mit starken Kommunen wie Dänemark und der Schweiz ist das Vertrauen erheblich größer. Offensichtlich scheint es einen Zusammenhang zwischen Dezentralität und der Akzeptanz von Politik zu geben.

Abbildung 4: Vertrauen in die Politik

Quelle für die Daten: BAT 2012

Stärkung der kommunalen Finanzen und der Finanzautonomie[Bearbeiten]

Eine zentrale Rolle für die Handlungsfähigkeit von Kommunen spielen naturgemäß die Finanzen. Viele Kommunen sind hoch verschuldet und haben kaum noch Geld für eigene Politikgestaltung. Im Ergebnis verwalten viele Gemeinderäte und Kreistage nur noch den Mangel und müssen sogar Kürzungen beschließen, die sie eigentlich nicht wollen. Dafür werden sie dann nicht selten von Bürgern auch noch beschimpft. Für die Kommunalpolitiker, die viel Zeit und Engagement in die ehrenamtliche Arbeit in der kommunalen Selbstverwaltung investieren, ist das frustrierend.

Mehr Demokratie in den Kommunen hängt daher zentral mit der Frage der finanziellen Ausstattung der Kommunen zusammen. Trotzdem gehen bei dem Stichwort „Steuerhoheit“ der Kommunen (und auch der Länder) bei vielen Politikern die Warnlampen an. Sozialpolitiker befürchten einen Dumpingwettbewerb um die niedrigsten Steuern. Andere glauben, man könne den Kommunen nicht mehr Verantwortung geben, weil dann noch mehr Unsinn gebaut und beschlossen würde. Und wieder andere glauben, dass alles besser wird, wenn noch mehr zentral geregelt wird und nicht jedes Land oder gar jede Kommune andere Regeln einführt.

Es reicht ein Blick zu unseren nördlichen Nachbarn in Skandinavien, um die Befürchtung eines Steuerdumpings zu entkräften. In Schweden und Dänemark sinken seit 30 Jahren die Einnahmen des Zentralstaates. Die Steuerquote der Kommunen und Regionen hat sich dagegen in der gleichen Zeit mehr als verdoppelt. Die Bürger sind offensichtlich viel eher bereit, mehr Steuern zu zahlen, wenn es um „ihre“ Schule, „ihr“ Pflegeheim oder „ihr“ Schwimmbad geht. Sie sehen dann direkt vor Ort, was mit ihrem Geld geschieht. Skandinavische Kommunen sind überwiegend über die Einkommensteuer finanziert, die von den Stadt- und Gemeinderäten festgelegt wird. So stimmen die Wähler bei den Kommunalwahlen nicht nur über wohlfeile Wünsche ab, sondern gleichzeitig auch darüber, wie die geplanten Projekte finanziert werden sollen. Und erstaunlicherweise haben sie immer wieder auch Steuererhöhungen für ihre Gemeinde zugestimmt.

Wichtig bei einem solchen System: Es muss eine faire Finanzausstattung geben, damit die Kommunen mit ärmerer Bevölkerung und weniger lukrativen Betrieben ihren Bürgern eine gleich gute Infrastruktur bieten können. Hier kommt der Finanzausgleich ins Spiel. Er wird in Skandinavien anhand von Strukturdaten berechnet, etwa der Zahl der Kinder, der Rentner, der Arbeitslosen, der Höhe des Durchschnittseinkommens und anhand geografischer Faktoren wie Klima, Insellage oder Bergland. Daraus ergeben sich die Zuweisungen, die jede Kommune von der Zentralregierung bekommt. Diese soll die Unterschiede in der Steuerkraft ausgleichen, damit überall die gleichen Lebenschancen existieren. Die Höhe dieser Zahlungen geht von einem durchschnittlichen Steuersatz bei der kommunalen Einkommenssteuer aus. Erhöht die Gemeinde die Steuern, darf sie die Mehreinnahmen behalten, senkt sie diese, muss sie mit weniger auskommen. Wenn also die Bürger dafür stimmen, eine neue Schule zu bauen und dafür die Steuer zu erhöhen, dann wissen sie, dass das Geld zu hundert Prozent in ihrer Kommune bleibt.

Auch die Art der Steuer, die den Kommunen zugute kommt, ist für eine erfolgreiche Selbstverwaltung wichtig. In Deutschland bildet die Gewerbesteuer eine wichtige Säule der Kommunalfinanzen. Die ist im Gegensatz zur Einkommenssteuer extrem schwierig zu kalkulieren. Viele Kommunen hängen von den Gewinnen weniger Unternehmen ab. Nicht selten entscheidet sogar das Wohl und Wehe einer einzigen großen Firma über die finanzielle Lage einer Gemeinde. Eine stärkere Finanzierung über die Einkommenssteuer wie in unseren Nachbarstaaten erscheint daher vernünftiger.

Der aktuelle Anlass für die Debatte um kommunale Demokratie[Bearbeiten]

Die Demokratie in Deutschland befindet sich in einer Krise. Ausdruck davon sind das verbreitete Misstrauen gegenüber den Parteien und Regierungen und die sinkende Wahlbeteiligung. Eine stärkere Kommunalisierung könnte die Demokratie den Menschen vor Ort näher und erfahrbarer machen.

Der Zeitpunkt, eine solche Reform in Deutschland anzuschieben, erscheint günstig: Im Jahre 2020 laufen der Länderfinanzausgleich und der Solidaritätszuschlag zur Einkommens- und Unternehmenssteuer aus und die Schuldenbremse tritt für die Bundesländer in Kraft. Die Bundesregierung hat deshalb mit den Ländern Verhandlungen über eine grundlegende Reform der Finanzverteilung der Steuereinnahmen an Bund, Länder und Kommunen geführt.

Die kommunalen Spitzenverbände fordern schon seit langem, dass die Kommunen bei der Neugestaltung der Finanzverfassung beteiligt werden sollen. Viele Politiker aus Kommunen und Ländern fordern sogar die Einrichtung einer Föderalismus-Kommission III, an der auch Vertreter der Kommunen beteiligt werden sollen. Dann könnte über eine echte Stärkung der Kommunen im Rahmen der bundesstaatlichen Ordnung gleichberechtigt verhandelt werden.

Im Koalitionsvertrag der großen Koalition war eine Kommission zur Neuordnung der Finanzverfassung vorgesehen, an der auch die Kommunen beteiligt werden sollten. Leider ist es dazu nicht gekommen. Die Verhandlungen zwischen Ländern und Bund wurde nur auf Ministerebene geführt. Nicht mal die Landtage wurden daran beteiligt. So ist wieder die Chance vertan worden, den Kommunen eine eigenständige Rolle als dritte Ebene in unserem Staat zu verleihen.

Diese Historie macht deutlich, dass eine grundlegende Aufwertung der Kommunen nicht durch die Vertreter der Kommunen alleine erreicht werden kann. Es bedarf dazu eines breiten gesellschaftlichen Bündnisses von Verbänden, Vereinen, NGOs, Initiativen und sonstigen Organisationen der Zivilgesellschaft. Ein solches Bündnis gemeinsam mit den hunderttausend ehrenamtlichen Kommunalpolitikern könnte die Kraft entfalten, eine Debatte über eine grundlegende Stärkung der Kommunen in unserem Staat in Gang zu setzen.

Fußnote[Bearbeiten]

  1. Karl-Martin Hentschel ist Mitglied des Bundesvorstands von "Mehr Demokratie e.V.". Das Papier wurde als Arbeitsgrundlage für die überparteiliche Initiative "Starke Kommunen" verfasst. Mehr zum Autor: Karl-Martin Hentschel (wikipedia)