Möglichkeiten der Zusammenarbeit von Kommunen und Energiegenossenschaften im Rahmen der Energiewende

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Mit der Energiewende steigt die Bedeutung dezentraler Energieerzeugung. Dabei lohnt sich für die Kommunen die Zusammenarbeit mit Energiegenossenschaften besonders, weil durch Genossenschaften Transparenz und Beteiligung gesichert und damit Potenziale der Zivilgesellschaft für das Ziel der Klimakommune erschlossen werden können.

Einleitung

Die Energiewirtschaft in Deutschland befindet sich in einem historischen Veränderungsprozess. Im Zuge der Energiewende haben die Erneuerbaren Energien in der Strom- und Wärmeerzeugung sowie die Energieeffizienz zunehmend an Relevanz gewonnen. Damit verbunden steigt die Bedeutung dezentraler Energieerzeugung. Durch die Marktliberalisierung beteiligt sich heute eine Vielzahl von Akteuren auf dem Energiemarkt. Das hat Auswirkungen auf die Markt- und Wettbewerbsstrukturen beim Vertrieb von Strom und Wärme sowie auf die Netze.

Bürgerinnen und Bürger warten nicht bis die Energiewirtschaft entsprechende Anpassungsschritte angeht, sondern haben häufig selbst die Initiative ergriffen. Das Resultat war die Entstehung von Bürgerenergie. Vor Ort und in den Energiegenossenschaften sind Bürgerinnen und Bürger die größte Eigentümergruppe an der installierten Leistung in fast allen Sparten der Erneuerbaren Energie: von Wind (51%) über Photovoltaik (48%) bis hin zu Bioenergie (42%)[1]. 165.000 Mitglieder von über 800 Energiegenossenschaften sorgen seit 2006 für ein Mitgliederkapital von 655 Mio. € und investierten 1,8 Mrd. in Erneuerbare Energien.[2]

Diese Entwicklung können Kommunen für sich nutzen. Denn viele Kommunen befinden sich auf dem Weg zur Klimakommune, die ihrerseits einen Beitrag zur Energiewende leisten will. Hierfür existieren zwar einige staatliche Förderprogramme, z.B. bei der Ausarbeitung kommunaler Klimaschutzkonzepte und der Einführung von Klimaschutzmanagerinnen und -managern. Doch ist die Kommunalpolitik mehr denn je auf die Mitwirkung der Bürgerinnen und Bürger angewiesen. Wird das Konzept der Bürgerkommune mit dem Anspruch von Transparenz und Beteiligung ernst genommen, treffen sich hier geradezu ideal die Interessen beider Seiten: das Interesse der kommunalen Politik und Verwaltung am Ausbau der Erneuerbaren Energien, der Steigerung der Energieeffizienz und das Interesse der Bürgerschaft, mit zivilgesellschaftlichem und ökologischem Engagement zur Energiewende beizutragen.

Kooperationsprojekte zwischen Energiegenossenschaften und Kommunen oder Stadtwerken können eine spannende Weiterentwicklung und Verbreiterung der Tätigkeitsfelder für beide Seiten sein. Das Selbstverständnis, aber auch die politischen und rechtlichen Bindungen unterscheiden sich aber teilweise erheblich. Mögliche Konflikte z.B. zwischen Gestaltungsanspruch und Verwaltungsdenken sollten daher auf beiden Seiten nicht verdrängt werden.

Wesensmerkmale einer Genossenschaft

Vielerorts schließen sich Bürger zu Genossenschaften zusammen, um Lücken, die in der kommunalen Daseinsvorsorge aus wirtschaftlichen Gründen entstehen, aufzufüllen. So entstehen genossenschaftlich geführte Schwimmbäder und Sportplätze, die in enger Zusammenarbeit mit und durch Unterstützung der Kommune auch in strukturschwächeren Regionen Angebote für die Bürger aufrechterhalten. Die Vielfältigkeit der Rechtsform in ihren Tätigkeitsbereichen kennt hier heute kaum noch Grenzen. Standen bis 2006, wie auch schon in den Ursprüngen der Rechtsform, wesentlich die wirtschaftlichen Belange der Mitglieder im Vordergrund, sind mit der letzten Anpassung des Genossenschaftsgesetzes (GenG) auch kulturelle und soziale Bereiche in das Wesen der eG aufgenommen worden. Seither haben sich Genossenschaften auch im Bereich der Kulturförderung in Form von Kulturzentren, aber z.B. auch im Bereich des altersgerechten Wohnens gegründet.

Neben dem Förderzweck gehören zum Wesen der Genossenschaft noch weitere Merkmale, die den Kern der Genossenschaftsidentität bilden. Dies sind die Grundsätze der Selbsthilfe, der Selbstverantwortung, der Selbstverwaltung und das Identitätsprinzip.[3]

  • Selbsthilfe bedeutet: Wenn viele Einzelne mit ähnlichen wirtschaftlichen Interessen sich zusammentun, dann summieren sich ihre Kräfte. So werden Aufgaben bewältigt, die jede/r Einzelne allein nicht schaffen könnte.
  • Selbstverwaltung und Selbstverantwortung bedeuten, dass jede Genossenschaft autonom ist. Sie verwaltet sich selbst und unterliegt in erster Linie der Selbstkontrolle. So ist zwingend durch das GenG vorgeschrieben, dass die Mitglieder des Vorstandes und des Aufsichtsrates einer Genossenschaft auch Mitglieder dieser Genossenschaft sein müssen. Es sind also immer die Genossenschaftsmitglieder selbst, welche die Entscheidungen für die Genossenschaft im Vorstand, bei wichtigen Entscheidungen aber auch im Aufsichtsrat oder in der Generalversammlung treffen und die Kontrolle ausüben. Diese Grundsätze der Selbstverwaltung und der Selbstverantwortung, d.h. dass die Mitglieder die Geschicke der Genossenschaft selbst bestimmen, kontrollieren und die wirtschaftlichen Folgen tragen, ermöglichen eine wirksame Abwehr von Einflussnahmen durch fremde Interessen.
  • Das Identitätsprinzip besagt, dass die Miteigentümer/Träger zugleich Geschäftspartner (Abnehmer, Lieferant) und Eigenkapitalgeber der eG sind (Dreifachbeziehung).
  • Ein weiteres Merkmal, das insbesondere heute vielfach in den Vordergrund gestellt wird, ist das demokratische Prinzip bei der eG – es macht ebenso wie die anderen Merkmale einen großen Bestandteil des Wesens der Rechtsform aus. Die demokratische Mitbestimmung der Mitglieder, das Prinzip „ein Mitglied = eine Stimme“, hebt die Rechtsform deutlich von den anderen, klassischen Gesellschaften wie der AG oder der GmbH ab. Durch dieses Prinzip haben die Stimmen aller Mitglieder das gleiche Gewicht, unabhängig von der Höhe der Beteiligung des einzelnen Mitglieds an der Unternehmung.

Die gemeinsame Umsetzung einer Idee, die alle Beteiligten in ihren wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Interessen fördert und die einzelne allein nicht bewältigen können - dafür steht die Genossenschaft seit nunmehr über 150 Jahren als passende und vielfach bewährte Rechtsform zur Verfügung. Bürgerenergieprojekte werden mittlerweile sehr häufig in der Form der Energiegenossenschaft verwirklicht.

Siehe auch

Was spricht für eine Zusammenarbeit von Kommunen und Bürgerenergiegenossenschaften?

In der Kooperation von Kommunen und Bürgerenergiegenossenschaften liegen besondere Chancen. Vieles kann durch eine enge Zusammenarbeit mit klaren Absprachen gestemmt werden, sodass beide Seiten voneinander profitieren. Energiegenossenschaften verfügen bei allen Fragen der Bürgerbeteiligung über eine hohe Glaubwürdigkeit und Akzeptanz. Kommunen und Stadtwerke können ökonomisches Know-how, Zugang zu Fördermitteln, Flächen und viel verwaltungs- und abwicklungstechnisches Wissen in die Waagschale werfen. Es gibt also einige gute Argumente, warum Kommunen und Energiegenossenschaften kooperieren sollten:

  1. Energiegenossenschaften beschaffen das notwendige Kapital für die Energiewende. Hierzu tragen die Mitglieder mit ihren Anteilen bei. So sind auch Energiewende-Projekte zu finanzieren, für die die Kommune in Zeiten knapper Haushalte möglicherweise gar keine eigenen Mittel aufbringen kann. Hinzu kommt, dass die innere Verfassung der Genossenschaft kein Sonderrecht für große Anteilseigner kennt, sondern jedes Mitglied eine Stimme hat, egal wie hoch sein finanzieller Anteil ist – ein demokratisches Element par excellence.
  2. Die Wertschöpfung bleibt durch Bürgerenergiegenossenschaften vor Ort und in der Region. Dies gilt für fast alle Phasen und Maßnahmen der Wertschöpfungskette von Erneuerbaren Energien, von der Planung über die Produktion, die Montage bis hin zu Betrieb und Wartung. Hier sind ortsansässige Handwerksbetriebe genauso gefragt wie Ingenieurbüros oder Beschäftigte von Kommunen und Stadtwerken. Letztlich tragen solche Projekte auch zum Gewerbesteueraufkommen der Kommune bei.
  3. Energiegenossenschaften tragen wesentlich zur Akzeptanz von Maßnahmen bei der Umsetzung der Energiewende bei. Die Orientierung an den Zielen des kommunalen Klimaschutzes stellt das Dach für diese Aktivitäten von Kommunen, Bürgerinnen und Bürgern dar. Verfügt der Ausbau der Erneuerbaren Energie über eine hohe Zustimmung bei den Menschen, ist das Vertrauen in die Möglichkeit der eigenständigen Umsetzung durch Bürgerinnen und Bürger, Kommunen, Gemeinde- und Stadtwerke vor Ort am größten. Hierzu tragen die Transparenz der Planungs- und Geschäftsprozesse genauso bei wie die direkten Beteiligungsmöglichkeiten in Kommunen und Genossenschaften.
  4. Energiegenossenschaften bringen Expertise ein. Dies gilt für die Aspekte Technik, Finanzierung und Beteiligung, aber auch für die Kenntnisse über das, was in der Rechtsform der Genossenschaft möglich ist und was nicht. Daneben kennen sich die meisten engagierten und motivierten Mitglieder einer Energiegenossenschaft in ihrer Gemeinde oder Region gut aus. Obwohl in den Energiegenossenschaften viel ehrenamtliche Arbeit geleistet wird, ist dies eine Expertise, die sie in Planungsprozesse ebenso einbringen wie die KommunalpolitikerInnen vor Ort. Damit können vielfältige Synergien entstehen.
  5. Für Kommunen und Energiegenossenschaften entstehen Win-Win Situationen. Eine kommunale Beteiligung an einer Bürgerenergieanlage kann Impulse für den Ausbau der Erneuerbaren Energien geben. Gleichzeitig machen sich viele Kommunen und kommunale Unternehmen auf den Weg, dezentrale, auf Erneuerbaren Energien basierende Versorgungsstrategien umzusetzen, und sind damit ein wichtiger Motor für die Energiewende. Diese beiden Pfade schließen sich nicht gegenseitig aus, sondern sollten zusammen gedacht werden. Die Anforderungen des EEG 2017 erfordern neue Geschäftsmodelle und Kooperationsstrukturen, die von Kommunen und Energiegenossenschaften zum Nutzen beider gemeinsam angegangen werden können. So muss eine Bürgerenergiegenossenschaft der Gemeinde, in der die Anlagen gebaut werden, bzw. den kommunalen Unternehmen eine Beteiligung in Höhe von 10% anbieten-[4] Diese Regelung erfordert also eine Kooperation mit Kommunen und Stadtwerken.
  6. Energiegenossenschaften leisten einen Beitrag zur Umsetzung der kommunalen Demokratie. Energiegenossenschaften sprechen interessierte Bürgerinnen und Bürger an und beteiligen diese an gemeinsam geplanten Vorhaben. Dabei geht es nicht nur um die finanzielle Beteiligung (im Sinne des Einsammelns von Geld), sondern auch um die Gestaltung von örtlichen oder regionalen Projekten der Energiewende in einer demokratischen und krisensicheren Unternehmensform. Denn die eingetragene Genossenschaft (eG) ist in Deutschland die mit Abstand krisenfesteste Unternehmensform. Die Insolvenzquote tendiert bei Genossenschaften gegen Null.

Bürgerkommune und BürgerEnergiegenossenschaft – natürliche Partner

Das Konzept der Bürgerkommune als modernes Leitbild der Kommunen geht von einem aktiven Verständnis des Bürgers als Mitgestalter der Kommunalpolitik aus.[5] Danach sind Bürger nicht nur an der Entwicklung der Verwaltung und Politik quasi als Auftraggeber beteiligt, sondern sie sind als Abnehmer von Dienstleistungen ebenfalls Kunden.

Bürgerenergie unterscheidet sich von anderen Organisationstypen im Bereich der Erneuerbaren Energie durch folgende Kriterien, von Energieprojekten, die auch als § 3 Nummer 15 Eingang ins EEG 2017 gefunden haben:

  • "Akteursgruppe: Privatpersonen und /oder landwirtschaftliche Einzelunternehmen bzw. juristische Personen (außer Großkonzerne) investieren einzeln oder gemeinsam in Energieanlagen.
  • Beteiligungsform: Es handelt sich um eine finanzielle Beteiligung mit Einzelkapital, das mit hinreichend Stimm- und Kontrollrechten ausgestattet ist, sodass eine Steuerung der Projekte durch die Bürgerinnen und Bürger möglich ist.
  • Beteiligungsquote: Die Bürgerinnen und Bürger halten mindestens 50% der Stimmrechte.
  • Regionalität: Die investierenden Mitglieder der Gesellschaft kommen aus bzw. sind ansässig in einer Region, wobei hinsichtlich der Grenzen einer Region auf gemeinsame Identitätsbildungsprozesse verwiesen sei.“[6]

Kommunalenergie und Bürgerenergie lassen sich nicht immer trennscharf voneinander abgrenzen. So gilt das Regionalitätsprinzip für beide Typen. In der Praxis wird es sich aber bei kommunalen Akteuren, die Anlagen betreiben, um Stadt- oder Gemeindewerke handeln. Insofern sind die kommunalen Aktivitäten manchmal Teil der konventionellen Energiewirtschaft, zumal einige Kommunen Anteile an den Großkonzernen halten.[7]

Fußnoten

  1. trend:research GmbH/Leuphana Universität Lüneburg (2013): Definition und Marktanalyse von Bürgerenergie in Deutschland, Bremen/Lüneburg, S.43
  2. DGRV (2016): Energiegenossenschaften – Ergebnisse der Umfrage des DGRV und seiner Mitgliedsverbände (zum 31.12.2015; pdf-Format, 25 Seiten)
  3. Klemisch, Herbert/Boddenberg, Moritz (2012): Zur Lage der Genossenschaften – tatsächliche Renaissance oder Wunschdenken? (pdf-Format, 11 Seiten) In WSI Mitteilungen 8/2012, S. 571ff.; Klemisch, Herbert/Vogt, Walter (2012): Genossenschaften und ihre Potenziale für eine sozial gerechte und nachhaltige Wirtschaftsweise (pdf-Format, 80 Seiten). In: WISO Diskurs. Expertisen und Dokumentationen zur Wirtschafts- und Sozialpolitik, Berlin: Friedrich Ebert Stiftung
  4. vgl. § 36g EEG 2017
  5. Hartwig, Jürgen/Kroneberg, Dirk Willem: (2015) Bürgerkommune – Idee und Praxis, in: Hartwig, Jürgen/Kroneberg, Dirk Willem (HG.) Praxis Bürgerkommune. Bürgerbeteiligung -Bürgernähe - Bürgerengagement, Berlin, S. 13
  6. trend:research GmbH/Leuphana Universität Lüneburg (2013): Definition und Marktanalyse von Bürgerenergie in Deutschland, Bremen/Lüneburg, S. 28
  7. vgl. beispielhaft: RWE und Kommunen

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