Strombilanzkreismodell
Wer selbst erzeugten Strom aus regenerativen Quellen in das allgemeine Versorgungsnetz einspeist, erhält dafür eine relativ geringe, zudem je nach Marktlage schwankende Einspeisevergütung meist zwischen 5 und 9 ct/kWh. Der Verbrauch von Strom aus dem überregionalen Netz ist dagegen vergleichsweise teuer (im Jahr 2020 ca. 23 ct/kWh, heute über 30 ct/kWh). Aus Sicht einer Gebietskörperschaft, die in beachtlichen Mengen selbst Strom produziert - beispielsweise aus Solar- oder Windkraft - ist das unbefriedigend, wenn sie den selbst erzeugten Strom einspeist und zugleich an anderer Stelle Strom für einen wesentlich höheren Preis verbraucht. Dies ist der Ausgangspunkt für die Idee des Strombilanzkreismodells. Dabei wird der vor Ort erzeugte Strom mit dem lokalen Verbrauch verrechnet, so dass nur echte Überschüsse als eingespeist gelten - zugleich sinken die Entgelte für zugekauften Strom. Auf diese Weise wird bares Geld gespart und der Anreiz für den Ausbau erneuerbarer Energieerzeugung wird erhöht.
Der „Main-Taunus-Strom-Kreis“[Bearbeiten]
"Erfunden" hat dieses Modell der Main-Taunus-Kreis (Hessen) zusammen mit dem regionalen Energieversorger Süwag AG; im Kreis selbst waren das Klimaschutzmanagement und das Energiemanagement im Hochbau- und Liegenschaftsamt federführend. Der Kreis als Schulträger betreibt in seinen Schulgebäuden insgesamt 28 Photovoltaik-Anlagen und 10 Blockheizkraftwerke, deren Strom in den Gebäuden selbst genutzt wird; Überschüsse wurden gegen Einspeisevergütung in das öffentliche Netz eingespeist. Wegen der niedrigen Einspeisevergütung war der Zubau neuer PV-Anlagen im Jahr 2017 fast zum Erliegen gekommen. Die Süwag-AG entwickelte ein Verrechnungsmodell, bei dem der Überschussstrom dieser Anlagen gegen den Verbrauch in anderen kreiseigenen Liegenschaften aufgerechnet wird. Es handelt sich dabei im Kern um eine "Abrechnungsdienstleistung", technische Änderungen waren kaum erforderlich.[1] Dementsprechend sinkt rechnerisch die Menge des aus dem öffentlichen Netz bezogenen Stroms des Kreises. Erstmalig wurde dies Abrechnungsmodell im Jahr 2018 angewendet.
Zwar fallen auch bei dieser Verrechnung für den im Kreis verbrauchten, selbst erzeugten Strom Abgaben, Umlagen und Steuern an, dennoch spart der Kreis im Ergebnis Energiekosten - in den ersten beiden Jahren nach Angaben des Kreises "in mindestens fünfstelliger Höhe". Die eingesparten Gelder werden direkt wieder für die Errichtung neuer regenerativer Energieanlagen verwendet. So konnten in den Jahren 2019 und 2020 insgesamt fünf Photovoltaik-Anlagen und drei Blockheizkraftwerke neu errichtet werden, so dass 2020 mit einer Einsparung von ca. 100.000 € gerechnet wurde; in diesem Jahr war der Bau von sechs weiteren Anlagen geplant.[2] 2022 betrug die Gutschrift schon 260.000 €.
Übertragung auf andere Kommunen[Bearbeiten]
Das Modell ist auf andere Kommunen mit Stromerzeugung in eigenen Liegenschaften übertragbar und trägt auch zur Akzeptanz vor Ort für die Ausweitung regenerativer Energieerzeugung bei. Im Jahr 2019 gewann der Main-Taunus-Kreis mit seinem Projekt den hessischen Klimaschutz-Wettbewerb, im Jahr 2020 den Bundeswettbewerb "Klimaaktive Kommune".[3] Der Kreis gibt seine Erfahrungen an andere Kreise weiter, die solch ein Modell ebenfalls einführen wollen.
Eine der ersten Kommunen, die an der Nutzung dieses Modells interessiert sind, ist der Landkreis Rostock (Mecklenburg-Vorpommern). Nachdem die Landesenergie- und Klimaschutzagentur Mecklenburg-Vorpommern (LEKA MV) die Kreise in ihrem Bundesland auf die Erfahrungen in Hessen aufmerksam gemacht hatte, holte der Kreis entsprechende Informationen ein; seit dem Sommer 2023 ist die Einführung des Modells im LK Rostock beschlossene Sache.
Fußnoten[Bearbeiten]
- ↑ In den beteiligten Liegenschaften werden für die Messung von Erzeugung und Verbrauch sog. 4Q-Zähler benötigt, die entsprechende Messwerte im Viertelstundentakt übermitteln; diese müssen nachgerüstet werden.
- ↑ Regionalverband FrankurtRheinMain - Klima-Energie-Portal: Strombilanzkreismodell des Main-Taunus-Kreises
- ↑ Siehe dazu Süwag, Selbst ist der Kreis, mit Video (4 min.)
Quellen und Weblinks:[Bearbeiten]
- Deutscher Städte- und Gemeindebund: Der „Main-Taunus-Strom-Kreis“
- Carla Fee Weisse (Kommunikationsmanagerin und Kommunalberaterin bei der LEKA MV): Wie ein Landkreis sich selbst mit Strom versorgt, in: Der Neue Kämmerer, 10.07.2023
- Andreas Witt: Photovoltaik als Strompreisbremse für Kommunen, in: Energiekommune, 30.1.2023
- Die Landesenergie- und Klimaschutzagentur Mecklenburg-Vorpommern (LEKA MV) führte am 08.12.2022 eine Online-Infoveranstaltung zum Strombilanzkreismodell durch, die in der Mediathek der LEKA MV abrufbar ist (Video, 2¼ Stunden). Dort können auch Präsentationen zum Thema heruntergeladen werden.
- Ansprechpartner für Anfragen: Klimaschutzmanagement im Main-Taunus-Kreis
- Die Grünen, Ortsverband Stadt Kitzingen, haben ihren Antrag vom 19.06.2023 veröffentlicht: Stromkreisbilanzmodell