Beachtung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts

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Die "Beachtung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" ist ein allgemeiner Haushaltsgrundsatz, der in allen Gemeindeordnungen (Ausnahme: Niedersachsen) zu finden ist. Im Unterschied zu anderen Haushaltsgrundsätzen hat er jedoch nur geringe Bedeutung und ist für die meisten Kommunen schon aufgrund ihrer Finanznot nicht umsetzbar. Er konkretisiert sich allenfalls darin, dass die Gemeinden in ihrer Haushaltswirtschaft die Empfehlungen des Finanzplanungsrates beachten und eine mittelfristige Finanzplanung aufstellen müssen.

Zum Begriff "Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht"[Bearbeiten]

Mit dem Ende des Nachkriegs-"Wirtschaftswunders" gab es in Deutschland in den sechziger Jahren erste Konjunktureinbrüche, die zu wirtschaftspolitischen Reformen führten. Zu diesen gehörte das "Stabilitäts- und Wachstumsgesetz" von 1967[1]. In diesem Gesetz wird in § 1 das "gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" zum Ziel der Wirtschafts- und Finanzpolitik erklärt; dieses soll bestehen, wenn gleichzeitig folgendes gegeben ist:

  • Stabilität des Preisniveaus
  • hoher Beschäftigungsstand
  • außenwirtschaftliches Gleichgewicht
  • stetiges und angemessenes Wirtschaftswachstum.

Diese vier Ziele werden in der Wirtschaftswissenschaft auch als "magisches Viereck" bezeichnet; der Begriff "magisch" verweist darauf, dass dieses Viereck ein Stück weit Utopie ist, da die Ziele nicht gleichzeitig zu erreichen sind und einander teilweise widersprechen können.[2]. In der praktischen Politik kann es also nur um eine Balance zwischen den Zielen gehen, deren Gewichtung je nach politischer Richtung unterschiedlich verstanden wird.

Mit dem Stabilitäts- und Wachstumsgesetz wurde auch die mittelfristige Finanzplanung eingeführt sowie der Finanzplanungsrat, der Empfehlungen für die Haushaltspolitik von Bund, Ländern und Gemeinden erstellte, gegründet.

Reformen ab 2009[Bearbeiten]

Die gleichmäßige Verfolgung dieser vier Ziele erwies sich schnell als illusorisch und war spätestens in den 90er Jahren politisch nicht mehr gewollt. Der Staat wechselte schrittweise zu einer angebotsorientierten Politik, bei der die Schaffung und Erweiterung eines freien Waren-, Arbeits- und Kapitalmarktes - auch im eruopäischen Kontext - Vorrang vor Konjunkturförderung und Bekämpfung der Arbeitslosigkeit erhielt. Das Stabilitäts- und Wachstumsgesetz blieb formal in Kraft, seine Ziele wurden jedoch nicht mehr als zeitgemäß und bindend angesehen.

Mit den Maastricht-Kriterien der Europäischen Union, der Bankenkrise und der daraus entstehenden Finanzkrise seit 2006 verschoben sich die politischen Ziele erneut. Im Vordergrund stand jetzt der Schuldenabbau aller Staatsebenen und die Vermeidung neuer Staatsschulden. Die Schuldenbremse wurde für Bund und Länder eingeführt, und der Finanzplanungsrat wurde ab 2010 durch den Stabilitätsrat ersetzt.[3]

Bedeutung für die Kommunen[Bearbeiten]

Dennoch blieb das Ziel, "den Erfordernissen des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen", bis heute (Stand 2014) in fast allen Gemeindeordnungen erhalten, auch wenn seine praktische Bedeutung gering ist.

Aus der keynesianistischen Denkweise des Stabilitäts- und Wachstumsgesetzes heraus müsste dieser Haushaltsgrundsatz für die Kommunen bedeuten, in Zeiten schwacher Konjunktur verstärkt zu investieren, zu beschaffen und einzustellen, um die Konjunktur und den Arbeitsmarkt zu stützen. In Zeiten stärkeren Wirtschaftswachstum sollten die Kommunen dann, so die Theorie, mit Hilfe der steigenden Steuereinnahmen ihre Schulden wieder abzahlen und Rücklagen aufbauen. Da die deutschen Kommunen teilweise schon seit den siebziger, spätestens in den achtziger Jahren, gemessen an ihren Aufgaben, unterfinanziert waren, konnte dies nie gelingen. Zu Beginn antworteten sie auf Krisenlagen (z. B. die Deindustrialisierung im Ruhrgebiet und im Saarland) durch Wirtschaftsfördermaßnahmen, doch gerade die verschuldeten Kommunen erlebten nie eine Einnahmesituation, die sie in die Lage versetzt hätte, die Schulden wieder abzubauen. Faktisch haben die Kommunen schon seit den 8oer Jahren prozyklisch agiert: Bei Konkunktureinbrüchen brechen auch ihre Einnahmen weg, worauf sie mit Sparmaßnahmen reagieren und so die Krise noch vertiefen.

Der Haushaltsgrundsatz der "Beachtung der Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts" ist daher in der politischen Praxis bereits seit Jahrzehnten für die Kommunen nahezu bedeutungslos. Allenfalls konkretisiert er sich darin, dass die Kommunen zu einer mittelfristigen Finanzplanung verpflichtet sind und die Empfehlungen des Stabilitätsrates in ihren Planungen berücksichtigen sollen. Diese Empfehlungen verfolgen jedoch überwiegend fiskalische Ziele (Schuldenvermeidung bzw. -abbau).

Rechtsgrundlagen[Bearbeiten]

Außer in Niedersachsen enthalten alle Gemeindeordnungen die Vorschrift, die Gemeinden sollten in ihrer Haushaltswirtschaft die Erfordernisse des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts beachten. Die GO Bayern verweist zusätzlich auf den (2010 aufgehobenen) § 51a des Haushaltsgrundsätzegesetzes sowie die "Verantwortung zur Einhaltung der Bestimmungen in Art. 104 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes"[4]. Die Gemeindeordnung Schleswig-Holstein enthält einen Verweis auf die Empfehlungen des Stabilitätsrates gemäß § 51 Abs. 1 des Haushaltsgrundsätzegesetzes, in Thüringen wird auf die Empfehlungen des (Ende 2009 abgeschafften) Finanzplanungsrates verwiesen.

Weblinks auf die §§ der Gemeindeordnungen[Bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Gesetz zur Förderung der Stabilität und des Wachstums der Wirtschaft vom 08.06.1967
  2. So führt z. B. Vollbeschäftigung möglicherweise zu steigenden Löhnen und damit steigenden Preisen; umgekehrt können Maßnahmen zur Bekämpfung von Inflation das Beschäftigungsniveau senken. Vgl. zum "magischen Viereck" Prof. Dr. Thomas Jost, Magisches Viereck (einfache Erklärung), IT-Kompaktkurs – Grundlagen VWL – Folge 11
  3. vgl. Gesetz zur Errichtung eines Stabilitätsrates und zur Vermeidung von Haushaltsnotlagen (Stabilitätsratsgesetz - StabiRatG) vom 24.08.2009
  4. Der Artikel 104 in der bis 2009 geltenden Fassung sagt u. a.: "Die Mitgliedstaaten vermeiden übermäßige öffentliche Defizite"; vgl. Art. 104 EG-Vertrag
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