Planungszelle

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Das Konzept der Planungszelle wurde in den 70er Jahren von Peter C. Dienel entwickelt, um Bürgerinnen und Bürger mit Planungsaufgaben zu beauftragen und dadurch am politischen Prozess zu beteiligen.[1] Ausgangspunkt für die Konzeption der Planungszelle war die Annahme, dass durch bürgerschaftliche Beteiligung an Planungsprozessen Defizite der Entscheidungsrationalität und -legitimität im gesellschaftlichen Steuerungssystem minimiert werden können. Dadurch soll eine Verbesserung der Qualität politisch administrativer Entscheidungen erreicht werden.[2]

Funktionsweise[Bearbeiten]

„Die Planungszelle ist eine Gruppe von Bürgern, die nach einem Zufallsverfahren ausgewählt und für begrenzte Zeit von ihren arbeitsrechtlichen Verpflichtungen vergütet freigestellt worden sind, um, assistiert von Prozessbegleitern, Lösungen für vorgegebene lösbare Probleme zu erarbeiten“.[3] Das Ergebnis der Planungszelle wird anschließend als Bürgergutachten zusammengefasst.[4]

Ganz konkret handelt es sich bei der Planungszelle um eine Gruppe von insgesamt 25 Bürgern (Laienplaner), die durch ein Zufallsverfahren[5] ausgewählt werden. Diese werden für die Dauer mehrerer Tage freigestellt und von der öffentlichen Hand vergütet und erarbeiten gemeinsam mit zwei Mitarbeitern der betreffenden Fachressorts und angeleitet von zwei Prozessbegleitern Lösungen, die in vorgegebener bzw. in der zur Verfügung stehenden Zeit bewältigt werden müssen.[6] Die Bürgerinnen und Bürger können dabei alleine, in einer kleinen Gruppe oder in der Großgruppe arbeiten.[7] Meist wird in der Kleingruppe gearbeitet, deren Besetzung in regelmäßigen Abständen gewechselt wird. Der Vorteil dieser Kleingruppen ist, dass durch die wechselnde Besetzung eine Meinungsführerschaft einzelner unterbunden werden kann. Außerdem trauen sich viele Teilnehmerinnen und Teilnehmer eher, vor Kleingruppen zu sprechen.

Das Verfahren „Planungszelle“ wird als besonders wirkungsvoller Ansatz zur Überwindung der üblichen Probleme von Bürgerbeteiligung beschrieben, wie beispielsweise geringe Resonanz, Uninformiertheit, soziale Selektivität, Dominanz verschiedener Interessengruppen etc., weil eine Planungszelle aus repräsentativ ausgewählten Bürgerinnen und Bürgern besteht, die von Expertinnen und Experten beraten wird.[8]

Planungszellen dienten in der Vergangenheit bislang als Instrumente der Entscheidungsvorbereitung ohne Weisungs- oder Entscheidungskompetenz, wobei dies prinzipiell auch denkbar wäre.[9] Der Vorteil der Planungszelle ist, dass sie in bestehende politisch-administrative Arbeitsabläufe integriert werden kann.[10] Bei Planungszellen müssen folgende drei Grundprobleme gelöst werden.[11]

Grundprobleme von Planungszellen[Bearbeiten]

Motivation[Bearbeiten]

Durch die Teilnehmergewinnung mittels Zufallsauswahl ergibt sich die Frage nach der Motivation der Bürgerin und des Bürgers. Finanzielle Entschädigung, die Tatsache ausgewählt zu sein oder eine interessante Aufgabe zu bewältigen, können als Anreize dienen.[12] Allerdings sollte keine unmittelbare Betroffenheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer vorliegen, um eine möglichst neutrale Betrachtung zu ermöglichen,[13] denn direkt betroffene Teilnehmerinnen und Teilnehmer sind hoch motiviert, ihre primären Interessen durchzusetzen.[14]

Soziale Heterogenität[Bearbeiten]

Die soziale Heterogenität der Gruppe sollte durch die repräsentative Auswahl gesichert sein; allerdings gibt es an den meisten Orten Verzerrungen, weil meist mehr Frauen als Männer und mehr Unter- als Oberschichtenangehörige in der Planungszelle vertreten sind, da diese meist ein höheres Zeitbudget haben. Teilnehmerinnen und Teilnehmer unterschiedlichster kultureller Kontexte und Erwartungen treffen auch aufeinander und müssen sich in der Gruppe verständigen.[15] Da in der Planungszelle konsensorientierte Empfehlungen angestrebt werden, müssen die Teilnehmer ihre Argumente und Einschätzungen gut vor den anderen begründen können, weil sonst kein verständigungsorientierter Diskurs entstehen kann.[16]

Informiertheit[Bearbeiten]

Das zentralste Problem ist allerdings die Informiertheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer.[17] In der Regel sind die Laien im Hinblick auf die Planungsaufgabe nur unzureichend informiert und nicht mit Gruppenprozessen vertraut. Deshalb bedarf es externer Beratung.[18] Planungszellen ohne Expertinnen und Experten können keine politisch relevante Planungsarbeit leisten.[19] In Bezug auf die Gruppenprozesse ist eine Moderation erforderlich, weil die meisten Teilnehmerinnen und Teilnehmer kaum Erfahrungen mit verständigungsorientierten Diskursen haben und sich leichter von rhetorischen Fähigkeiten oder Statussymbolen beeinflussen lassen.[20] Inhaltlich müssen Fachleute über die Problemstellung informieren. Allerdings sollte der Experteneinsatz einen rein informierenden Charakter haben, damit die Laiengruppe selbst ihre Position erarbeiten kann. Von Fachleuten wird dieses Vorgehen allerdings nicht immer akzeptiert, da die Laien letztendlich entscheiden. Eine pauschale Ablehnung der Laien ist allerdings in der Regel nur ein Selbstschutz des Fachmanns.[21] Das Problem der Informiertheit wird nach Dienel somit durch die Informationsweitergabe der Expertinnen und Experten reduziert. Dieses Wissen müssen sich dann die Teilnehmerinnen und Teilnehmer aneignen, um das Planungsziel bewältigen zu können.[22]

Ablauf einer Plaungszelle[Bearbeiten]

Abb. 14: Ablaufphasen einer Planungszellenarbeit

Der Ablauf von Planungszellen ist immer ähnlich. Einen Überblick bietet folgende Abbildung 14.

Vorbereitungsphase[Bearbeiten]

Zuerst folgt eine Vorbereitungsphase, in der das Material gesammelt wird und die Teilnehmerinnen und Teilnehmer eingeladen werden. In dieser Phase müssen die entsprechenden Fachressorts informiert und koordiniert werden, damit diese zusammen mit den Prozessbegleitern (Planungsprogrammierer) die genaue, für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer bewältigbare Aufgabenstellung sowie das Setting (Ablaufstruktur in der Durchführungsphase) festlegen können. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer werden aus einer Stichprobe (Grundgesamtheit ist die Einwohnermeldedatei des Einzugsbereichs) gezogen und sollten alle die gleiche Möglichkeit haben, eingeladen zu werden. Insbesondere gilt dies auch für ausländische Mitbürgerinnen und Mitbürger, für die gegebenenfalls auch Übersetzerinnen und Übersetzer bereitstehen müssen. Zusätzlich müssen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von ihren arbeitsalltäglichen Verpflichtungen freigestellt werden und erhalten eine Entschädigung in Höhe des Verdienstausfalls. Falls nötig müssen Maßnahmen für schwer abkömmliche Gruppen ergriffen werden; beispielsweise Kinderbetreuungsangebote während der Projektdauer.[23]

Durchführungsphase[Bearbeiten]

Das Kernstück der Planungszelle ist die Durchführungsphase, in der die Bürgerinnen und Bürger als Laienplaner die zuvor festgelegten Aufgaben bewältigen müssen. Die meiste Arbeitszeit für die Laien ist die Informationsverarbeitung, in der auch widersprüchliche Positionen der Expertinnen und Experten selbst eingeordnet werden sollen. Die Experteninnen und Experten müssen deshalb ihre Positionen und Inhalte so verständlich und komplexitätsreduziert wie möglich aufbereiten, damit alle Teilnehmer diese verstehen.[24] Der Zweck aller Informationen, besonders der Eingangsinformationen, dient der Sensibilisierung der Teilnehmerinnen und Teilnehmer. Nach und nach wird das Problem in all seinen Facetten immer transparenter und komplexer. Da in einer vorgegebenen und knappen Zeit allerdings nie eine „absolute“ Informiertheit der Teilnehmerinnen und Teilnehmer entstehen kann, müssen die Informationen methodisch gezielt „platziert“ werden,[25] damit das Grundmuster der Durchführungsphase Erkennen, Platzieren und Gestalten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer nicht überfordert. Dadurch lernen die Laienplanerinnen und -planer während des gesamten Verfahrens und die Qualität der Planungsergebnisse steigt.[26]

Folgende Arten des Informationseingangs können unterschieden werden:[27]

Programmierte Vorgaben[Bearbeiten]

Diese können von den Expertinnen und Experten der Gruppe präsentiert oder als standardisierte Informationen überreicht werden (zum Beispiel als Handouts).

Situative oder interessenabhängige Vorgaben[Bearbeiten]

Bei Ortsbegehungen oder Hearings entstehen meist neue Informationslagen und Informationsbedürfnisse, die nicht standardisiert werden können. Die möglichen Informationseingänge müssen deshalb gut vorbereitet werden.

Teilnehmerbedingte Vorgaben[Bearbeiten]

Durch die Heterogenität der Gruppe ist eine Vielzahl von Kenntnissen, Erfahrungen, Werthaltungen etc. vorhanden, die in den Planungsprozess einfließen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wissen am Anfang nichts über ihre Mitteilnehmerinnen und Mitteilnehmer. Über informelle Situationen (z. B. Pausengespräche) oder formelle Situationen (z.B. im Plenum) erreichen diese Informationen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer.

Von der Gruppe erschlossene Eingaben[Bearbeiten]

Bestimmte Informationen, die zur Bewältigung der Aufgabe benötigt werden, müssen von der Gruppe selbst neu produziert und dokumentiert werden.

Am Ende der Durchführungsphase verabschieden die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihre Positionen und Empfehlungen. Diese Bewertungen können als Einzel- oder Gruppenbewertung oder kombiniert erfolgen. Bei manchen Themen kann es auch sinnvoll sein, mehrere[28] Planungszellen parallel einzusetzen und die gesammelten Ergebnisse zu dokumentieren.[29]

Abschlussphase/Nacharbeit[Bearbeiten]

In dieser Phase werden die dokumentierten Ergebnisse der Planungszelle(n) von den Prozessbegleitern zusammengetragen. Diese schreiben letztendlich den Abschlussbericht, der von den Teilnehmerinnen und Teilnehmern korrigiert wird.[30] Der Abschlussbericht wird dann dem Auftraggeber übergeben. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer sollten während des weiteren Planungsverfahrens informiert werden, damit sie den Stand „ihrer Planungen“ weiterverfolgen können. Ziel ist es, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer „mitzunehmen“, damit sie sich mit dem Planungsvorhaben identifizieren können.[31]

Vorteile[Bearbeiten]

Die Planungszelle gilt als besonders empfehlenswertes Verfahren, um eine heterogene und repräsentative Laienplanungsgruppe zu rekrutieren. Die Erfahrung zeigt, dass die Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Lage sind, selbst komplexe Sachverhalte bewältigen zu können und die Laiengutachten den „Expertengutachten“ in nichts nachstanden und sogar in vielen Fällen übertrafen, weil sie viel weiter gingen und eine ganzheitlichere Sicht der reinen Problemsicht entgegenstellten.[32] Der Grund hierfür ist, dass bei der Planungszelle der einzelnen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter über die vielfältigen Zusammenhänge informiert werden und die Heterogenität der Gruppe unterschiedlichste Interessenlagen herausbildet, die artikuliert, begründet und bewertet werden.[33] Besonders für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist die Planungszelle interessant, da sie in einer „exklusiven“, ausgewählten Gruppe arbeiten. Bei Nachuntersuchungen wurden insbesondere anhaltende Lerneffekte, die während der Arbeit erworben wurden, weiterentwickelt. Oft initiierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer selbst Initiativen zum Thema.

Nachteile[Bearbeiten]

Die Exklusivität der Teilnahme durch Zufallsauswahl ist allerdings ein Problem, da nicht alle interessierten Bürgerinnen und Bürger teilnehmen können. Dies kann durch Zusatzworkshops, die der Planungszelle als Input dienen, teilweise abgemildert werden. Nicht zu vernachlässigen ist der vergleichsweise hohe finanzielle und organisatorische Aufwand der Planungszelle.[34] Bei mittel- bis langfristigen Planungen ist das Verfahren in seiner Reinform nicht sinnvoll, weil die Teilnehmerinnen und Teilnehmer die Auswirkungen der Planungen kaum nachvollziehen können. Die abschließenden Gutachten werden zwar den Bürgern zur Korrektur vorgelegt, allerdings wissen die meisten Bürgerinnen und Bürger nicht, dass die getroffenen Empfehlungen der Publikation nicht die alleinige Handlungsgrundlage im weiteren Verfahren sind. Mitentscheidend sind auch die dezidiert dargestellten Abwägungsprozesse innerhalb der Planungszelle.[35]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Freitag, Günter (1997): Über das Konzept der Planungszelle als politisches Instrument der Bürgerbeteiligung. Gelsenkirchen/Duisburg, 1997. S.7
  2. Dienel, Peter C. (1997): Die Planungszelle. Der Bürger plant seine Umwelt. Eine Alternative zur Establishment-Demokratie. Opladen, 1997, S.28ff., vgl. Freitag 1997,S.17
  3. Dienel, Peter C. (1991): Die Planungszelle. Der Bürger plant seine Umwelt. Eine Alternative zur Establishment-Demokratie. Opladen, 1991. S.74
  4. Reinert, Adrian (2003b): Planungszelle. In: Ley, Astrid/Weitz, Ludwig (Hrsg.) (2003b): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Bonn, S.221
  5. Die Teilnahme ist allerdings für die ermittelten Bürgerinnen und Bürger nicht verpflichtend, und deshalb ist die Auswahl der Gruppe nicht immer voll repräsentativ, denn in der Regel nehmen je nach empfundener Dringlichkeit des Themas nur etwa 5 bis 30 Prozent der ausgewählten Bürgerinnen und Bürger die Einladung an (Renn, Ortwin (2003): Bürgerforen (Planungszellen). In: Ley, Astrid/Weitz, Ludwig (Hrsg.) (2003): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Bonn, S. 227
  6. vgl. Dienel 1991, S.74
  7. vgl. Freitag 1997, S.34
  8. vgl. Reinert 2003b, S.221f.
  9. vgl. Freitag 1997,S.17
  10. vgl. Dienel 1991, S.129
  11. vgl. Freitag 1997, S.17
  12. vgl. Dienel 1991, S.89
  13. vgl. Freitag 1997, S.17
  14. Renn, Ortwin (2003): Bürgerforen (Planungszellen). In: Ley, Astrid/Weitz, Ludwig (Hrsg.) (2003): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. Bonn, S.227
  15. vgl. Dienel 1991, S.89ff.
  16. vgl. Renn 2003, S. 228
  17. vgl. Freitag 1997, S.33
  18. vgl. Dienel 1991, S.95
  19. vgl. Freitag 1997, S.33
  20. vgl. Renn 2003, S.228
  21. vgl. Dienel 1991, S.91
  22. vgl. Freitag 1997, S.27
  23. vgl. Reinert 2003b, S.221f.
  24. vgl. ebd.: S.222
  25. vgl. Dienel 1991, S.116
  26. vgl. Renn 2003, S.227
  27. vgl. Dienel 1991, S.116f.
  28. Der Einsatz mehrerer Planungszellen ist zwar aufwändiger und kostspieliger, kompensiert allerdings mögliche strategisch geleitetete Handlungen einzelner Gruppenmitglieder, die das Ergebnis verfälschen könnten (vgl. Renn 2003, S.224).
  29. vgl. Reinert 2003b, S.221f.
  30. vgl. Freitag 1997, S.34
  31. vgl. Dienel 1991, S.128
  32. vgl. Reinert 2003b, S.223
  33. vgl. Dienel 1991, S.126
  34. vgl. Reinert 2003b, S.224f.
  35. vgl. Freitag 1997, S.34

Quelle[Bearbeiten]

  • Sarcinelli, Ulrich/ König, Mathias/ König, Wolfgang: Bürgerbeteiligung im Rahmen der Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Gutachten zur Bürgerbeteiligung in der Freiwilligkeitsphase. Leitfaden für kommunale Gebietskörperschaften. Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Institut für Sozialwissenschaften, Abt. Politikwissenschaft, Juli 2010

Weblinks[Bearbeiten]