"Ottensen macht Platz"

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Logo des Projekts

Unter dem Motto "Ottensen macht Platz" wurde im Hamburger Stadtteil Ottensen im Bezirk Altona von Anfang September 2019 bis Ende Januar 2020 eine Temporäre Fußgängerzone eingerichtet. Wissenschaftlich begleitet durch die TU Harburg sollte die Autofreiheit in einem definierten Bereich und ihre Auswirkungen u.a. auf die Aufenthaltsqualität und den Einzelhandel erprobt werden. Der Versuch war ursprünglich bis Ende Februar 2020 geplant, wurde aber wegen einer gerichtlichen Eilentscheidung vorzeitig abgebrochen. Dennoch hat die Mehrzahl der Befragten (bei eher skeptischem Einzelhandel) ihn als Erfolg eingeschätzt.

Das Projekt[Bearbeiten]

Wärend der Laufzeit des Projekts wurden Teile der Ottenser Hauptstraße, der Bahrenfelder Straße, der großen Rainstraße sowie der Erzberger Straße[1] zu einem weitgehend autofreien Bereich, in dem neben Fußgänger- auch Radverkehr möglich war. Die neu ausgewiesenen Zonen schlossen Lücken zwischen schon bestehenden autofreien Bereichen. Motorisierter Lieferverkehr war zwischen 23 und 11 Uhr erlaubt. Das Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg-Harburg wurde mit der Evaluation des Projekts beauftragt. Ermittelt werden sollen unter anderem die Auswirkungen auf Geschäfte und Gastronomiebetriebe, auf die Verkehrssituation, die Aufenthaltsqualität und auf die Zufriedenheit der Betroffenen mit der neuen Nutzung des öffentlichen Straßenraums. "Ottensen macht Platz" war Teil des EU-Forschungsprojekts „Cities4People“.

Klage und Eilantrag[Bearbeiten]

Gegen die Aufstellung der entsprechenden Verkehrszeichen legten zwei Gewerbetreibende, die zuvor schon verschiedene Ausnahmegenehmigungen beantragt hatten, im Dezember 2019 Widerspruch ein und beantragte einstweiligen Rechtsschutz. Daraufhin ordnete das Verwaltungsgericht Hamburg am 27. Januar 2020 die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs an, d.h. die Verkehrszeichen dürfen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens nicht stehenbleiben.[2] Das Gericht hielt die Aufstellung der Verkehrszeichen für "mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtswidrig, weil es für die hiermit verbundenen Eingriffe in Anliegerrechte keine tragfähige gesetzliche Grundlage gibt". Die Behörde hatte den Verkehrsversuch auf § 45 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 Straßenverkehrsordnung in Verbindung mit § 6 Abs. 1 Nr. 16 Straßenverkehrsgesetz (als Ermächtigungsgrundlage) gestützt. § 45 StVO erlaubt u.a. die "Erforschung des Unfallgeschehens, des Verkehrsverhaltens, der Verkehrsabläufe sowie (die) Erprobung geplanter verkehrssichernder oder verkehrsregelnder Maßnahmen". Dies setze jedoch, so das Gericht, eine "konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Straßenverkehrs oder sonstige durch § 45 StVO geschützte Rechtsgüter" voraus. Dies sei durch die Begründung des Gesetzes, zudem aber durch den 1997 eingefügten § 45 Abs. 9 StVO eindeutig geregelt.

Auf den Gerichtsbeschluss hin beendete das Bezirksamt Altona den Versuch vorzeitig. Da er statt der geplanten 6 jetzt immerhin 5 Monate gedauert hatte, sah es den Zeitraum als ausreichend an, um ihn wie geplant zu evaluieren.[3]

Evaluation[Bearbeiten]

Wie geplant hat das Institut für Verkehrsplanung und Logistik der Technischen Universität Hamburg-Harburg den Versuch evaluiert. Dabei wurden beispielsweise Verkehrszählungen und Befragungen durchgeführt, die nach Abschluss des Projekts in einer Präsentation zusammengefasst wurden.[4] Danach sahen rund 80% oder mehr der Befragten Verbesserungen bei der Verkehrssicherheit, der Aufenthaltsqualität und den Bedingungen für Fuß- und Radverkehr. Ebenfalls fast 80% bewerteten die Auswirkungen auf den Stadtteil als gut oder sehr gut. Auch die befragten Marktbeschicker*innen sahen den Marktstandort und ihren eigenen Umsatz eher verbessert, wenn auch nicht so deutlich - fast die Hälfte unter ihnen bewerteten die Veränderungen eher als neutral. Bei der Frage, ob die Wohnung jetzt leichter oder schwerer erriechbar ist, hielten sich positive und negative Antworten ungefähr die Waage. Viele gaben aber an, sich jetzt häufiger im Projektgebiet für Freizeit, Einkäufe oder Gastronomiebesuche aufzuhalten. Die Wohnqualität hat im Kerngebiet, das autofrei gemacht wurde, zugenommen, insbesondere ging die Lärmbelastung zurück, jedoch entstand in den angrenzen Gebieten, in die ein Teil des Verkehrs ausgewichen sein dürfte, etwas mehr Lärm. Eine große Mehrzahl der Befragten wünschten sich ein Bestehenbleiben des autoreduzierten Gebiets, jedoch mit Veränderungen - hier wurden an erster Stelle eine Umgestaltung des Straßenraums und eine weitere Ausweitung genannt.

Durchwachsen fiel dagegen die Rückmeldung der Gewerbetreibenden aus. Rund 70% von ihnen sahen Schwierigkeiten bei der Belieferung, weil die vorgesehenen Lieferzeiten nicht ausreichten oder die ausgewiesenen Haltepunkte für die Lieferfahrzeuge häufig belegt waren. Viele gaben zudem an, ihr Umsatz sei während der Projektlaufzeit gesunken. Im Ergebnis beurteilten 44% der Gewerbetreibenden das Projekt positiv, 40% negativ.

Dauerhafte Einführung beabsichtigt[Bearbeiten]

Die Stadt Hamburg wie auch der Bezirk wollen die erweiterte autofreie Zone in Ottensen dauerhaft etablieren. Dies soll unter dem Dach der "Innovationsquartiere" in Form eines "Business Improvement Districts" (BID) umgesetzt werden. Die Bezirksversammlung Altona beschloss am 20.02.2020 auf Antrag der Grünen und der CDU die Umwidmung des Zentrums von Ottensen in eine "autoarme Zone". Darin sollen Radverkehr, Taxen, Anlieger mit privaten Stellplätzen und Lieferanten weiterhin Zufahrtsmöglichkeiten haben, der Autoverkehr ansonsten aber draußen bleiben.[5]

Temporäre Fußgängerzone beim Rathaus schon 2018[Bearbeiten]

Ein ähnliches Projekt hatte es von Mai 2018 bis Oktober 2019 mit zeitlicher Unterbrechung nahe dem Hamburger Rathaus gegeben. Diese Zone betraf die Kleine Johannisstraße, Teile der Schauenburger Straße sowie Parkplätze am Dornbusch. Auch hier zogen die meisten Beteiligten eine positive Bilanz.[6]

Siehe auch[Bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Siehe die Karte des Versuchsgebiets
  2. VG Hamburg, Beschluss vom 27.01.2020, Az. 15 E 5647/19 (pdf-Format, 18 Seiten)
  3. Süddeutsche Zeitung, Fußgängerzonenversuch nach Gerichtsentscheid abgebrochen, 28.01.2020
  4. Bezirksamt Altona: Ausstellungstafeln der Evaluationsergebnisse (pdf-Format, 12 Seiten, 12 MB)
  5. Süddeutsche Zeitung, Autoarme Zone für Zentrum von Hamburg-Ottensen beantragt, 21.02.2020
  6. Süddeutsche Zeitung: Erfolgsbilanz für temporäre Fußgängerzone beim Rathaus, 28.10.2019; Hamburger Morgenpost, Bekommt Hamburg jetzt die nächste autofreie Zone?, 28.10.2029