Bürgerkonferenz

Aus KommunalWiki

Seit fast 20 Jahren werden Konsensuskonferenzen bzw. Bürgerkonferenzen in einer Vielzahl von Ländern und Institutionen abgehalten. Meist geht es dabei um wissenschaftliche oder technologische Themen. Bürgerkonferenzen sollen einerseits policy- und politikberatende Informationen über die gesellschaftliche Wahrnehmung bestimmter Probleme liefern und andererseits den öffentlichen Diskurs darüber anregen bzw. unterstützen[1].

Entstehung[Bearbeiten]

Die Methode der Konsensuskonferenz wurde von der dänischen Behörde für Technologiefolgenabschätzung entwickelt und weist erstaunliche Analogien zum Konzept der Planungszelle/Bürgergutachten auf. Allerdings sind auch Elemente amerikanischer Mediations- und Verhandlungsmethoden vorhanden[2]. Die Idee der Konsensuskonferenz stammt aus den USA, wo Experten z. B. im Gesundheitswesen über die Verbindung von Wissenschaft und Praxis in Konsensuskonferenzen diskutieren. Die Besonderheit des dänischen Konzeptes ist die Integration der Bürgerinnen und Bürger in solch einer Konferenz.

Merkmale der Konsensuskonferenz[Bearbeiten]

Abbildung 11: Ablauf einer Bürgerkonferenz

Zu den wichtigsten Merkmalen einer Konsensuskonferenz gehören[3]:

  • Ein 12- bis 30-köpfiges Bürgerpanel, dessen zentrale Aufgabe es ist, ein aktuelles Thema mittels Expertenanhörungen und gruppeninternen Erörterungen zu bearbeiten.
  • Ein vom Bürgerpanel verfasster und am Ende der Konferenz veröffentlichter Bericht, der eine Bewertung sowie Empfehlungen für den politischen und gesellschaftlichen Umgang mit dem Thema enthält.
  • Ein öffentlicher Zugang zur mehrtägigen Konsensuskonferenz, um eine Verbindung zum medialen- und zum gesellschaftlichen Diskurs zu schaffen.

Einen Überblick über den Ablauf einer Bürgerkonferenz bietet Abbildung 11.

Vorbereitung und Durchführung[Bearbeiten]

Teilnehmerinnen und Teilnehmer, die sich zuvor auf entsprechende Aufrufe in Zeitungen oder auf persönliche Anschreiben gemeldet haben, werden möglichst heterogen ausgewählt. Bei der Auswahl wird nicht nur auf die Berücksichtigung unterschiedlicher sozialer Gruppen, sondern auch auf die Repräsentativität kontroverser Ausgangspositionen und Standpunkte zur anstehenden Fragestellung geachtet. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen zunächst an zwei Wochenenden zusammen, um sich mit dem Beratungsgegenstand vertraut zu machen, Sachverständige auszuwählen und Fragen an sie vorzuformulieren.

Während der eigentlichen zwei- bis dreitägigen Konferenzphase findet dann eine Anhörung der Sachverständigen statt. Dieser Teil ist öffentlich und wird nach Möglichkeit in Radio und Fernsehen übertragen sowie in Zeitungen dokumentiert. Erst danach zieht sich die Jury zurück, um sich auf gemeinsame Empfehlungen zu einigen und ein gemeinsames Schlussdokument zu den gestellten Fragen zu formulieren. Obwohl es Ziel ist, einen Konsens zu finden, sind im Ausnahmefall aber auch Minderheitenvoten möglich.

Abschlussphase[Bearbeiten]

Das Ergebnis wird direkt nach Abschluss der Konferenz der Öffentlichkeit vorgestellt[4].

Die wohl aktuell bekannteste Konsensuskonferenz in Deutschland ist die „Bürgerkonferenz: Streitfall Gendiagnostik“, die von Oktober 2000 bis Dezember 2001 im Deutschen Hygiene-Museum Dresden durchgeführt wurde. Bürgerinnen und Bürger[5] sowie Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler diskutierten und tauschten sich über die Technik, ihre Folgen, mögliche Ängste und Hoffnungen aus. „Das Verfahren der Bürgerkonferenz hat gezeigt, dass es keine wissenschaftlichen Themen gibt, die nicht mit „Laien“ umfassend diskutiert werden könnten“[6]. Inwieweit Bürgerkonferenzen allerdings nachweisbaren Einfluss auf Politik und Öffentlichkeitsdiskurs ausüben oder eher symbolischen Charakter haben, ist umstritten[7].

Der Vorteil im Vergleich zu Planungszellen ist die sofortige Verfügbarkeit eines Ergebnisses, das präsentiert werden kann. Ein potenzieller Nachteil einer Konsensuskonferenz liegt in der Begünstigung interessierter und sozial aktiver Bürgerinnen und Bürgern. Dieser Effekt wird durch den zeitlichen Anspruch an die Beteiligten verstärkt. Durch die geringe Teilnehmerzahl besteht zudem das Risiko einer potenziellen Verzerrung durch Meinungsführerschaften und Gruppendruck, die in Planungszellen geringer ist[8].

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Joss, Simon (2003): Zwischen Politikberatung und Öffentlichkeitsdiskurs. Erfahrungen mit Bürgerkonferenzen in Europa. in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg (Hrsg.) (2003): Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung am bioethischen Diskurs, S. 15
  2. Reinert, Adrian (2003): Zwischen Planungszelle und Mediation. Konsensuskonferenz. in: Ley, Astrid/ Weitz, Ludwig (Hrsg.) (2003): Praxis Bürgerbeteiligung. Ein Methodenhandbuch. S. 154
  3. vgl. Joss 2003: S. 23
  4. www.wegweiser-buergergesellschaft.de 2007
  5. Die Gruppe von 19 Bürgerinnen und Bürgern wurde bundesweit nach dem Zufallsprinzip ausgewählt und nach zuvor festgelegten soziodemographischen Kriterien zusammengesetzt. Sie sollte zu möglichst gleichen Teilen aus Männern und Frauen bestehen und die unterschiedlichen Altersklassen und verschiedenen Lebenshintergründe repräsentieren. Ein berufliches Eigeninteresse an der Gendiagnostik galt als Ausschlusskriterium (vgl. www.wegweiser-buergergesellschaft.de 2007: 1).
  6. Vogel, Klaus (2003): Vorwort. in: Schicktanz, Silke/Naumann, Jörg (Hrsg.) (2003): Bürgerkonferenz. Streitfall Gendiagnostik. Ein Modellprojekt der Bürgerbeteiligung am bioethischen Diskurs. S. 9
  7. Vgl. Joss 2003: S. 15 ff
  8. vgl. Reinert 2003: S. 157

Literatur[Bearbeiten]

  • Burow O.A. & Pauli B. (2006). Von der Expertenzentierung zur Weisheit der Vielen. Die Bürgerkonferenz als Instrument partizipativer Politikberatung. In: Molthagen D. (Hg.): Die Ursachen von Rechtsextremismus und mögliche Gegenstrategien der Politik. Dokumentation einer Bürgerkonferenz. Berlin: Friedrich-Ebert-Stiftung (Download im pdf-Format, 122 Seiten)
  • Burow O.A. & Kühnemuth K. (2004). Brauchen Wissenschaft und Politik Bürgerberatung? Möglichkeiten und Grenzen der Bürgerkonferenz. In: Tannert C. & Wiedemann P. (Hg.). Stammzellen im Diskurs. Ein Lese- und Arbeitsbuch zur Bürgerkonferenz. München: oekom.

Quelle[Bearbeiten]

  • Sarcinelli, Ulrich/ König, Mathias/ König, Wolfgang: Bürgerbeteiligung im Rahmen der Kommunal- und Verwaltungsreform in Rheinland-Pfalz. Gutachten zur Bürgerbeteiligung in der Freiwilligkeitsphase. Leitfaden für kommunale Gebietskörperschaften. Universität Koblenz-Landau, Campus Landau Institut für Sozialwissenschaften, Abt. Politikwissenschaft, Juli 2010

Weblinks[Bearbeiten]