Abfallpolitik ist Ressourcenpolitik

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Die Bundesregierung hat es nicht hinbekommen, die EU-Abfallrahmenrichtlinie fristgerecht in deutsches Recht umzusetzen. Die Novellierung des Abfallrechts bietet viele Chancen, Abfallpolitik in Deutschland zukunftsfähig auszugestalten. Wir brauchen eine Orientierung an ökologischen Anforderungen und an ressourcenschonendem Wirtschaften. Die Bundesgesetzgebung muss den Spielraum der kommunalen Akteure erweitern.

Unser derzeitiger Wohlstand gründet sich auf einen nicht nachhaltigen, verschwenderischen Ressourcenverbrauch. Unsere Wirtschaft funktioniert nach wie vor als Einwegwirtschaft, die der Erde in großen Mengen Rohstoffe entnimmt und damit Produkte herstellt, die nach Gebrauch nicht wieder in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Die Auswirkung dieser Wirtschaftsweise ist aus Sicht des Umwelt- und Klimaschutzes fatal. Jede Rohstoffgewinnung und Weiterverarbeitung trägt einen enormen ökologischen Rucksack mit sich.

Um Ressourcen zu schonen, materialeffizienter zu produzieren, Kreisläufe zu schließen und die Umstellung auf erneuerbare Rohstoffe zu vollziehen, braucht es eine Abfallpolitik, die sowohl bei den Rohstoffen selbst als auch bei den daraus hergestellten Produkten ansetzt. Voraussetzung ist eine modernisierte und ambitionierte Abfallpolitik, die darauf ausgerichtet ist, einerseits langlebige und mehrfach nutzbare Produkte zu fördern und andererseits wertvolle Rohstoffe aus Abfällen wiederzugewinnen und somit Klima und Umwelt zu schonen. Abfallvermeidung und hochwertige stoffliche Verwertung sollten oberste Priorität bekommen und gestärkt werden. Das bislang bestehende Instrumentarium reicht nicht aus, um diesen Anforderungen gerecht zu werden.

Vermeiden statt Entsorgen[Bearbeiten]

Jeder Mensch in Deutschland verbraucht im Durchschnitt 70 Tonnen nicht nachwachsender Natur pro Jahr. Es kommen 500 Tonnen Wasser dazu, pro Jahr und Person. Für Kupfer als Primärrohstoff müssen beispielsweise pro Kilogramm Metall ca. 500 Kilogramm Boden aufgewühlt und bearbeitet werden, mit hochgradig umweltschädlichen Methoden. Das Gleiche gilt z.B. für Gold und Coltan. Wir müssen auch feststellen, dass in Deutschland nach wie vor deutlich mehr Müll pro Einwohner erzeugt wird als im Durchschnitt aller EU-Mitgliedsstaaten. Der Abfallvermeidung wurde von der Bundesregierung bisher eine viel zu geringe Priorität eingeräumt. Es fehlen echte Anreize für die Reduzierung der Abfallmengen und bessere Wiederverwendung von Ressourcen. Verbindliche Zielvorgaben für die Abfallvermeidung sind unverzichtbar. Eine mindestens 20%ige Reduzierung der Siedlungsabfälle bis 2020 gegenüber dem Jahr 2000 wäre ein erster notwendiger Schritt.

Ein Beispiel für Ressourcenverschwendung: IT-Produkte. Deutlich wird, dass immer kleiner werdende Produkteinheiten nicht automatisch zu weniger Material- und Ressourcenverbrauch führen. Die immer kürzer werdenden Nutzungsphasen moderner IT-Geräte und innovative Produkte erfordern eine steigende Zahl von Geräten. Bei Defekten werden sie häufig zum fragwürdigen Recycling gegeben werden statt zur Reparatur. Zu wenig Elektronikschrott landet in vorschriftsmäßigem Recycling, in Deutschland soll dies nur 40% der Gesamtmasse entsprechen.

Effizienzsteigerungen müssen Hand in Hand gehen mit der Erhöhung der Nutzungsintensität. Es reicht nicht aus, den Verbrauch von Primärrohstoffen und der Abfallmenge pro hergestelltem Produkt zu senken. Durch ressourcensparende Produktion und hochwertige Wiederverwendung muss der Verbrauch von Primärrohstoffen in Deutschland insgesamt gedrosselt werden, damit das Klima und die Umwelt entlastet werden können. Unser Ziel sollte es sein, mindestens die schon in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie angestrebte Rohstoffproduktivität zu erreichen, bis zum Jahr 2020 den Rohstoff- und Energieverbrauch bei der Produktion von Konsum- und Gebrauchsgütern um mindestens 50% gegenüber dem Jahr 2000 zu senken. Nachhaltige Abfallwirtschaft basiert auf der Lebenszyklusbetrachtung und beginnt mit einer effizienteren Produktion und Distribution von Konsum- und Gebrauchsgütern sowie der Förderung der Langlebigkeit von Produkten.

Abfallarme Produktgestaltung, Stärkung der Produktverantwortung durch die Hersteller, das Öko-Design von Produkten, Secondhand-Netzwerke und Reparaturzentren und die Förderung von Mehrwegsystemen sind wichtige Bausteine einer Vermeidungspolitik. Ressourcenschutz heißt auch, dass die Menge der Produkte vermindert wird und stattdessen ein Produkt von mehreren Nutzern in Anspruch genommen wird. Verringerung von Rohstoffverbrauch ist ein Bestandteil von Ressourcenschutz, der in Zukunft eine viel größere Bedeutung erlangen wird.

Hochwertiges Recycling fördern[Bearbeiten]

Deutschland gilt international als Recycling-Nation. Papier, Glas, Dosen: Mülltrennung ist für viele von uns völlig selbstverständlich. In der Abfalltrennung und Wiederverwertung sind die Deutschen relativ gut im europäischen Vergleich. Relativ gut heißt aber nicht, dass wir uns hier nicht noch erheblich verbessern könnten. Wer Abfallpolitik als Ressourcenpolitik versteht, muss dafür sorgen, dass mehr Wertstoffe aus dem Abfallstrom geholt werden und diese so hochwertig wie möglich recycelt werden. Je früher Wertstoffe vom Abfallstrom getrennt werden, desto höherwertiger können sie in aller Regel recycelt werden. Die flächendeckende getrennte Sammlung von Wertstoffen wie Papier, Metall, Kunststoff und Glas ist Voraussetzung für hochwertiges Recycling.

Daneben spielt die Förderung bürgerfreundlicher Systeme für die Rückgabe und Getrenntsammlung von Wertstoffen eine herausragende Rolle. Die flächendeckende Einführung einer Wertstofftonne wird von vielen Bürgerinnen und Bürgern gefordert. Die jetzige Bundesregierung hat die Einführung einer Wertstofftonne als Ziel formuliert – sie findet sich auch im Koalitionsvertrag der Regierungsfraktionen. Aber über diese unverbindliche Absichtserklärung ist das Umweltministerium bisher nicht hinausgekommen.

Unser Ziel ist es, insgesamt mehr Wertstoffe zurückzugewinnen und in der Produktion wieder einzusetzen. Damit kann auch die Abhängigkeit der Wirtschaft von importierten Rohstoffen, die oft unter skandalösen und menschenunwürdigen Bedingungen abgebaut werden, reduziert werden. Eine vom Bundesumweltministerium (BMU) in Auftrag gegebene Studie „Klimaschutzpotenziale der Abfallwirtschaft“ von 2010 kommt zu dem Ergebnis, dass bei flächendeckender Einführung der Wertstofftonne der jährliche Ausstoß von bis zu zwei Millionen Tonnen CO2 in Deutschland eingespart würde.

Beim BMU spielt man dagegen auf Zeit. Offenbar scheut man dort die Auseinandersetzung um die Frage, wem diese Tonne dann gehört: Ist sie kommunal oder gehört sie der privaten Entsorgungswirtschaft? Dabei liegen die Erfahrungen aus den Pilotprojekten in vielen Kommunen längst vor. Diese müssen jetzt umgehend vorurteilsfrei ausgewertet und für eine Bundesregelung genutzt werden.

Schwächen des Dualen Systems[Bearbeiten]

Bei einer ressourcenorientierten Betrachtung zeigen sich auch Schwächen des Dualen Systems Deutschland (DSD). Nebenbei bemerkt ist es auch noch teuer. Die Hauptfrage aus umweltpolitischer Sicht ist jedoch: Ist es ökologisch sinnvoll? Das System hat eine grundsätzliche Schwäche: Es wird nicht nach Materialien lizenziert und gesammelt, sondern nach der Herkunft als Verpackung. Deshalb erschließt sich den Bürgerinnen und Bürgern oft nicht, was in die gelbe Tonne oder den gelben Sack gehört und was nicht. Dies ist besonders bei Kunststoffen der Fall. Eine Kunststoffflasche trägt den grünen Punkt und wird erfasst, eine Schüssel oder ein Spielzeug aus dem gleichen Material aber nicht. Wir müssen es Verbraucherinnen und Verbrauchern deutlich einfacher machen, ihren Hausmüll zu sortieren. Nur dadurch kann hochwertiges Recycling von Wertstoffen sichergestellt werden. Das DSD, der grüne Punkt, hat sich nicht bewährt und gehört abgeschafft. Die Produktverantwortung muss so weiterentwickelt werden, dass sie ressourcenschonendes Wirtschaften und langlebige Produkte fördert und regionale Wirtschaftskreisläufe unterstützt.

Ein besonderes Kapitel sind Mehrweg- und Einwegflaschen bei Getränken. Hier wird vom Kunden oder der Kundin intensives Studium des Aufdrucks und die Mitführung einer Lupe verlangt, um echte Mehrwegflaschen von Einwegflaschen mit Pfand und Einwegflaschen ohne Pfand zu unterscheiden. Wir brauchen konsequenteren Mehrwegschutz und die seit Monaten überfällige Kennzeichnungsverordnung, die übrigens im Koalitionsbeschluss auch vorgesehen ist. Das Mehrwegsystem steht seit langem unter Beschuss durch die Einwegindustrie, die immer wieder versucht, durch selbst beauftragte Ökobilanzen die PET-Einwegflaschen oder Getränkedosen schön rechnen zu lassen. Dosenhersteller versuchen mit großem öffentlichen Echo und fragwürdigen Rechnungen, Dosen stärker in die Supermärkte zu drücken.

Nach wie vor gilt aber: Mehrwegflaschen tragen aktiv zur Abfallvermeidung und zum Klimaschutz bei, und die Getränkedose bleibt was sie ist – ein Symbol für die Wegwerfgesellschaft und sinnlose Rohstoffverschwendung. Mehrwegsysteme zu stützen heißt, ökologisch verantwortlich zu handeln und ökonomisch sowie gleichermaßen ökologisch sinnvolle regionale Wirtschaftskreisläufe aufrechtzuerhalten. Um Mehrweg auch weiterhin zu fördern und zu stützen, ist eine zusätzliche Lenkungsabgabe auf ökologisch nicht vorteilhafte Einweggetränkeverpackungen unverzichtbar.

Ambitionierte Recyclingquoten festlegen[Bearbeiten]

Deutschland als rohstoffarmes Land muss die Wertstoffe in seinem Abfall bestmöglich nutzen. Im Jahr 2007 betrug die Recyclingquote der Siedlungsabfälle in Deutschland nach jetziger Definition im Gesetz 63%. Dieses ist noch deutlich ausbaufähig, vor allem durch die Optimierung der Verwertungsprozesse und der Getrenntsammlung. Es wäre möglich, innerhalb der nächsten fünf Jahre bis zu 80% aller Siedlungsabfälle stofflich wiederzuverwerten. Diese höhere Quote wird auch von den Verbänden und Entsorgern als realistisch erachtet und kann technische Innovationen anregen.

Das Ziel von 80% für die Wiederverwertung muss auch für die Gewerbeabfälle gelten. Oftmals fehlt jedoch der Nachweis über den Verbleib der in der Regel privat erfassten Abfälle. Auch dort, wo private Entsorgungsunternehmen die Sammlung übernehmen, muss die Pflicht bestehen Daten offenzulegen. Nur so wird ersichtlich, was aus den Abfällen wird.

Unsinniges Verbrennen wertvoller Rohstoffe verhindern[Bearbeiten]

Noch immer werden zu viele wertvolle Sekundärrohstoffe einfach verbrannt. Die Frage der Brennbarkeit (Heizwert) eines Abfalls ist kein geeignetes Mittel zur Abgrenzung der hochwertigen Verwertungsoption einer Stoffgruppe. Diese Abgrenzung muss anhand der Ziele Umweltschutz, Klimaschutz und Ressourceneffizienz erfolgen, nicht anhand der Wirtschaftlichkeit der Verbrennung. Nur verbleibende Restabfälle in Höhe von weniger als 20 % sollten vollständig energetisch genutzt werden und so einen Beitrag dazu leisten, die Deponierung von Siedlungsabfällen zukünftig vollständig überflüssig zu machen.

Überkapazitäten bei Abfallverbrennungsanlagen können eine hochwertige Verwertung verhindern, da wirtschaftliche Verluste der Betreiber thermischer Anlagen drohen. Für neue Müllverbrennungsanlagen oder vor der Erweiterung bestehender Anlagen sollte entsprechend dem Prinzip der Nähe der Bedarf nachgewiesen werden, bevor diese genehmigt werden.

Abschied von der Deponie[Bearbeiten]

Die Abfalldeponierung stellt die letzte Stufe der Abfallwirtschaft dar und wird als „Beseitigung“ bezeichnet. Tatsächlich wird der Abfall aber nicht „beseitigt“, sondern abgelagert. Auch wenn seit 2005 nur noch vorbehandelte Siedlungsabfälle abgelagert werden dürfen, bleibt das grundsätzliche Problem einer massiven Umweltgefährdung. Insbesondere die Sickerwässer stellen ein Problem dar. Es besteht nicht nur die Gefahr, dass diese auch aus abgedichteten Deponien austreten und so Schadstoffe ins Grundwasser gelangen können. Das Sickerwasser muss auch mittels Drainagerohren aufgefangen und anschließend über Jahrzehnte geklärt werden. Die Deponie – als mit Abstand unnachhaltigste Form der Abfallentsorgung – wollen wir bis spätestens 2020 zumindest für Siedlungsabfälle endgültig abschaffen.

Abfallentsorgung ist Daseinsvorsorge[Bearbeiten]

... und gehört unter kommunale Kontrolle. Ob ein öffentlich-rechtlicher oder privater Entsorger die Sammlung und die Verwertung übernimmt, ist aus ressourcen-, klima- und umweltpolitischer Sicht zunächst nicht die entscheidende Frage. Wichtig ist aber: Die Entscheidung hierüber sollte in öffentlicher Hand liegen und die Umsetzung unter öffentlicher Kontrolle.

Das heißt: Kommunen sollen darüber entscheiden können, ob sie die Sammlung und Verwertung von Siedlungsabfällen in Eigenregie betreiben oder an private Dritte vergeben. Die Verantwortung für die ordnungsgemäße und hochwertige Abfallwirtschaft verbleibt dabei in der öffentlichen Hand. Private Entsorger müssen den Verbleib der Abfälle offenlegen, insbesondere die Hochwertigkeit der Verwertung nachweisen. Bei Einführung der Wertstofftonne muss geklärt sein: Wem gehört das Wirtschaftsgut in der Tonne? Wie werden Ressourcen nachweisbar zurück gewonnen – in Deutschland, statt in Nigeria oder Indien?

Siehe auch[Bearbeiten]

Fazit[Bearbeiten]

Die Grünen im Bundestag wollen eine ambitionierte Überarbeitung des Abfallrechts in Deutschland. Das heißt: Wir wollen ein auf Nachhaltigkeit hin ausgerichtetes Abfallwirtschaftskonzept, das sich an der „3-R Strategie“ orientiert: Reduce, Reuse, Recycling. Unser Fokus liegt dabei in erster Linie nicht auf der Frage, wohin der Abfall soll, sondern woher er kommt. Das BMU aber ist auf dem Weg des „weiter so“, ohne sich den aktuellen umwelt- und klimapolitischen Herausforderungen zu stellen. Das reicht nicht für das Etikett "Moderne Abfallpolitik". Im Februar 2012 soll der BMU-Entwurf zur erforderlichen Prüfung auf Vereinbarkeit mit europäischem Recht an die EU übersendet werden. Wir verlangen wesentliche Verbesserungen in den parlamentarischen Beratungen, die dann beginnen werden.

--AKP-Redaktion 15:44, 10. Jan. 2013 (CET)

Weblink[Bearbeiten]

  • Europäische Union: Abfallrichtline. Richtlinie 2008/98/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Abfälle

Quellen[Bearbeiten]

  • Dorothea Steiner ist umweltpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen.

(aus AKP 2/2011, S. 46-49)