Windkraft und Vogelschutz

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Ein häufiges Argument beim Widerstand gegen Windenergieanlagen ist die Gefährdung von Vögeln und Fledermäusen, insbesondere aus bedrohten Arten (z.B. Rotmilan, Auerhuhn) durch Kollision mit Windkraftanlagen. Diese Befürchtung ist jedoch, wie wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, stark zu relativieren: Meist sind andere Ursachen für das Sterben von Vögeln wesentlich bedeutender. Gelegentlich ist wohl auch die Vermutung erlaubt, dass der Vogelschutz von Leuten ins Feld geführt wird, die eigentlich aus anderen Gründen gegen Windenergieanlagen opponieren. Festzuhalten ist immerhin, dass mehr als 80% der Deutschen den Ausbau von Windenergie wichtig oder sehr wichtig finden; das gilt auch für direkte Anwohner:innen von Windparks.[1]

Schätzungen beispielsweise von Naturschutzverbänden über die Zahl von durch Windräder getöteten Tieren sind mit Vorsicht zu betrachten. Sie beruhen meist auf einzelnen, nicht systematisch erhobenen Funden und Hochrechnungen, ohne dass ein Vergleich mit anderen Todesursachen gezogen wird. Viele tote Tiere, ob in Windparks oder an anderen Stellen, bleiben unentdeckt, weil sie von anderen Tieren gefressen oder von Menschen entsorgt werden. Wissenschaftliche Projekte versuchen, zu genaueren Ergebnissen zu kommen.

Ergebnisse des LIFE-EUROKITE-Projektes[Bearbeiten]

Für den Rotmilan[2] wurde im EU-geförderten LIFE-EUROKITE-Projekt detailliert untersucht, welche Rolle einzelne Gefährdungen für die Sterblichkeit der Tiere darstellen. Dafür wurde eine Vielzahl von Rotmilanen mit GPS-Sendern ausgestattet, so dass tote Vögel aufgefunden und untersucht werden konnten. Dabei wurde festgestellt, dass die größte Gefährdung für den Rotmilan von Giftködern ausgeht: Tote Mäuse und Ratten werden mit Gift versetzt, um Greifvögel gezielt zu töten.[3] Als weitere Todesursachen folgen der Straßenverkehr und der Abschuss. An vierter Stelle steht der Stromschlag an Überlandleitungen, an fünfter der Eisenbahnverkehr - und erst an sechster Stelle die Kollision mit Windrädern, "unter ferner liefen", wie Rainer Raab von LIFE-EUROKITE formuliert.[4]

Tatsächlich hat sich die Zahl von Rotmilan-Brutpaaren in Deutschland in den vergangenen Jahren - trotz immer mehr Windrädern - erheblich vergrößert. Trotz dieser Ergebnisse steht der Rotmilan weiterhin in der Liste "Bereiche zur Prüfung bei kollisionsgefährdeten Brutvogelarten" (Anlage 1 zu § 45b Absatz 1 bis 5 Bundesnaturschutzgesetz]). Damit muss vor der Genehmigung neuer Windkraftanlagen neben vielem anderen auch geprüft werden, ob in der näheren Umgebung des geplanten Standorts Rotmilane brüten. Die Prüfung durch Ornitholog:innen kann ein Jahr dauern - einer der vielen Gründe für Verzögerungen beim Windkraftausbau. Die Abstandsregeln berücksichtigen, dass sich Rotmilane nur selten mehr als 1,5 km von ihrem Horst entfernen.

Weitere Studien: Vögel umfliegen Windparks[Bearbeiten]

Im LIFE-EUROKITE-Projekt wurde weiterhin festgestellt, dass Rotmilane Windanlagen in der Regel erkennen und ihnen auf ihren Flugrouten ausweichen. Dies gilt auch für andere Vogelarten, wie Forscher:innen des Max-Planck-Instituts für Verhaltensbiologie in Konstanz und der University of East Anglia in England in zwei Studien herausfanden. Dort wurde beispielsweise festgestellt, dass auch Schwarzmilane die Windkraftanlage umfliegen. Anderes gilt allerdings gelegentlich beispielsweise für Gänsegeier, Schlangenadlern und Turmfalken, die insbesondere auf ihren Zugrouten mit Windkraftanlagen - an Land und auf See - kollidieren können. Diese Arten kommen jedoch in Deutschland nicht vor bzw. gelten nicht als gefährdet.[5]

Auch in einer Studie von Vattenfall (das als Energieunternehmen natürlich Eigeninteressen hat) an einem Offshore-Windpark ergab, dass Seevögel de Anlagen umfliegen. Während einer Beobachtungszeit von zwei Jahren mit automatischen Kameras konnte keine Kollision festgestellt werden.[6]

Fledermäuse und Insekten[Bearbeiten]

Neben Vögeln können auch Fledermäuse und Insekten einem Windrad zum Opfer fallen. Beobachtungen an einzelnen Windrädern in Österreich haben gezeigt, dass je Windrad im Jahr rund 5 Fledermäuse tot aufgefunden werden, etwas weniger als die Summe aller getöteten Vögel.

Was Insekten betrifft, hat eine Studie des Deutschen Instituts für Luft und Raumfahrt (DLR) für Deutschland ergeben, dass jährlich 5-6 Mrd. Tiere einem Windrad zum Opfer fallen, was eine Gesamtmasse von 1.200 t bedeutet. Diese auf den ersten Blick gewaltige Zahl entspricht aber nur 0,25% der Insekten, die jährlich von Vögeln und anderen Fressfeinden verzehrt werden. Sie liegt auch weit unter der Mengel von Insekten, die durch Gifte in Landwirtschaft und Gartenbau vernichtet werden.[7]

Schutzmaßnahmen[Bearbeiten]

In einer geplanten Erweiterung des LIFE-EUROKITE-Projektes soll neben der Gewinnung weiterer Daten auch geprüft werden, welche Schutzmaßnahmen ergriffen werden können. Dazu gehören z.B. bauliche Veränderungen an Strommasten oder die Entfernung von Faktoren in Windparks, die Greifvögel anziehen können. Anderen Untersuchungen zufolge kann z.B. ein einzelnes schwarzes Rotorblatt die Windräder für Vögel leichter erkennbar machen und viele Kollisionen vermeiden. Fledermäuse hingegen halten eher bei roten Warnlichtern Abstand zu den Anlagen. An einigen Standorten werden auch die Windräder in der Brut- und Ausflugszeit von Vögeln tagsüber oder während des Durchzugs von Fledermäusen nachts angehalten.[8] Beim Bau von Windkraftanlagen sollte also neben der Wahl des Standorts geprüft werden, ob durch standortbezogene Schutzmaßnahmen die Gefährdungen für Vögel und Fledermäuse reduziert werden können.

Auch die meisten Naturschutzverbände befürworten den Bau von Windkraftanlagen - unter Beachtung von Naturschutzbelangen. Das Hauptargument: Der Ausbau erneuerbarer Energien ist eine Maßnahme gegen den Klimawandel, der jetzt schon die Populationen vieler Vogelarten weit mehr dezimiert als alle Windkraftanlagen zusammen. Übrigens töten auch fossile Kraftwerke deutlich mehr Vögel als Windräder.

NABU-Positionspapier[Bearbeiten]

In einem Hintergrundpapier aus dem Jahr 2019[9] stellt sich beispielsweise der Naturschutzbund Deutschland (NABU) ausdrücklich hinter die Ausbauziele für die Windenergie bis 2050, betont jedoch, dass der Naturschutz dabei nicht vernachlässigt werden darf. Bei geeigneter Standortwahl gebe es, so das Papier, ausreichend geeignete Flächen in Deutschland, um die Ausbauziele zu erreichen. Nach eigenen Angaben hat der NABU in den Jahren 2010-2019 insgesamt 45 Klagen gegen Windenergieplanungen wegen nicht ausreichender Beachtung des Naturschutzes eingereicht. Das Papier entstand zeitlich vor der jüngsten Novelle des Bundesnaturschutzgesetzes, das zur Berücksichtigung von Naturschutzbelangen beim Betrieb von Windenergieanlagen an Land in § 45b einige Festlegungen trifft.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Telepolis: Windkraft: Was ist dran an den Vogelschutzargumenten?, 24.03.2023
  2. Der Rotmilan gilt als gefährdete Raubvogelart und brütet in ganz Europa, mit einem Schwerpunkt in Deutschland.
  3. Siehe dazu LIFE-EUROKITE: Greifvogelverfolgung.
  4. Laut dem NABU (siehe dazu weiter unten) spielt auch die Kollision mit Glasflächen eine große Rolle als Todesursache für Vögel, die in dieser Liste nicht enthalten ist, offenbar weil sie für Rotmilane keine Rolle spielt. Zur Rangfolge der Todesursachen siehe auch ZDF frontal: Rotmilan gegen Windkraft - Das Märchen vom bedrohten Greifvogel, 22.06.2022, mit Video (9 min., verfügbar bis 22.02.2026)
  5. Max-Planck-Gesellschaft: Flug in eine saubere und sichere Zukunft - Können Zugvögel und Windräder miteinander koexistieren?, 20.04.2022. Die Studien: Carlos D. Santos, Hariprasath Ramesh, Rafael Ferraz, Aldina M. A. Franco & Martin Wikelski: Factors influencing wind turbine avoidance behaviour of a migrating soaring bird, in: Nature, Scientific Reports volume 12, Article number: 6441 (2022), mit Link zum Download im pdf-Format (englisch); Jethro G. Gauld, João P. Silva, Philip W. Atkinson, Paul Record, Marta Acácio, Volen Arkumarev, Julio Blas, Willem Bouten, Niall Burton, Inês Catry, Jocelyn Champagnon u.a.: Hotspots in the grid: Avian sensitivity and vulnerability to collision risk from energy infrastructure interactions in Europe and North Africa, in: Journal of Applied Ecology (April 2022), mit Link zum Download im pdf-Format (englisch). Siehe dazu auch: Solarify, Koexistenz von Zugvögeln und Windrädern, 21.04.2022; focus, Vogelkiller? Plötzlich löst sich das wichtigste Argument der Windkraft-Gegner in Luft auf, 12.05.2022
  6. Vattenfall: €3 million research project reveals how seabirds avoid offshore wind farms, 28.02.2023 (englisch, mit Link auf die Studie als Download im pdf-Format); siehe dazu auch efahrer.com: Vögel an Windrädern: Forscher beobachten überraschendes Verhalten, 10.03.2023
  7. ÖkostromAktuell: Todesfalle für Vögel: Sind Windkraftanlagen wirklich so gefährlich für Tiere?, ohne Datum (ca. 2018); Der Standard (Österreich): Müssen Vögel für den Klimaschutz sterben? Ein Faktencheck, 14.11.2021; Morgenpost: Von Rotoren getötet: Windräder werden zum Problem für Fledermäuse, 26.02.2024
  8. Der Standard (Österreich): Müssen Vögel für den Klimaschutz sterben? Ein Faktencheck, 14.11.2021
  9. NABU: Naturverträgliche Nutzung der Windenergie an Land und auf See, Februar 2019 (Download im pdf-Format, 56 Seiten, 2 MB, mit einer umfangreichen Literaturliste); siehe dazu auch NABU, Windenergie muss naturverträglich ausgebaut werden, Februar 2019 mit weiteren Hintergründen.

Mehr zum Thema[Bearbeiten]