Kommunaler Finanzausgleich in Rheinland-Pfalz

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Zur Definition und grundlegenden Funktionsweise des kommunalen Finanzausgleichs siehe den Artikel: Kommunaler Finanzausgleich.

Der Abschnitt zur Darstellung des aktuellen Finanzausgleichs in Rheinland-Pfalz fehlt noch.

Das VGH-Urteil vom 16.12.2020[Bearbeiten]

Mit Urteil vom 16. Dezember 2020[1] hat der Verfassungsgerichtshof (VGH) Rheinland-Pfalz das Landesfinanzausgleichsgesetz in der Fassung von 2013 und 2015 sowie die vom Land festgesetzte Finanzausgleichsmasse für 2015 für verfassungswidrig erklärt. Das Gesetz und die vom Land festgesetzten Mittel gewährleisteten keine aufgabengerechte Finanzausstattung der Kommunen. Spätestens Anfang 2023 muss eine Neuregelung verabschiedet sein, bis dahin kann das geltende Recht weiter angewendet werden.

Vorgeschichte[Bearbeiten]

Bereits 2012 hatte der Gerichtshof den damaligen Finanzausgleich für verfassungswidrig erklärt, insbesondere weil die Zuweisungen an die Kommunen mit den stark gestiegenen Sozialausgaben nicht Schritt gehalten hatten.[2] Geklagt hatte der Landkreis Neuwied. In seinem Urteil hatte das Gericht u.a. festgestellt, dass für die Gesamtheit der Kommunen in Rheinland-Pfalz bis zum Jahr 2011 die Einnahmen 22 Jahre in Folge hinter den Ausgaben zurückgeblieben waren. Die Verschuldung und insbesondere die Kassenkredite lagen wesentlich über dem Bundesdurchschnitt; die Sozialausgaben waren von 1990 bis 2010 um ca. 220% gestiegen. Artikel 49 (6)[3] der Landesverfassung garantiere den Kommunen eine aufgabengerechte Finanzausstattung. Das Land hätte, so das Gericht, bei der Bemessung des Finanzausgleichs die Sozialausgaben der Gemeinden angemessen berücksichtigen und stärker zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise beitragen müssen. Zudem seien die Landkreise und die kreisfreien Städte im Vergleich zu den kreisangehörigen Gemeinden benachteiligt worden. Das Land erhielt eine Frist bis Ende 2013, um das Finanzausgleichsgesetz zu ändern. Dabei müsse es "einen spürbaren Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise" leisten, wozu auch eine effektive und deutliche Verbesserung der kommunalen Finanzausstattung gehöre. Doch auch die Kommunen müssten im Rahmen ihrer Spielräume beitragen (z.B. Erhöhung von Hebesätzen, Nutzung von Einsparpotenzialen).

Im Oktober 2013 verabschiedete der Landtag ein neues Finanzausgleichsgesetz (FAG), das den Verbundsatz und die Verbundmasse neu festsetzte sowie neue Arten von Schlüsselzuweisungen einführte. Doch schon gegen die bewilligten Schlüsselzuweisungen der Jahre 2014 und 2015 wurde erneut geklagt, diesmal von der Stadt Pirmasens und dem Landkreis Kaiserslautern. Mit dem neu geregelten FAG leiste das Land, so die klagenden Kommunen, keinen spürbaren Beitrag zur Bewältigung der kommunalen Finanzkrise. Die zunächst vor dem Verwaltungsgericht eingereichten Klagen wurden von diesem Gericht dem VGH vorgelegt, der prüfen sollte, ob das neue FAG verfassungsgemäß ist.

Maßstab: Aufgabengerechte Finanzausstattung[Bearbeiten]

Maßstab der Prüfung ist für den VGH wiederum der Art. 49 (6) der Landesverfassung und somit die "aufgabengerechte Finanzausstattung". Wörtlich: "Die von Art. 49 Abs. 6 LV gewährleistete Finanzausstattung der Kommunen stellt sich als angemessen dar, wenn die kommunalen Finanzmittel ausreichen, um den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Wahrnehmung (jedenfalls eines Mindestbestandes) selbstgewählter Aufgaben zu ermöglichen. Insgesamt müssen, wie sich aus Art. 49 Abs. 6 Satz 1 LV ergibt, die zur Aufgabenerfüllung „erforderlichen Mittel“ bereitgestellt werden. Angemessen ist daher nur eine aufgabenadäquate kommunale Finanzausstattung."[4] Dabei müsse das Land jedoch auch prüfen, ob die Kommunen ihre Einnahmepotenziale ausgeschöpft haben, und könne Aufwendungen, die das Gebot wirtschaftlicher und sparsamer Haushaltsführung nicht beachten, unberücksichtigt lassen.[5] Außerdem müssten bei der Frage der Angemessenheit auch die Belange des Landes berücksichtigt werden.[6] Doch dürfe das Land die finanzielle Mindestgarantie nur in außergewöhnlichen Notsituationen unterschreiten.[7] Für die notwendige Abwägung müsse neben der Finanzkraft von Land und Kommunen zwingend auch der Finanzbedarf der jeweiligen Ebene betrachtet werden.[8] Den Einwand, eine Ermittlung des kommunalen Finanzbedarfs sei zu komplex, lässt der VGH nicht gelten; zudem dürfe der Landesgesetzgeber schätzen und pauschalieren.[9]

Daraus leitet der VGH ab, dass sich der Gesetzgeber ein Bild von der Höhe der zur kommunalen Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel machen muss. Dazu muss er die Kosten der kommunalen Pflichtaufgaben wie auch der übertragenen staatlichen Aufgaben ermitteln und die kommunalen Einnahmequellen abschätzen, um letztlich absehen zu können, mit welcher Finanzausstattung die Kommunen ihre Aufgaben erfüllen und daneben noch freiwillige Aufgaben wahrnehmen können.[10] Einmal getroffene Entscheidungen müssten weiter beobachtet und bei Bedarf korrigiert werden.[11] Die wesentlichen Ergebnisse dieser Überlegungen müssten z.B. in Gesetzesbegründungen oder Ausschussprotokollen dokumentiert werden, um nachvollziehbar und überprüfbar zu sein.[12]

Das FAG ist dem Urteil zufolge letztlich deshalb verfassungswidrig, weil sich die Finanzausgleichsmasse nur an den Steuererträgen des Landes orientiert.[13] Eine Ermittlung des kommunalen Finanzbedarfs liegt ihm nicht zugrunde. Die "Bestimmungen zur Ermittlung der Finanzausgleichsmasse lassen kein System der Aufgaben- bzw. Bedarfsorientierung erkennen. Sie bieten daher keine Gewähr für einen aufgabengerechten Finanzausgleich."[14] Weder sehe das Gesetz dies vor noch habe das Land vor der Verabschiedung des Gesetzes Aufgabenlast und Finanzkraft der Kommunen ermittelt. Bei der Methode dieser Ermittlung und bei der Frage, in welchem Umfang den Gemeinden die Erfüllung freiwilliger Aufgaben ermöglicht wird, hat der Gesetzgeber allerdings weite Spielräume. Zudem müssten aber die mit Kassenkrediten belasteten Kommunen in die Lage versetzt werden, diese abzubauen und so dauerhaft zu einem materiellen Haushaltsausgleich zu finden. Dazu sei die Bereitstellung zusätzlicher Finanzmittel notwendig.[15] Nebenbei weist der VGH auch darauf hin, dass er Finanzkraftumlagen, mit denen besonders finanzstarke Kommunen in den KFA einzahlen, für zulässig hält.[16]

Fazit[Bearbeiten]

Der VGH Rheinland-Pfalz urteilt ähnlich wie vor ihm bereits andere Gerichte und ein guter Teil der Literatur:[17] Die kommunalen Finanzmittel müssen ausreichen, um die kommunalen Aufgaben zu erfüllen und darüber hinaus auch freiwillige Aufgaben wahrnehmen zu können. Dazu muss der Gesetzgeber vor der Festsetzung der Verbundmasse und ihrer Verteilung unter die Kommunen deren eigene Finanzkraft und die Kosten ihrer Aufgaben betrachten, und zwar in einem transparenten und überprüfbaren sowie dokumentierten Verfahren. Zudem muss das Land die verschuldeten Kommunen in die Lage versetzen, Kassenkredite abzubauen und einen Haushaltsausgleich zu erreichen. An diesen Maßstäben wird das zukünftige Gesetz zu messen sein, das vom Landtag bis Ende 2022 verabschiedet werden muss.

Reaktionen[Bearbeiten]

Das Urteil wird von der Landesregierung und den kommunalen Spitzenverbänden unterschiedlich interpretiert. Die Vertreter*innen der Kommunen sehen ihre Ansicht bestätigt, dass der kommunale Finanzausgleich über lange Zeit zu niedrig ausgestattet war und so hohe Schulden bei vielen Kommunen aufgelaufen sind, während das Land Fragen der Verteilung der Mittel unter den Kommunen in den Vordergrund stellt und keine Notwendigkeit sieht, den Finanzausgleich insgesamt aufzustocken.

Der Städtetag Rheinland-Pfalz forderte vom Land, den kommunalen Finanzausgleich für das Jahr 2021 um 400 Mio. € anzuheben. Eine Reform des KFA müsse im Einvernehmen mit den Kommunen erfolgen. Außerdem müsse ein Entschuldungskonzept erarbeitet werden. Für die Vergangenheit würden Schadenersatz- oder Folgenbeseitigungsansprüche der Kommunen geprüft.[18] Auch der Gemeinde- und Städtebund mahnte eine zügige Arbeit an einem neuen Finanzausgleich an, dabei sollten "die kommunalen Spitzenverbände dauerhaft und auf Augenhöhe eingebunden werden".[19] Die CDU-Fraktion im Landtag forderte als Konsequenz aus dem Urteil eine Soforthilfe für die Kommunen in Höhe von zunächst 500, später 600 Mio. € - je 300 Mio. € in den Jahren 2021 und 2022. Die Mittel sollten mit dem kommunalen Finanzausgleich ohne weitere Auflagen an die Kommunen ausgezahlt werden. Weiterhin forderte die CDU ein Entschuldungsprogramm, mit dem das Land die Hälfte der kommunalen Liquiditätskredite übernimmt. Sie kündigte an, zur Vorbereitung einer Reform des KFA eine Expertengruppe einzusetzen: "Schließlich möchten wir ab 18. Mai auch regieren", sagte der Fraktionsvorsitzende Baldauf.[20]

Die Landesregierung legte Wert auf die Feststellung, der VGH habe "die Höhe der Mittelzuweisungen in der Finanzausgleichsmasse nicht beanstandet", sondern "erstmalig eine detaillierte Bedarfsanalyse als notwendig erachtet". Die Kommunen hätten in den Jahren 2017 bis 2019 in ihrer Gesamtheit Überschüsse erzielt, auch wenn 977 (von 2.468) Kommunen noch Defizite aufwiesen; die Mittelzuweisung habe sich von rund 2 Mrd. € im Jahr 2013 auf fast 3,3 Mrd. € 2020 "äußerst positiv und stärker als die Landesausgaben insgesamt entwickelt". Angesichts dessen solle "ein Schwerpunkt der Neugestaltung auf der Verteilung zwischen den Kommunen liegen".[21]

Der Oberbürgermeister der klagenden Stadt Pirmasens, Markus Zwick, spricht im Interview mit der Zeitschrift OBM von einem "historischen Tag für die kommunale Familie in Rheinland-Pfalz und für die Stadt Pirmasens". Das Gericht habe auch einen Hinweis auf den "Blick zurück" gegeben und anerkannt, dass der fortgesetzt verfassungswidrige Finanzausgleich zu enormen Schuldenbergen geführt habe, an deren Beseitigung das Land mitwirken solle. Hinsichtlich möglicher Schadensersatzforderungen an das Land und bezüglich der Spielräume für freiwillige Leistungen äußert sich Zwick allerdings noch zurückhaltend; die Stadt will das Urteil erst sorgfältig prüfen.[22]

Erste Gespräche zwischen dem Land und den Spitzenverbänden wurden von den Teilnehmenden unterschiedlich bewertet. Die kommunalen Spitzenverbände kritisierten, es seien weder "eine Lösung für die mangelhafte Finanzausstattung als Ursache der hohen Verschuldung" noch ein Entschuldungsprogramm in Aussicht gestellt worden. Die Landesregierung sieht den vom Gericht vorgegebenen Zeitplan (Reform des KFA bis zum 1.1.2023) als ehrgeizig an und gab die Bildung einer Arbeitsgruppe im Innen- und Finanzministerium bekannt.[23]

Normenkontrolle gegen Weitergeltung unzulässig[Bearbeiten]

Gegen die Weitergeltung des bisherigen kommunalen Finanzausgleichs bis maximal 2022 klagten die beiden Kommunen Birkenfeld und Ellweiler vor dem Verwaltungsgericht (VG) Koblenz. Sie sahen sich dadurch benachteiligt, dass ihre Finanzausstattung auch für weitere Jahre nicht der Verfassung entspricht, und verlangten, die Weitergeltungsanordnung des VGH dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorzulegen. Das VG entschied am 08.11.2021, diese Klage abzuweisen.[24] Eine Normenkontrolle ist nur zu einem Gesetz, nicht zu einem Gerichtsurteil möglich, so das VG. Der VGH sei auch nicht durch seine frühere Rechtsprechung gebunden, so dass er die Weitergeltung der Regelungen zum Finanzausgleich bis zu einem Stichtag anordnen konnte. Gegen die VG-Entscheidung ist die Berufung möglich.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 16. Dezember 2020, Aktenzeichen VGH N 12/19, VGH N 13/19 und VGH N 14/19 (pdf-Format, 52 Seiten)
  2. Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz, Urteil vom 14. Februar 2012, Aktenzeichen VGH N 3/11 (pdf-Format, 34 Seiten)
  3. im Wortlaut: "Das Land hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden auch die zur Erfüllung ihrer eigenen und der übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel im Wege des Lasten- und Finanzausgleichs zu sichern. Es stellt ihnen für ihre freiwillige öffentliche Tätigkeit in eigener Verantwortung zu verwaltende Einnahmequellen zur Verfügung."
  4. Urteil vom 16.12.2020, Rz. 56 (S. 23)
  5. Ebenda, Rz. 58
  6. Ebenda, Rz. 59
  7. Ebenda, Rz. 60
  8. Ebenda, Rz. 63
  9. Ebenda, Rz. 66, 67
  10. Ebenda, Rz. 77, 78
  11. Ebenda, Rz. 81, 82
  12. Ebenda, Rz. 83
  13. Ebenda, Rz. 87, 88
  14. Ebenda, Rz. 97
  15. Ebenda, Rz. 121
  16. Ebenda, Rz. 73
  17. Siehe dazu die vielen Verweise im Urteil, Rz. 56, S. 23 f.
  18. Städtetag Rheinland-Pfalz: Kommunaler Finanzausgleich seit 2007 verfassungswidrig - Kommunen fordern höhere Finanzausstattung und Beseitigung der eingetretenen Folgen, Pressemitteilung vom 16.12.2020
  19. Gemeinde- und Städtebund Rheinland-Pfalz, VGH verordnet die Finanzausstattung der Kommunen zu verbessern!, 18.12.2020
  20. Süddeutsche Zeitung: CDU fordert Soforthilfe von 500 Millionen für die Kommunen, 17.12.2021; Die Rheinpfalz, CDU fordert Soforthilfe von 600 Millionen Euro für Kommunen, 19.02.2021
  21. Innenministerium Rheinland-Pfalz, Land wird kommunalen Finanzausgleich neu ausrichten, Pressemitteilung vom 16.12.2020
  22. OBM, Ein „neues Kapitel“ für die Kommunalfinanzen in Rheinland-Pfalz, Interview mit Oberbürgermeister Markus Zwick, 16.12.2020
  23. Zeit, Land spricht mit Kommunen über Urteil der Verfassungsrichter, 18.02.2021
  24. VG Koblenz, Entscheidung vom 08.11.2021, Aktenzeichen: 1 K 1033/19.KO, 1 K 1035/19.KO. Der Volltext liegt noch nicht vor, siehe jedoch die Pressemitteilung des Gerichts vom 23.11.2021; siehe auch: Süddeutsche Zeitung, Kommunen scheitern mit Klage: Anwendung des Finanzausgleichs, 23.11.2021

Weblinks[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]