Straßenausbaubeiträge in Nordrhein-Westfalen

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Zur Definition von Straßenausbaubeiträgen und den Grundlagen siehe: Straßenausbaubeitrag

In Nordrhein-Westfalen gilt für die Erhebung von Straßenausbaubeiträgen eine Soll-Vorschrift, d.h. die Gemeinde kann auf die Erhebung nur in besonders begründeten Ausnahmen verzichten. Diese Beiträge sind in  NRW - wie überall in Deutschland - politisch umstritten. Seit Anfang 2020 können die Gemeinden beim Land Fördermittel beantragen, die die Beiträge bis auf maximal die Hälfte absenken. Der politische Streit bleibt jedoch bestehen.

2018: Kampagne des Steuerzahlerbundes[Bearbeiten]

Beflügelt durch die Abschaffung der Beiträge in Bayern zum 1.1.2018 startete der Bund der Steuerzahler NRW im Herbst 2018 eine Volksinitiative „Straßenbaubeitrag abschaffen“, der sich umgehend weitere Verbände anschlossen.[1] Eine Volksinitiative verpflichtet den Landtag lediglich, sich mit einem Thema zu befassen; sie benötigt in NRW ca. 66.000 Unterschriften innerhalb eines Jahres. Tatsächlich wurde die Initiative gegen die Straßenausbaubeiträge innerhalb eines halben Jahres über 400.000mal unterzeichnet.[2]

Schwarz-Gelb will vorsichtige Reform, SPD für Abschaffung[Bearbeiten]

Die Parteien im Landtag reagierten darauf unterschiedlich. CDU und FDP schlugen eine Neuregelung mit fünf Elementen vor:

  1. zeitlich vorgelagerte Bürgerbeteiligung vor Straßensanierungen
  2. Prüfung, ob die Erhebung von Beiträgen in die Entscheidung der Kommunen gelegt werden soll
  3. Prüfung, ob eine Härtefallregelung eingeführt werden kann
  4. Rechtsanspruch auf Ratenzahlung
  5. Zinssätze, die sich am Marktzins orientieren.

Die SPD dagegen legte einen Gesetzentwurf zur Abschaffung der Straßenausbaubeiträge vor, den CDU, FDP und Grüne umgehend als unseriös und nicht gegenfinanziert ablehnten. Die SPD hingegen bezeichnete die Pläne der Koalition als ungerecht und unsozial: Die Erhebung von Beiträgen den einzelnen Kommunen zu überlassen werde "dazu führen, dass reiche Städte ihre Wohnstraßen ausbauen und sanieren. Finanzschwache Städte werden entweder nicht bauen oder aber ihre Bürgerinnen und Bürger zur Kasse bitten müssen." Diese Argumente wurden von den Grünen geteilt. Letztere ließen zudem ein Gutachten erstellen.[3]

Der Bund der Steuerzahler blieb bei seiner Forderung nach einer Abschaffung und setzte seine Unterschriftensammlung fort.[4] Im Juni 2019 legte der Steuerzahlerbund zudem eine Umfrage vor, wonach 46% der Befragten für eine Abschaffung plädierten; 38% waren für ein Entscheidungsrecht der Kommunen, 13% hielten die Beiträge für notwendig. Unterdessen führte der politische Streit dazu, dass nicht wenige Kommunen Straßensanierungen aufschoben und auf eine Entscheidung der Landespolitik warteten.[5]  Kurz vor einer Landtagsanhörung zum Thema hatten nach Angaben der SPD-Landtagsfraktion rund 50 Kommunen in Resolutionen für eine Abschaffung der Beiträge votiert. [6]

Halbierung durch Fördermittel[Bearbeiten]

Die Landesregierung hatte zu diesem Zeitpunkt ermittelt, dass die Kommunen jährlich einen Betrag zwischen 111 und 127 Mio. € über Straßenausbau- und Erschließungsbeiträge einnehmen; diese Summe sei maximal für den Ausgleich der Ausfälle bei Abschaffung der Beiträge notwendig. Die kommunalen Spitzenverbände hielten diesen Betrag für zu niedrig angesetzt: in den kommenden Jahren müsse deutlich mehr saniert werden als in der Vergangenheit, zudem habe die Pflicht, Beiträge zu fordern, viele Kommunen von Sanierungsmaßnahmen abgehalten. In dieser Situation entwickelte die Regierungskoalition einen neuen Vorschlag: Die Landesregierung sollte einen Betrag von jährlich 65 Mio. € als Förderprogramm bereitstellen, also etwa die Hälfte der von ihr geschätzten Gesamtsumme. Kommunen, die diese Fördermittel erhielten, müssten im Gegenzug von den Anliegern einen geringeren Beitrag fordern, der sich nicht mehr nach der Art der Maßnahme (fließender oder ruhender Verkehr), sondern nur noch nach der Art der Straße und richtete: Der Beitragssatz sollte bei Anliegerstraßen 40%, bei Haupterschließungsstraßen 30%, bei Hauptverkehrsstraßen für Sanierung von Fahrbahn und Radwegen 10%, von Parkstreifen und Gehweg 40%, bei Hauptgeschäftsstraßen für Fahrbahn und Radwegen 35%, für Parkstreifen und Gehwege 40% betragen.[7] Andere Elemente ihres ursprünglichen Reformkonzepts (Bürgerbeteiligung,[8] Härtefallregelung, Zinserleichterung, Ermöglichung von Ratenzahlungen und Stundung etc.) hielt die Koalition aufrecht. Die Kommunen reagierten unterschiedlich auf die Vorschläge; einige begrüßten sie als Weg, die Konflikte mit Anliegern beizulegen, andere sahen neue Bürokratielasten auf die Kommunen zukommen.[9]

Neuregelung trat 2020 in Kraft[Bearbeiten]

Am 01.10.2019 verabschiedete das Kabinett den Gesetzesentwurf[10], der eine gute Woche später in den Landtag eingebracht wurde. Am 05.11. wurden die Vertreter*innen der Volksinitiative „Straßenbaubeiträge abschaffen“ im Ausschuss für Heimat, Kommunales, Bauen und Wohnen des Landtags angehört.[11] Ebenfalls im November folgte eine Expert*innen-Anhörung zum Thema.[12]

Das Gesetz wurde mit dem Haushalt 2020 verabschiedet.[13] Dabei wurde im Wesentlichen in das Kommunalabgabengesetz (KAG) ein neuer  § 8a mit ergänzenden Vorschlägen zu Straßenausbaubeiträgen eingefügt und eine Förderrichtlinie erlassen. Im Einzelnen gilt jetzt für den Straßenausbau durch Kommunen in NRW:

  • Die Gemeinde muss ein "gemeindliches Straßen- und Wegekonzept" erstellen, dass für den Zeitraum der Finanzplanung gilt und mindestens alle zwei Jahre fortgeschrieben wird. Dafür gibt das Land ein Muster vor, von dem nur ausnahmsweise abgewichen werden darf.
  • Im Fall von geplanten beitragspflichtigen Straßenausbaumaßnahmen muss die Kommune frühzeitig eine Versammlung der betroffenen Grundstückeigentümerinnen und -eigentümer (verbindliche Anliegerversammlung) durchführen, wo die Maßnahmen und mögliche Alternativen erörtert werden. Bei geringfügigen Ausbaumaßnahmen kann ein anderes Beteiligungsverfahren gewählt werden.
  • Die Gemeinde kann - muss aber nicht - für Eckgrundstücke und für besonders tiefe Grundstücke Beitragsermäßigungen in der Satzung vorsehen.
  • Auf Antrag muss den Beitragspflichtigen eine Zahlung in maximal 20 Jahresraten ermöglicht werden. Der jeweilige Restbetrag wird mit 2% über dem Basiszinssatz, mindestens jedoch 1% jährlich verzinst. Auch eine Verrentung der Beitragsschuld mit bis zu 20 Jahresraten ist möglich. Auch bei Ratenzahlung kann zu jedem Jahresende der jeweilige Restbetrag komplett getilgt werden. Bei besonderen Härten (niedriges Einkommen, kein Vermögen außer dem Grundstück) ist auch Stundung möglich.
  • Die Kommune kann Fördermittel entsprechend der Förderrichtlinie beantragen, die Abwicklung erfolgt über die NRW.BANK. Die Höhe der Straßenausbaubeiträge richtet sich dann nach den Ausbaukosten abzüglich der Förderung, d.h. die Beiträge werden durch die Förderung halbiert. Dies gilt allerdings nur für den Fall, dass die Gemeinde ohne die Förderung die vollen möglichen Beiträge erhoben hätte.

Steuerzahlerbund und SPD hielten ihre Kritik aufrecht und sprachen im Übrigen von einem "Bürokratiemonster", das den Kommunen aufgebürdet würde. Da zukünftig jeder Fall genau geprüft werden müsse, könnten die Verwaltungskosten in vielen Fällen höher als die Beitragseinnahmen liegen.[14] Die SPD-Fraktion im Landtag drohte zudem unter Berufung auf ein Gutachten des Landtags-Gutachterdienstes mit einer Verfassungsklage. Das wesentliche Argument: Durch das neue Gesetz würden zusätzliche Aufgaben auf die Kommunen übertragen, das Gesetz sei somit konnexitätsrelevant. Die Landesregierung müsse daher eine Konstenfolgeabschätzung vorlegen und ggf. die zusätzlichen Kosten übernehmen.[15]

Siehe zum aktuellen Recht der Straßenausbaubeiträge in NRW[Bearbeiten]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Westfalenblatt: Offensive gegen Anliegergebühr, 29.09.2018;  Verband Wohneigentum NRW: Volksinitiative gegen Straßenbaubeiträge, 14.10.2018; Westfälische Nachrichten: Steuerzahlerbund mobilisiert gegen Straßenbaubeiträge in NRW, 31.10.2018
  2. Neue Westfälische: Initiative "Straßenbaubeitrag abschaffen": Über 400.000 Unterschriften, 06.04.2019
  3. Das Gutachten: Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst: Straßenausbaubeiträge. Regelungen in Nordrhein-Westfalen im Vergleich mit anderen Bundesländern, 31. Januar 2019
  4. Westdeutsche Zeitung: Streit um Straßenbaubeiträge - Kommunen sollen entscheiden, 20.11.2018
  5. RP online, Investitionsstau wegen Streit um Abgabe, 07.05.2019; Westfälische Nachrichten, Bürger gegen Straßenbaubeiträge: Druck auf Regierung wächst, 02.06.2019
  6. Westfälische Nachrichten: SPD: Über 50 kommunale Resolutionen gegen Straßenbaubeiträge, 04.06.2019. Zu den in der Anhörung geäußerten Positionen siehe: Siegener Zeitung, KAG-Positionen bleiben wohl unvereinbar, 8.6.2019
  7. Brakel News: Straßenausbaubeiträge: Anlieger werden finanziell entlastet – Land ersetzt Mindereinnahmen für Kommunen, 5.7.2019
  8. Beispiel für ein Format der Beteiligung: Süddeutsche Zeitung, Ministerin will Straßenbaubeiträge in NRW nicht abschaffen, 27.08.2019 (Schilderung zu Kirchlengern am Ende des Artikels)
  9. Beispiele kommunaler Debatten: RP online, Debatte um Anliegerbeiträge – Kommunen sind uneins, 07.07.2019; Westfälische Nachrichten: „Eine erhebliche Entlastung“, 13.07.2019
  10. Gesetzentwurf der Landesregierung: Fünftes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes, Drucksache 17/7547 vom 01.10.2019
  11. Siehe das Protokoll der Anhörung: Ausschussprotokoll APr 17/791 vom 05.11.2020 (pdf-Format, 27 Seiten)
  12. Siehe dazu die Stellungnahmen der Expert*innen sowie das Ausschussprotokoll APr 17/818 vom 18.11.2019 (pdf-Format, 80 Seiten).
  13. Allgemeine Zeitung: „Kein Bürokratie-Monster“: Ministerin will Kosten senken,  3.10.2019
  14. Süddeutsche Zeitung, Novelle zu Straßenbaubeiträgen vor Abschluss, 27.10.2019; zusammenfassend zur Kritik an der Neuregelung: Verein "STOP von Straßenausbaubeiträgen in Deutschland" e.V., "Halbierung der Straßenausbaubeiträge nur ein Marketing-Trick", 07.09.2020
  15. WDR, Straßenbaubeiträge: Entlastung ja, Abschaffung nein, 18.12.2020. Das Gutachten: Parlamentarischer Beratungs- und Gutachterdienst, Konnexitätsrelevanz Fünftes Gesetz zur Änderung des Kommunalabgabengesetzes (Landtag Nordrhein-Westfalen, LTDrs. 17/7547), 02.12.2019 (pdf-Format, 17 Seiten). Die SPD-Fraktion hat ihre verfassungsrechtliche Argumentation in einem Handout (pdf-Format, 1 Seite) zusammengefasst.

Siehe auch[Bearbeiten]