Strategien überregionaler Energieversorgungsunternehmen zur Besitzstandswahrung auf der Verteilnetzebene
Die Studie "Strategien überregionaler Energieversorgungsunternehmen zur Besitzstandswahrung auf der Verteilnetzebene" wurde vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen erstellt und im April 2013 veröffentlicht. Sie zeigt auf, mit welchen Strategien Energieversorger versuchen, die Rückübernahme von Stromnetzen in die Hand der Kommunen zu behindern.
Fragestellung[Bearbeiten]
Immer mehr Kommunen nutzen das Auslaufen von Konzessionsverträgen, um die Rekommunalisierung des örtlichen Stromverteilnetzes in Angriff zu nehmen. Dies eröffnet Chancen, die Erträge der Nezte für regionale und lokale Wertschöpfung zu nutzen, und die Energiewende voranzutreiben. Als Gründe, die für eine Rekommunalisierung von Stromnetzen sprechen können, nennt der VKU:
- Schon der reine Netzbetrieb ist mit Kapitalverzinsungen, die vom maßgeblichen Netzrecht zwischen sieben und neun Prozent festgelegt sind, nicht unattraktiv.
- Ein Stadtwerk, das als Netzbetreiber öffentlich auftritt, wird vom Kunden natürlich auch als Versorger gesehen.
- Der Netzbetrieb wird als taktische Basis gesehen, auf der sich Eigenerzeugung und Stromversorgung (einschließlich Vertrieb) besser aufbauen lassen.
Große Energieversorgungsunternehmen, die bislang Netzeigentümer sind, nehmen das nicht widerstandslos hin. Die Studie stellt fest, dass sie "dabei auch vorhandene Lücken im gesetzlichen Regelwerk zu ihren Gunsten nutzen, um Mitbewerber aus dem Feld zu schlagen und Rekommunalisierungsabsichten der Gemeinden zu erschweren oder zu verhindern. Dazu kommen Maßnahmen, die geeignet sind, politische Entscheidungsträger zu vereinnahmen oder ihre Entscheidungen zu ihren Gunsten zu beeinflussen. In beschriebenen Einzelfällen scheint die Rechtmäßigkeit des Vorgehens sogar zweifelhaft." Neben einer guten Vorbereitung einer Netzübernahme auf kommunaler Ebene - wozu auch gute Beratung gehört - bedürfe es auch zahlreicher Gesetzesinitiativen auf Bundesebene, um den Konzessionswettbewerb fair auszugestalten.
Strategien[Bearbeiten]
Die Studie beschreibt folgende Strategien der bisherigen Netzbetreiber:
- Ein deutlich zu hoher Netzpreis ist immer noch das stärkste Argument der Altkonzessionäre, drohende Rekommunalisierungen zu verhindern.
- Eine weitere Methode sei es, den laufenden Verhandlungsprozess zu verzögern und auf Zeit zu setzen.
- Die Konzerne geben notwendige Daten oft nicht, nur teilweise oder sehr spät heraus. Dabei nutzten sie in der Vergangenheit eine Regelungslücke im § 46 EnWG, das bis 2011 offen ließ, wann der Altkonzessionär die netzrelevanten Daten zur Verfügung stellen muss. Über den Umfang bzw. Detaillierungsgrad der Daten besteht weiterhin Unklarheit.
- Die Erlösobergrenze wird von den Regulierungsbehörden für ein Gesamtnetz festgelegt und kontrolliert. Kauft ein Bewerber nur ein Teilnetz, kann der Altkonzessionär mit veränderten Angaben arbeiten: Der Wettbewerber bekommt eine zu niedrige Erlösobergrenze zugewiesen und kann damit weniger wirtschaftlich arbeiten.
- Hat ein anderer Bewerber bei der Konzessionsvergabe den Zuschlag bekommen, wird er häufig vom Altkonzessionär mit Klagen überzogen, die oft nicht gerichtsfest sind, aber den neuen Betreiber Geld und Zeit kosten. Beim Bundeskartellamt laufen derzeit über 1.200 Verfahren.
- Sponsoring und „Landschaftspflege“ werden als Anreiz, ihr Entzug als Druckmittel eingesetzt.
- Kommunen, die Filialen, Schaltzentralen, Werkstätten oder ähnliche Niederlassungen des Altkonzessionärs beherbergen, wird gedroht, dass diese Betriebsstelle geschlossen wird und alle damit verbundenen örtlichen Arbeitsplätze abgezogen werden.
- Mit unterschiedlichsten Argumenten versuchen Altkonzessionäre einen vorzeitigen Neuabschluss eines Konzessionsvertrages - lange vor Auslaufen des alten - (üblicherweise für 20 Jahre) herbeizuführen.
- Stromkonzerne unterhalten Verwaltungs- oder Regionalbeiräte, in die man die wichtigsten politischen Funktionsträger aus den Kommunen beruft. Dafür werden ihnen teils hohe Vergütungen und Sitzungsgelder geboten.
- Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Konzerne werden ausdrücklich zum Engagement in der örtlichen Kommunalpolitik ermutigt und bei Erfolg weitgehend für ihre kommunalpolitische Arbeit freigestellt bei weiterlaufender Bezahlung.
- Neuverträge enthalten oft Klauseln, die künftiges kommunales Handeln (z. B. Sonderkündigung) erschweren.
Weiteren Strategien, die vor allem überregionalen Konzernen zur Verfügung stehen, kann die einzelne Kommune noch weniger entgegensetzen. Die Studie nennt hier eine Reihe von Praxisbeispielen.
Empfehlungen für Kommunen[Bearbeiten]
Das Wuppertal Institut formuliert eine Reihe von Empfehlungen, die Kommunen die Netzübernahme trotz des Widerstands der Altkonzessionäre erleichtern können:
- Nicht verunsichern lassen. Weder würde die Versorgungssicherheit durch eine Netzentflechtung gefährdet noch gingen im Ergebnis Arbeitsplätze verloren, da auch ein kommunal betriebenes Netz eine Vielzahl von Arbeitsplätzen und Aufträgen generiert.
- Gegen eine Verzögerungsstrategie kann das Einschalten der Kartellbehörde wie auch eine offensive Öffentlichkeitsarbeit helfen, notfalls auch der Rechtsweg.
- Aktien der Stromkonzerne sollte die Kommune verkaufen, um unabhängig zu werden und personell nicht in Gremien des Versorgers eingebunden zu sein. Die Erlöse können in klimafreundlichen Energieprojekten sehr rentabel verwendet werden.
- An "Beiräten" sollen sich Kommunalpolitiker/innen nicht beteiligen.
- Die kommunalen Entscheidungsträger sollten sich nicht vorschnell von den Netzpreisvorstellungen der Altkonzessionäre entmutigen lassen und ihr Vorhaben nicht aufgeben. Viele Beispiele zeigen, dass ein Netzkauf unter Vorbehalt (Vorbehalt der Rückforderung eines überhöhten Kaufpreises) sinnvoll sein kann.[1]
- Sponsoring kann völlig unproblematisch sein, kann aber auch die Grenze zu Korruption und Bestechung überschreiten. Vor diesem Hintergrund sollten Entscheidungsträger sich der Gefahr der Bestechung bewusst sein und nicht scheuen, derartige Versuche zur Anzeige zu bringen.
- Koppelgeschäfte sind in Verbindung mit Konzessionsverträgen nur in sehr engen Grenzen erlaubt. Sofern kommunalen Entscheidungsträgern unerlaubte Koppelgeschäfte bekannt sind, sollten diese dem Bundeskartellamt bzw. der Bundesnetzagentur angezeigt werden.
Weiterhin formuliert die Studie eine Reihe von Empfehlungen für die Bundespolitik, um die Rechtssicherheit zu verbessern und faire Bedingungen für Kommunen zu schaffen. In einem Anhang werden Erfolgsbeispiele und -faktoren für eine kommunale Netzübernahme zusammengestellt.
Fußnoten[Bearbeiten]
- ↑ Um das Problem der Netzbewertung grundsätzlich zu lösen, müsste laut Wuppertal Institut § 46 EnWG novelliert werden. Dabei sollte eindeutig gesetzgeberisch festgelegt werden, dass der Ertragswert eine angemessene Vergütung darstellt.
Weblink[Bearbeiten]
- Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie GmbH: Strategien überregionaler Energieversorgungsunternehmen zur Besitzstandswahrung auf der Verteilnetzebene. Studie im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen, April 2013 (pdf-Format, 56 Seiten)
Siehe auch[Bearbeiten]
- Kurt Berlo und Oliver Wagner: Stromnetze: Harter Gegenwind bei der Rekommunalisierung, in: AKP Heft 3/2013, S. 22