LGBT-freie Zonen

Aus KommunalWiki

(Weitergeleitet von LGBT-ideologiefreie Zonen)

"LGBT-freie Zonen" in Polen (Quelle: wikipedia)

Viele polnische Gemeinden, Landkreise oder Provinzen deklarieren seit März 2019 ihr Gebiet als "LGBT-freie Zone" oder auch "LGBT-ideologiefreie Zone".[1] Den Anfang machte die Stadt Świdnik in Südostpolen, nachdem die rechtskonservativen Wochenzeitung Gazeta Polska eine entsprechende Kampagne begonnen hatte. Diese Deklaration hat keine rechtliche Wirkung, sondern dient der ideologischen Auseinandersetzung: Nachdem die Migration für die regierende PIS-Partei als Feindbild an Wirkung verliert, wird die "LGBT-Ideologie" zum gefährlichen Gegner aufgebaut. Damit soll vor allem das konservativ-katholische Milieu mobilisiert werden.

Kritik und Gegenaktionen[Bearbeiten]

Die Deklaration "LGBT-freier Zonen" wurde am 18.12.2019 vom Europäischen Parlament scharf verurteilt.[2] Auch der Rat der Gemeinden und Regionen Europas verbreitete eine Erklärung, die von vielen Bürgermeister*innen und anderen lokalen und regionalen Vertreter*innen aus der EU unterzeichnet wurde.[3]

Die LGBT-feindliche Kampagne der Konservativen vertieft die gesellschaftliche Spaltung in Polen und wirkt zugleich mobilisierend auf die progressiven und liberalen Kräfte, weit über die LGBT-Szene hinaus. Ein Beispiel für eine Gegenaktion, die viel Zuspruch fand, war das Herstellen und Verteilen von Masken in Regenbogenfarben während der Corona-Krise.[4]

Im August 2020 reagierte auch die EU-Kommission mit Sanktionen auf die Ausrufung "LGBT-freier Zonen": Helena Dalli, Kommissarin für Gleichstellung, strich sechs polnischen Gemeinden EU-Zuschüsse zwischen 5000 und 25 000 Euro und erhielt dafür umgehend Rückendeckung von der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Zugleich wurde bekannt dass der polnische Premier Mateusz Morawiecki einen Ausstieg aus der Istanbul-Konvention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen plant.[5]

Deutsche Partnergemeinden reagieren unterschiedlich[Bearbeiten]

Rund 300 deutsche Gemeinden, Kreise oder Bundesländer haben Partner in Polen.[6] Sofern diese sich zu "LGBT-freien Zonen" erklären, sehen sie sich oft zu Reaktionen herausgefordert.

Die Stadt Schwerte (NRW), Partnerstadt von Nowy Sacz, wurde vün Bürger*innen ihrer polnischen Schwesterstadt auf den Fall aufmerksam gemacht und um Positionierung gebeten. Schwertes Bürgermeister Dimitrios Axourgos (SPD) reagierte umgehend: In einem Schreiben an seinen polnischen Amtskollegen teilt er mit, dass die Stadt die Partnerschaft bis auf weiteres ruhen lasse. Die Entscheidung des Rates von Nowy Sacz "widerspricht unserem europäischen Gedanken der Vielfalt und damit auch dem Gebot der Völkerverständigung ... Eine Diskriminierung von sexuell anders orientierten Menschen ist für mich und die Stadt Schwerte inakzeptabel".[7] Der Bürgermeister von Nowy Sacz, Ludomir Handzel, reagierte darauf mit Verständnis; er war selbst gegen den Beschluss der örtlichen Ratsmehrheit.[8]

Andere Gebietskörperschaften sind zurückhaltender. So sieht Stendal (Sachsen-Anhalt) den Beschluss seiner Partnerstadt Pulawy als "Belastungsprobe", hält aber das Ende der Partnerschaft für "unrealistisch". Thüringen, das mit der Woiwodschaft (Provinz) Kleinpolen eine Partnerschaft pflegt, setzt statt auf Abbruch der Beziehungen auf einen "Dialog zu Fragen der Menschenrechte, Freiheit und Selbstbestimmung". Auch Weimar (Thüringen) will lieber Gespräche mit der Partnergemeinde Zamosec führen.

Für den Bezirk Steglitz-Zehlendorf (Berlin) sind gleich mehrere Partnerschaften betroffen. Die Städte Kazimierz-Dolny und Nałęczów haben selbst keine LGBT-feindlichen Beschlüsse gefasst; dass sich sowohl die Woiwodschaft Lublin und Kazimierz-Dolny als auch der Landkreis Pulawy, in denen diese Städte liegen, zur LGBT-freien Zone erklärt haben, könne den Städten nicht zum Vorwurf gemacht werden, so der stellvertretende Bezirksbürgermeister, Michael Karnetzki (SPD). Dagegen hat sich die Partnerstadt Poniatowa im August 2019 zur LGBT-freien Zone erklärt, worauf das Bezirksamt mit einer distanzierenden Pressemitteilung reagierte.[9] Die Partnerschaft soll jedoch nicht beendet werden, da sie dann womöglich niemals wieder aufgebaut werden könne.[10]

Ähnlich wie die Städte Kazimierz-Dolny und Nałęczów hat auch der Landkreis Biała Podlaska, Partnerkreis von Oberhavel (Brandenburg), sich selbst nicht zur "LGBT-freien Zone" erklärt, sondern lediglich die Woiwodschaft Lublin und die Stadt Biała Podlaska. Daher denkt der Landkreis auch nicht über eine Aufkündigung der Partnerschaft nach. Auch Hohen Neuendorf (Brandenburg) will die Partnerschaft nicht aufkündigen, obwohl seine Partnergemeinde sich den LGBT-feindlichen Beschlüssen anschloss.

Initiativen zum Schutz von LGBTI[Bearbeiten]

Der Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD) hat alle 300 deutschen Städte und Gemeinden, die eine Partnerschaft nach Polen haben, in einem Schreiben aufgefordert, auf die Einrichtung "LGBT-freier Zonen" zu reagieren. Partnergemeinden, die sich der Bewegung der „LSBTI-freien Zonen“ nicht angeschlossen haben, sollten in ihrer Haltung bestärkt werden. Wo es solche Beschlüsse gibt, bittet der Verband: "Prüfen Sie ernsthaft, den Austausch und die Kontakte mit den politischen Kräften in den Kommunalvertretungen und mit den Amtsträger*innen auszusetzen, die für diese menschenverachtenden Beschlüsse verantwortlich sind."[11]

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Gemeinderat der Stadt Crailsheim (Baden-Württemberg) hat dies aufgegriffen und fordert in einem Offenen Brief an den Oberbürgermeister Grimmer, die Partnerstadt Biłgoraj zu kontaktieren und nach ihrer Haltung zu befragen. Biłgoraj gehört ebenfalls der Woiwodschaft Lublin an, die sich zur "LGBT-freie Zone" erklärt hat, hat selbst aber keinen entsprechenden Beschluss gefasst.[12]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Von konservativen Kreisen in Polen, insbesondere der PIS-Partei, wird LGBT (Lesbisch / Gay / Bi / Trans) als "Ideologie" bezeichnet; siehe die Aussage von Duda im Wahlkampf: "Sie versuchen euch zu überzeugen, dass sie Menschen sind. Aber das ist einfach Ideologie." (queer.de: Duda: LGBT keine Menschen, sondern "Ideologie", 13.06.2020)
  2. Europäisches Parlament, Parliament strongly condemns ‘‘LGBTI-free zones’’ in Poland, Pressemitteilung vom 18.12.2019 (englisch)
  3. RGRE, Equality of women and men in local life, 20.06.2020 (englisch)
  4. Mannschaft Magazin, Polnische «LGBT-freie Zonen» bekommen Regenbogenmasken, 26.05.2020
  5. Saarbrücker Zeitung, EU stoppt erstmals Gelder für Polen, 03.08.2020
  6. Eine Liste deutsch-polnischer Partnerschaften findet sich beim LSVD: "LSBTI-freie Zonen" in Polen - Steigender Hass im Nachbarland am Ende der Seite.
  7. Das Schreiben im Wortlaut findet sich auf der Seite des Lesben- und Schwulenverbandes NRW: Nach LSBTI-feindlichem Beschluss lässt Schwerte die Städtepartnerschaft zu Nowy Sacz ruhen, 04.06.2020; siehe auch WDR, Stadt Schwerte lässt Städtepartnerschaft mit Polen ruhen, 19.05.2020
  8. Mein Schwerte: Städtepartnerschaft: Bürgermeister und Gemeinderat der Bürgerkoalition von Nowy Sacz zeigen Verständnis, 01.06.2020
  9. Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf: Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf von Berlin distanziert sich, nachdem sich die polnische Partnerstadt Poniatowa zur LGBT-freien Zone erklärte, 13.05.2020
  10. rbb24: Polen schafft "LGBT-freie Zonen", Städtepartner schauen weg, 10.06.2020
  11. Das Schreiben des LSVD im Wortlaut: LSVD, Solidarität mit LSBTI in Polen - Anschreiben des LSVD an 300 deutsche Städte und Gemeinden, ohne Datum. Der LSVD hat Antwortschreiben des Deutschen Städtetages, von Landesregierungen und über 50 Städten und Gemeinden veröffentlicht: LSVD, "LSBTI-freie Zonen" in Polen - Steigender Hass im Nachbarland
  12. Mannschaft Magazin: Städtepartnerschaften auch für Schutz von LGBTIQ nutzen!, 21.05.2020, mit dem Offenen Brief im Wortlaut

Weblinks[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]