Bürgerkommune und bürgerschaftliches Engagement
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Der Artikel ist inhaltlich auf dem Stand von 2002
Bürgerkommune und bürgerschaftliches Engagement sind politische Leitbilder für die Entwicklung der Kommunen mit dem Schwerpunkt auf real erweiterte Gestaltungsmöglichkeiten der BürgerInnen. Diese Begriffe umfassen auch einzelne Schritte auf dem Weg zu diesem Ziel.
Warum haben diese Begriffe derzeit eine so hohe Bedeutung?[Bearbeiten]
Die gesellschaftliche Diskussion um das Staatsverständnis erstreckt sich auch auf die Leistungsbreite und -tiefe der Kommunen: Was soll die Kommunalverwaltung selbst machen, was kann sie angesichts der knappen Kassen machen und was soll sie anderen Organisationen übertragen? Eine zweite Quelle für den Modebegriff "Bürgerkommune" ist die zunehmende Distanziertheit zwischen Staat im allgemeinen bzw. den Organen der Kommune im besonderen und den BürgerInnen. Die BürgerInnen erfahren angesichts dessen eine Aufwertung, zugespitzt im Begriff der Bürgerkommune. Durch bürgerschaftliches Engagement und durch mehr Transparenz sollen die beiden genannten Probleme entschärft werden.
Aus einem solchen Verständnis von "Bürgerkommune" folgt, dass die BürgerInnen nicht nur Adressat von Leistungen sind (als Klient, Kunde oder Untertan), sondern auch Mitgestalter des Gemeinwesens: Sie sind "Koproduzent" bei der Leistungserstellung und zugleich als Staatsbürger/in mit politischen Rechten "Auftraggeber". Im einzelnen umfasst der Begriff "Bürgerkommune", dass Städte und Gemeinden
- die Qualität öffentlicher Aufgaben und Leistungen unter Einbezug der BürgerInnen gestalten und zum Teil dadurch verbessern,
- Planungen als Teil eines demokratischen Beteiligungsprozesses verstehen,
- Transparenz als Voraussetzung für bürgerschaftliche Einflussmöglichkeiten auf und Kontrollchancen über Planungs- und Entscheidungsprozesse herstellen,
- die Formen der nicht-repräsentativen Demokratie auch auf "artikulationsschwache" Bevölkerungsgruppen zugeschnitten werden,
- BürgerInnen sowie private bzw. gemeinnützige Organisationen neue oder nicht mehr zu finanzierende Aufgaben (mit Unterstützung der Kommune) übernehmen,
- die Kreativität und Selbsthilfefähigkeit der BürgerInnen gefördert werden, um soziale Netze zu stärken.
Die Aufzählung dieser zahlreichen Aspekte zeigt schon, dass mit Bürgerkommune verschiedene politische Inhalte verbunden und assoziiert werden können (ferner gibt es Überlappungen mit der Diskussion über Kommunitarismus. Je nach Akzentsetzung neigt sich das Pendel mehr zur Seite der aktiven Übernahme von Aufgaben (BürgerInnen als Koproduzenten bzw. Mitgestalter) oder zur Nutzung der bürgerschaftlichen Potentiale über Formen direkter Demokratie oder BürgerInnenbeteiligung. In der kommunalen Praxis überwiegt die erste Seite, da man davon ausgeht, dass hierdurch wichtige Beiträge zur Bewältigung der Finanzkrise geleistet werden können. Gleichwohl können Projekte, die wegen der Haushaltskonsolidierung initiiert wurden, eine Eigendynamik entwickeln, so dass es zu Qualitätssteigerungen in den öffentlichen Dienstleistungen oder zu mehr Mitsprache kommt.
Es kommt auf die Ausgestaltung an[Bearbeiten]
Auch wenn es sich bei der "Bürgerkommune" um einen Modebegriff handelt, wäre es falsch, ihn als Eintagsfliege abzutun. Vielmehr gibt es von den verschiedensten Akteuren (Politik, Verwaltung, BürgerInnen, private und gemeinnützige Organisationen) Eigeninteressen, dieses politische Leitbild auszugestalten. Es kommt deshalb darauf an, die praktische Ausgestaltung in einer Kommune nach verschiedensten Ebenen zu untersuchen:
- Unterscheidung nach Kunden-, Auftraggeber- und Koproduzenten-Rolle
- Interessen der Akteure an der Bürgerkommune
- welche Schichten beteiligen sich, welche Organisationen beteiligen sich
- welche Verfahren der Partizipation werden praktiziert (punktuelle/dauerhafte; dialogorientierte/nicht-dialogorientierte)
- Themen der Beteiligung.
Entsprechend dieser Differenzierungen müssen die Instrumente bürgerschaftlichen Engagements gewählt werden, um Erfolge zu erzielen. Trotz der o. g. Eigendynamik ist es dabei wichtig, vorab die Ziele zu definieren.
Vom Konzept der Bürgerkommune wird erhofft, einen Ausweg aus der folgenden Zwickmühle zu bieten: "geringer werdende kommunale Handlungsspielräume bei zum Teil größer werdenden Problemlagen (...) und einer damit einhergehenden wachsenden Unzufriedenheit bei den Bürgern." (Holtkamp 2000, siehe Literatur). Damit das Konzept diesem hohen Anspruch gerecht wird, müssten m. E. folgende Bedingungen gewährleistet sein:
- keine Dominanz des Sparmotivs
- zweckmäßige und für die BürgerInnen sich lohnende Formen der Beteiligung
- tatsächlicher Einbezug "artikulationsschwacher" Bevölkerungsgruppen.
Literatur[Bearbeiten]
- Jörg Bogumil, Lars Holtkamp: Bürgerkommune konkret: vom Leitbild zur Umsetzung. Ein Leitfaden für die kommunale Praxis (2002, pdf-Format, 47 Seiten)
- Bogumil, J. / Holtkamp, L.: König Bürger. Zum Konzept der Bürgerkommune und des bürgerschaftlichen Engagements, in: AKP 1/2000, S. 43-47
- Bogumil, J. / Vogel. H.-J.: Bürgerschaftliches Engagement in der kommunalen Praxis. Initiatoren, Erfolgsfaktoren und Instrumente, veröffentlicht vom Netzwerk "Kommunen der Zukunft. Eine Gemeinschaftsinitiative der Bertelsmann-Stiftung, der Hans-Böckler-Stiftung und der KGSt", 1999
- Heinze, Rolf G. / Olk, T.: Bürgerengagement in Deutschland: Bestandsaufnahme und Perspektiven, Opladen 1999
- Lars Holtkamp: Bürgerbeteiligung in Städten und Gemeinden. Ein Praxisleitfaden für die Bürgerkommune, Berlin 2000, ISBN 3-927760-37-4, 151 Seiten, 6 Euro