Kommunale Internetportale dürfen nicht journalistisch aufgemacht sein
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Urteil vom Juli 2022 die Grenzen der Gestaltung kommunaler Internetportale bestimmt. Danach dürfen diese Internetauftritte zwar einzelne journalistische Beiträge enthalten, die nicht mit den Aufgaben der Gemeinde in Verbindung stehen. Doch dürfen solche Beiträge den Auftritt in seiner Gesamtheit nicht prägen. Um dies zu beurteilen, ist eine "wertende Gesamtbetrachtung" erforderlich.[1]
Hintergrund des Verfahrens[Bearbeiten]
Geklagt hatte ein Verlag, der Presseerzeugnisse und digitale Medien vertreibt. Aus seiner Sicht verstieß die Webseite dortmund.de gegen geltendes Recht, weil sie eine Reihe von Beiträgen enthielt, die nichts mit der Zuständigkeit der Gemeinde zu tun hatten. Beispielsweise berichtete dortmund.de regelmäßig über den Fußballverein Borussia Dortmund, Artikel beschäftigten sich mit Menschen aus der Stadt oder mit dem lokalen Dialekt. Der Verlag sah im Internetportal der Stadt Dortmund eine unzulässige Konkurrenz und stützte seine Klage auf § 3 und § 3a des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG). Vom Landgericht als erster Instanz erhielt der Verlag Recht, das Oberlandesgericht als Berufungsinstanz hob jedoch das Urteil, das der Stadt bestimmte Formen der Berichterstattung untersagte, wieder auf.[2] Mit der Revision vor dem BGH wollte der Verlag das Urteil der ersten Instanz wiederherstellen lassen.
Rechtliche Begründung[Bearbeiten]
Bei seiner Entscheidung hatte sich das OLG vor allem auf ein früheres BGH-Urteil aus dem Jahr 2018 gestützt. Dabei war es noch um ein nicht-digitales kommunales Organ gegangen, nämlich das Crailsheimer Stadtblatt. Hier hatte der BGH das Urteil der Vorinstanz, wonach dieses Stadtblatt ein unzulässiges journalistisches Angebot sei, bestätigt.[3]
Der BGH führte dazu aus, dass für die Beurteilung, ob ein kommunales Stadtblatt zulässig ist, zwei Rechtsgrundlagen wesentlich sind. Das ist zum einen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung nach Art. 28 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz. Diese umfasst auch die Befugnis zur Öffentlichkeitsarbeit. Staatliche Öffentlichkeitsarbeit sei "nicht nur zulässig, sondern notwendig, um den Grundkonsens im demokratischen Gemeinwesen lebendig zu erhalten". Sie ist aber nur zulässig "im Rahmen der ihnen (hier: den Gemeinden) zugewiesenen Aufgaben". Auf der anderen Seite gibt es das ebenfalls in der Verfassung verankerte Gebot der Freiheit der Presse (Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG). Ein wesentliches Element der Pressefreiheit ist die Staatsferne der Presse: "Eine freie, nicht von der öffentlichen Gewalt gelenkte, keiner Zensur unterworfene Presse ist ein Wesenselement des freiheitlichen Staates und für die Meinungsbildung in einer Demokratie unentbehrlich." Dies setzt der publizistischen Tätigkeit einer Gemeinde Grenzen.
Im neuen Verfahren und im Urteil von 2022 ging es nun um ein kommunale Internetportal. Dazu stellt der BGH fest, dass seine 2018 formulierten Aussagen hier grundsätzlich auch anzuwenden sind. Dabei sind die beiden Verfassungsnormen (kommunale Selbstverwaltungsgarantie und Freiheit der Presse) "zu einem sachgerechten Ausgleich zu bringen", wobei jedoch die Institutsgarantie der Pressefreiheit "größtmögliche Wirksamkeit erhalten" müsse, während die Gemeinde "lediglich in der Lage sein muss, ihre Aufgaben zu erfüllen". Auch bei einer "vermeintlich unzureichenden Versorgung mit Informationen über das örtliche Geschehen durch die private Presse" dürfe die Kommune diese Lücke nicht durch eigene Angebote schließen. Nur wenn es eine solche Fülle an vom Staat unabhängigen Zeitungen und Zeitschriften gibt, dass das staatliche Angebot dagegen nicht ins Gewicht fällt, sei dies anders zu bewerten.
Allerdings verletzen einzelne Berichte, die diese Grenzen überschreiten, noch nicht das Gebot der Staatsferne der Presse. Erst eine "wertende Betrachtung der Publikation insgesamt" könne zu einer Beurteilung führen. Das OLG - die Berufungsinstanz - hatte, für den BGH zu Recht, fast alle vom Verlag beanstandeten Beiträge für unzulässig gehalten. Die "wertende Gesamtbetrachtung" hatte aber ergeben, dass das kommunale Internetportal insgesamt die Pressefreiheit nicht gefährdet. Die beanstandeten Artikel machten nur einen kleinen Teil des Gesamtangebots aus. Bei der Beurteilung eines Online-Portals kommt es, so der BGH, jedoch nicht nur auf das quantitative Verhältnis zwischen zulässigen und unzulässigen Beiträgen an, sondern auch darauf, ob letztere "besonderes Gewicht haben und das Gesamtangebot prägen". Doch auch das ist hier, so der BGH, nicht der Fall. Schließlich stellt der BGH auch fest, dass eine Anzeigenschaltung "nicht generell unzulässig" sei, sondern "zulässige, fiskalisch motivierte Randnutzung sein" könne.
Nebenbei musste der BGH einige verfahrenstechnische Fragen erörtern, z.B. ob Belege, die auf einem USB-Stick eingereicht werden, als Grundlage für eine Bewertung eines Sachverhaltes vor Gericht tauglich sind und auch als Grundlage für ein Urteil, das ja immer "hinreichend bestimmt" sein muss. Diese Fragen hat der BGH im Ergebnis bejaht. Erschwerend kam hier hinzu, dass der Stick im Verlaufe des Verfahrens verlorengegangen war und der klagende Verlag einen neuen eingereicht hatte, bei dem erst einmal festgestellt werden musste, ob er die gleichen Daten enthielt wie der ursprüngliche.
Blaues Auge für Dortmund[Bearbeiten]
Im Ergebnis ist die Stadt Dortmund hier mit einem blauen Auge davongekommen. Zwar enthält ihr Internetportal einzelne unzulässige Artikel, die üblicherweise der freien, staatsfernen Presse vorbehalten sind, doch hat die Gerichtsbarkeit in letzter Instanz die Unterlassungsansprüche des Verlages verneint. Eine "wertende Gesamtbetrachtung" muss ergeben, ob das Portal insgesamt überwiegend eine Öffentlichkeitsarbeit der Kommune in Angelegenheiten bedeutet, für die sie zuständig ist, oder ob es der unabhängigen Presse Konkurrenz macht, d.h. so aufgemacht ist, dass es Menschen dazu bringen könnte, auf den Bezug einer Zeitung oder Zeitschrift zu verzichten. Diese Gesamtbetrachtung ist bei Internetportalen wie bei Printmedien vorzunehmen, mit leicht unterschiedlichen Bewertungsmaßstäben. Die Stadtportale müssen also darauf achten, die öffentlichen - kommunalen - Informationen und die Berichterstattung aus dem Stadtleben so auszubalancieren, dass das Portal insgesamt noch als Organ der kommunalen Öffentlichkeitsarbeit anzusehen ist.
München hat Grenzen überschritten[Bearbeiten]
In einem anderen Fall mit ähnlichem Streitgegenstand hat München vor dem Landgericht den Kürzeren gezogen. Der Auftritt muenchen.de "verstößt gegen das Gebot der Staatsferne der Presse", so das Landgericht in seinem Urteil vom November 2019.[4] Auch das LG München stützt sich dabei auf das Crailsheim-II-Urteil des BGH. Das OLG München als Berufungsinstanz hat dies Urteil ein knappes Jahr später bestätigt.[5] Das OLG hat die Revision zugelassen, die von der Stadt nach Presseberichten auch eingelegt wurde.[6] Da letztlich immer in Einzelfall beurteilt werden muss, ob ein kommunales Internetportal die zulässigen Grenzen einhält oder nicht, sind weitere Streitfälle und Gerichtserfahren zu erwarten.
Fußnoten[Bearbeiten]
- ↑ Bundesgerichtshof, Urteil vom 14.07.2022, Az. I ZR 97/21; siehe auch die Pressemitteilung Nr. 108/2022 des Gerichts vom 14.07.2022.
- ↑ Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 10.06.2021, Az. 4 U 1/20; siehe dazu auch KOMMUNAL: Amtsblatt und Internet-Auftritt: Erfolg für Kommunen, 21.06.2021
- ↑ Bundesgerichtshof, Urteil vom 19.12.2018, Az. I ZR 112/17; siehe dazu auch die Pressemitteilung Nr. 196/18 des BGH vom 20.12.2018: Zum Anspruch auf Unterlassung der kostenlosen Verteilung eines kommunalen "Stadtblatts"
- ↑ LG München I, Endurteil v. 17.11.2020 – 33 O 16274/19
- ↑ OLG München, Endurteil v. 30.09.2021 – 6 U 6754/20; siehe dazu auch domain recht, OLG München bestätigt Rechtswidrigkeit des muenchen.de-Portals, 13.10.2021
- ↑ Zeit, Streit um Münchner Stadtportal steuert auf den BGH zu, 29.07.2021
Siehe auch[Bearbeiten]
- Wilhelm Achelpöhler: Amtsblätter und kommunale Internetangebote: Ist das noch Öffentlichkeitsarbeit – oder muss das weg?, in: Alternative Kommunalpolitik 6/2022, S. 54