Wahl zur Bremischen Bürgerschaft 2023

Aus KommunalWiki

Bei der Wahl zur Bremischen Bürgerschaft und zur Stadtverordnetenversammlung in Bremerhaven am 14.05.2023 konnte die SPD deutlich hinzugewinnen und liegt jetzt wieder vor der CDU. Die Grünen dagegen verlieren deutlich und liegen mit knapp 12% nur wenig vor mit der in Bremen sehr starken Linken. Die FDP schaffte den Einzug in das Landesparlament nur knapp. Statt der AfD, die wegen interner Streitigkeiten nicht zur Wahl zugelassen wurde, konnte die lokale Wählerinitiative "Bürger in Wut" (BiW) mehr als 9% der Stimmen einsammeln. Die SPD kann sich jetzt ihren Koalitionspartner aussuchen. Manches spricht dafür, dass das bisherige rot-rot-grüne Bündnis fortgesetzt wird, aber auch eine "große Koalition" ist möglich.

Ein ungewöhnlicher Stadtstaat[Bearbeiten]

Bremens Wahlsystem will durchschaut werden. Zwar zählt das Land neben Berlin und Hamburg zu den Stadtstaaten, doch besteht es aus zwei Städten: Bremen und Bremerhaven. Die rund 55 km Luftlinie von Bremen entfernte Küstenstadt ist eigenständige Gemeinde mit vollständigen kommunalen Kompetenzen und eigener Kommunalverfassung; damit wird für sie auch eine eigene Stadtverordnetenversammlung gewählt. Davon getrennt werden hier zeitgleich 15 Abgeordnete für das Landesparlament, die "Bürgerschaft" bestimmt. In Bremen werden 69 Abgeordnete gewählt, die zusammen mit den Bremerhavener Abgeordneten das Landesparlament, ohne diese den Stadtrat - die "Stadtbürgerschaft" - bilden. Damit sind die Bremer Abgeordneten sowohl Mitglieder eines Stadtrates als auch eines Landesparlaments. Anders als in den anderen Stadtstaaten gibt es auf der politischen Ebene eine klare Trennung zwischen Land und Gemeinde, auch die Haushalte werden getrennt aufgestellt. Die Senator:innen sind jedoch zugleich Landesminister:innen als auch Dezernent:innen und als Verwaltungsspitze mit Landes- wie auch mit auch kommunalen Aufgaben betraut.

Die 5%-Hürde für das Landesparlament gilt in beiden Städten getrennt, d.h. eine Partei kann, wenn sie in Bremerhaven mehr als 5% holt, von dort Abgeordnete in die (Landes-)Bürgerschaft entsenden, auch wenn sie im gesamten Land die 5%-Hürde nicht schafft. Bremen hat weiterhin eine Art Bezirksverfassung: Neben der Bürgerschaft werden hier sogenannte Ortsamtsbeiräte gewählt, die allerdings im Vergleich zu Berlin oder Hamburg nur sehr geringe Kompetenzen haben.

Darüber hinaus wird in Bremen kumuliert und panaschiert: Die Wähler:innen haben 5 Stimmen, die sie auf eine oder mehrere Kandidat:innen oder auch ganze Listen verteilen oder konzentrieren können. Das macht die Auszählung aufwändiger und langwieriger als in anderen Ländern oder Gemeinden.

Die Ergebnisse als Tabelle[Bearbeiten]

Bürgerschaftswahl Bremen 2023 – Landtag (Vorläufiges amtliches Endergebnis, 18.05.2023)
Wahlvorschlag 2023 2019 Änderung
SPD 29,8 24,9 +4,9
CDU 26,2 26,7 -0,5
GRÜNE 11,9 17,4 -5,5
LINKE 10,9 11,3 -0,4
FDP 5,1 6,0 -0,9
BiW 9,4 2,4 +7,0
AfD -- 6,1 -6,1
Sonstige 6,9 7,6 -0,7
Wahlbeteiligung 56,8 64,1 -7,3

Die GRÜNEN[Bearbeiten]

Für die GRÜNEN ist das Ergebnis besonders enttäuschend. Schließlich war Bremen eine ihrer Hochburgen, nicht nur eine der ersten Großstädte mit grüner Parlamentspräsenz (Grüne Liste 1979), sondern als Universitätsstadt mit wenig Berührungsängsten nach links ein eher leichtes Pflaster. In ihren besten Zeiten holten sie deutlich über 20% der Stimmen (22,5% im Jahr 2011). Sicher hat, wie die Bremer Grünen nach der Wahl erklärten, die Bundespolitik nicht gerade geholfen. Doch spielten wohl örtliche Fehler die größere Rolle, was auch daran zu sehen ist, dass die Grünen bei der gleichzeitigen Kommunalwahl in Schleswig-Holstein durchaus respektabel abschnitten. Besondere Kritik zogen sich die Grünen zu, als die zuständige Senatorin, angeblich im Senat nicht abgesprochen, in einem Stadtteil die "Brötchentaste" (kostenloses Kurzzeitparken) abschaffte. Doch werden der langjährigen Mobilitätssenatorin noch weit mehr Versäumnisse vorgeworfen.[1] Ehemals grüne Stimmen landeten überwiegend bei der SPD und bei den Linken. Die Spitzenkandidatin der Grünen Maike Schaefer zog einen Tag nach der Wahl die Konsequenzen und teilte mit, dass sie als Senatorin nicht mehr zur Verfügung steht.[2] Sülmez Colak, Spitzenkandidatin der Grünen in Bremerhaven und bisher Vizepräsidentin der Bremischen Bürgerschaft, erklärte sogar ihren Austritt aus der Partei, will aber ihr Mandat als fraktionslose Abgeordnete behalten. Die beiden Landesvorstandssprecher:innen kündigten an, bei der nächsten Wahl nicht mehr zu kandidieren.[3]

Die "großen Parteien"[Bearbeiten]

Die SPD kann sich als Wahlsiegerin fühlen. Sie ist wieder stärkste Kraft und hat ihr Wahlergebnis von 2019 deutlich übertroffen, auch wenn sie frühere Werte (2015 und davor) nicht mehr erreicht. Ihr populärer Spitzenkandidat Bovenschulte wird - unabhängig von der zukünftigen Regierungskoalition - den Posten des Bürgermeisters behalten und damit eine bisher 77jährige SPD-Herrschaft fortsetzen. Anders die CDU, die vor vier Jahren stärkste Partei wurde und diese Position jetzt wieder abgibt.

Die "Kleineren"[Bearbeiten]

Die Linke ist in Bremen für ein westdeutsches Bundesland ungewöhnlich stark. Ihre Spitzenkandidatin Kristina Vogt hatte sich als Wirtschaftssenatorin parteiübergreifend Anerkennung erarbeitet, die Querelen innerhalb der Partei auf Bundesebene haben ihr lokal offenbar wenig anhaben können. Vermutlich hat die Linke zudem - ähnlich wie die SPD - von der Schwäche der Grünen ein wenig profitiert. Dagegen rutschte die FDP weiter ab und lag nur noch knapp über der Sperrklausel.

Die Rechtspopulisten[Bearbeiten]

Die AfD, die zuletzt in der Bremischen Bürgerschaft vertreten war, hatte sich gespalten: Zwei Landesvorstände hielten sich jeweils für die legitime Vertretung der Partei, hatten eigene Parteitage einberufen und jeweils eine Liste eingereicht. Der Landeswahlausschuss hatte daraufhin keine der AfD-Listen zur Wahl zugelassen, was möglicherweise zu einer Wahlanfechtung führen wird.[4] Von dieser Situation profitierte die lokale Wählervereinigung "Bürger in Wut". Sie kam landesweit auf fast 10% und wird entsprechend in der Bürgerschaft mitmischen. Nach Erhebungen im Auftrag des ZDF stammte ein rundes Drittel ihrer Stimmen von früheren AfD-Wähler:innen - auch ohne den Ausfall der AfD wären die BiW wohl in den Landtag eingezogen. Im sozial abgehängten Bremerhaven, wo sie schon in der vorherigen Wahl die 5%-Hürde übersprungen hatte, kamen die BiW auf 22,7% und wurden bei der Landtagswahl zweitstärkste Kraft.[5]

Gut eine Woche nach der Wahl wurde bekannt, dass der BiW-Kandidat Sven Lichtenfeld sich beim Wahlkampf von stadtbekannten Rechtsextremen hatte unterstützen lassen. Lichtenfeld war erst 2021 von der zerstrittenen Bremer AfD zur BiW gewechselt und hatte durch die Wahl sowohl ein Mandat in der Bremischen Bürgerschaft als auch in der Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung erhalten. Der Spitzenkandidat erklärte daraufhin, Lichtenfeld würde nicht in die BiW-Fraktion aufgenommen, und forderte ihn auf, seine Mandate nicht anzunehmen. Die BiW wird ihre Fraktion nicht unter diesem Namen konstituieren; sie hatte vor der Wahl ein Wahlbündnis mit dem erst im März 2023 gegründeten bundesweiten "Bündnis Deutschland" geschlossen, die Fusion soll in Kürze stattfinden. Das Bündnis Deutschland soll den Erfolg der BiW über Bremen hinaus bundesweit ausdehnen.[6]

Die Wahlbeteiligung[Bearbeiten]

... lag mit etwas unter 57% deutlich hinter der der vorausgegangenen Wahl (64,1%).

Wählerwanderungen und weitere Differenzierungen[Bearbeiten]

Eine vom Spiegel veröffentlichte Analyse der Wählerwanderungen[7] hilft, die Abweichungen gegenüber der vorherigen Wahl zu interpretieren:

  • Die CDU verliert deutlich durch Tod oder Wegzug; sie gewinnt durch Zuzug und bei Erstwähler:innen sehr viel weniger hinzu. Vor allem aber sind frühere CDU-Wähler:innen der Wahl diesmal ferngeblieben; das könnte auf nicht ausgeschöpfte Potenziale hindeuten. Sie gewinnt ein paar frühere SPD-Stimmen hinzu, gibt aber in ähnlichem Umfang an die SPD ab.
  • Auch die SPD verliert Wähler:innen vor allem ins Lager nicht Nichtwähler:innen, gefolgt von Verstorbenen und Weggezogenen. Hinzugewinnen kann sie vor allem Stimmen von Menschen, die zuvor Grüne oder Linke gewählt hatten.
  • Die Grünen verlieren vor allem an die SPD, aber auch durch Wegzug - ohne dass Zugezogene dies ausgleichen; weiterhin sind ehemalige Wähler:innen der Grünen zu den Linken und zu den Nichtwähler:innen abgewandert. Für ihre Zugewinne spielen Erstwähler:innen die stärkste Rolle - was zugleich bedeutet, dass sie frühere Wähler:innen anderer Parteien kaum überzeugen konnten.
  • Die Linke verliert vor allem durch Wegzug, ohne dies durch Zuzug ausgleichen zu können, und an die SPD.
  • Die FDP kann vor allem ehemalige CDU-Wähler:innen überzeugen.
  • Die "Bürger in Wut" können natürlich ehemalige AfD-Wähler:innen für sich gewinnen, aber auch einige frühere CDU-Anhänger:innen gaben ihnen diesmal ihre Stimme.
  • Frühere AfD-Wähler:innen haben sich - sofern sie nicht verstorben oder weggezogen sind - überwiegend für die BiW, teilweise aber auch für die Nichtwahl entschieden.

Auffällig ist weiterhin, dass selbst bei den "großen Parteien" CDU und SPD, deren Wahlklientel als recht stabil gilt, nur ungefähr die Hälfte der Wähler:innen auch fünf Jahre zuvor die gleiche Partei wählte. Die andere Hälfte wechselt bei jeder Wahl - nicht immer zu einer anderen Partei, denn in diesem Wechsel sind ja auch Verstorbene und Weggezogene, auf der anderen Seite Erstwähler:innen und Zugezogene enthalten. Daraus ergibt sich, dass Parteien, um erfolgreich zu sein, immer wieder Wähler:innen außerhalb ihrer Stammwählerschaft von sich überzeugen müssen.

Die Altersanalyse zeigt, dass für die Stärke von SPD und CDU vor allem die älteren Wähler:innen verantwortlich sind. In der Altersgruppe ab 70 wählten 34% die CDU, 41% die SPD. Mit sinkendem Alter nehmen diese Anteile immer mehr ab, bei den Jüngsten sind sie nicht einmal halb so groß (16% bzw. 19%). Die Grünen finden die größte Zustimmung in den beiden Altersgruppen zwischen 25 und 44 Jahren (19 bzw. 18%) und interessanterweise nicht bei den Erstwähler:innen (16%) - hier punktet die Linke mit 18% am stärksten und liegt fast gleichauf mit der SPD. Wähler:innen mit einfacher Bildung wählen besonders häufig SPD oder AfD, Personen mit hoher Bildung deutlich stärker als der Durchschnitt Grüne, Linke oder (weniger signifikant) die FDP. Die Unterscheidung nach Geschlecht ergibt, dass Grüne, SPD und ein wenig auch die Linke Frauen eher überzeugen können als Männer, bei denen CDU, AfD und FDP vergleichsweise besser ankommen.

Koalitionsgespräche[Bearbeiten]

Kurz nach der Wahl begann die Bremer SPD Sondierungsgespräche sowohl mit der CDU als auch mit ihren bisherigen Koalitionspartner:innen Grüne und Linke. Am 24.05.2023 erfuhr der WeserKurier, dass die Fortsetzung der bisherigen Koalition beabsichtigt sei, d.h. die zukünftige Landes- und Stadtregierung wird wieder aus SPD, Grünen und Linken bestehen mit einer deutlich gestärkten SPD.[8]

Wahl zur Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven[Bearbeiten]

Die Ergebnisse für die Stadtverordnetenversammlung Bremerhaven ähneln auf den ersten Blick denen für das Land. Jedoch holten hier die beiden "großen" Parteien etwas weniger Stimmen als bei der Landtagswahl, wobei die CDU (20,3%)[9] wie im Land etwas abnahm, die SPD dagegen (27,0%) zulegen konnte und stärkste Partei blieb. Die Grünen (13,7%) mussten weniger Federn lassen als bei der Landeswahl, was ebenfalls dafür spricht, dass lokale Gründe für ihre Ergebnisse eine große Rolle spielten. Interessant ist die Entwicklung im rechten Spektrum: Obwohl in Bremerhaven die AfD antrat, blieb sie mit 5,9% deutlich unter ihrem vorherigen Ergebnis, während die "Bürger in Wut" mit 19,6% nur knapp hinter der CDU liegen und ihren Erfolg von 2019 mehr als verdoppelten. Die Verschiebung zwischen diesen Kräften scheint also - zumindest in Bremen - Substanz zu haben.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. buten un binnen (Radio Bremen), Bremer Grüne sind zurecht die Verlierer der Bürgerschaftswahl, 15.05.2023
  2. Kreiszeitung: Bremen-Wahlflop für die Grünen: Spitzenkandidatin Schaefer wirft das Handtuch, 15.05.2023
  3. tagesschau, Bremens Grünen-Spitzenkandidatin Schaefer tritt zurück, 15.05.2023; Tagesspiegel, Spitzenkandidatin der Bremerhavener Grünen tritt aus Partei aus, 18.05.2023; FAZ, Welche Folgen haben die Turbulenzen bei den Grünen?, 18.05.2023
  4. FAZ, Neue Stufe der Selbstdemontage, 23.03.2023
  5. Siehe auch: Spiegel, »Bürger in Wut« nach vollständiger Auszählung zweitstärkste Kraft in Bremerhaven, 15.05.2023
  6. Zeit, Bürger in Wut trennen sich wegen rechter Kontakte von Abgeordnetem, 22.05.2023
  7. Schätzung des Wahlforschungsinstituts Infratest dimap; Spiegel, Wohin die Wähler der Grünen abgewandert sind, 15.05.2023 (vollständige Grafik nach dem 4. Absatz)
  8. WeserKurier, SPD will in Bremen wieder mit den Grünen und Linken regieren, 24.05.2023
  9. Zahlen nach vollständigen Auszählung, siehe unten

Siehe auch[Bearbeiten]