Derivate

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Derivate (gelegentlich auch als Termingeschäfte im weiteren Sinn bezeichnet) sind Finanzinstrumente, deren Preis oder Wert von den künftigen Kursen oder Preisen anderer Handelsgüter, Vermögensgegenstände (z. B. Aktien oder Anleihen) oder von marktbezogenen Referenzgrößen (Zinssätze, Indizes) abhängt (umgangssprachlich wird dann auch von Zinswetten gesprochen). Der Begriff lässt sich nicht scharf abgrenzen und wird überwiegend als Sammelbegriff für Finanztermingeschäfte und Swap-Geschäfte verwendet. Termingeschäfte sind Käufe oder Verkäufe, die zu einem späteren Zeitpunkt auszuführen sind, deren Preis jedoch schon bei Abschluss festgelegt wird. Swaps sind Geschäfte, bei denen die Geschäftspartner Zahlungsverpflichtungen untereinander tauschen. Derivate können zur Absicherung gegen Risiken, aber auch zur Spekulation eingesetzt werden.

Kommunale Bedeutung[Bearbeiten]

Kommunen haben in der Vergangenheit Derivate zur Absicherung gegen Zinsrisiken und zum aktiven Zinsmanagement eingesetzt. Dabei haben sie teilweise Vorteile im Vergleich zu herkömmlicher Kreditfinanzierung erreicht. Es gab jedoch auch einige spektakuläre Fälle von Fehlspekulationen. Ein wesentlicher Grund für das Fehlschlagen von Swap-Geschäften war, dass in den Jahren nach 2005 das allgemeine Zinsniveau nicht - wie von den Kommunen erwartet - angestiegen ist. Die Swap-Geschäfte erwiesen sich damit im Nachhinein als teurer als die weiterhin niedrigen Zinsen auf dem Kreditmarkt. Solche Fälle führten häufig zu Schadensersatzklagen gegen die beratenden Finanzinstitute.

Aufgrund dieser Erfahrungen wurde in einzelnen Bundesländern auch diskutiert, Kommunen Swap-Geschäfte gänzlich zu untersagen. Die Rechtslage hierzu ist in den Bundesländern unterschiedlich:

  • Die Gemeindeordnung Brandenburg sagt in § 78 lediglich: " Bei Geldanlagen ist auf eine ausreichende Sicherheit zu achten."
  • In die Gemeindeordnung Hessen wurde 2015 ein generelles Verbot spekulativer Finanzgeschäfte eingefügt (§ 92 (2) S. 3)
  • Die Gemeindeordnung Sachsens enthält in § 72 (2) S. 2 ein allgemeines Verbot spekulativer Finanzgeschäfte.
  • In Schleswig-Holstein rät ein Runderlass vom 20. Oktober 2015 von spekulativen Finanzgeschäften ab und formuliert einschränkende Bedingungen (Eingrenzung auf Finanzplanungszeitraum, Grundsatzbeschluss des Rates).

Baden-Württemberg[Bearbeiten]

Nachdem Pforzheim bei Swap-Geschäften mehrere Mio. € verlor, wurden zwei Mitarbeiter einer US-Investmentbank wegen Beihilfe zur schweren Untreue angeklagt. Laut Staatsanwaltschaft hätten sie den Gemeinderat unzutreffend über die Risiken dieser Geschäfte informiert. Pforzheim hatte laut Presse mit den Swap-Geschäften Verluste aus früheren, ähnlichen Geschäften mit der Deutschen Bank ausgleichen wollen.[1] Ende 2015 wurde bekannt, dass Pforzheim auch gegen die Deutsche Bank Klage eingereicht hatte. Es ging um Zinsswaps aus den Jahren 2004 und 2005, die der Stadt Verluste von ca. 57 Mio. € eingebracht haben. Die Bank sollte wegen fehlerhafter Beratung zur Verantwortung gezogen werden und Schadensersatz in Höhe von 20 Mio. € zzgl. Zinsen leisten.[2] Letztlich erhielt die Stadt auf Grundlage gerichtlicher Vergleiche von der Bank JP Morgan 37 Mio. € und von der Deutschen Bank 7,7 Mio. €. Damit konnten rund 80% des Verlustes wettgemacht werden. Jedoch wurden die Swap-Geschäfte von der Gemeindeprüfungsanstalt sehr kritisch bewertet.

Gegen einige der damals zuständigen Politiker/innen, darunter die ehemalige Bürgermeisterin, wurden nach einer anonymen Anzeige 2009 Verfahren wegen Untreue und Beihilfe eingeleitet.[3] In diesem Zusammenhang wurde auch die Privatwohnung der damaligen Oberbürgermeisterin Augenstein (FDP) durchsucht. Am 21.11.2017 verurteilte die Große Wirtschaftsstrafkammer am Landgericht Mannheim die ehemalige Oberbürgermeisterin sowie die ehemalige Kämmerin wegen schwerer Untreue zum Nachteil der Stadt zu Freiheitsstrafen von einem Jahr und acht Monaten (zuzüglich einer Geldbuße von 30.000 €) bzw. zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurden.[4] Die Betroffenen legten dagegen Revision vor dem Bundesgerichtshof ein, die weitgehend erfolgreich war; die Angelegenheit muss vor dem Landgericht neu verhandelt werden. Der BVG formuliert in dem Urteil einige Grundsätze für kommunale Finanzgeschäfte, die wie folgt zusammengefasst werden können:

  • Das Spekulationsverbot für Kommunen leitet sich aus dem Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit her.
  • Ein Finanzgeschäft einer Kommune muss einen sachlichen und zeitlichen Bezug zu einem Kreditvertrag dergestalt aufweisen, dass das mit dem Grundgeschäft verbundene Risiko durch das Finanzgeschäft in einer angemessenen Weise abgesichert oder optimiert wird. Der BGH bezeichnet diesen Zusammenhang als "sachliche und zeitliche Konnexität".
  • Zusätzlich darf das Risiko des Kapitalverlustes die Chance des Kapitalgewinns nicht deutlich übersteigen (das wäre ein "hochspekulatives Finanzgeschäft")
  • Weiterhin darf die Abwägungsentscheidung nicht durch "Informationsdefizite oder Mängel bei der Sachverhaltserfassung" beeinträchtigt sein. "Erwägungen, die der kommunalrechtlichen Haushaltswirtschaft fremd sind", dürfen der Entscheidung nicht zugrunde liegen. Anweisungen der Kommunalaufsicht dürfen nicht umgangen werden.
  • Der Vermögensnachteil ist "eigenständig zu ermitteln, anhand üblicher Maßstäbe des Wirtschaftslebens zu konkretisieren und zu beziffern".
  • Neben der möglichen Höhe des Vermögensnachteils ist immer auch die Eintrittswahrscheinlichkeit zu ermitteln und gegen die Wahrscheinlichkeit eines Gewinns abzuwägen.

Laut BGH haben die Angeklagten zwar Pflichten verletzt, jedoch habe das erstinstanzliche Gericht nicht hinreichend gezeigt, dass der Stadt tatsächlich ein Vermögensschaden entstanden ist.[5]

Bayern[Bearbeiten]

Landsberg am Lech (Landkreis Landsberg am Lech, Regierungsbezirk Oberbayern) hat 2016 eine Klage vor dem Oberlandesgericht München, bei der es um 8,3 Mio. € Verlust ging, verloren. Das Gericht sah die falsche Beratung nicht als bewiesen an. Gegen die Nichtzulassung der Revision hat Landsberg inzwischen eine Beschwerde beim Bundesgerichtshof beschlossen.[6] Zugleich läuft vor dem Landgericht Augsburg ein strafrechtliches Verfahren gegen den ehemaligen Kämmerer von Landsberg.[7]

Vor dem Landgericht München I konnte Landsberg dagegen 2021 gemeinsam mit Füssen (Landkreis Ostallgäu) einen Etappensieg verbuchen. Statt auf Schadensersatz hatten beide Gemeinden mit dem Ziel geklagt, ihre Swap-Verträge mit der Bank Hauck & Aufhäuser für nichtig zu erklären; dem folgte das Gericht.[8] Füssen hätte demnach mit einer Rückzahlung von ca. 3 Mio. € und dem Wegfall einer Zahlungsverpflichtung von weiteren 3 Mio. € rechnen können; Landsberg 5,88 Mio. €, die die Bank forderte, nicht zahlen müssen. Das Gericht begründet seine Entscheidung damit, dass die Geschäfte genehmigungspflichtig gewesen seien, diese Genehmigung sei jedoch vom Landratsamt als Kommunalaufsicht nicht erfolgt. Die Gemeinden hatten die Verträge nach eigenen Angaben nicht zur Genehmigung vorgelegt, nachdem die Bank ihnen in der Beratung versichert hätte, eine Genehmigung sei kommunalrechtlich nicht erforderlich. Die beklagte Bank legte Berufung ein. Ihrer Ansicht nach ist der Standpunkt des Gerichts „kaum tragfähig“ und „zudem unvereinbar mit der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts München und des Bundesgerichtshofs“. Das Gericht hätte außerdem die Bewertung der Swap-Geschäfte durch das Landratsamt nicht einfach übernehmen dürfen, sondern selbständig prüfen müssen.[9] Am 23.05.2022 urteilte das angerufene OLG München teilweise im Sinne der Bank. Sie folgte dem Zahlungsbegehren der Bank nicht in voller Höhe, Landsberg muss dem Urteil zufolge 4,5 Mio. € zahlen. Das OLG ließ die Revision beim Bundesgerichtshof nicht zu; dagegen geht die Stadt mit einer Nichtzulassungsbeschwerde vor.[10] Ein sich anschließendes Verfahren gegen den ehemaligen Kämmerer der Stadt führt zu einer Gerichtsentscheidung, wonach sein Ruhegehalt für vier Jahre um 10% gekürzt wird. Der Kämmerer, so das Verwaltungsgericht München, habe Fehler gemacht, sich jedoch nicht selbst bereichert. Das Urteil war zum Zeitpunkt Februar 2023 noch nicht rechtskräftig.[11]

Mecklenburg-Vorpommern[Bearbeiten]

Nach Feststellungen des Landesrechungshofs Mecklenburg-Vorpommern haben mindestens 9 Kommunen in ingesamt 25 Verträgen auf Derivate gesetzt. In zwei Fällen entstand ein Schaden: So wettete die Gemeinde Ahrenshoop (Amt Darß-Fischland) auf Wechselkurs- und Zinsentwicklungen in Schweizer Franken, kurz vor dessen Kurssturz. Neben der Beratergebühr von 17.000 Euro entstand ein Risiko in Höhe von 566.000 Euro, um die sich die Kommune mit der Bank streitet. Der Landkreis Vorpommern-Greifswald verlor 330.000 €. Der Landesrechnungshof sieht in den Derivatgeschäften einen Verstoß gegen das Spekulationsverbot, das sich nach seiner Auffassung schon aus dem allgemeinen Haushaltsgrundsatz der Sparsamkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 43 Abs. 4 KV M-V) ergibt. [12]

Niedersachsen[Bearbeiten]

2007 hat die Stadtverwaltung Göttingen mit Swap-Geschäften sechs Millionen Euro verloren. Die Verluste betrafen jedoch nur zwei von insgesamt über 20 SWAP-Verträgen. Unterm Strich hat die Stadt mit ihren Zinsspekulationen ein Plus von 800.000 Euro gemacht.

Nordrhein-Westfalen[Bearbeiten]

Nach Pressemeldungen haben allein in NRW über 60 Kommunen, darunter Hattingen, Witten, Mülheim und der Ennepe-Ruhr-Kreis, finanzielle Schäden durch Swap-Geschäfte erlitten.[13] Nach einer Umfrage des Bundes der Steuerzahler nutzten 2011 in NRW etwa 40% der Kommunen Finanzderivate.[14]

Die Stadt Hagen hatte im Jahre 2005 zwei Ladder-Zins-Swap-Geschäfte mit einem Nominalbetrag von 170 Mio. € abgeschlossen. Diese zusammen mit der Deutschen Bank getätigten Zinsspekulationen führten am Ende zu einem Verlust von 41,8 Mio. €. Zuletzt begrenzte die Stadt das Risiko mit einem "Caps", der weitere 10 Mio. € kostete. Zuvor hatte allerdings die Kämmerei seit 2001 mit 33 ähnlich gelagerten Derivatgeschäften immerhin einen Ertrag von fast 12,8 Mio. € erwirtschaftet.[15]

Die Stadt Ennepetal (Ennepe-Ruhr-Kreis, NRW) hat in den Jahren 2007 und 2008 vier Swap-Geschäfte getätigt, die den Kommunen seinerzeit von der damaligen WestLB angeboten worden waren. Nachdem die Stadt Verluste verbuchte, verklagte sie die West-LB bzw. ihre Rechtsnachfolgerin Erste Abwicklungsanstalt (EAA) auf Schadensersatz. Insgesamt machte die 30.000-Einw.-Stadt einen Schaden von 13,5 Mio. € geltend. Die Stadt begründete die Schadensersatzforderung mit falscher Beratung durch die Bank. Nachdem die EAA die Verfahren bis zum Oberlandesgericht verlor, wurde das Verfahren im April 2015 durch den Bundesgerichtshof an die Vorinstanz zurückverwiesen: Die Feststellungen des OLG reichten nicht aus, um über das mögliche Bestehen von Schadensersatzpflichten zu urteilen. In seinem Urteil trifft der BGH grundlegende Aussagen zu Beratungspflichten und Risikoverteilung bei solchen Geschäften.[16] Das Urteil wurde in Fachkreisen gespannt erwartet, da der Fall Ennepetal das erste Verfahren um kommunale Swap-Geschäfte ist, das vor dem BGH verhandelt wurde.

Den Städten Kamen und Bergkamen sowie dem Kreis Unna wurden vom Landgericht Dortmund Schadensersatzansprüche gegen die WestLB-Nachfolgerin Erste Abwicklungsanstalt (EAA) in Höhen zwischen ca. 4 und 26 Mio. € zugesprochen, doch legte die EAA Berufung vor dem OLG Hamm ein.

Im Februar 2016 wurde bekannt, dass die EAA mit zwölf Kommunen einen Vergleich geschlossen hat, darunter die Städte Bergkamen, Ennepetal und der Kreis Olpe.[17] Nach derselben Quelle stritten sich 63 Kommunen mit der EAA um Verluste aus Derivaten, 50 hätten geklagt.

Mit Urteil vom 22.03.2016[18] stellte der Bundesgerichtshof im Fall der Stadt Hückeswagen fest, dass die WestLB ihre Beratungspflichten teilweise verletzt hatte: Sie hätte die Stadt als ihre Kundin, jedenfalls in diesem Fall, über den anfänglichen negativen Marktwert der drei Zinssatz-Swap-Verträge aufklären müssen. Ob Hückeswagen letztlich Schadensersatz erhält, hängt jedoch davon ab, ob die Stadt bei richtiger Aufklärung auf das Geschäft verzichtet hätte, was jetzt das OLG Köln aufklären muss, an das der Fall zurückverwiesen wurde.

Mehrere Kommunen aus dem Kreis Euskirchen - darunter Weilerswist, Schleiden und Bad Münstereifel – haben ebenfalls Verluste durch Swap-Geschäfte erlitten und deswegen geklagt. Im Herbst 2017 wurde bekannt, das in diesen Fällen Vergleiche abgeschlossen wurden. Damit blieben diese Kommunen auf einem Teil ihrer Verluste sitzen, über deren Höhe sie sich ausschweigen - es dürfte sich um mehrere Mio. € handeln. Obwohl die Falschberatung durch die seinerzeitige WestLB vom Gericht festgestellt wurde, war der Vergleich aus Sicht der Kommunen sinnvoll, da sich die Bank auf die Verjährung bei fahrlässiger Falschberatung berufen konnte. Da die Swap-Verträge noch in Kraft sind, sind weitere Verluste für die Zukunft möglich.[19]

Die Gemeinde Oer-Erkenschwick hat durch Zinswetten einen Verlust von ca. 35 Mio. € erlitten. Nachdem ein Bürger Anzeige erstattet hatte, gab die Staatsanwaltschaft im Januar 2018 bekannt, dass sie Ermittlungen gegen den früheren Bürgermeister sowie den noch amtierenden Kämmerer eingeleitet hat. Mit der Rechtsnachfolgerin der damals beteiligten WestLB, der EAA, hat Oer-Erkenschwick mittlerweile einen Vergleich abgeschlossen.[20]

Rheinland-Pfalz[Bearbeiten]

Der Landkreis Trier-Saarburg (Rheinland-Pfalz) hat bei Swap-Geschäften, die er in den Jahren 2011 und 2012 mit der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) abgeschlossen hatte, einen Verlust von rund 8 Mio. € erlitten. Nachdem zuerst eine Klage wegen schlechter Beratung erwogen wurde, versucht der Landkreis jetzt (Anfang 2019), mit der LBBW einen Vergleich zu erzielen. Der Landkreis macht auch die Sparkasse Trier mitverantwortlich, die als seine Hausbank die Geschäfte vermittelt habe und ebenfalls besser hätte beraten sollen; diese weist jedoch die Verantwortung von sich.[21]

Sachsen[Bearbeiten]

Sachsen hat in § 72 Abs. 2 SächsGemO spekulative Finanzgeschäfte verboten und diese in § 120 Abs. 2 SächsGemO für nichtig erklärt. Damit muss eine Bank, die einer Kommune solche Geldanlagen verkauft, mit ihrer Rückabwicklung rechnen.[22]

Sachsen-Anhalt[Bearbeiten]

Die Kommunen in Sachsen-Anhalt dürfen grundsätzlich Derivatgeschäfte zur Zinsabsicherung tätigen. Nach § 98 KVG LSA sind ihnen dabei jedoch spekulative Finanzgeschäfte verboten. Entsprechend § 2 Abs. 4 GKG-LSA gilt dies Spekulationsverbot auch für Zweckverbände.

Der Landesrechnungshof Sachsen-Anhalt hat von Oktober 2017 bis Mai 2018 im Rahmen einer überörtlichen Prüfung nach § 137 Abs. 1 Satz 2 KVG LSA die Nutzung von Derivaten durch Kommunen und kommunale Unternehmen sowie Zweckverbände untersucht. Erste Ergebnisse im Jahresbericht 2018 führten bereits zu gesetzlichen Änderungen.[23] Im Jahresbericht 2019 ist ein umfassenderer Überblick enthalten.[24] Dabei wird die kommunale Praxis stark kritisiert: Nur wenige Kommunen und Zweckverbände haben Dienstanweisungen zu diesem Thema erlassen; zudem waren die Dokumentation von Derivatgeschäften (Einschätzungen, Ziele) und das Berichtswesen in der Regel unzureichend. Zum Zeitpunkt der Prüfung waren Grundgeschäfte von mindestens 1,73 Mrd. € mit Deriatgeschäften belegt. Dabei betrugen die festgestellten Verluste insgesamt mindestens rund 27 Mio. €. Da der Rechnungshof nur eingeschränkte Prüfrechte hat (u.a. wurde keine Kommune unter 25.000 Einw. geprüft), dürften die realen Zahlen höher liegen. Insbesondere zu Derivatgeschäften von kommunalen Beteiligungsunternehmen hatten viele Kommunen selbst keinen ausreichenden Überblick.

Im Ergebnis fordert der Landesrechungshof eine "landeseinheitliche Aufarbeitung dieser Altfälle in den betroffenen Kommunen und Zweckverbänden". Die Verpflichtungen zur Einräumung von Prüfrechten für die Rechnungsprüfungsämter und den Landesrechnungshof bei kommunalen Beteiligungsunternehmen seien konsequent anzuwenden. Zur Wahrnehmung der Kernaufgaben eines Beteiligungsmanagements sei eine entsprechende qualitative und quantitative Personalausstattung erforderlich. Die Kommunen müssten gesetzlich verpflichtet werden, die Rechte und Befugnisse nach § 54 HGrG (Einsichtsrechte für die Rechnungsprüfungsbehörde) in die Gesellschaftsverträge bzw. Satzungen ihrer Unternehmen aufzunehmen. Das Spekulationsverbot müsse auf kommunale Beteiligungen erweitert werden. Schließlich weist der Rechnungshof darauf hin, dass bei gebührenrechnenden Einheiten (geprüft wurden insbesondere Einrichtungen der Wasserver- und Abwasserentsorgung) die Kosten spekulativer Finanzgeschäfte nicht in die Gebührenkalkulation eingehen dürfen, was in einigen Fällen jedoch geschehen sei.

Die AFD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt wollte jedoch die Rechnungshofberichte nicht abwarten und beantragte bereits im Sommer 2018 einen Untersuchungsausschuss; ihre Fraktionsstärke im Landtag reichte dazu aus. Der Untersuchungsausschuss ist noch zu keinem Ergebnis gekommen. Laut Angaben der AfD-Fraktion im Landtag fehlten Aussagegenehmigungen, verlangte Akten wurden nicht vorgelegt.[25]

Schleswig-Holstein[Bearbeiten]

Laut einem Artikel auf der Webseite "anwalt24.de" hat die Sparkasse Holstein einer Vielzahl von Kommunen Finanzderivate verkauft, die aufgrund der Niedrigzinsphase mit hohen Risiken behaftet sind.[26]

Thüringen[Bearbeiten]

Nach Feststellungen des Landesrechungshof Thüringen haben die Stadtwerke Schnaudertal, Eigenbetrieb der Stadt Meuselwitz, durch Swap-Geschäfte ca. 3,2 Mio. € verloren, die jetzt über die Wassergebühren wieder hereingeholt werden müssen. Weder in der Stadtverwaltung noch im Eigenbetrieb sei fachkundiges Personal vorhanden, das ausreichende Kenntnisse über solche Swap-Konstruktionen habe.[27]

Neue Probleme durch Franken-Aufwertung[Bearbeiten]

Nach einem Bericht der wallstreet online[28] sind deutsche Kommunen, die Geld in Derivat-Papieren von Schweizer Banken (sog. Currency related swaps) angelegt haben - schwerpunktmäßig in Nordrhein-Westfalen und im grenznahen Bodensee-Raum Baden-Württembergs -, von der Franken-Aufwertung betroffen. Die Online-Zeitung beruft sich auf Angaben eines Fachanwalts, der mehrere Kommunen gegen Banken vertritt. Danach seien Kommunen in "trickreiche Derivat-Geschäfte gelockt" worden, mit denen sich die Banken gegen Währungsrisiken absichern wollten. Den Kommunen seien diese Derivate als risikoarme Anlagen verkauft worden. Allein in Nordrhein-Westfalen betrage das Risiko für die Kommunen aus solchen Anlagen mindestens eine halbe Milliarde Euro.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. focus regional: US-Banker wegen Pforzheimer Spekulationsverlusten angeklagt, 09.02.2015
  2. focus money, Pforzheim verklagt Deutsche Bank wegen verlustreicher Zinsgeschäfte, 30.12.2015; siehe auch Deutscher Bundestag, Keine Detailangaben zu Zinswetten von Kommunen, Bericht einer Anhörung am 6.4.2011
  3. n-tv: Pforzheim nimmt Vergleich zu Zinswetten an, 20.09.2016; der Freitag, Schwimmbäder statt Swaps, 08.02.2017
  4. Aktenzeichen: 22 KLs 631 Js 31056/09; das Urteil wurde im Volltext online nicht veröffentlicht. Siehe dazu: SWR aktuell, Bewährungsstrafe für Ex-OB Augenstein, 21.11.2017; Handelsblatt, Bewährungsstrafe für frühere Oberbürgermeisterin, 21.11.2017; weitere Besprechungen auffindbar über dejure.org.
  5. Siehe BGH, Beschluss vom 19. September 2018, Aktenzeichen 1 StR 194/18
  6. der Freitag, Schwimmbäder statt Swaps, 08.02.2017
  7. Legal Tribune Online, Swap-Geschäfte von Kommunen - Die Straf­richter beginnen zu urteilen, 16.01.2018
  8. Füssen hatte sich dabei Schützenhilfe gesucht, indem die Gemeinde ihr Derivatgeschäft der Kommunalaufsicht nachträglich zur Genehmigung vorlegte, die verweigert wurde. Gestützt auf diese Ablehnung des Geschäfts durch die Aufsichtsbehörde fiel es leichter, der Bank einen Beratungsfehler vorzuwerfen. Siehe Der Neue Kämmerer, Der Füssener Weg - Die Stadt Füssen betritt im Streit um ihre Swapgeschäfte rechtliches Neuland, Dezember 2018 (pdf-Format, Dokument hat insgesamt 16 Seiten, S. 1 und 4)
  9. Der Neue Kämmerer, Urteil: Füssen und Landsberg kippen spekulative Swaps, 13.04.2021
  10. OLG München, Urteil vom 23.05.2022, Az. 17 U 2345/21. Das Urteil liegt derzeit (Anfang Juli 2022) im Volltext noch nicht vor. Siehe Presse Augsburg, Swap-Streit | Stadt Landsberg am Lech teilweise verurteilt, 24.05.2022; Der Neue Kämmerer, Swap-Streit: Stadt Landsberg legt Rechtsmittel ein, 17.06.2022
  11. Der Neue Kämmerer: Swaps: Gericht kürzt ehemaligem Kämmerer das Ruhegehalt, 06.02.2023
  12. Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern: Kommunalfinanzbericht 2017, Dezember 2017 (pdf-Format, 193 Seiten); vgl. auch Pressemitteilung des Landesrechnungshofs vom 7.12.2017 (pdf-Format, 5 Seiten); siehe auch Ostsee-Zeitung, Riskante Wetten: Kommunen verzocken Steuerzahler-Geld, 08.12.2017
  13. WAZ, Prozess um Zinswetten der Kommunen wird neu aufgerollt, 28.04.2015; Claudio Kummerfeld: Staatliche Bad Bank gegen Kommunen: “Linke Tasche Rechte Tasche” in NRW, in: finanzmarktwelt, 29.04.2015; focus money, Verhandlungen mit Kommunen über Zinswetten auf gutem Weg, 19.02.2016
  14. zitiert nach: Deutscher Bundestag, Keine Detailangaben zu Zinswetten von Kommunen, Bericht einer Anhörung am 6.4.2011
  15. Deutschlandfunk Kultur, Spekulationsgeschäfte im Rathaus, 10.11.2008
  16. Aktenzeichen beim BGH: XI ZR 378/13, Urteil im Wortlaut; vgl. zum Urteil auch: StGB NRW, Mitteilung 460/2015 vom 30.06.2015
  17. focus money, Verhandlungen mit Kommunen über Zinswetten auf gutem Weg, 19.02.2016
  18. Aktenzeichen XI ZR 425/14 - Wortlaut des Urteils
  19. Kölner Stadt-Anzeiger, Millionen-Verluste für Kommunen im Kreis Euskirchen, 14.10.2017
  20. focus, Ermittlungen wegen missglückter Zinswetten, 24.01.2018
  21. Der Neue Kämmerer, Swaps: Trier-Saarburg verschiebt Klage gegen Sparkasse, 26.03.2019
  22. Siehe dazu: Uwe Zimmermann / Dr. Jochen Weck: SWAP-Sumpf trockenlegen. Derivate in der kommunalen Praxis, in: Publicus, 2013
  23. Einführung des ausdrücklichen Spekulationsverbotes in § 98 KVG LSA; zuvor stand lediglich in § 112 "Bei Geldanlagen ist auf eine ausreichende Sicherheit zu achten".
  24. Landesrechungshof Sachsen-Anhalt, Jahresbericht 2019, S. 5-20 (pdf-Format, insgesamt 90 Seiten)
  25. Siehe Landtag Sachsen-Anhalt: Untersuchungsausschuss zu Finanzgeschäften. Vgl. zum Thema auch Volksstimme, Rechnungshof: Weitere Verlustgeschäfte mit Zinswetten, 06.12.2019
  26. Vgl. Michael A. Leipold, Sparkasse Holstein - haben auch Kommunen und Städte mit Swaps Schaden genommen?, 17.01.2016
  27. MDR, Kommunen zahlen zuviel für Bauleistungen, 19.02.2015
  28. wallstreet online: Milliardenrisiken für deutsche Kommunen bei Franken-Geschäften, 02.02.2015

Zum Weiterlesen[Bearbeiten]