Kommunale Demokratie in Corona-Zeiten

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Die Corona-Krise hat das Land verändert. Kontaktsperren, Versammlungsverbote und Schließung von Einrichtungen prägen das Land. Gelten die Beschränkungen auch für Gemeinderäte, sind sie und ihre Ausschüsse daran gehindert zu tagen und Entscheidungen zu treffen?

Wollen Bürgermeister allein regieren?[Bearbeiten]

Vereinzelte Berichte deuten darauf hin, dass einige Bürgermeister und Landräte so denken: Wegen der Infektionsgefahr und der entsprechenden Verfügungen können ihrer Auffassung nach die Gremien nicht tagen. Stattdessen machen Bürgermeister von ihrem Recht auf Eilentscheidung Gebrauch und setzen sich an die Stelle der gewählten Gremien, manchmal allein, manchmal nach Telefonaten mit den Beigeordneten oder den Fraktionsvorsitzenden. Das erinnert zumindest entfernt an den ungarischen Ministerpräsidenten Orban: Die gewählte Vertretungskörperschaft aushebeln und allein regieren.

Rat und Ausschüsse können (eingeschränkt) tagen[Bearbeiten]

Generell gilt jedoch kein Verbot für den Gemeinderat zu tagen - zumindest dringende Angelegenheiten können und müssen beraten werden. Dies stellen verschiedene Rundschreiben von Innenministerien der Länder und kommunalen Spitzenverbänden klar.

So schreibt das Innenministerium Sachsen, dass Sitzungen des Gemeinderates zu den erlaubten Ausnahmen vom Versammlungsverbot gehören. Dementsprechend ist die Teilnahme daran auch ein "triftiger Grund" für das Verlassen der Unterkunft.[1] Auch das Rundschreiben des Städte- und Gemeindebundes Brandenburg vom 24.3.2020 betont: "Die Entscheidungsfähigkeit der unmittelbar vom Volk gewählten Vertretungskörperschaften sollte möglichst lange aufrechterhalten bleiben."[2] Bei Sitzungen sollten allerdings die Regeln des Infektionsschutzes beachtet, insbesondere der Abstand zwischen den Teilnehmenden eingehalten werden; das wird häufig einen größeren Raum erfordern.[3] Auch die Regeln über die Öffentlichkeit müssen beachtet, also entweder Plätze für Zuschauer/innen bereitgestellt oder eine Videoübertragung organisiert werden - ob Letzteres ausreichend ist, könnte je nach Bundesland unterschiedlich gesehen werden. Auf keinen Fall darf die Öffentlichkeit auf Journalist/inn/en beschränkt werden.

In seinem Rundschreiben vom 19.03.2020 stellt auch das niedersächsische Innenministerium fest, dass Sitzungen kommunaler Gremien nicht unter das Veranstaltungsverbot fallen. Sie sollten aber nur durchgeführt werden, wenn und soweit sie zwingend notwendig sind. Die übliche Dreimonatsfrist für die Einberufung der Kommunalvertretung wird zeitweilig ausgesetzt. Die Öffentlichkeit darf nur ausgeschlossen werden, wenn der Beratungsgegenstand Geheimhaltung erfordert, generell müssen Sitzungen weiterhin öffentlich stattfinden. Der Infektionsschutz kann jedoch eine Verringerung der Zahl von Zuhörer/innen erzwingen, ebenso wie entsprechende Abstände zwischen den Beteiligten. Umlaufbeschlüsse sind - schon wegen des Öffentlichkeitsprinzips - generell unzulässig (im Hauptausschuss jedoch möglich), ebenso sind Videokonferenzen nicht zulässig. Der Rat kann jedoch Aufgaben zur Beschlussfassung an den Hauptausschuss übertragen und z.B. auch durch Veränderung von Wertgrenzen Aufgaben abgeben.[4]

In Bayern galt Anfang 2021, dass Gemeinderatssitzungen von den Einschränkungen des Infektionsschutzes ausgenommen sind. Die*der Vorsitzende könne, so das Innenministerium, eine Maskenpflicht anordnen, das Ministerium hielt diese jedoch für unverhältnismäßig, wenn Mindestabstände jederzeit eingehalten werden können oder durch Trennwände für Schutz gesorgt wird. Dementsprechend gelten in Gemeinderäten unterschiedliche Regeln: Dinkelsbühl hat keine Maskenpflicht, Deggendorf - trotz Abstandsregel - schreibt Masken vor; in München ist die Maskenpflicht von der Corona-Inzidenz abhängig, sie gilt nur bei einer Inzidenz oberhalb von 50 Neuinfektionen auf 100.000 Einw. in 7 Tagen. Für Zuschauer*innen können eigene Regeln gelten.[5]

Delegation und Pairing[Bearbeiten]

Im niedersächsichen Rundschreiben wird auf zwei weitere Möglichkeiten verwiesen: Der Rat kann bestimmte Entscheidungen an den Hauptausschuss delegieren. Außerdem können die Fraktionen ein Pairing verabreden: Dann tagt das Gremium in einer reduzierten Besetzung, bei der die Mehrheitsverhältnisse gewahrt bleiben.

Beschlüsse im Umlaufverfahren[Bearbeiten]

Auch hier ist die Rechtslage zwischen den Bundesländern uneinheitlich. Einige Länder haben auf die Corona-Krise mit Rechtsänderungen reagiert, teils per Gesetz, teils per Rechtsverordnung:

  • Das Brandenburgische kommunale Notlagegesetz (BbgKomNotG), in den Landtag eingebracht Anfang April 2020, erlaubt der Landesregierung, durch entsprechende Verordnung den kommunalen Gremien u.a. Beschlüsse im Umlaufverfahren zu ermöglichen.
  • Das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern ermöglicht es den Kommunalvertretungen, Beschlüsse generell - also unabhängig von der Bedeutung der Angelegenheit - im schriftlichen Umlaufverfahren zu treffen, sofern nicht mindestens ein Viertel der Gremienmitglieder widerspricht.[6]
  • Ähnlich in Nordrhein-Westfalen, wo der Gesetzentwurf der Landesregierung zur Bewältigung der COVID-19-Pandemie den Kommunen in bestimmten Ausnahmefällen erlauben will, eilbedürftige Angelegenheiten, die der Beschlussfassung des Rates unterliegen, im Umlaufverfahren zu treffen, wenn sich vier Fünftel der Mitglieder des Rates mit der schriftlichen Abgabe der Stimmen einverstanden erklären.[7]
  • In Niedersachsen und in Sachsen kann dagegen im schriftlichen oder elektronischen Verfahren nur "über Gegenstände einfacher Art und geringer Bedeutung" beschlossen werden und dies nur dann, wenn dem kein Gemeinderat widerspricht.
  • Rheinland-Pfalz hat durch eine Gesetzesänderung ab 9.6.2020 Beschlüsse im Umlaufverfahren erlaubt, sofern kein Ratsmitglied widerspricht; siehe den neu gefassten § 35 (3) der Gemeindeordnung sowie den neu gefassten § 7 der Bezirksordnung für den Bezirksverband Pfalz.

Beschlüsse per Umlauf sind jedoch unter Demokratiegesichtspunkten ein zweifelhaftes Verfahren, entfällt doch jede Debatte und die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen; zudem werden Minderheitenrechte ausgehebelt, falls eine Mehrheit dies Verfahren durchsetzen kann. Demgegenüber kann in einer Videokonferenz sowohl eine Debatte stattfinden als auch die Öffentlichkeit (jedenfalls zuhörend) beteiligt werden.

Videokonferenzen etablieren sich teilweise[Bearbeiten]

Eine Stadtratssitzung per Videokonferenz war zu Beginn der Corona-Krise generell nicht zulässig. Immer mehr Länder ändern dies:

  • Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat in einer der Corona-Verordnung vom Mai 2020 Entscheidungen per Videokonferenz zu ermöglicht; die Öffentlichkeit soll per Übertragung teilnehmen können.[8]
  • In Bayern muss (Stand Februar 2021) mindestens der*die Vorsitzende des Gemeinderates persönlich im Sitzungsraum anwesend sein. Die weiteren Gemeinderatsmitglieder sollen jedoch in der Zukunft die Möglichkeit erhalten, sich per Video zuzuschalten und an Abstimmungen teilzunehmen. Die Regelung wird damit begründet, dass kein Gemeinderatsmitglied gezwungen werden soll, auf körperliche Anwesenheit zu verzichten. Auch der Grundsatz der Öffentlichkeit der Sitzungen spielt eine Rolle. Ob Videotechnik eingesetzt wird, entscheidet dann letztlich jede Gemeinde selbst.[9]
  • Das Land Brandenburg hat ein "Brandenburgisches kommunales Notlagegesetz"[10] verabschiedet, das der Landesregierung u.a. erlaubt, durch Rechtsverordnung die "Pflicht, Sitzungen der Gemeindevertretung und des Hauptausschusses als Präsenzsitzungen durchzuführen" zeitweilig auszusetzen. Ebenso sollen mehr Angelegenheiten als bisher auf den Hauptausschuss übertragen werden können. Das Gesetz galt zunächst befristet bis Ende Juni 2020 und wurde anschließend bis Mitte 2021 verlängert. Auch nach seinem Auslaufen ist aufgrund einer Neuregelung die Zuschaltung einzelner Ratsmitglieder per Video bei Vorliegen entsprechender Gründe zulässig.[11]
  • Rheinland-Pfalz hat durch eine Gesetzesänderung ab 9.6.2020 Beschlüsse in Video-/Telefonkonferenzen unter der Voraussetzung erlaubt, dass zwei Drittel der Ratsmitglieder dem Verfahren zustimmen.[12]
  • In Schleswig-Holstein sind seit Ende September 2020 Gemeinderats- und Kreistagssitzungen per Videokonferenz erlaubt, sofern die Kommune dies in ihrer jeweiligen Hauptsatzung verankert hat (s.u.).

Rechtliche Bewertung digitaler Ratssitzungen[Bearbeiten]

Digitale Ratssitzungen sind generell nur als Ausnahme zulässig und erfordern eine entsprechende Rechtsgrundlage, also z.B. eine ausdrückliche Erlaubnis in der Gemeindeordnung. Der Regelfall im Kommunalrecht bleibt die physische Anwesenheit der Ratsmitglieder, eine ganz oder teilweise digitale Ratssitzung ist also nur ausnahmsweise bei Vorliegen entsprechender Gründe zulässig. Daneben sind weitere rechtliche Vorgaben zu beachten, insbesondere der Öffentlichkeitsgrundsatz, die Ermöglichung geheimer Abstimmungen und datenschutzrechtliche Aspekte.

Beispiele einiger Bundesländer[Bearbeiten]

Bayern: Empfehlung für Ausschuss[Bearbeiten]

Das Bayerische Innenministerium stellte am 20.03.2020 in einem Schreiben klar, dass Sitzungen kommunaler Gremien nicht unter das Veranstaltungsverbot der Allgemeinverfügung fallen. Die Handlungsfähigkeit der kommunalen Ebenen müsse grundsätzlich aufrecht erhalten bleiben. Sitzungen sollten jedoch auf ein Mindestmaß beschränkt bleiben. Wo immer möglich, sollten verkleinerte Gremien, etwa nach dem Vorbild eines Ferienausschusses, tagen. Ein solcher Ausschuss ließe sich auch kurzfristig im Umlaufverfahren einsetzen.[13] Dennoch hat beispielsweise der Stadtrat von Gemünden am Main (Landkreis Main-Spessart) entschieden, Befugnisse auf den Bürgermeister zu übertragen, um Gemeinderats- und Ausschusssitzungen zu vermeiden.[14] In Veitshöchheim (Landkreis Würzburg) wurde dagegen im Umlaufverfahren entschieden, dass anstelle des Gemeinderats der Ferienausschuss, der personell mit dem Hauptausschuss identisch ist, bis Ende April in öffentlicher Sitzung alle notwendigen Entscheidungen treffen kann - einschließlich der Verabschiedung des Haushalts.[15]

Seit März 2021 hybride Sitzungen generell zulässig[Bearbeiten]

Mit Wirkung ab 17.03.2021 hat der bayerische Landesgesetzgeber hybride Gemeinderatssitzungen für zulässig erklärt - auf Dauer, nicht nur während der Zeit der Pandemie. Die Landesregierung will damit auch die Vereinbarkeit des kommunalen Mandats mit Familie und Beruf besser ermöglichen. Voraussetzung ist, dass die Gemeinde in ihrer Hauptsatzung diese Möglichkeit vorsieht. Mindestens der*die Vorsitzende muss jedoch im Sitzungsraum physisch anwesend sein. Damit sind rein digitale Sitzungen, bei denen alle Ratsmitglieder online zugeschaltet sind, ausgeschlossen. Diese waren auf Bedenken gestoßen, weil damit Ratsmitglieder, die technisch auf digitalem Wege nicht teilnehmen können, ausgeschlossen worden wären. Dadurch, dass es immer auch einen Sitzungsort mit der Möglichkeit physischer Teilnahme gibt, sind diese Bedenken vom Tisch. Damit besteht auch weiterhin für Bürger*innen die Möglichkeit, die Sitzung im Sitzungsraum zu verfolgen.

Zugleich wurde beschlossen, dass in Landkreisen, Bezirken und Zweckverbände sogenannte Ferienausschüsse für bis zu drei Monaten eingesetzt werden können, denen entsprechende Entscheidungsbefugnisse übertragen werden können; auch dies soll die Handlungsfähigkeit der Gremien in schwierigen Zeiten stärken. Auch auf ständige beschließende Ausschüsse können Entscheidungsbefugnisse übertragen werden. Bürgerversammlungen können für die Dauer der Pandemie weiterhin ausgesetzt werden, müssen danach aber nachgeholt werden.

Durch Gesetz wurden vier neue Paragraphen in bestehende Gesetze eingefügt: Art. 47a GO, Art. 41a LKrO, Art. 38a BezO, Art. 33a KommZG.[16]

Juni 2021: Verfassungsgerichtshof verwirft Befugnisse für "Ferienausschüsse" über die Ferienzeit hinaus[Bearbeiten]

Gegen die Regelung, wonach ein "Ferienausschuss" mit vollen Entscheidungsbefugnissen nicht nur während der Ferienzeit, sondern für bis zu drei Monate eingesetzt werden kann, klagte die Partei "Die Linke" sowie 29 Kommunalpolitiker*innen. Der Verfassungsgerichtshof gab ihnen am 10.06.2021 Recht und begründete dies mit der Wahlgleichheit: Alle gewählten Ratsmitglieder haben gleichermaßen das Recht, an den Ratsentscheidungen mitzuwirken. In Ferienausschüssen sind Mitglieder kleiner Fraktionen u.U. nicht beteiligt, daher dürfen diese nicht - wie vom Landesgesetzgeber vorgesehen - für einen Zeitraum von 3 Monaten eingesetzt werden.[17]

Brandenburg: Notlagenverordnung[Bearbeiten]

Die Brandenburger Landesregierung hat auf Grundlage des bereits erwähnten "Notlagengesetzes" eine Verordnung "zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der kommunalen Organe" erlassen, Sie stellt zunächst klar, dass die Durchführung normaler Sitzungen der Gemeinde- oder Kreisvertretung priorität zu prüfen ist. Dabei werden auch Video- und Audiositzungen sowie für bestimmte Entscheidungen auch ein Umlaufverfahren erlaubt. Nur wenn eine Sitzung nicht möglich ist, können Entscheidungen unter bestimmten Voraussetzungen auf den Hauptausschuss übertragen werden. Die Verordnung enthält auch Erleichterungen des Haushaltsrechts.[18] Im September 2020 wurde die Verordnung vorsorglich bis Mitte 2021 verlängert.[19]

Hessen: Eilentscheidungsrecht für Ausschuss[Bearbeiten]

In Hessen wird durch ein neues Landesgesetz ein Eilentscheidungsrecht für den Finanzausschuss, der in jeder Gemeinde gesetzlich vorgeschrieben ist, oder wahlweise einen vom Gemeinderat neu zu bildenden Ausschuss eingeführt. Grundsätzlich kann dieser bei entsprechender Dringlichkeit und nur im absolut notwendigen Maß über alle kommunalen Angelegenheiten entscheiden.[20]

Am 27.05.2020 beschloss das Verwaltungsgericht Darmstadt eine einstweilige Anordnung, wonach es jedenfalls zum vorgesehenen Zeitpunkt am 08.06.2020 nicht zulässig war, im Landkreis Darmstadt-Dieburg den Finanzausschuss anstelle des Kreistages tagen und Entscheidungen treffen zu lassen: "Der neu geschaffene § 30a HKO räumt dem Kreistag bzw. dessen Haupt- und Finanzausschuss keine Gestaltungsspielraum hinsichtlich der Bestimmung des auf Landkreisebene zuständigen Entscheidungsgremiums ein." Nur wenn wegen der Gesundheitsgefahren ein komplettes Zusammenkommen ausscheidet, sei der Ausschuss entscheidungsbefugt. Derzeit seien aber die Infektionszahlen so niedrig, dass der Kreistag - ggf. in anderen Räumen und unter Einhaltung von Hygieneregeln - zusammentreten könne. Obwohl dies nicht entscheidungserheblich war, weist das Gericht zudem darauf hin, dass § 30a HKO nur auf Angelegenheiten anwendbar ist, "deren Behandlung aus Gründen des öffentlichen Wohls keinen Aufschub dulden. "Warum etwa die Gewährung von Aufwandsentschädigungen für die Teilnahme an Telefon- und Videokonferenzen, die Besetzung einer Ombudsstelle oder die Übernahme von Bürgschaften für Sportvereine derart bedeutsam sind, erschließt sich nicht auf Anhieb. Der Antragsgegner sei an dieser Stelle daran erinnert, dass § 30a HKO keine Allkompetenz für Eilentscheidungen statuiert, sondern ein Tätigwerden des Haupt- und Finanzausschusses nur dann erlaubt, wenn das öffentliche Wohl gefährdet ist."[21]

Mecklenburg-Vorpommern: Beschlüsse im Umlaufverfahren[Bearbeiten]

Das Land Mecklenburg-Vorpommern ermöglichte den Gemeindevertretungen kurzfristig, Beschlüsse im Umlaufverfahren zu fassen, diese Regelung lief jedoch schon am 19.04. aus. Ein Antrag des Städte- und Gemeindetages auf Verlängerung der Regelung blieb bis zum 6. Mai unbeantwortet. Nach Mitteilung des Verbandes gab es jedoch auch viele Eilentscheidungen durch Bürgermeister/innen.[22]

Die Corona-Landesverordnung Mecklenburg-Vorpommern (Corona-LVO M-V), die ab 16.12.2021 gilt, erlaubt es den Vorsitzenden kommunaler Gemeindevertretungen und ihrer Ausschüsse, den Rahmen für Sitzungen unter Pandemiebedingungen selbst festlegen. Damit können sie eigenständig Regelungen wie z.B. 3G treffen. Der Städte- und Gemeindetag begrüßt diese Klarstellung, da zuvor eine hohe Verunsicherung bestanden habe.[23]

Nordrhein-Westfalen: Modellversuch für digitale Sitzungen[Bearbeiten]

Im März 2021 beantragten die GRÜNEN im Landtag NRW, einen neuen § 58a in die Gemeindeordnung aufzunehmen, der es den Kommunen erlaubt hätte, nach entsprechender Änderung ihrer Hauptsatzung Sitzungen per Video durchzuführen.[24] Hierzu führte der Landtag im Juni 2021 eine schriftliche Anhörung durch.[25] Für die Mehrheitsfraktionen überwogen die Bedenken: Bei instabiler Internetverbindung kann evtl. nicht die jederzeitige Teilnahme aller Mandatsträger*innen gewährleistet werden; auch die Vertraulichkeit von Debatten und Unterlagen ist nicht immer gewährleistet, geheime Abstimmungen nicht möglich. Beschlossen wurde allerdings ein Modellprojekt für digitale und hybride Sitzungen, für das sich (wenige) Gemeinden bewerben konnten.[26] Am 06.04.2022 verabschiedete dann der Landtag ein Gesetz zur Einführung digitaler Sitzungen für Räte, Ausschüsse und Bezirksvertretungen; diese sind zumeist nur ausnahmsweise, z.B. bei Katastrophenlagen, Pandemie- oder außergewöhnlichen Notsituationen zulässig und nur wenn die erforderlichen technischen Voraussetzungen vorliegen und jedes Gremienmitglied über eine digitale Zugangsmöglichkeit verfügt.[27]

Sachsen: Digitale Ratssitzungen bei bundesweiter pandemischer Lage[Bearbeiten]

Sachsen hatte in seiner Gemeindeordnung und Landkreisordnung geregelt, dass digitale Ratssitzungen zulässig sind, sofern eine vom Deutschen Bundestag festgestellte pandemische Lage von nationaler Tragweite vorliegt. Mit dem Ende dieser bundesrechtlichen pandemischen Lage ist die Rechtsgrundlage für digitale Ratssitzungen in Sachsen erst einmal entfallen. In der geplanten Kommunalrechtsnovelle soll dies jedoch wieder ermöglicht werden.[28]

Sachsen-Anhalt: Videokonferenzen bei "landesweiter Pandemielage"[Bearbeiten]

Das Land Sachsen-Anhalt erlaubt den Gemeindevertretungen und ihren Gremien das Tagen in einer Videokonferenz, sofern der Landtag eine "landesweite Pandemielage" feststellt. Dies erfolgte erstmals am 19.11.2020 zunächst für einen Zeitraum von drei Monaten, also bis Mitte Februar 2021.[29]

Schleswig-Holstein: Videokonferenzen ab September erlaubt[Bearbeiten]

Schleswig-Holstein hat im September 2020 die Möglichkeit geschaffen, Gemeinderats- und Kreistagssitzungen als Videokonferenzen abzuhalten.[30] Dies erfordert jedoch zusätzlich eine Änderung der jeweiligen Hauptsatzung - die logischerweise noch in einer Präsenzsitzung erfolgen muss. Viele Gemeinden haben in der "zweiten Welle" der Pandemie ab November 2020 jedoch Sitzungen abgesagt, teilweise bis in den Januar hinein.[31]

Thüringen: Zweifelhaftes Demokratieverständnis[Bearbeiten]

Dagegen fasst das Land Thüringen das Eilentscheidungsrecht des/der Bürgermeister/in sehr weit und verzichtet darauf, andere, demokratiegerechtere Lösungen anzubieten: "Liegen die Voraussetzungen für das Eilgeschäft bei objektiver Sichtweise vor, so kann der Bürgermeister uneingeschränkt jede Entscheidung für die Gemeinde treffen, für die sonst der Gemeinderat oder ein beschließender Ausschuss zuständig ist. Eine Genehmigung der Eilentscheidung durch den Gemeinderat oder den beschließenden Ausschuss ist nicht erforderlich. Der Bürgermeister ist lediglich verpflichtet, den Gemeinderat in der nächsten Sitzung über die Entscheidung zu informieren."[32] Wie Berichte aus einzelnen Kommunalvertretungen zeigen, nehmen gerade in Thüringen aufgrund dieser Signale einige Bürgermeister ihr vermeintliches Eilentscheidungsrecht stark in Anspruch und erklären Ratssitzungen für unmöglich, statt zur Corona-Krise passende Tagungsmöglichkeiten für den Rat und für beschließende Ausschüsse zu suchen.

Auf Grundlage der Erfahrungen in der Corona-Krise hat die Landesregierung einen Entwurf für eine Veränderung der Kommunalordnung vorgelegt; siehe dazu: Thüringer Kommunalordnung: Mehr Transparenz und Beteiligung?‎

Eilentscheidungsrecht ist kein Freibrief[Bearbeiten]

Jedenfalls beschränkt sich das Eilentscheidungsrecht von Bürgermeister/in oder Landrat/Landrätin auf wirklich dringliche Gegenstände.[33] Solange nicht zumindest ernsthaft geprüft wurde, ob Gemeinderat und Ausschüsse - ggf. mit reduzierter Tagesordnung und entsprechender Gestaltung des Sitzungsraumes - irgendwo in der Gemeinde tagen können, dürfte die Alleinregierung des/der Hauptverwaltungsbeamten nicht zulässig sein. Auch und gerade in Corona-Zeiten wollen kommunale Entscheidungen gut geprüft, abgewogen und debattiert werden. Kommunale Demokratie ist keine Schönwettereinrichtung, die von der Verwaltung suspendiert werden kann, wenn es schwieriger wird.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Innenministerium Sachsen: Hinweise des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Durchführung von Gemeinderats-‚ Kreistags- und Ausschusssitzungen während der Corona-Pandemie, 24.03.2020, sowie Sächsischer Städte-und Gemeindetag: Durchführung von Sitzungen des Gemeinderates und seiner Ausschüsse, 01.04.2020
  2. Städte- und Gemeindebund Brandenburg: Empfehlungen für die Durchführung von Sitzungen der Gemeindevertretungen, Hauptausschüsse und sonstigen Ausschüsse der Städte, Gemeinden und Ämter, Rundschreiben 72/2020 vom 24.03.2020 (pdf-Format, 4 Seiten)
  3. Die Zeitschrift KOMMUNAL zeigt im Bild, wie der Gemeinderat von Groß Köris (Brandenburg) in einer Mehrzweckhalle Corona-gerecht tagt. Der Chemnitzer Stadtrat tagte beispielsweise im Konferenzbereich eines Sportstadions: Süddeutsche Zeitung, Chemnitzer Stadtrat trifft sich im Stadion, 29.04.2020
  4. Ministerium für Inneres und Sport Niedersachsen: Rundschreiben COVID-19 (Coronavirus) - Hinweise zu den kommunalen Entscheidungsprozessen, Direktaufträgen und Liquiditätskrediten vom 19.03.2020 (pdf-Format, 4 Seiten); siehe auch KOMMUNAL, Corona-Krise: Eilentscheidungen und Beschlussfassung im Gemeinderat, 02.04.2020
  5. Zeit: Maskenpflicht bei Sitzungen? Gemeinderäte dürfen entscheiden, 24.01.2021
  6. Siehe: Städte- und Gemeindetag Mecklenburg-Vorpommern, Beschlüsse statt in einer Sitzung im schriftlichen Umlaufverfahren fassen, 25.03.2020, mit Link auf das Rundschreiben sowie auf Hinweise zur Handhabung
  7. Landtag NRW, Gesetzentwurf der Landesregierung zur konsequenten und solidarischen Bewältigung der COVID-19-Pandemie in Nordrhein-Westfalen und zur Anpassung des Landesrechts im Hinblick auf die Auswirkungen einer Pandemie vom 28.03.2020, Drucksache 17/8920 (pdf-Format, 84 Seiten; der hier zitierte neue § 60a der Gemeindeordnung findet sich auf S. 19 des Dokuments).
  8. Franz Reinhard Habbel: Stadtrat tagt im Home-Office, in: KOMMUNAL, 06.04.2020
  9. Zeit, Gemeinderäte dürfen auch künftig nicht rein virtuell tagen, 07.02.2021
  10. Gesetz zur Sicherstellung der Handlungsfähigkeit der brandenburgischen Kommunen in außergewöhnlicher Notlage (Brandenburgisches kommunales Notlagegesetz – BbgKomNotG), in den Landtag eingebracht am 09.04.2020
  11. Heiner Klemp: Digitale Teilnahme an Ratssitzungen in Brandenburg: Von der Corona-Notlösung zur dauerhaften Option, in: Alternative Kommunalpolitik 4/2021, Juli 2021
  12. Siehe den neu gefassten § 35 (3) der Gemeindeordnung sowie den neu gefassten § 7 der Bezirksordnung für den Bezirksverband Pfalz. Siehe auch Welt, Kommunen sollen per Video- und Telefonschalten entscheiden, 28.04.2020
  13. Bayerisches Staatsministerium des Innern: Informationen zum Coronavirus, dort: Update vom 22. März 2020
  14. Main-Post: Corona: Bürgermeister bekommt Stadtratsaufgaben übertragen, 24.03.2020
  15. Veitshöchheim News, Bis 30.4.2020 tagt nun in Veitshöchheim an Stelle des Gemeinderates der Ferienausschuss in öffentlicher Sitzung, 26.03.2020
  16. Siehe dazu neben dem Gesetzeswortlaut: Rundschreiben der Bayerischen Staatsregierung vom 16.03.2021: Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung, Landkreisordnung, Bezirksordnung und weiterer Gesetze zur Bewältigung der Corona-Pandemie (pdf-Format, 65 Seiten); KOMMUNAL, Digitale Ratssitzung: Hybridsitzungen ab sofort erlaubt, 08.03.2021
  17. VerfGH München, Entscheidung vom 10.06.2021, Aktenzeichen: Vf. 25-VII-21; siehe auch BR, Corona-Ausschüsse in Kommunen verfassungswidrig, 11.06.2021
  18. Im Wortlaut: Verordnung zur Aufrechterhaltung der Handlungsfähigkeit der kommunalen Organe in außergewöhnlicher Notlage (Brandenburgische kommunale Notlagenverordnung - BbgKomNotV) vom 17. April 2020
  19. Berlin.de: Kommunen können in Notlagen weiter online beschließen, 25.09.2020
  20. Hessischer Landtag, Entwurf: Gesetz zur Sicherung der kommunalen Entscheidungsfähigkeit und zur Verschiebung der Bürgermeisterwahlen vom 23.03.2020 (pdf-Format, 9 Seiten); das Gesetz regelt zugleich die Verschiebung der ab April 2020 terminierten Bürgermeisterwahlen.
  21. Die Eilentscheidung im Wortlaut: VG Darmstadt, Beschluss vom 27.05.2020, Az.: 3 L 722/20 DA; siehe auch: Hessischer Städte- und Gemeindebund, Entscheidung des Finanzausschusses an Stelle der Gemeindevertretung, 16.06.2020
  22. Süddeutsche Zeitung: Städtetag will mehr freie Hand für Kommunalvertretungen, 06.05.2020
  23. Süddeutsche Zeitung: Regelung für Kommunalvertreter-Sitzungen in MV, 08.12.2021
  24. Landtag NRW: Gesetzentwurf der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Gesetz zur Änderung der Gemeindeordnung für das Land Nordrhein-Westfalen (GO NRW) vom 16.03.2021, Drucksache 17/13064
  25. Siehe die eingegangenen Stellungnahmen auf der Seite des Landtags
  26. Städte- und Gemeindebund NRW, Modellprojekt digitale und hybride Gremiensitzungen, 19.08.2021. Siehe auch: WDR, Homeoffice verboten: Anwesenheits-Pflicht bei Ratssitzungen in NRW, 25.06.2021; RP online: Räte sollen digital tagen können, 30.06.2021
  27. Siehe den Gesetzentwurf: Gesetz zur Einführung digitaler Sitzungen für kommunale Gremien und zur Änderung kommunalrechtlicher Vorschriften, Landtags-Drucksache 17/16295 vom 18.01.2022 (pdf-Format, 77 Seiten); Zeit, Ratssitzungen werden in Ausnahmefällen auch digital möglich, 06.04.2022
  28. Süddeutsche Zeitung: Wöller: Koalition macht digitale Ratssitzungen unmöglich, 24.11.2021
  29. Volksstimme, Landtag ruft Pandemie-Lage aus: Mehr Rechte für Kommunen, 19.11.2020
  30. Geändert wurden die § 35a GO, § 30a KrO, § 24a AO i.V.m. § 35a GO, § 5 Absatz 6 GkZ i.V.m. § 35a GO; Grundlage ist das "Gesetz zur Änderung kommunalverfassungsrechtlicher Vorschriften" vom 7. September 2020 (veröffentlicht im Schleswig-Holsteinischen Gesetz- und Verordnungsblatt vom 24.09.2020, S. 516). Die Landesregierung fasst die Vorschriften im Runderlass vom 29.10.2020 zusammen.
  31. Beispiel Kreis Stormarn: Hamburger Abendblatt, Kommunen schaffen Voraussetzungen für Online-Sitzungen, 14.11.2020
  32. Schreiben des Innenministeriums Thüringen, zitiert nach: KOMMUNAL, Die Gemeinderatssitzung in Zeiten von Corona, 25.03.2020. Der Autor Christian Erhardt weist darauf hin, dass manche per Eilentscheidung getroffenen Beschlüsse nach der Corona-Krise gerichtlich angegriffen werden könnten; siehe zu den Voraussetzungen für Eilentscheidungen auch den Artikel: Eilentscheidung.
  33. Siehe dazu den Artikel Eilentscheidung

Siehe auch[Bearbeiten]