Bündnis Städte Sicherer Häfen

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Am 12.06.2019 gründeten auf einem Kongress der Initiative "Seebrücke" 12 deutsche Städte das Bündnis Städte Sicherer Häfen. Gründungsmitglieder waren Berlin, Detmold, Freiburg, Flensburg, Greifswald, Hildesheim, Kiel, Krefeld, Marburg, Potsdam, Rostock und Rottenburg am Neckar. Die Initiative dazu kam von der Landeshauptstadt Potsdam, die einige Tage zuvor die Potsdamer Erklärung verabschiedet hatte; diese ist Arbeitsgrundlage des Städtebündnisses. Potsdam hat auch die Koordination des Bündnisses übernommen.[1] Bis Ende 2019 war das Bündnis auf 41 Kommunen angewachsen, bis Februar 2022 auf 117.

Logo des Städtebündnisses

Aufnahme geretteter Geflüchteter[Bearbeiten]

Die im Bündnis zusammengeschlossenen Städte erklären ihre Bereitschaft, aus Seenot gerettete Menschen zusätzlich zu den nach dem Königsteiner Schlüssel verteilten Geflüchteten aufzunehmen. Sie fordern die Bundesregierung auf, diese Aufnahme zu ermöglichen und allen aus Seenot geretteten Geflüchteten ein rechtsstaatliches Asylverfahren zu eröffnen. Zu den Kommunen, die sich zu "sicheren Häfen" erklärt haben, zählen die Landeshauptstädte Mainz, Wiesbaden, Hannover und Kiel, aber auch z.B. Mannheim[2] und einige kleinere Kommunen wie Brilon im Sauerland, Maintal (Main-Kinzig-Kreis), der Kreis Nordfriesland und die Insel Sylt.[3] In einem Arbeitstreffen des Bündisses am 01.10.2019 wurde ein Vier-Punkte-Papier erarbeitet, das die Forderungen des Bündnisses präzisiert.

Bereits im Sommer 2018 hatten die Städte Bonn, Düsseldorf und Köln in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel angeboten, „in Not geratene Geflüchtete“ aufzunehmen.[4] Allein in Niedersachsen sind 25 Kommunen hierzu bereit (Stand: Februar 2020), darunter die Landeshauptstadt Hannover.[5] Um Geflüchtete aus humanitären Gründen aufnehmen zu können, muss nach geltendem Recht (§ 23 (1) Aufenthaltsgesetz) der Bund zustimmen.[6] Damit Kommunen eigenständig über die humanitäre Aufnahme von Geflüchteten entscheiden können, müsste diese Norm geändert werden.[7]

Zusätzlich zu den Kommunen, die sich offiziell zu "Sicheren Häfen" erklärt haben, gibt es eine Vielzahl weiterer lokale Gruppen, die dies für ihre Kommune auch erreichen wollen. Bis Anfang 2020 haben sich bundesweit rund 120 Kommunen dem Aufruf angeschlossen.[8] Auch der Aufruf, zumindest unbegleitete Kinder aus den griechischen Flüchtlingslagern herauszuholen, wird von Kommunen aus dem Bündnis durch konkrete Zusagen unterstützt.[9]

Bundesregierung blockiert[Bearbeiten]

Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums begrüßte die Bereitschaft vieler Kommunen, Bootsflüchtlinge aufzunehmen, grundsätzlich. Grundvoraussetzung für die Einreise der Flüchtlinge in Deutschland müsse aber eine europäische Lösung sein. Dies erfordere, dass sich auch andere EU-Staaten zur Aufnahme bereit erklärten und dass die EU-Kommission diesen Prozess koordiniere.[10] Damit stellte er indirekt klar, dass eine Zustimmung der Bundesregierung zur Aufnahme ohne eine solche europäische Lösung oder eine Änderung des Aufenthaltsgesetzes offenbar nicht beabsichtigt ist. Der Vorsitzende der Linken, Bernd Riexinger, forderte daraufhin, Kommunen sollten das Recht bekommen, frei über die Aufnahme von im Mittelmeer geretteten Flüchtlingen zu entscheiden. "In Deutschland bieten sich 70 Kommunen an, gerettete Flüchtlinge aufzunehmen - aber sie dürfen das nicht. Das muss sich dringend ändern". Weiterhin sollten Kommunen, die geflüchtete aufnehmen, Zuschüsse von der Bundesregierung oder der Europäischen Union bekommen.[11] Gegenwind bekommt die Initiative auch aus den Unionsparteien. So forderte der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Thorsten Frei. im Januar 2020 die Kommunen auf, keine "Asylpolitik auf eigene Faust" zu machen. "Fragen der humanitären Aufnahme sind zwingend vom Bund zu entscheiden, weil sie natürlich Rückwirkungen auf ganz Deutschland haben und darüber hinaus auch Folgen für unsere europäischen Nachbarn zeitigen können." Ein Großteil der Geretteten sei nicht schutzbedürftig und habe keine Bleibeperspektive, weiterhin trage der Bund den Großteil der Migrationskosten. Auch könnten Aufgenommene nach einer Übergangszeit ihren Wohnort frei in Deutschland wählen.[12] Auch Monate später ist die Bundesregierung in dieser Frage gespalten. Während der zuständige Innenminister Seehofer weiterhin gegen ein Recht der Kommunen ist, selbst über die Aufnahme von Geflüchteten zu entscheiden, möchte Vizekanzler Scholz ihnen dies ermöglichen.[13]

Oktober 2020: 200 Kommunen wollen Geflüchtete aufnehmen[Bearbeiten]

Bis Oktober 2020 hatten 200 Kommunen in Deutschland ihre Bereitschaft erklärt, Geflüchtete aufzunehmen. Am 20.10.2020 traf Bundeskanzlerin Angela Merkel einige Vertreter*innen der Initiative zum Gespräch. Potsdams Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD), der das Städtebündnis koordiniert, sagte anschließend: "Ich denke, dass weitere Gespräche nötig sind und dass es nicht allein bei einem Meinungsaustausch bleiben sollte". Er sprach sich für eine Arbeitsgruppe von Bund, Ländern und kommunalen Spitzenverbänden aus, "um die starren Verteilungsschlüssel um eine freiwillige Komponente zu ergänzen". Düsseldorfs OB Thomas Geisel sah nach dem Treffen "eine gewisse Enttäuschung" unter einigen Kolleginnen und Kollegen, da offenbar momentan keine Bereitschaft erkennbar war, über die 1.500 Geflüchteten aus Moria hinaus weitere Menschen aufzunehmen. Dem Tagesspiegel sagte er: "Ich halte es gerade angesichts unserer Geschichte für geboten, auch so genannte Armuts-, Klima- oder Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen. Wir brauchen ein humanitäres Aufnahmerecht. Ist ein Islamist, der etwa in al-Sisis Ägypten verfolgt wird, also klassisch politisch, hilfsbedürftiger als jemand, der in seiner überfluteten Heimat nicht mehr bleiben kann?“ Auch die Kirchen und die SPD plädierten erneut für eine stärkere humanitäre Aufnahme Geflüchteter.[14]

November 2020: Anhörung im Bayerischen Landtag[Bearbeiten]

In einer Anhörung im Bayerischen Landtag am 11.11.2020 wurden die Gegensätze erneut deutlich. SPD und Grüne hatten die Anhörung zur Seenotrettung initiiert, während die CSU meinte, es handle sich dabei um ein bundes- und europapolitisches Thema. Dr. Klaus Ritgen vom Deutschen Landkreistag meinte zwar, wenn einzelne Kommunen Geflüchtete auch jenseits existierender Verteilungsschlüssel aufnehmen wollten, stehe dem im Grundsatz nichts entgegen. Doch Kommunen sollten nicht etwa bestimmte Flüchtlingsgruppen wie z.B. Familien oder bestimmte Nationalitäten bevorzugen, weil dies den Sinn von Verteilungsverfahren - die Herstellung von Belastungsgleichheit - gefährde. Die Bereitschaft, mehr Geflüchtete aufzunehmen, könne auch als "Pull-Faktor" wirken, statt Menschen davon abzuhalten, die gefährliche Flucht anzutreten. Andere Expert*innen wie Gorden Isler, Vorstand des Vereins Sea-Eye e.V., forderten direkte, auch finanzielle Unterstützung für die Seenotrettung auch durch Kommunen. Christian Springer, Vorstand des Vereins Orienthelfer e.V., betonte die Bedeutung der kommunalen Entwicklungszusammenarbeit, die oft weitaus mehr bewegen könne als zwischenstaatliche Abkommen.[15]

Juni 2021: Gründung der Internationalen Allianz Städte Sicherer Häfen[Bearbeiten]

Im Juni 2021 gründeten 33 Städte aus Europa, initiiert durch Potsdam und Palermo, die "Internationale Allianz Städte Sicherer Häfen". Siehe dazu den eigene Artikel Internationale Allianz Städte Sicherer Häfen.

Gesine Schwan und Malisa Zobel schlagen "Matching" für Geflüchtete vor[Bearbeiten]

Im August 2021 veröffentlichten Gesine Schwan und Malisa Zobel ihr Buch "Europa versagt. Eine menschliche Flüchtlingspolitik ist möglich", in dem sie erneut vorschlagen, den Kommunen eine Schlüsselrolle bei der Aufnahme von Geflüchteten zuzuweisen. Es könne eine Art Matching geben, bei dem aufnahmebereite Kommunen und Geflüchtete ihre Wünsche und Präferenzen angeben und so zueinanderfinden an Stelle der zufälligen Verteilung über Quoten. Für Geflüchtete, die kein Matching finden, müsse es allerdings dennoch einen weiteren Verteilmechanismus geben.

Logo des Projekts "Match'In"

Ein gemeinsames Forschungsprojekt von Wissenschaftler*innen der Universitäten Erlangen-Nürnberg und Hildesheim mit dem Titel „Match’In“ hat das Ziel, für ein solches Matching Kriterien und eine Software zu entwickeln. Das Projekt entsteht in Kooperation mit den Bundesländern Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz. Gefördert wird es von der Stiftung Mercator. Ab Mitte 2022 soll die Software in Pilotkommunen aus vier Bundesländern getestet werden.[16]

2022: Städtebündnis wächst und stellt sich neu auf[Bearbeiten]

Bis zum Februar 2022 wuchs das Städtebündnis Sicherer Häfen auf 117 Mitglieder an. Auf einem digitalen Arbeitstreffen am 18.02.2022 berieten die Städte Berlin und Flensburg mit den Länderkoordinator*innen aus neun weiteren Städten darüber, wie das Bündnis auf wachsende Anforderungen gut reagieren kann. Es soll politisch und organisatorisch neu aufgestellt werden.[17]

Fußnote[Bearbeiten]

  1. Süddeutsche Zeitung, Potsdam übernimmt Koordination der "Städte Sicherer Häfen", 07.10.2019
  2. Vgl. den Antrag der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen vom 18. März 2019
  3. Epoch Times, „Sichere Häfen. Leinen los“ – 60 Kommunen nehmen freiwillig noch mehr Migranten, 15.06.2018, mit einer Liste aller "Sicheren Häfen" zum damaligen Stand; Tagesspiegel, 60 Kommunen gründen neues Bündnis für Flüchtlinge, 14.06.2019; Merkur, „Sichere Häfen“: Diese Städte wollen mehr Flüchtlinge aufnehmen - und machen Druck auf Seehofer, zuletzt aktualisiert 19.08.2019
  4. Tagesspiegel, Bonn, Düsseldorf und Köln wollen gerettete Flüchtlinge aufnehmen, 27.07.2019
  5. Süddeutsche Zeitung, Hannover prüft Aufnahme von minderjährigen Flüchtlingen, 26.02.2020
  6. Vgl. § 23 (1) Aufenthaltsgesetz: "Die oberste Landesbehörde kann aus völkerrechtlichen oder humanitären Gründen oder zur Wahrung politischer Interessen der Bundesrepublik Deutschland anordnen, dass Ausländern ... eine Aufenthaltserlaubnis erteilt wird. ... Zur Wahrung der Bundeseinheitlichkeit bedarf die Anordnung des Einvernehmens mit dem Bundesministerium des Innern."
  7. Epoch Times, „Sichere Häfen. Leinen los“ – 60 Kommunen nehmen freiwillig noch mehr Migranten, 15.06.2018. Siehe auch das phoenix-Video von der Pressekonferenz "Sichere Häfen" zur Seenotrettung am 13.01.2020 (Details unter "Siehe auch")
  8. Redaktionsnetzwerk Deutschland: Kommunen wollen aus Mittelmeer gerettete Flüchtlinge aufnehmen sowie Die Koalition der Willigen – Kommunen wollen Flüchtlinge aufnehmen, 13.01.2020; vorwärts: Kommunen sind bereit: Wie Seenotrettung gelingen kann, 13.01.2020; Weser Kurier, Kommunen machen Druck, 13.01.2020; MIGAZIN, Kommunen erneuern Forderung nach eigener Aufnahme von Flüchtlingen, 14.01.2020
  9. FAZ: Kommunen wollen rund 250 Kinder aufnehmen, 31.01.2020; Oldenburger Onlinezeitung: Kommunen wollen bis zu 250 Kinder von griechischen Inseln holen, 31.01.2020
  10. Welt, Bundesregierung bremst Engagement der Kommunen zur Flüchtlingsaufnahme aus, 19.06.2019
  11. FinanzNachrichten, Riexinger will Kommunen für Aufnahme von Flüchtlingen belohnen, 28.07.2019
  12. greenpeace magazin: Unionsfraktionsvize Frei: Kommunen nicht für Asylpolitik zuständig, 22.01.2020
  13. evangelisch.de, Vizekanzler Scholz: Kommunen sollten Flüchtlinge aufnehmen dürfen, 05.09.2020
  14. Tagesspiegel: Jetzt schon 200 Kommunen, die Geflüchtete aufnehmen wollen, 20.10.2020; Hase Post, Migranten-Aufnahme: Esken nimmt Kommunen in die Pflicht, 20.10.2020; WDR: Darum dürfen Kommunen noch nicht weitere Flüchtlinge aufnehmen, 20.10.2020; vorwärts, Seebrücke: Über 200 Kommunen wollen helfen, aber dürfen nicht, 23.10.2020 (mit weiteren Links)
  15. Bayerischer Landtag, Europa-Ausschuss diskutiert Seenotrettung, 11.11.2020; Bayerische Gemeindezeitung, Kommunen lehnen mehrheitlich eigenständige Aufnahmepolitik ab, 18.11.2020
  16. Teilnehmende Kommunen sind: aus Hessen die Landkreise Main-Taunus, Groß-Gerau, Hochtaunus und Hersfeld-Rotenburg sowie die Stadt Darmstadt; aus Niedersachsen die Landkreise Aurich, Helmstedt, Göttingen, mehrere Kommunen der Region Hannover und die Hansestadt Lüneburg vertreten; aus Nordrhein-Westfalen die Städte Essen, Hamm, Herford, Krefeld, Preußen-Oldendorf, Troisdorf und Wuppertal; aus Rheinland-Pfalz die Städte Kaiserslautern, Pirmasens und Koblenz, die Landkreise Donnersberg und Mainz-Bingen sowie eine mögliche weitere Kommune.
  17. #stadtvonmorgen: Städtebündnis will seine Arbeitsstrukturen anpassen, 18.02.2022

Weblinks[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]