Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in Deutschland – Ein Überblick

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In allen 16 Bundesländern sind Bürgerbegehren und Bürgerentscheide rechtlich verankert. Die Verfahren werden auch rege genutzt: Bis Dezember 2019 zählte der Verein Mehr Demokratie e.V. insgesamt 8.099 Verfahren. Davon wurden 6.737 von den Bürgerinnen und Bürgern initiiert – per Bürgerbegehren – und 1.362 vom Gemeinderat/der Gemeindevertretung – per Ratsreferendum. Mit 4.107 Bürgerentscheiden gelangte etwa die Hälfte der Verfahren zur Abstimmung.[1]

Dieser Beitrag gibt einen Überblick über die Regelungen und die Praxis in den Bundesländern.

Regelungen[Bearbeiten]

Die Struktur des direktdemokratischen Instruments ist weitgehend gleich, nämlich zweistufig (Bürgerbegehren, Bürgerentscheid). Die Regelungen in den Bundesländern weichen jedoch – etwa hinsichtlich zulässiger Themen oder den erforderlichen Unterschriften für ein Bürgerbegehren voneinander ab.[2] Einige Länder weisen anwendungsfreundliche Verfahren auf (Thüringen, Bayern und Schleswig-Holstein), in anderen sind die Regelungen restriktiv ausgestaltet (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Saarland).

Zentrale Verfahrenselemente: Zulässige Themen, Unterschriftenquorum und Zustimmungsquorum[Bearbeiten]

Die zulässigen Themen beeinflussen, ob überhaupt ein direktdemokratisches Verfahren stattfindet. Auf der kommunalen Ebene ist ein zentraler Themenbereich die Bauleitplanung. Hier sind drei Gruppen von Ländern zu unterscheiden: Ein direktdemokratisches Verfahren zur Bauleitplanung ist vollständig zulässig (Bayern, Berlin, Bremen, Hamburg, Sachsen und Thüringen), die Bauleitplanung ist nur in einer frühen Phase geöffnet (Baden-Württemberg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein) und Bürgerbegehren zur Bauleitplanung sind nicht zulässig (Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Sachsen-Anhalt).

Das Unterschriftenquorum beim Bürgerbegehren variiert von 2 Prozent in einigen Stadtbezirken Hamburgs bis zu 15 Prozent in vielen Gemeinden des Saarlands. In fast allen Ländern sind die Unterschriftenquoren nach Gemeindegröße gestaffelt.

Die Höhe des Zustimmungsquorums beim Bürgerentscheid variiert ebenfalls von keinem Quorum (Bezirke Hamburgs) bis 30 Prozent (Saarland). Viele Länder kennen Zustimmungsquoren von 15 oder 20 Prozent, diese sind zum Teil gestaffelt nach der Einwohnerzahl der Gemeinde.

Der Verein Mehr Demokratie führt eine stets aktualisierte Übersicht über diese drei zentralen Verfahrenselemente.[3]

Weitere Verfahrenselemente[Bearbeiten]

Daneben gibt es weitere Verfahrenselemente wie etwa den Kostendeckungsvorschlag oder eine amtliche Kostenschätzung, eine Beratung durch die Gemeinde und ein Informationsheft vor dem Bürgerentscheid. Eine Beratung durch die Verwaltung hat positive Auswirkungen: Die Initiatoren eines Bürgerbegehrens nehmen frühzeitig mit der Verwaltung Kontakt auf und lassen sich beraten – so können formale Fehler vermieden und Vertrauen aufgebaut werden.

Praxis[Bearbeiten]

Anzahl und Anwendungshäufigkeit[Bearbeiten]

Pro Jahr fanden in allen Gemeinden und Landkreisen in den letzten Jahren etwa 300 Bürgerbegehren und Ratsreferenden statt. Die meisten Verfahren fanden in Bayern statt mit jährlich etwa 120 – bei 2.127 Gemeinden und Landkreisen.

Insgesamt wurden 8.099 Verfahren von 1956 bis Ende 2019 eingeleitet, von denen 4.107 zum Bürgerentscheid gelangten. Die folgende Tabelle listet diese nach Bundesländern differenziert auf.

Tabelle: Verfahrensanzahl nach Bundesländern (1956 bis 2019)[4]

Bundesland
Verfahren gesamt
davon Bürgerbegehren
davon Ratsreferenden
Bürgerentscheide gesamt
Bayern
3.157
2.574
583
1.963
Baden-Württemberg
992
761
231
462
Nordrhein-Westfalen
854
825
29
268
Schleswig-Holstein
516
460
56
293
Hessen
486
472
14
181
Niedersachsen
379
376
3
114
Sachsen
340
245
95
179
Brandenburg
280
169
111
170
Sachsen-Anhalt
263
111
152
186
Rheinland-Pfalz
256
220
36
126
Thüringen
212
208
4
62
Hamburg (Bezirke)
148
136
12
29
Mecklenburg-Vorpommern
146
111
35
59
Berlin (Bezirke)
43
42
1
13
Saarland
16
16
0
0
Bremen
11
11
0
2
Gesamt
8.099
6.737
1.362
4.107

Mit 3.157 Verfahren finden etwa 40 Prozent in Bayern statt. Dies ist auf die anwendungsfreundlichen Regelungen, aber auch auf die im Vergleich zu anderen Bundesländern höhere Anzahl an Gemeinden und Landkreisen (mehr als 2.000) zurückzuführen. Auf den Plätzen 2 und 3 folgen Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen. Schlusslichter unter den Flächenländern sind Mecklenburg-Vorpommern und das Saarland.

Themen[Bearbeiten]

In vier zentralen kommunalpolitischen Themenbereichen kommen Bürgerbegehren besonders häufig vor:

  1. Öffentliche Sozial- und Bildungseinrichtungen (19,7 Prozent), etwa zu Schulen, Schwimmbädern oder Turnhallen,
  2. Wirtschaftsprojekte (17,8 Prozent), etwa zu Einkaufszentren und Windparks,
  3. Verkehrsprojekte (16,2 Prozent), etwa zu Radverkehr oder Umgehungsstraßen,
  4. Öffentliche Infrastruktur- und Versorgungseinrichtungen (12,9 Prozent), etwa zu Rathausneubauten oder Stadtwerken.

Die folgende Abbildung zeigt die Themenbereiche differenzierter:[5]

Abbildung: Themenbereiche für Bürgerbegehren

 
Landesspezifische Besonderheiten bilden sich auch in den Themen der Bürgerbegehren ab: In Schleswig-Holstein sind beispielsweise viele Begehren zum Thema Tourismusprojekte und Windkraftanlagen anzutreffen.

Ergebnisse und Erfolge[Bearbeiten]

Die formale Erfolgsquote aller Verfahren betrug 39,1 Prozent. "Erfolg" wird hier im Sinne der Initiatorinnen und Initiatoren definiert. Darin sind Bürgerentscheide im Sinne der Initiatoren, Teilerfolge / Kompromisse – die wir als halbe Erfolge werten – sowie Bürgerbegehren, deren Anliegen vom Gemeinderat übernommen wurde, enthalten.

28,5 Prozent aller Bürgerbegehren wurde für unzulässig erklärt. Häufige Gründe hierfür waren dabei Fristüberschreitung, Themenausschluss und ein mangelhafter oder fehlender Kostendeckungsvorschlag. Auch hier gibt es große Unterschiede zwischen den Bundesländern.

Abstimmungsbeteiligung[Bearbeiten]

Die Abstimmungsbeteiligung bei Bürgerentscheiden lag bei durchschnittlich 46,4 Prozent. Die Beteiligung sinkt mit zunehmender Einwohnerzahl – wie bei Kommunalwahlen auch. Ratsreferenden haben mit 47,9 Prozent eine geringfügig höhere Abstimmungsbeteiligung als bürgerinitiierte Verfahren (45,9 Prozent), denn Ratsreferenden werden oft gemeinsam mit Wahlen durchgeführt, und viele Ratsreferenden hatten sehr wichtige Themen – etwa zu Gemeindegebietsreformen – zum Gegenstand.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Vgl. Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2020, siehe unter Weblinks
  2. Die Regelungen werden detailliert betrachtet und benotet bei Mehr Demokratie e.V., Volksentscheidsranking (Ranking der direktdemokratischen Verfahren in Deutschland auf Landes- und Kommunalebene), Berlin 2021
  3. Siehe Mehr Demokratie e.V.: Übersicht Verfahren - Bürgerentscheide
  4. Quelle: Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2020, S. 13, Tabelle 2a
  5. Quelle: Mehr Demokratie e.V., Bürgerbegehrensbericht 2020, S. 23, Abb. 4

Weblinks[Bearbeiten]

Die ursprüngliche Fassung dieses Artikels stammt von Frank Rehmet, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Mehr Demokratie e.V. und (Ko-) Autor von Berichten und Rankings des Vereins. Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit direktdemokratischen Verfahren, insbesondere zur kommunalen und Landesebene in Deutschland.