Kommunale Wasserwirtschaft
Die Wasserver- und Abwasserentsorgung der Städte, Gemeinden und Kreise ist in der Regel der größte Haushaltsposten, über den in den Kommunen entschieden wird. Das milliardenschwere Anlagenvermögen in Form von Kanalrohren und Wasserversorgungsnetzen ist aber zunehmend vom Zerfall bedroht.
Neue Herausforderungen rund ums kühle Nass[Bearbeiten]
Eine der anspruchsvollsten Aufgaben von Gemeinderäten und Bürgermeistern wird darin bestehen, den Substanzerhalt und die Nachhaltigkeit in der Siedlungswasserwirtschaft zu tragbaren Kosten zu gewährleisten. Der drohende Kostenanstieg in der Siedlungswasserwirtschaft wird in einigen Regionen noch durch den Bevölkerungsrückgang und den Klimawandel massiv verschärft. Angesichts der Herausforderungen in der Siedlungswasserwirtschaft stellt sich auch die Frage, ob es für die Bewältigung der Aufgaben mehr Bürgerbeteiligung als bislang bedarf.
Mangelnde Substanzerhaltung[Bearbeiten]
Wie eine Bugwelle schieben zahlreiche Kommunen die dringend erforderliche Sanierung der Netze in der Wasserversorgung und der Abwasserentsorgung vor sich her. In der Wasserversorgung raten die Experten, von einer Lebensdauer der Netzanlagen in der Größenordnung von 50 Jahren auszugehen. Dies würde bedeuten, dass jährlich etwa zwei Prozent des Rohrnetzes rehabilitiert werden müssten. Tatsächlich liegt in vielen Wasserversorgungsunternehmen die Rate der Netzerneuerung nicht einmal bei einem Prozent. Die dahinter stehende Erwartung, dass die Rohrnetzanlagen eine Lebensdauer von 100 Jahren aufweisen, kann im Einzelfall richtig sein, ist aber bezogen auf das Gesamtnetz völlig unrealistisch.
Der Zerfall der Rohrnetzinfrastruktur verläuft eher schleichend und unbemerkt. Sichtbar wird das Desaster in der Regel nur dann, wenn es zu spektakulären Rohrbrüchen kommt, Fontänen aus dem Asphalt schießen, Straßen überflutet werden und in ganzen Straßenzügen bis zur Reparatur des Schadens die Wasserversorgung ausfällt. Eine solche Augenfälligkeit von Rohrbrüchen ist aber eher selten. Die Regel sind kleinere Leckagen im Untergrund, die an der Oberfläche völlig unbemerkt bleiben. Gleichwohl können sich die Wasserverluste über kleinere Lecks zu beträchtlichen Verlustraten aufsummieren.
Dabei kann nicht völlig ausgeschlossen werden, dass über die Leckagen auch Keime ins Netz eindringen. Das kann dann besonders problematisch werden, wenn das betreffende Wasserwerk keine Chlorung vornimmt. Da in den letzten Jahren der Trend „Weg vom Chlor“ dominant war, hat die Empfindlichkeit der Wasserversorgungsnetze für mikrobielle Einbrüche eher zugenommen. Die Sanierung der Rohrnetze sollte deshalb auch aus Gründen der Gesundheitsvorsorge nicht weiter verschleppt werden.
Der schleichende Zerfall der Rohrnetzinfrastruktur auf der Wasserversorgungsseite korrespondiert mit dem maroden Zustand vieler Kanalisationen. Bundesweit müssten in den nächsten Jahren schätzungsweise 95 Mrd. Euro investiert werden, um mindestens die beiden schadenträchtigsten Zustandsklassen zu sanieren. Verantwortungsbewussten Gemeinderäten ist zu empfehlen, sich nach dem Zustand der Netze in der Wasserver- und in der Abwasserentsorgung zu erkundigen, die erforderliche und die tatsächlich getätigte Erneuerungsrate in Erfahrung zu bringen, sich über die Rohrnetzverluste zu informieren, den erforderlichen Sanierungsaufwand und die daraus resultierenden Gebührensteigerungen abzufragen.
Der Substanzverlust der unterirdischen Infrastruktur beruht in den meisten Fällen darauf, dass beispielsweise der Anteil der Abschreibungen in den Trinkwassergebühren entgegen der Zweckbestimmung der Kommunalabgabengesetze (KAG) der Bundesländer vielerorts für die Finanzierung anderer kommunaler Aufgaben zweckentfremdet worden ist.
Vor der jetzt erforderlichen Sanierung der Netze schrecken aber viele Bürgermeister und Gemeinderäte zurück. In den Fällen, in denen man die längst fällige Sanierung der Anlagen auf die lange Bank geschoben hat, müssten eigentlich schlagartig beträchtliche Mittel in die Rohr- und Kanalnetzsanierung investiert werden. Die daraus notgedrungen ebenfalls beträchtliche Erhöhung der Wasser- und Abwassergebühren wollen die politischen Gremien aber nicht verantworten. Das Zurückschrecken vor dem erwarteten Zorn der gebührenzahlenden Wähler führt aber nur dazu, dass die „Bugwelle“ noch höher und der Zustand des Netzes noch desolater wird.
Kommunaler Kanalcheck-Service für Hausbesitzer[Bearbeiten]
Beim Stichwort „zerfallende Infrastruktur“ war der Fokus der öffentlichen Diskussion bislang weitgehend auf die öffentliche Kanalisation gerichtet. Seit einigen Jahren wird aber in der Fachdiskussion zunehmend erkennbar, dass die privaten Hausanschlussleitungen und Grundstücksentwässerungen einen noch deutlich schlechteren Zustand aufweisen. Unseriöse Geschäftemacher haben hier eine Marktlücke entdeckt und bieten verunsicherten Hausbesitzern weitgehend untaugliche Kanalchecks zu überteuerten Preisen sowie kostspielige Sanierungsverfahren an, bei denen absehbar ist, dass die Sanierung nicht nachhaltig gewährleistet ist.
Kommunale Kanalbetriebe sollten hier aktiv werden, um den Hausbesitzern eine Kanalinspektion und eine dauerhafte Sanierung zu reellen Preisen anzubieten. Kosteneinsparpotenziale ergeben sich vor allem dann, wenn in einem Straßenzug ohnehin der öffentliche Kanalstrang erneuert werden muss. Dann kann man "in einem Aufwasch“ auch die privaten Grundstücksentwässerungsanlagen mitsanieren, sofern sich das beim Kanalcheck als notwendig herausgestellt hat.
Rückbau siedlungswasserwirtschaftliche Infrastruktur?[Bearbeiten]
Vor allem in den „Schrumpfregionen“ Ostdeutschlands zeichnet sich mehr und mehr ab, dass bei stetig zurückgehenden Einwohnerzahlen die bisherige Ver- und Entsorgungs-Infrastruktur nicht mehr finanzierbar ist. In Ostdeutschland wird eine Entwicklung vorweggenommen, die durch den „demographischen Effekt“ über kurz oder lang auch viele westdeutsche Kommunen treffen wird: Den Wasser- und Abwasserbetrieben sterben schlichtweg die Kunden weg.
Die Folge von Bevölkerungswegzug und Bevölkerungsrückgang: Die ohnehin schwindenden Wasserbezugs- und Abwassermengen werden noch weiter zurückgehen. Da aber um die 80 Prozent der Kosten in der Wasserver- und Abwasserentsorgung Fixkosten sind, führt ein zurückgehender Absatz notgedrungen zu steigenden Kubikmeterpreisen. Der verbleibenden Restbevölkerung drohen überproportional ansteigende Wasser- und Abwassergebühren. Der drastische Anstieg kann allenfalls gelindert werden – das aber nur dann, wenn die kommunalen Wasser- und Abwasserbetriebe alle Möglichkeiten der Effizienzsteigerung in Angriff nehmen.
Dazu gehört auch die interkommunale Kooperation benachbarter Kommunalbetriebe. Die Zusammenarbeit mit benachbarten Kommunen scheint vielen Bürgermeistern und Gemeinderäten aber immer noch schwer zu fallen. Herzliche Feindschaften zwischen Nachbarkommunen, die bis ins Mittelalter zurückreichen, verhindern bis heute, dass man über den kommunalen Tellerrand hinausblickt und bei der Organisation der Wasserver- und der Abwasserentsorgung über Kommunalgrenzen hinweg kooperiert. Die Möglichkeiten zur Kosteneinsparung durch einen gemeinsamen Notdienst, durch eine gemeinsame Ersatzteilbevorratung, durch eine zentrale Steuerung der Anlagen, durch gemeinsame Abrechnung usw. usf. werden immer noch viel zu oft ignoriert. Zukunftsorientierte Gemeinderäte sollten diese Ignoranz überwinden und interkommunale Kooperationen anregen, bevor der demografische Wandel zu massiven Gebührensteigerungen führt.
Eine nicht viel bessere Situation zeichnet sich in den Regionen ab, wo die Städte immer noch wie Brei zerfließen. Wuchernde Einfamilienhaussiedlungen treiben ebenfalls die Infrastrukturkosten in nicht mehr bezahlbare Größenordnungen. Denn auch dort sinkt die Zahl der Anschlussnehmer pro Rohrleitungsmeter. Die Rückbesinnung und der Rückzug auf urbane Zentren im weitesten Sinne (von der City bis zum Dorfkern) wäre auch ein Beitrag, um die zentralen Infrastruktureinrichtungen im noch finanzierbaren Rahmen zu halten.
Mehr Bürgerbeteiligung in der Siedlungswasserwirtschaft[Bearbeiten]
Im Normalfall interessiert es kaum eine Bürgerin oder einen Bürger, welche Wege sein Klopapier durch das Kanalnetz nimmt oder mit welchem Verfahren das Trinkwasser im Wasserwerk entsäuert wird. Wenn aber strategische Weichenstellungen in der Trinkwasserversorgung und Abwasserreinigung anstehen, stellt sich die Frage, ob man die wichtigen Entscheidungen allein den Bürgermeistern, Gemeinderäten und Verbandsversammlungen überlassen soll.
Wenn beispielsweise über den Bau einer zentralen Enthärtungsanlage beschlossen werden soll, damit die Gemeinde weicheres Trinkwasser bekommt, dann ist dies ein Thema, das für viele BürgerInnen von Bedeutung ist. Oder wenn der Anschluss an einen benachbarten Zweckverband oder gar der Verkauf der Abwasseranlagen an einen privaten Investor ansteht, ist es kaum noch zu begründen, dass Bürgermeister, Gemeinderäte und Verbandsversammlungen die Entscheidungen „unter Ausschluss der Öffentlichkeit“ fällen.
Nachdem die Bürgerbeteiligung im Zusammenhang mit der „Schlichtung“ um „Stuttgart 21“ in aller Munde ist, wird in der Regel vergessen, dass eine aktive Bürgerbeteiligung in der wasserwirtschaftlichen Planung schon seit 2000 ein Gebot der EG-Wasserrahmenrichtlinie (Art. 14) ist. Eine aktiv geförderte Bürgerbeteiligung geht über die formalen Beteiligungsmöglichkeiten im üblichen Planfeststellungsverfahren deutlich hinaus. Vergleichbare Partizipations-Gebote für die Siedlungswasserwirtschaft (Trinkwasserversorgung, Abwasserreinigung) und für Maßnahmen der Hochwasserrückhaltung fehlen bislang bzw. gelten für den Bereich der Siedlungswasserwirtschaft nur auf freiwilliger Basis in Form der ISO 24510.
Der demografische Wandel ebenso wie der Klimawandel erfordern voraussichtlich einen partiellen Umbau der Siedlungswasserwirtschaft. Klimatische Veränderungen könnten auch weitergehende Hochwasserrückhaltemaßnahmen erforderlich machen. Wird eine Partizipation der interessierten und betroffenen Bevölkerung die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen in der wasserwirtschaftlichen Planung, der Siedlungswasserwirtschaft und im Hochwasserschutz eher hemmen oder eher fördern? Vermutlich muss man die Frage anders stellen. Denn die Konflikte in der Siedlungswasserwirtschaft während der letzten beiden Jahrzehnte zeigen, dass es ohne Bürgerbeteiligung gar nicht mehr geht. Wenn sich die Bevölkerung übergangen fühlte, wurde über Bürgerbegehren und Bürgerentscheide in vielen Fällen eine Bürgerbeteiligung erzwungen – beispielsweise bei Cross Border Leasing-Abenteuern, bei vorgesehenen Teilprivatisierungen oder bei der geplanten Aufgabe der ortseigenen Trinkwassergewinnung.
Insofern sollten sich auch die Entscheider in der Siedlungswasserwirtschaft und in der Hochwasserschutzplanung stärker für den Partizipationsgedanken öffnen: Mögliche Varianten sollten von Anfang an öffentlich diskutiert werden – und die notwendigen Entscheidungsgrundlagen sollten nicht länger nur in nicht öffentlichen Gremiensitzungen auf den Tisch gelegt werden. Neben den parlamentarischen Gremien kann eine zusätzliche Kontrollebene durch aufmerksame Bürgergruppen auch deshalb nichts schaden, weil selbst in rein kommunalen Wasser- und Abwasserbetrieben Lug und Trug, Korruption und Misswirtschaft nicht völlig ausgeschlossen sind. Verlustreiche Zinswetten, desaströse Cross-Border-Leasing-Geschäfte oder der Kauf „vergifteter“ Finanzprodukte durch Wasser- und Abwasserverbände hätten sich zumindest teilweise verhindern lassen, wenn man frühzeitig auf kritische Bürgerinitiativen gehört hätte.
--AKP-Redaktion 15:16, 10. Jan. 2013 (CET)
Quellen[Bearbeiten]
- Weitere Auskunft zu den angesprochenen Themen beim Autor: Nikolaus Geiler (Dipl.-Biol., Limnologe, wasserwirtschaftlicher und wasserpolitischer Berater); Arbeitskreis Wasser im Bundesverband Bürgerinitiativen Umweltschutz e.V. (BBU), Rennerstr. 10, 79106 Freiburg, Tel.: 0761/275 693, 4568 71 53, E-Mail: nik@akwasser.de
Artikel entnommen aus AKP 1/2011, S. 32-34