Mobilitätspolitik der Ampelregierung

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Nach Veröffentlichtung des Ampel-Koalitionsvertrages[1] zeigten sich beim Thema "Verkehrspolitik" viele enttäuscht. Nach einem Verkehrsminister Scheuer hatten viele auf eine Wende in der Verkehrspolitik gehofft, auch im Sinne des Klimaschutzes - der Verkehr ist für rund ein Fünftel der CO2-Emissionen verantwortlich und leistet bislang keinen echten Beitrag zum Erreichen der Klimaziele. Kurz vor der Wahl hatte die Agora Verkehrswende zusammengestellt, welche Maßnahmen für Verkehrswende in Richtung Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit angezeigt sind und in ein Regierungsprogramm gehören.[2] Der Deutsche Städtetag hatte die beschleunigte Entwicklung einer klimaverträglichen Mobilität und dabei insbesondere eine Stärkung des ÖPNV gefordert.[3] Und im Juli 2021 hatte eine Initiative von ursprünglich 7 Kommunen - mittlerweile auf über 350 angewachsen[4] - mehr Freiheit bei der Ausweisung von Tempo-30-Straßen eingefordert.[5]

Zwar ist der Abschnitt zur Mobilität im Koalitionsvertrag (ab Seite 48) ein Teil des Kapitels "Klimaschutz in einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft" und verspricht eine "nachhaltige, effiziente, barrierefreie, intelligente, innovative und für alle bezahlbare Mobilität". Der "Transformation der Automobilindustrie" ist ein eigener Abschnitt im Industriekapitel gewidmet (S. 27. ab Zeile 797), wonach Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität und zum Innovationsstandort für autonomes Fahren werden soll, auch der Ausbau der Ladesäuleninfrastruktur soll massiv beschleunigt werden. An der zu gründenden Strategieplattform „Transformation Automobilwirtschaft“ sollen neben Mobilitätswirtschaft, Umwelt- und Verkehrsverbänden, Sozialpartnern, Wissenschaft, Bundestag und Ländern auch die kommunalen Spitzenverbände beteiligt werden. Doch fehlen viele von Grünen zuvor geforderte Elemente, vor allem ein erkennbares Gesamtkonzept für eine Verkehrswende. Von mehr Tempo 30 in den Städten ist beispielsweise nirgends die Rede, und ein generelles Tempolimit auf Autobahnen wird gar ausdrücklich ausgeschlossen (Seite 52, Zeile 1695). Umweltschädliche Subventionen im Verkehrssektor werden nicht abgebaut, auch das steuerliche Dienstwagenprivileg soll nicht angetastet werden. Eine Kerosinsteuer soll es, wenn überhaupt, nur EU-weit geben. In der Berichterstattung entstand der Eindruck, dass Grüne und SPD die Verkehrspolitik weitgehend der FDP überlassen haben im Tausch gegen Zugeständnisse auf anderen Feldern. Dies wird dadurch unterstrichen, dass das Verkehrsministerium - für viele überraschend - an den FDP-Politiker Wissing ging.

Der präsentierte sich gleich nach Bekanntwerden der Personalie - so interpretierte es beispielsweise der Spiegel - als "Anwalt der Autofahrer". In einem Interview mit der Bild am Sonntag kündigte er an, höhere Energiesteuern durch niedrigere Kfz-Steuern ausgleichen zu wollen, und warnte vor zusätzlichen Belastungen für die Fahrer von Dieselfahrzeugen wie vor "überbordenden Belastungen" für Autofahrer generell.

Positiv ist zu vermerken, dass das Ende des Verbrennungsmotors (ausgenommen CO2-neutrale Fahrzeuge) zumindest vor 2035 in Aussicht gestellt wird und der Schienenverkehr gestärkt werden soll. Auch der Ausbau der Elektromobilität soll beschleunigt werden. Recht vage wird versprochen, die "Ziele des Klima- und Umweltschutzes, der Gesundheit und der städtebaulichen Entwicklung" im Verkehrsrecht stärker zu berücksichtigen, um "Ländern und Kommunen Entscheidungsspielräume zu eröffnen" (ab Zeile 1691). Neben einer "Stärkung des Radverkehrs" soll es auch eine Fußverkehrsstrategie geben (S. 53 ab Zeile 1707). Zur Stärkung des ÖPNV sollen die Regionalisierungsmittel ab 2022 erhöht werden, im Jahr 2022 wurden die pandemiebedingten Einnahmeausfälle des ÖPNV noch einmal ausgeglichen (S. 50 Zeilen 1613 / 1616).

Kommentare[Bearbeiten]

Prof. Ferdinand Dudenhöffer vom Center Automotive Research (CAR) der Uni Duisburg kritisierte die Ampel-Pläne vor allem als zu unbestimmt - weder bei der Finanzierung noch bei den Maßnahmen sei Konkretes zu finden.[6] Andere kommentierten noch kritischer: "Der Ampel ist die Verkehrswende egal", schrieb beispielsweise die Initiative Changing Cities.[7] In der Arbeitsgemeinschaft Mobilität der Grünen sprach sich gar eine Mehrheit für eine Ablehnung des Koalitionsvertrages aus. Auch ein guter Teil der Presse sparte nicht mit Kritik.[8] Und der scheidende Verkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) wurde mit den Worten zitiert: "Schön, dass die Ampel meine Arbeit der letzten Jahre fortsetzt."

Deutlich positiver kommentierte der DStGB die Aussagen zur Verkehrspolitik. Auf zentrale Forderungen, insbesondere der nach einer flächendeckenden Verfügbarkeit und Förderung nachhaltiger Verkehrsträger, sei eingegangen worden. Aussagen und Maßnahmen zur Stärkung der Bahn und dem Ausbau des ÖPNV seien vorhanden, auch die Aussagen zum Rad- und Fußverkehr wurden begrüßt. Weitere finanzielle Mittel seien jedoch für eine Stärkung der Nahmobilität und mehr Verkehrssicherheit erforderlich. Auch die Entscheidungsbefugnisse der Kommunen in StVG und StVO sollten erweitert werden, beispielsweise um die Anordnung von Tempo 30 innerorts zu erleichtern. Schließlich unterstützt der DStGB das Forcieren der Elektromobilität und den Ladeinfrastrukturausbau.[9] Der Deutsche Städtetag vermerkte positiv, dass die pandemiebedingten Einnahmeausfälle im öffentlichen Nahverkehr 2022 erneut ausgeglichen, Regionalisierungsmittel ab 2022 erhöht werden. Er mahnt jedoch auch mehr Handlungsspielräume für autonome verkehrspolitische Entscheidungen vor Ort, z. B. bei Tempo 30, an. Auch die Festlegungen zum Ausbau- und Modernisierungspakt für den ÖPNV zwischen Bund, Ländern und Kommunen waren ihm nicht konkret genug, da keine Beträge genannt werden. So sah der Städtetag "ein hohes Maß an Unsicherheit für die Zukunft der Verkehrswende durch den ÖPNV".[10] Auch Belit Onay, grüner Oberbürgermeister von Hannover und Mitglied der grünen Verhandlungsgruppe, forderte mehr rechtliche Möglichkeiten für die Kommunen, eigene Ziele gerade im Verkehrssektor umzusetzen, beispielsweise bei Anwohnerparken, Radwegen und Tempo 30.[11] Deutlich positiver kommentierte hingegen die SPD-Zeitschrift "Demo" den Abschnitt des Koalitionsvertrages zur Mobilität: Den "Aufbruch in der Mobilitätspolitik" habe die Ampel sich vorgenommen, eine Stärkung des ÖPNV, mehr Geld für die Schiene und eine bessere Ladesäuleninfrastruktur sei zu erwarten.[12]

In einem Schreiben an Verkehrsminister Volker Wissing benannte der Fürther Oberbürgermeister Thomas Jung einige zentrale verkehrspolitische Anliegen von Städten: Sie wünschen sich mehr Freiheit bei der Festsetzung von Geschwindigkeitsbegrenzungen, insbesondere von Tempo 30; weiterhin müssten sie mehr Möglichkeiten haben, gegen das Lkw-Parken in Wohngebieten vorzugehen und E-Scooter im öffentlichen Raum zu regulieren.[13] Auch der Präsident des Deutschen Städtetages Markus Lewe forderte in einem Fachbeitrag vom April 2022 mehr kommunale Entscheidungsspielräume hinsichtlich Geschwindigkeitsbegrenzungen, Parkraummanagement und zur Schaffung eines attraktiven, modernen und leistungsstarken öffentlichen Nahverkehrs. Der CO2-Ausstoß des gesamten Verkehrssystems müsse wirksam verringert, der Lieferverkehr effizient und klimafreundlich umgebaut werden. EU, Bund und Länder sowie die Kommunen müssten dafür an einem Strang ziehen.[14]

VCD-Bilanz nach einem Jahr[Bearbeiten]

Im Dezember 2022 legte der VCD eine erste Bilanz zur Verkehrspolitik der Ampel-Regierung vor.[15] Darin wird die Arbeit der neuen Regierung nach einem Jahr einer Bewertung unterzogen. Dabei werden folgende Aspekte betrachtet:

  • Klimaschutz: Hier fällt das Fazit "beschämend" aus. Nach dem Prüfbericht des Expertenrats für Klimafragen vom August 2022[16] ist das Sofortprogramm des Verkehrsministeriums „schon im Ansatz ohne hinreichenden Anspruch”; die dort vorgeschlagenen Maßnahmen sparen gerade einmal 5% dessen ein, um was die CO2-Emissionen des Verkehrs bis 2030 reduziert werden müssen.
  • Abbau klimaschädlicher Subventionen: Zwar wurde die Förderung beim Kauf von E-Hybriden eingestellt, doch das Dienstwagenprivileg im Steuerrecht wurde nicht angetastet. Die jährliche Erhöhung des CO2-Preises wurde für 2023 ausgesetzt und die Pendlerpauschale erhöht. Es geht also eher rückwärts.
  • Antriebswende: Beim Umstieg vom Verbrenner zum E-Antrieb fällt die Bilanz gemischt aus. Positiv ist der beschleunigte Ausbau der Ladeinfrastruktur zu sehen, ebenso wie die Reform des Maut-Systems. Doch behindert gleichzeitig die FDP mit ihrem Kampf für E-Fuels den Umstieg auf energieeffiziente Antriebsarten.
  • Stärkung des ÖPNV: Auch hier gibt es Licht und Schatten. Das "Deutschland-Ticket" ist ein guter Schritt, doch fehlen die Mittel für den gleichzeitig notwendigen Ausbau des Angebots. Der Weg zum barrierefreien ÖPNV wurde zwar angekündigt, doch nicht ernsthaft begonnen.
  • Ausbau der Bahn: Auch hier sieht der Verkehrsverband Licht und Schatten. Die Investitionen in die Schiene wurden bislang nicht erhöht und liegen unter denen in die Straße; die von der Bundesregierung genannten Ziele sind damit nicht erreichbar. Bei der Elektrifizierung von Bahnstrecken müsste das Tempo verdreifacht werden. Positiv schlagen die zusätzlichen Digitalisierungsmittel und die Absenkung der Trassenpreise zu Buche. Auch die Gründung von Beratungskommissionen, die Empfehlungen erarbeiten, hält der VCD für sinnvoll.
  • Reform des Straßenverkehrsrechts: Hier wollte die Ampel Klima- und Umweltziele verankern, Hindernisse für die Verkehrswende abbauen und die Spielräume für Kommunen z.B. für die Einführung von Tempo 30 erweitern; geschehen ist jedoch noch nichts.
  • Rad- und Fußverkehr: Die Investitionen in den Radverkehr sind gut halb so hoch wie nötig; beim Fußverkehr gibt es nur Modellprojekte, die angekündigte nationale Fußverkehrsstrategie lässt auch sich warten: "Luft nach oben" konstatiert der VCD.
  • Infrastruktur und Bundesverkehrswegeplan: Zwar wurde ein Dialogprozess mit Verbänden gestartet, doch scheint die Ampel am Ausbau der Bundesfernstraßen unverändert festzuhalten und schafft weiter Fakten. Es gibt weder einen Klimacheck noch ein - vom VCD gefordertes - Moratorium.

Fazit: Der angekündigte "Aufbruch in der Mobilitätspolitik" fand bisher nicht statt. Das Verkehrsministerium geht weder die Erreichung der Klimaziele noch den Abbau der Privilegien für den Autoverkehr an. Auch wenn das "Deutschlandticket" kommt und Kommissionen eingerichtet wurden, ist ein Umsteuern bisher nicht zu erkennen.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Der vollständige Vertrag: Mehr Fortschritt wagen. Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit, Koalitionsvertrag 2021 – 2025 zwischen der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN und den Freien Demokraten (FDP) (November 2021, pdf-Format, 178 Seiten; zur Mobilität siehe Seiten 48-54
  2. Agora Verkehrswende: Vier Jahre für die Fairkehrswende. Empfehlungen für eine Regierungs-Charta mit Kurs auf Klimaneutralität und soziale Gerechtigkeit im Verkehr in der 20. Legislaturperiode (2021–2025) (Sept. 2021, mit Link zum Download im pdf-Format, 48 Seiten)
  3. Deutscher Städtetag: Städte für Menschen. Erwartungen und Forderungen des Deutschen Städtetages an den neuen Bundestag und die neue Bundesregierung, 25.02.2021 (pdf-Format, 48 Seiten, ab S. 38)
  4. inSüdthüringen, 350 Städte und Gemeinden unterstützen Tempo-30-Initiative, 02.01.2023
  5. Tagesspiegel, Kommunen fordern mehr Entscheidungsmacht bei Tempo 30, 07.07.2021
  6. t-online, Dudenhöffer rechnet mit Ampel-Verkehrsplänen ab, 25.11.2021
  7. Changing Cities, Der Ampel ist die Verkehrswende egal, Pressemitteilung vom 25.11.2021
  8. Nur wenige Beispiele von vielen: Spiegel, Künftiger Verkehrsminister Wissing präsentiert sich als Anwalt der Autofahrer, 28.11.2021; Zeit, Die Grünen haben die Verkehrswende geopfert, 29.11.2021
  9. Siehe ausführlich DStGB: Koalitionsvertrag: DStGB-Analyse zur Verkehrspolitik
  10. Deutscher Städtetag, "Positive Impulse für zukunftsfähige Städte", 25.11.2021
  11. Tagesspiegel, Kommunen fordern von Ampel-Koalition mehr Handlungsspielraum, 26.11.2021
  12. Demo, Ampel-Koalition plant „Aufbruch in der Mobilitätspolitik“, 25.11.2021
  13. #stadtvonmorgen: Wo der Schuh drückt: Tempo 30, Lkw-Parken, E-Scooter, 20.01.2022
  14. Markus Lewe, Neue Wege wagen, in: stadt+werk, 04.04.2022
  15. VCD: Ein Jahr Ampel-Regierung: Eine verkehrspolitische Bilanz, 02.12.2022
  16. Expertenrat für Klimafragen: Prüfbericht zu den Sofortprogrammen 2022 für den Gebäude- und Verkehrssektor, 25.08.2022 (Download im pdf-Format, 105 Seiten)