Wohnungslosenberichterstattung

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Bis 2019 gab es keine offizielle bundesweite Erhebung zur Wohnungslosigkeit, obwohl diese von der Fachwelt immer wieder gefordert worden war. Die von der BAG Wohnungslosenhilfe regelmäßig veröffentlichten Zahlen beruhen auf Schätzungen. Mit dem im Jahr 2020 in Kraft getretenen Wohnungslosenberichterstattungsgesetz (WoBerichtsG) hat sich das geändert. Das Gesetz verpflichtet zum einen das Statistische Bundesamt (Destatis), ab 2022 jährlich jeweils zum Stichtag 31.01. die Zahl der Wohnungslosen in Deutschland zu ermitteln. Dieser Auftrag bezieht sich jedoch nur auf die von Kommunen in Wohnungen oder Übernachtungsmöglichkeiten untergebrachten Personen (§ 3 (2)). Daher ist in § 8 des Gesetzes geregelt, dass die Bundesregierung über diese Statistik hinaus alle zwei Jahre einen Bericht zu "Informationen und Analysen über Umfang und Struktur der Formen von Wohnungslosigkeit" veröffentlicht, der auch Angaben zu wohnungslosen Personen enthält, die "temporär in regulärem Wohnraum wohnen, ohne damit einen Hauptwohnsitz zu begründen, oder ohne jede Unterkunft obdachlos sind". Soweit vertretbar, soll diese Berichterstattung auf möglichst viele Formen der Wohnungslosigkeit ausgeweitet werden; dazu soll der erst Bericht eine Machbarkeitsstudie enthalten. Der erste Wohnungslosenbericht wurde von der Bundesregierung im Dezember 2022 vorgelegt.

Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen[Bearbeiten]

Die erste Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen zum Stichtag 31.01.2022 wurde vom Statistischen Bundesamt im Juli 2022 veröffentlicht.[1] Danach waren zum Stichtag rund 178.000 Menschen in Unterkünften oder Übernachtungsmöglichkeiten untergebracht. Die größte Gruppe (ca. 74.000 Personen, 41%) waren alleinstehende Menschen, gefolgt von Familien bzw. Paaren mit Kindern (ca. 59.000 Personen, 33%). Alleinerziehende machten 13% der Personen (23.000 Menschen) aus. 62% der untergebrachten Personen waren männlich, 64% hatten nicht die deutsche Staatsangehörigkeit. In Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen waren mit je 36.000 Personen die meisten Menschen kommunal untergebracht, gefolgt von Berlin mit 26.000. Das Statistische Bundesamt weist in seiner Pressemitteilung darauf hin, dass Personen, die bei Freunden, Familien oder Bekannten unterkommen, und Obdachlose, die ohne jede Unterkunft auf der Straße leben, nicht in der Erhebung enthalten sind; auch Personen in Einrichtungen, die nicht zur Abwendung von Wohnungs- oder Obdachlosigkeit dort leben (z.B. Bewohner*innen von Pflegeeinrichtungen, von Heimen für Menschen mit Behinderung, von Frauenhäusern, von Suchtkliniken oder von betreuten Wohnungen der Jugendhilfe) sind hierbei nicht einbezogen, ebensowenig Personen, die von Wohnungslosigkeit bedroht sind.

Cover des 1. Wohnungslosenberichts

Wohnungslosenbericht der Bundesregierung[Bearbeiten]

Um dem Auftrag des Gesetzes zu entsprechen, hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) im Dezember 2022 erstmals einen Wohnungslosenbericht veröffentlicht.[2][3] Grundlage des Berichts ist ein vom BMAS beauftragtes gemeinsames Forschungsprojekt der Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung e.V. (GISS, Bremen) und Kantar Public (Kantar, München).

In diesem Bericht werden drei Gruppen wohnungsloser Personen erfasst. Zu den vom Statistischen Bundesamt festgestellten 178.000 untergebrachten Menschen kommen die verdeckt wohnungslosen Personen und die wohnungslosen Menschen ohne Unterkunft hinzu. "Verdeckt wohnungslose Personen" sind solche, die vorübergehend bei Verwandten oder Freund*innen untergekommen sind, ihre Zahl wurde auf gut 49.000 geschätzt. Für wohnungslose Menschen ohne Unterkunft, die auf der Straße oder in Behelfsunterkünften (ohne amtliche Unterbringung) wohnen, wurde eine Zahl von gut 37.000 ermittelt. In der Summe ergibt sch aus dem Bericht eine Zahl von ca. 263.000 wohnungslosen Menschen. Es gibt weitere Gruppen, die jedoch im ersten Bericht nicht erfasst wurden. Auch wenn diese Zahlen zu einem bestimmten Stichtag gut gegeneinander abgegrenzt werden können, gibt es doch viel Fluktuation zwischen diesen Formen der Wohnungslosigkeit.

Dem Bericht nach sind 63% der erfassten wohnungslosen Menschen männlich. Betroffene Frauen kommen deutlich häufiger bei Verwandten oder Freund*innen unter als Männer. Unter den untergebrachten wohnungslosen Menschen sind deutlich mehr Kinder (26%) als unter den verdeckt wohnungslosen (10%) oder denen ohne Unterkunft (3%). Dementsprechend handelt es sich bei fast der Hälfte der untergebrachten wohnungslosen Menschen (64%) um Haushalte mit Kindern (Paare mit Kindern oder Alleinerziehende). Anders als bei den untergebrachten Personen (s.o.) hat bei den verdeckt wohnungslosen und denen ohne Unterkunft die Mehrzahl (zwei Drittel) die deutsche Staatsbürgerschaft.

Bei Wohnungslosigkeit handelt es sich in der großen Mehrzahl um ein langfristiges Problem. Die untergebrachten Personen leben zum Zeitpunkt der Erhebung im Schnitt 2 Jahre und 8 Monate in der zugewiesenen Unterkunft. Auch bei den anderen beiden Gruppen besteht die Wohnungslosigkeit bei rund der Hälfte ein Jahr oder länger. Weitere 23% hatten noch nie eine Wohnung in Deutschland.

Dem Bericht bezeichnen fast ein Drittel der verdeckt Wohnungslosen ihren Gesundheitszustand als weniger gut oder schlecht, bei den wohnungslosen Menschen ohne Unterkunft traf dies auf 40% zu. Über die Hälfte der Befragten leiden unter einer langfristigen Erkrankung oder Behinderung. Besonders häufig sind Suchterkrankungen, bei den Betroffenen ohne Unterkunft gilt dirs für mehr als ein Drittel. Von dieser Gruppe hat zudem zwei Drittel keinen Zugang zu Leitungswasser.Die Mehrzahl hat Gewalt erfahren, die am stärksten betroffene Gruppe sind hier die Frauen ohne Unterkunft, von denen 79% über Gewalterfahrungen berichten.

Generell ist der Anteil Wohnungsloser an der Bevölkerung in Großstädten höher als in kleineren Gemeinden. In letzteren dominiert dabei die verdeckte Wohnungslosigkeit, während in größeren Städten die Wohnungslosigkeit ohne Unterkunft häufiger vorkommt.

Machbarkeitsstudie[Bearbeiten]

Wie erwähnt sollte im Bericht auch untersucht werden, ob weitere Gruppen in zukünftige Untersuchungen einbezogen werden können. Die europäische Typologie zur Wohnungslosigkeit ETHOS Light (European Typology of Homelessness Light)[4] nennt u.a. Personen, die mangels eigenen Wohnraums in Unterkünften leben oder länger als notwendig verbleiben, die primär für andere spezifische Zwecke gedacht sind, wie z.B. Gewaltschutzeinrichtungen bzw. Frauenhäuser, Haftanstalten und stationäre Gesundheitseinrichtungen. Eine weitere relevante Gruppe sind geflüchteten Menschen mit anerkanntem Bleiberecht, die in Asylbewerberunterkünften wohnen bleiben, weil sie keine eigene Wohnung finden (sogenannte „Fehlbeleger*innen“). Hier empfiehlt der Bericht u.a., das Entlassungsmanagement von Gesundheitseinrichtungen, die Wohnsituation der Betroffenen nach Entlassung, niedrigschwellige Angebote der Gesundheitsfürsorge in der Wohnungslosenhilfe sowie eventuelle Drehtüreffekte in Zukunft näher zu untersuchen. In die Berichterstattung des Statistischen Bundesamtes sollten zudem alle Einrichtungen zur Unterbringung Geflüchteter einbezogen werden und die Zahl der "Fehlbeleger*innen" melden. Ergänzend könnten Veränderungen im Meldewesen und beim Zensus die Datengrundlage verbessern.

Reaktionen[Bearbeiten]

Die in Zukunft allein zuständige Wohnungsbauministerin Geywitz kündigte an, die Bundesregierung werde 2023 den - schon im Koalitionsvertrag vereinbarten - "Nationalen Aktionsplan Wohnungslosigkeit" verabschieden. Der nächste Wohnungslosenbericht der Bundesregierung soll 2024 folgen.

Der Deutsche Städtetag nannte die erste Wohnungslosenstatistik ein Bild mit Lücken. "Die jetzt veröffentlichten Zahlen sind ein wichtiger Schritt und besser als bisherige Schätzungen. Wichtig ist nun, die Lücken in der Statistik durch geeignete Verfahren auszufüllen."'[5] Die Diakonie Deutschland erinnerte die Bundesregierung an ihr Ziel, Wohnungslosigkeit zu bekämpfen und bis 2030 zu beseitigen. Wenn sie nicht schnell handele, werde sie an ihren eigenen Ansprüchen scheitern. Es fehlten vor allem kleine, günstige Wohnungen und bezahlbare Wohnungen für Familien. Sie wies auch darauf hin, dass anerkannte Geflüchtete, die in Gemeinschaftsunterkünften bleiben müssen, weil sie keine Wohnung finden, im Bericht nicht mitgezählt worden seien. Der Grünen-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Strengmann-Kuhn wies auf die Obdachlosigkeit von Wanderarbeitern aus osteuropäischen Ländern hin.[6]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Siehe Destatis: Statistik untergebrachter wohnungsloser Personen sowie die Pressemitteilung Nr. 299 vom 14. Juli 2022 mit weiteren Daten.
  2. Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS): Ausmaß und Struktur von Wohnungslosigkeit: Der Wohnungslosenbericht 2022 des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales, 08.12.2022 (mit Link zum Download im pdf-Format, ca. 1 MB, 80 Seiten); siehe dazu auch die Pressemitteilung des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB): Bundesregierung legt ersten Wohnungslosenbericht vor, 08.12.2022
  3. Die Verantwortung für das Themenfeld "Wohnungslosigkeit" wurde bislang zwischen beiden Ministerien geteilt, seit Anfang 2023 liegt sie allein beim BMWSB
  4. Siehe dazu FEANTSA (European Federation of National Organisations Working with the Homeless), ETHOS Typology on Homelessness and Housing Exclusion (englisch)
  5. Deutscher Städtetag, "Wohnen ist ein Grundbedürfnis aller Menschen", 14.07.2023
  6. tagesschau, 263.000 Menschen ohne festen Wohnsitz, 09.12.2022

Siehe auch[Bearbeiten]