Aneignung
Aneignung ist ein wichtiger Begriff in der Commons-Diskussion. Er weist darauf hin, dass die Schaffung von Commons ein aktiver Prozess der "Commoners", der Menschen, die das Commons nutzen, ist. Damit Commons entstehen, müssen Menschen sich bewusst dafür entscheiden, sich aktiv dafür einsetzen, sie müssen die Mühe und die Zeit dafür aufbringen, sie müssen miteinander kommunizieren, oft auch streiten, aber schließlich zu konstruktiven, tragfähigen Lösungen finden, die alle zufrieden stellen.
Menschen tun das nur, wenn es sich auch auszahlt. Eine weitere wichtige Bedingung dafür, dass Commons langfristig bestehen können, - zusätzlich zu den hier beschriebenen - ist daher die Erfahrung, dass wir oft gemeinsam unsere Bedürfnisse besser befriedigen können als alleine. Wenn Menschen diese Erfahrung machen, dann gewinnen sie auch Vertrauen zueinander, Kontrolle und Sanktionen werden weniger wichtig, und schließlich werden dann immer mehr Dinge gemeinsam organisiert. Privates Eigentum wird dann nicht mehr als die einzige Möglichkeit der Befriedigung der eigenen Bedürfnisse gesehen. Auch das zeigt die Commons-Forschung und das ist auch die praktische Erfahrung aus Tauschkreisen, Transition-Initiativen und Ähnlichem.
Das mit der Aneignung kann natürlich auf verschiedene Art geschehen. Historisch war es wohl meist so, dass Menschen sich für Tätigkeiten zusammenschlossen, die allein nur schwer zu bewerkstelligen waren. Ein Stück Land urbar machen, Holz aus dem Wald holen, eine Bewässerungsanlage bauen. Auch damals waren die Commons immer wieder von Enteignung durch Großgrundbesitzer bedroht. Darum gehörte das Recht zur Verteidigung der Commons von Anfang an zum Recht auf Commons dazu. Auch davon könnten wir heute lernen.
Heute ist es oft so, dass uns die Existenz unserer Commons erst bewusst wird, wenn sie gefährdet sind, oder oft auch schon verschwunden. Wenn wir plötzlich nicht mehr im Teich baden können, den Waldweg nicht mehr benutzen dürfen, wenn die Bänke auf dem Hauptplatz dem Café für die zahlungskräftigen TouristInnen gewichen sind, wenn es in den großen Bahnhöfen beheizte Warteräume nur mehr für BesitzerInnen eines 1. Klasse Tickets gibt, wenn die Nebenbahnlinie stillgelegt wird, das Postamt aufgelassen, oder die Verwendung mancher Getreidesorten nur mehr gegen Bezahlung von Lizenzgebühren erlaubt ist. Da kann die Wiederaneignung dann schon auch mal in einem Volksaufstand münden, wie bei S21.
Aneignung bedeutet aber in jedem Fall mehr als Protest. Es bedeutet mehr als nur Forderungen zu stellen, es bedeutet auch, Verantwortung zu übernehmen, Zeit und Mühe dafür aufzuwenden. Dazu haben Menschen heute oft keine Zeit, die Anforderungen unserer Arbeitswelt und unserer Gesellschaft allgemein erschweren die Schaffung und den Erhalt von Commons - gewollt oder ungewollt. In einer Gesellschaft, die auf Commons aufbaut, müsste auch die Organisation und Verteilung von Arbeit neu gedacht werden. Arbeitszeitverkürzung, die Aufwertung unbezahlter Arbeit, die Wertschätzung von Arbeit für das Gemeinwohl, sind unverzichtbare Elemente in einer Gesellschaft, die die Entstehung von Commons fördern will.
Die Entstehung von Commons kann - und das sollte inzwischen klar sein - aber auch nicht "von oben" verordnet werden, nach dem Motto "hier, macht mal selbst". Stadtregierungen können und sollen natürlich BürgerInnen dazu auffordern, sich einzumischen, Verantwortung für ihre Stadt, für ihren Stadtteil zu übernehmen, sie müssen aber auch die Unterstützung dafür anbieten, es muss Institutionen und Mechanismen geben, die BürgerInnenbeteiligung erleichtern. Ob die BürgerInnen diesem Aufruf folgen, hängt von verschiedenen Voraussetzungen ab, die in jeden Einzelfall zu prüfen sind. Die Verfügung über die notwendigen Ressourcen an Zeit und Geld ist sicher eine Voraussetzung dafür.
--Brigitte Kratzwald 11:30, 8. Feb. 2011 (CET)