Nasse Füße
Eine kleine Nachbetrachtung zum zweiten „Jahrhunderthochwasser 2013“[Bearbeiten]
Nasse Füße, vernichtete Existenzen und mehr[Bearbeiten]
von Dr. Gerald Munier
„Wir brauchen eine neue Hochwasserschutzpolitik,“ sagte Dietmar Weihrich, umweltpolitischer Sprecher der grünen Landtagsfraktion Sachsen-Anhalt, spontan, als er in einem ersten Statement zur Flutkatastrophe 2013 befragt wurde. Wohl wahr!
Gerade in Sachsen-Anhalt, wo bei Dessau die Mulde in die Elbe fließt, ist Hochwasser ja bereits eine jahrhundertealte Problematik. Ich erinnere mich noch gut, wie unser langjähriger ehrenamtlicher Redakteur Guido Fackiner und unsere jetzige grüne Bundesgeschäftsführerin Steffi Lemke die AKP-Redaktion 1990 mit dem Wörlitzer Gartenreich bekannt machten. Schon dessen Gründer, Fürst Vater Franz, musste mehrfach erleben, wie ihm Elbehochwasser die ganze Pracht wegrissen und Pflanzungen sowie Gartenarchitektur in den Fluten versanken.
Ältere LeserInnen erinnern sich vielleicht: Die AKP-Redaktion brachte damals, unmittelbar nach der Wende, den ersten Reiseführer über die Region Dessau-Bitterfeld-Wittenberg heraus. Darin hatten aufmerksame Umweltschützer bereits beklagt, dass entlang der großen Flüsse Elbe, Saale und Mulde immer weniger Überflutungsflächen bestünden – und vor den Folgen im Hochwasserfall gewarnt. Dass es nun im Zeichen des Klimawandels so dicke kommen würde, und binnen 11 Jahren gleich zwei „Jahrhunderthochwasser“ den betroffenen Menschen die Existenzfrage stellen, ist bitter und lässt die Warnungen von damals als beinahe hellseherisch erscheinen.
Inzwischen sagen Klimaforscher immer extremere Niederschlagsereignisse voraus, und es scheint fast so, als schlägt die kohlendioxid-geschädigte Natur zurück. Nachfolgend aus dem nicht enden wollenden Stapel von Emails und Nachrichten, die uns zur Flutkatastrophe in der Redaktion erreichen, die interessantesten Gedanken zur Nachreflexion.
Es gibt den Klimawandel[Bearbeiten]
In einer Regierungserklärung im niedersächsischen Landtag hat Anja Piel (Bündnis 90/Die Grünen) sehr plastisch die klimatischen Ursache der in immer kürzeren Abständen auftretenden Hochwasser auf den Punkt gebracht: „So eine Flut ist zunächst einmal nix „Politisches“. Aber nach dem Zittern und dem Anpacken kann jetzt das Nachdenken einsetzen. (…) Viel Zeiten haben wir damit verschwendet, uns politisch darüber zu streiten, ob die Klimaerwärmung wirklich von Menschen verursacht wird. Währenddessen haben Autos, Flugzeuge und Fabriken unablässig Kohlendioxid in die Atmosphäre geblasen und sie aufgeheizt. Unstrittig ist: Wo es wärmer ist, verdunstet mehr Wasser – und am Ende regnet es stärker und häufiger. All das subsummiert sich unter dem Begriff „Klimawandel“.“
Nachdem nun offenbar den Wissenschaftlern geglaubt wird, dass es einen durch den Treibhaus-Effekt ausgelösten Klimawandel gibt, wodurch künftig die Flüsse häufiger über ihre Ufer schwappen werden, ist die Politik in drei Bereichen gefragt. Erstens in Sachen Soforthilfe, zweitens in Hinblick auf zeitlich befristete Programme zur Verminderung von Treibhausgasen. Drittens aber muss mit Blick auf die Flüsse generell ein Umdenken stattfinden. Flüsse sind in erster Linie immer noch der Weg, den sich die Natur gebahnt hat, um Wassermassen von der Quelle zur Mündung zu transportieren. Erst in zweiter Linie dürfen wirtschaftliche Verwertungsgesichtspunkte wie der Ausbau der Binnenschifffahrt, Tourismus und neue Ansiedlungen eine Rolle spielen.
Rein technisch ist den steigenden Wasserständen auf Dauer nicht beizukommen. Nochmal Anja Piel, die dazu den Umwelt-Historiker David Blackbourn zitiert: „Man erhöhe die Fließgeschwindigkeit eines Flusses, zwinge diesen in eine schmale Rinne und fördere menschliche Ansiedlungen auf der ehemaligen Aue, und man hat regelmäßige, lokal begrenzte Überschwemmungen gegen wesentlich ausgedehntere – und mit größeren Schäden verbundene – Überschwemmungen eingetauscht.“
Begradigungen und Regulierungen, die den Flüssen keinen Raum mehr lassen, um sich im Hochwasserfall auf Polder und Überschwemmungsflächen zu ergießen, waren einer Politik entsprungen, die dem alten Muster der kommerziellen Verwertung oberste Priorität einräumte. Dieser Politik entsprachen technische Lösungen wie Flutschutzanlagen und Verstärkung der Deiche. Sie reichen offenbar nicht mehr aus.
In einer gemeinsamen Erklärung schreiben die Grünen aus den vom Hochwasser betroffenen Bundesländern: „Überflutungsgebiete an den Oberläufen der Flüsse sind besonders wichtig, um Städte flussabwärts zu schützen. Die Länder müssen gerade in diesen Bereichen endlich ihre Hausaufgaben machen. Flächen zu entsiegeln, den Flüssen Raum zu geben, Auen zu erhalten und Polderflächen einzurichten, dient dabei nicht nur dem Hochwasserschutz, sondern leistet auch einen Beitrag zur Biodiversität und zum nachhaltigen Tourismus als Wirtschaftsfaktor.“ So rum wird also ein Schuh draus. Dass es nicht zuletzt jetzt darauf ankommt, überhaupt mehr Geld in den Hochwasserschutz zu investieren, unterstreichen die Grünen in Baden-Württemberg, die die Mittel erst kürzlich von 25 auf 47 Mio. € aufgestockt haben. Umweltminister Franz Untersteller kritisiert in diesem Zusammenhang den Investitionsstau, den die CDU-Vorgängerregierung hinterlassen hat. Zwar sei sein Bundesland diesmal noch mit einem blauen Auge davongekommen, aber ein Drittel der Deiche seien sanierungsbedürftig. Deshalb arbeitet die grün-rote Landesregierung mit Hochdruck daran, die Finanzmittel für das „Integrierte Rheinprogramm“ zur Verfügung zu stellen und mehr natürliche Rückhalteräume zu schaffen.
Sachsen-Anhalt muss da offenbar seine Hausaufgaben erst noch machen. Die dortigen Grünen beklagen, dass nach 2002 von den 17 im Hochwasserschutzkonzept benannten Deichrückverlegungsprojekten nur ein einziges angegangen wurde. Für die anderen hätten noch nicht einmal die Planungen begonnen. Das deutet auf eine hartnäckige Betriebsblindheit hin. Ein funktionierendes kommunales Krisenmanagement muss weitsichtiger und vorausschauender agieren: Bloße Schadensregulierung ohne wirksame Reaktivierung von Auen ist auf Dauer zu wenig, um Elementarschäden vorzubeugen.
(erschienen in AKP 4/2013, S. 55/56)