Gesundheitskiosk

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Ein Gesundheitskiosk ist ein niedrigschwelliges Beratungsangebot zu gesundheitlichen und sozialen Themen. Der erste Gesundheitskiosk in Deutschland entstand in den Hamburger Stadtteilen Billstedt und Horn. An drei Standorten wird zu Gesundheitsfragen beraten, in bis zu acht Sprachen und auf Wunsch auch per Video; auch eine Ernährungsberatung gehört zum Angebot. Kurse, Vorträge und Gruppenangebote sollen ebenfalls die gesundheitliche Prävention stärken. Der Gesundheitskiosk kooperiert mit Ärzt*innen, Krankenhäusern und sozialen Einrichtungen im Stadtteil, an die Ratsuchende bei Bedarf weitervermittelt werden.[1]

Struktur[Bearbeiten]

Der Gesundheitskiosk ist Teil eines "patientenorientierten und sektorenübergreifenden Gesundheitsnetzwerks" in den beiden sozial benachteiligten Stadtteilen, das 2017 startete. Getragen wird er von der Gesundheit für Billstedt/Horn UG, zu deren Gesellschaftern wiederum ein Ärztenetz, ein Ärzteverband, die Stadtteil Klinik Hamburg (SKH) und ein eingetragener Verein gehören; die Arbeit wird von einem ärztlichen Beirat begleitet.

Logo "Gesundheit für Billstedt/Horn"

Konzeptentwicklung und Evaluation[Bearbeiten]

Das Konzept des Gesundheitskiosks wurde von der Firma OptiMedis im Rahmen eines Entwicklungs- und Handlungskonzepts[2] ausgearbeitet und wird zusammen mit Ärzten, Gesundheitsakteuren und sozialen Einrichtungen weiterentwickelt. Eine erste Evaluation durch ein Team des Hamburg Center for Health Economics (HCHE), eines gemeinsamen Instituts der Universität Hamburg und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf (UKE), fiel positiv aus und empfahl die Fortsetzung des Projektes und die Überführung von Ansätzen des Projektes in die Regelversorgung. Während der Projektlaufzeit haben sich 57% der teilnehmenden Versicherten im Kiosk beraten lassen, im Durchschnitt an drei Terminen. Das Programm habe zur Entlastung von Krankenhäusern geführt; die durch eine effektive ambulante Versorgung vermeidbaren Krankenhausfälle wurden um 19% reduziert. Die Anzahl der Arztbesuche in Billstedt und Horn stieg je Versichertem*r um 1,9 Besuche jährlich; zugleich berichten die teilnehmenden Ärzt*innen von einer Arbeitserleichterung und einer Verbesserung der Versorgung.[3] Versicherte wie Ärzt*innen waren mit den Angeboten zufrieden. Wegen der Kürze des Evaluierungszeitraums (anderthalb Jahre) solle das Projekt aber weiter wissenschaftlich begleitet werden.[4]

2022: Fortsetzung steht in Frage[Bearbeiten]

Im September 2022 kündigten drei der fünf Krankenkassen, die zur Finanzierung des Billstedter Gesundheitskiosk beitragen, an, ihre Beteiligung an dem Projekt einzustellen. Die TK, die Barmer und die DAK sagten zur Begründung, Erfolg und Kosten stünden in keinem Verhältnis. Der Gesundheitskiosk biete viele Leistungen an, die auch anderswo zur Verfügung stünden. Damit steht die Existenz des Gesundheitskiosk in Frage - kurz nach der Ankündigung des Bundesgesundheitsministeriums, das Modell bundesweit übertragen zu wollen (siehe unten).Vorerst wurden die Öffnungszeiten reduziert; nach dem Ausstieg dreier Krankenkassen können sich nur noch Mitglieder der BKK Mobil Oil und der AOK Hamburg im Gesundheitskiosk beraten lassen. Die Stadt Hamburg verfolgt die Idee, den Gesundheitskiosk durch ein Gesundheitszentrum zu ersetzen.[5]

Übertragung auf weitere Städte[Bearbeiten]

Dem Hamburger Beispiel folgte Essen (Nordrhein-Westfalen). Dort sind für den Gesundheitskiosk zwei Standorte vorgesehen, einer im Sport- und Gesundheitszentrum der „Alten Badeanstalt“ in Altenessen, der zweite an einem Standort in Katernberg. Der erste Standort wurde am 12.04.2022 eröffnet. Beratungsangebot und das den Kiosk tragende Netzwerk ähneln stark dem Modell aus Hamburg, beides ist derzeit (Mai 2022) noch im Aufbau.[6] Überlegungen zu solch einem Projekt gibt es auch in Hamm (Nordrhein-Westfalen).[7] Die Trägergesellschaft und die Firma OptiMedis bieten interessierten Kommunen Unterstützung durch Erstellung einer Machbarkeitsstudie sowie bei Verhandlungen mit Krankenkassen und beim Aufbau des Projekts gemeinsam mit anderen Akteuren an.[8]

Bundesregierung plant Ausweitung[Bearbeiten]

Die Ampelkoalition hat schon in ihrem Koalitionsvertrag vereinbart, in besonders benachteiligten Kommunen Gesundheitskioske oder ähnliche Einrichtungen zu schaffen, um ein niedrigschwelliges Beratungsangebot zu ermöglichen - allerdings nur in den 5% am stärksten benachteiligten Gemeinden oder Stadtteilen.[9] Im September 2022 kündigte das Bundesgesundheitsministerium eine Gesetzesinitiative hierzu an. Ziel sei, bundesweit 1.000 Gesundheitskioske zu schaffen. Dabei sollten die Kommunen 20% der Kosten übernehmen, die gesetzliche Krankenversicherung 74,5% und die privaten Krankenkassen die restlichen 5,5%. Insbesondere die privaten Krankenkassen sehen ihren Finanzierungsanteil als zu hoch an, doch auch die gesetzlichen Kassen sind nicht einverstanden; der AOK-Bundesverband fordert einen kommunalen Finanzierungsanteil von 50%. Auch viele Kommunen und ihre Spitzenverbände reagieren angesichts der auf sie zukommenden Kosten skeptisch.[10]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Siehe die Homepage des Hamburger Gesundheitskiosk: Gesundheit Billstedt/Horn
  2. OptiMedis GmbH, Entwicklungs- und Handlungskonzept für eine gesundheitsfördernde Stadtteilentwicklung in Billstedt und Horn. Kleinräumige Analyse der Bedarfssituation, 2015 (pdf-Format, 127 Seiten)
  3. HCHE: Gesundheitskiosk verbessert Versorgung in sozial benachteiligten Stadtteilen Billstedt und Horn, Pressemitteilung vom 08.04.2021
  4. Siehe die Evaluationsberichte des HCHE im Rahmen des Projekts "Hamburg Billstedt/Horn als Prototyp für eine Integrierte gesundheitliche Vollversorgung in deprivierten großstädtischen Regionen" (INVEST BILLSTEDT/HORN): Langfassung und Kurzbericht (2021, 310 bzw. 12 Seiten)
  5. NDR, Krankenkassen steigen aus Billstedter Gesundheitskiosk aus, 22.09.2022; DEMO, Hamburger Vorzeigeprojekt steht auf der Kippe, 17.11.2022
  6. Stadt Essen: Gesundheit im Essener Norden
  7. WA.de: Gesundheitskiosk als Modell gegen Ärztemangel?, 12.04.2022
  8. Gesundheit Billstedt/Horn, Ein Gesundheitskiosk auch Für Ihre Region; OptiMedis, Der Gesundheitskiosk in Hamburg Billstedt/Horn – ein Modell auch für Ihre Region?
  9. Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition, S. 84 ab Zeile 2804; Zeit, Regierung plant Gesundheitskioske gegen Ärztemangel, 07.07.2022
  10. Bundesministerium für Gesundheit: Gesundheitskiosk (09.09.2022; mit den Eckpunkten der Gesetzesinitiative); ka-news: Südwest-Kommunen sehen Gesundheitskioske skeptisch, 01.09.2022

Siehe auch[Bearbeiten]