Verpackungssteuer

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Eine kommunale Verpackungssteuer ist eine lokale Steuer auf den Verkauf von Einwegverpackungen für Essen und Getränke, die zum sofortigen Verzehr bestimmt sind. Diese Art von Verpackungen tragen erheblich zum Gesamtaufkommen von Abfällen bei, belasten die Kommunen auch finanziell und werden nicht selten auch im öffentlichen Raum wild entsorgt. Die Steuer soll vor allem dazu dienen, die Zahl verkaufter Einwegverpackungen zugunsten von Mehrweglösungen zu reduzieren (Lenkungswirkung), es geht dabei weniger um zusätzliche Einnahmen der Kommunen. Bisher haben zwei Städte eine solche Steuer eingeführt: In den 90er Jahren scheiterte Kassel mit seinem Vorhaben vor dem Bundesverfassungsgericht, jetzt steht Tübingen - bei geänderter Gesetzeslage - ebenfalls ein Verfahren vor diesem Gericht bevor. Andere Kommunen scheinen dies Verfahren vor einer eigenen Entscheidung noch abzuwarten; wünschenswert wäre eine durchgreifende bundesweite Lösung.

1998: Kassel scheitert vor BVerfG[Bearbeiten]

Im Jahr 1991 hatte bereits die Stadt Kassel (Hessen) eine Verpackungssteuer eingeführt, die nach mehreren Instanzen 1998 vor dem Bundesverfassungsgericht scheiterte. Die Kasseler Steuer wurde auf Einwegverpackungen erhoben; pro Dose wurden 40 Pfennig, pro Geschirr 50 Pfennig und pro Besteckteil 10 Pfennig fällig. Gegen diese Steuer klagte die Firma McDonald's, die davon erheblich betroffen war. Das Bundesverwaltungsgericht erklärte sie 1994 für zulässig; der Hessische Verwaltungsgerichtshof, der beim BVerwG die Stellungnahme angefordert hatte, genehmigte sie daraufhin im Jahr 1995.[1]

Drei Jahre später hob das Bundesverfassungsgericht dieses Urteil auf.[2] In seiner Begründung bezog es sich hauptsächlich darauf, dass der Bund eine umfassende Kompetenz im Bereich des Abfallrechts hat. Eine kommunale Steuer, die vor allem auf eine Lenkungswirkung abzielt, darf nicht im Widerspruch zu den vom Bund in seinen Gesetzen verfolgten Zielen stehen. Das damals geltende Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz setze zur Erreichung seiner Ziele auf eine zielgebundene Kooperation. Diese formuliere für alle Beteiligten verbindliche Ziele, verzichte jedoch auf Sanktionen bei Nichterreichen dieser Ziele. Eine Steuer mit Lenkungswirkung führe hingegen Sanktionen ein, überlasse aber den Steuerpflichtigen die Wahl, ob sie sich für das umweltpolitisch gewollte Verhalten entscheiden oder die Zahlung der Steuer in Kauf nehmen.[3] Zwar sei die Kasseler Verpackungssteuer eine örtliche Verbrauchsteuer und zudem anderen Steuern nicht gleichartig, deshalb steuerrechtlich zulässig.[4] Doch widerspreche sie der abfallwirtschaftsrechtlichen Konzeption des Bundesgesetzgebers.[5] Damit sei die Kasseler Satzung verfassungswidrig und somit nichtig.[6] Im Ergebnis musste Kassel Einnahmen in Höhe von rund 50.000 DM zurückzahlen.

Neuer Anlauf in Tübingen[Bearbeiten]

Im Jahr 2022 unternahm die Stadt Tübingen (Baden-Württemberg) unter dem damals noch grünen OB Boris Palmer nach einem Grundsatzbeschluss des Gemeinderats und einem vierjährigen Vorlauf einen neuen Versuch. Zur Begründung führte die Stadt an, dass sie die Beseitigung von Einwegverpackungen jährlich rund 700.000 € koste. „Die Wegwerfkultur in den Städten lebt davon, dass die Städte mit Millionenaufwand den Müll beseitigen“, so Boris Palmer. Während die Landesregierung und der Gemeindetag sowie der BUND das Vorhaben begrüßten, widersprach der Einzelhandelsverband, die IHK Reutlingen warnte vor zusätzlicher Bürokratie.[7]

Ausgestaltung der Steuer[Bearbeiten]

Die Tübinger Satzung trat am 01.01.2022 in Kraft.[8] Für Einweggetränkebehälter, Geschirr und Speiseverpackungen wurden je 50 Cent, für jedes Einwegbesteckset 20 Cent, jedoch pro Einzelmahlzeit maximal 1,50 € fällig. Sie galt für die Verpackung warmer Speisen (mit der Folge, dass die Papiertasche für ein warmes Brötchen unter die Steuer fällt, die für ein kaltes Brötchen jedoch nicht) sowie u.a. Speiseeis und Salat, jedoch nur für solche, die zum sofortigen Verzehr bestimmt sind, also z.B. nicht für Obst, Gemüse, Käse, Wurst, Tiefkühlkost. Flankiert wurde die Verpackungssteuer durch ein städtisches Förderprogramm zur Einführung von Mehrwegsystemen. Lokale Unternehmen konnten sich die Hälfte der Kosten für die Umstellung ihres Betriebs auf Mehrweglösungen bis max. 500 € erstatten lassen, für die Anschaffung gewerblicher Spülmaschinen betrug der Zuschuss bis zu 1.000 €. Die Verwaltungskosten der Steuer setzte die Stadt bei zwei Stellen, d.h. etwas mehr als 100.000 € an, deutlich weniger als die erwartete Einsparung bei der Abfallbeseitigung.[9]

Zwischenfazit: Weniger Müll[Bearbeiten]

In einer "ersten Zwischenbilanz" einen Monat nach Inkrafttreten der Steuersatzung bewertete die Stadt sie als Erfolg. Im Januar 2022 seien 30,74 Tonnen Abfall entsorgt worden; in Vergleichsmonaten früherer Jahre (jeweils Januar) lag die Abfallmenge zwischen 32,28 und 36,24 Tonnen - abgesehen von 2021, dem Jahr des Corona-Lockdowns. Insbesondere in der Innenstadt, so Boris Palmer, seien manche Mülleimer "sichtbar leerer als früher".[10]

McDonald's klagt[Bearbeiten]

Gegen die neue Steuer klagte noch vor ihrem Inkrafttreten die Betreiberin von drei McDonald's-Filialen mit Unterstützung des Konzerns vor dem Verwaltungsgerichtshof in Mannheim. Die Deutsche Umwelthilfe kritisierte diese Klage und präsentierte Mehrwegverpackungen, die McDonald's in Großbritannien und Frankreich bereits erfolgreich einsetzt. Die Klägerin erklärte hingegen, es brauche einen bundesweit einheitlichen Rahmen, um ein Mehrwegsystem zu etablieren. Sie werde jedoch angesichts der Steuer in Tübingen auf eine Mehrweglösung umsteigen.[11]

Steuer scheitert zunächst vor VGH[Bearbeiten]

Der VGH erklärte im März 2022, u.a. mit Verweis auf das Bundesverfassungsgerichtsurteil von 1998, die Tübinger Satzung für unwirksam. Kreislaufwirtschaftsgesetz und Verpackungsgesetz ließen keinen Raum für derartige kommunale Zusatzregelungen. Es handle sich auch nicht um eine örtliche Verbrauchsteuer. Der Deutsche Städtetag bedauerte dies Urteil: „Wir müssen die Wegwerfkultur stoppen. Die Tübinger Verpackungssteuer auf Einwegverpackungen hat geholfen, Müll und Littering zu vermeiden und die Stadt sauberer zu machen.“, so Hauptgeschäftsführer Helmut Dedy.[12]

BVerwG erklärt Steuer für verfassungsgemäß[Bearbeiten]

Die Revision der Stadt gegen dieses Urteil war erfolgreich: Im Mai 2023 gab das Bundesverwaltungsgericht der Stadt Tübingen weitgehend Recht und kassierte nur zwei Bestimmungen der Satzung.[13] Bei der Tübinger Verpackungssteuer handle es sich um eine örtliche Verbrauchsteuer, für die die Kommune die Kompetenz besitze - der VGH hatte sie als Aufwandsteuer mit nicht ausreichendem örtlichen Bezug klassifiziert.[14] Sie stehe auch - "zumindest beim gegenwärtigen Stand des Abfallrechts" - nicht im Widerspruch zum Bundesrecht.[15] Hier war entscheidend, dass das Kreislaufwirtschaftsgesetz gegenüber dem Stand von 1998 erheblich geändert worden war. So räumt das heute geltende Kreislaufwirtschaftsgesetz in § 6 ("Abfallhierarchie") der Abfallvermeidung den höchsten Rang ein; dies gilt ähnlich für das Verpackungsgesetz. Genau dieses Ziel verfolge die kommunale Verpackungssteuer.

Eine Bestimmungen der Tübinger Satzung wurden vom BVerwG jedoch gerügt, hier folgte es der Vorinstanz: Die Deckelung der Steuer auf maximal 1,50 € für eine "Einzelmahlzeit"; dieser Begriff sei nicht hinreichend bestimmt. Insbesondere bei Sammel-, Groß- und Nachbestellungen in der Systemgastronomie entstünden unlösbare Abgrenzungsschwierigkeiten.[16] Auch gehe das in der Satzung verankerte jederzeitige Betretungsrecht der betroffenen Betriebe durch die Behörden zu weit; es müsse auf die Geschäftszeiten beschränkt werden.[17] Durch diese Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen werde jedoch die Gültigkeit der Satzung insgesamt nicht berührt. Die Stadt Tübingen strich daraufhin diese Bestimmungen aus ihrer Satzung.[18]

Die Deutsche Umwelthilfe forderte nach diesem Urteil, dass weitere Kommunen in Deutschland eine Verpackungssteuer einführen. Laut dem Verband kommunaler Unternehmen (VKU) würde dies allerdings zu einem "Flickenteppich von verschiedenen Steuermodellen" führen.[19]

Klage vor dem Bundesverfassungsgericht[Bearbeiten]

Im September 2023, kurz nach Veröffentlichung der Urteilsbegründung durch das BVerwG, erhob die auch zuvor klagende Franchisenehmerin aus Tübingen, wiederum mit Unterstützung durch McDonald's, Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. In der Begründung der Klageschrift sagt die Klägerin laut einer Vorlage an den Tübinger Gemeinderat u.a., die Verpackungssteuer habe eine "Erdrosselungs-Wirkung". Die Steuer stehe im Widerspruch zum Bundesabfallrecht und sei unverhältnismäßig. Politisch begründete der Konzern die Klage mit der Überzeugung, "dass es in dieser Fragestellung einer bundesweiten und -einheitlichen Lösung bedarf. Insellösungen wie in Tübingen sind insbesondere für landesweit tätige Unternehmen nicht darstellbar." Die Deutsche Umwelthilfe sieht darin ein Spiel auf Zeit: "Anstatt Einweg endlich aus seinen Filialen zu verbannen und auf Mehrweg umzusteigen, will McDonald's mit allen Mitteln mutige Kommunalpolitik verhindern. ... Dieses Treiben verschwendet wertvolle Ressourcen des Bundesverfassungsgerichtes und könnte leicht durch Bundesumweltministerin Steffi Lemke beendet werden, indem sie unnötiges Einweggeschirr durch eine bundesweite Abgabe von mindestens 20 Cent finanziell unattraktiv macht."[20] Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts steht derzeit (Oktober 2024) noch aus.

Bundesweite Maßnahmen wirken nur teilweise[Bearbeiten]

Bereits nach der Entscheidung der Stadt Tübingen, gegen die Entscheidung des VGH in erster Instanz in die Revision zu gehen, hatte Boris Palmer zusammen mit dem Geschäftsführer der Deutschen Umwelthilfe, Jürgen Resch, die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) um eine rechtliche Klarstellung gebeten, "die der weiten Deutung der Bundesgesetze durch den VGH Mannheim Grenzen setzt". Diese hatte darauf zurückhaltend reagiert und wollte zunächst den Ausgang des Revisionsverfahrens abwarten.[21] Inzwischen gibt es jedoch zwei Gesetzesmaßnahmen des Bundes, mit denen den enormen Abfallmengen durch To-Go-Verpackungen entgegengewirkt werden soll. Zum einen trat am 01.01.2023 der neue § 33 Verpackungsgesetz in Kraft. Danach müssen Lebensmittel und Getränke zum Mitnehmen, die bisher nur in Einwegbechern oder Einwegkunststoffverpackungen abgefüllt wurden, auch in einer Mehrwegverpackung angeboten werden. Die Mehrwegverpackungen dürfen nicht teurer sein als die Einwegverpackungen, in den Geschäften ist auf diese Möglichkeit deutlich hinzuweisen.[22] Ein Jahr später, Anfang 2024, trat das Einwegkunststofffondsgesetz in Kraft, mit dem der Bund Artikel 8 Absatz 1 bis 7 der Richtlinie (EU) 2019/904 (EU-Einwegkunststoffrichtlinie) in deutsches Recht umsetzt. Danach gilt für To-Go-Lebensmittelbehältnisse, Getränkebecher und einige andere Produkte eine "erweiterte Herstellerverantwortung", d.h. sie müssen abhängig von der Art und Masse der von ihnen verkauften Einwegkunststoffprodukte in einen Fonds einzahlen, aus dem Gemeinden, die Abfälle entsorgen, einen Ausgleich ihrer Kosten erhalten.[23] Allerdings ist derzeit (Herbst 2024) noch nicht zu erkennen, dass dadurch die Belastung des öffentlichen Raumes durch To-Go-Behältnisse spürbar abgenommen hätte.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Hessischer VGH, Urteil vom 29.06.1995 - 5 N 378/95
  2. BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 07. Mai 1998, 2 BvR 1991/95
  3. Siehe das genannte Urteil, Rz. 69 ff.
  4. Rz. 76 ff.
  5. Rz. 100 ff.
  6. Rz. 109
  7. Zeit, Tübingen will Einwegverpackungen besteuern, 20.12.2018; Süddeutsche Zeitung: Tübingen geht mit Verpackungssteuer gegen Einweggeschirr vor, 31.01.2020; Süddeutsche Zeitung, Tübingen verschiebt Einführung der Verpackungssteuer, 28.07.2020; Der Neue Kämmerer, Tübingen erhebt Steuer zur Müllvermeidung, 16.11.2021
  8. Siehe den Satzungstext auf dem Stand vom 03.01.2020; das für Anfang 2021 vorgesehene Inkrafttreten wurde u.a. aufgrund der Corona-Pandemie letztlich um ein Jahr verschoben. Für weitere Details zum rechtlichen Hintergrund und zur verwaltungstechnischen Umsetzung siehe die Standardantwort der Stadt Tübingen bei Anfragen zur Verpackungssteuer, Stand: Mitte 2023
  9. #stadtvonmorgen: Weniger Müll: Tübingen führt Verpackungssteuer ein, 13.12.2021
  10. Der Neue Kämmerer: Verpackungssteuer als Erfolg?, 14.02.2022
  11. Zeit: Umwelthilfe kritisiert Klage von McDonald's, 17.01.2022
  12. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 29.03.2022, 2 S 3814/20. Siehe auch: Der Neue Kämmerer: Schlappe für Tübinger Verpackungssteuer, 30.03.2022; LTO: Tübingen darf keine Verpackungssteuer erheben, 30.03.2022; Deutscher Städtetag: "Wir müssen die Wegwerfkultur stoppen", 31.03.2022; DEMO: Verwaltungsgericht stoppt Tübinger Verpackungssteuer, 06.04.2022; Süddeutsche Zeitung: Tübinger Verpackungssteuer verstößt gegen Bundesrecht, 13.04.2022
  13. BVerwG: Urteil vom 24.05.2023, 9 CN 1.22
  14. Rz. 13 ff.
  15. Rz. 24 ff.
  16. Rz. 48 ff.
  17. Rz. 52 ff.
  18. Siehe zur juristischen Interpretation des Urteils auch: Franßen und Nusser Rechtsanwälte: Kommunale Verpackungssteuer als Abfallvermeidungsanreiz ist zulässig, 02.06.2023, sowie den in der nächsten Fußnote genannten Text des VKU.
  19. VKU: Tübinger Verpackungssteuer ist rechtmäßig, 25.08.2023
  20. beck-aktuell: Tübinger Verpackungssteuer wird Fall fürs Bundesverfassungsgericht, 08.09.2023; LTO: McDonald's vor dem BVerfG, 11.09.2023; Reutlinger General-Anzeiger: Verpackungssteuer: Tübingen setzt auf Spezialkanzlei, 01.03.2024
  21. Süddeutsche Zeitung, Verpackungssteuer: Palmer richtet Appell an Umweltministerin, 14.06.2022; Der Neue Kämmerer: Neue Runde im Verpackungssteuer-Streit, 26.08.2022
  22. Siehe dazu Bundesumweltministerium: Mehrwegangebotspflicht im To-Go-Bereich.
  23. Siehe dazu Bundesumweltministerium: Einwegkunststofffondsgesetz.

Siehe auch[Bearbeiten]