Verkauf städtischen Vermögens: Not- oder Scheinlösung?
Vielen Gemeinden steht das Wasser bis zum Hals. Ist der Verkauf kommunalen Vermögens ein Ausweg? Was ist unter finanzpolitischen Aspekten dabei zu beachten?
Hansjürgen David ist Bürgermeister der sächsischen Gemeinde Reinhardtsgrimma, hat Ideen und 3000 DM übrig. Mit dieser Summe schaltete er eine Anzeige in der FAZ: "Gemeinde in den neuen Bundesländern sucht Förderer und Gönner." Die 2900 EinwohnerInnen zählende Gemeinde mit sieben Ortsteilen ist praktisch bankrott und wusste sich nicht mehr anders als durch diesen Hilferuf bemerkbar zu machen. In den wilden Jahren nach der Wende sei "richtig Mist gemacht worden", sagt der erst seit zwei Jahren amtierende Bürgermeister. Z.B. spekulierte eine frühere Bürgermeisterin einer Teilgemeinde auf Empfehlung eines Anlageberaters mit einem Bankkredit, der eigentlich für Investitionen vorgesehen war, x und 8 von 12 Mio. DM waren futsch. Ein reicher Erbe, der die 7 Mio. Schulden von Reinhardtsgrimma übernehmen könnte, meldete sich bisher auf die Annonce nicht. Wohl aber die Bundeswehrhochschule, die kostenlos eine Studie über "Entwicklungspotentiale" anfertigen will ...
Ein Einzelfall in der Provinz? Nun, in der Hauptstadt Berlin wachsen den Verantwortlichen die Schulden auch über den Kopf und scheinen den Blick zu trüben. Zwar waren hier in den letzten Jahren erfahrene Politprofis am Werk, aber das Ergebnis ist das gleiche wie bei den FeierabendpolitikerInnen in Sachsen. Im Haushalt 1997 fehlen noch 6 Mrd. DM, im Folgejahr klafft ein Loch von 10 Mrd. DM, aber die CDU/SPD-Koalition kann sich nicht mal über peanuts einigen oder die Fraktionen stören sich gegenseitig bei ihren Geschäften. Der Verkauf von Vermögen scheint die einzige Rettung. Nach der Veräußerung der Bewag, dem Stromversorger, für 2,85 Mrd. DM (s.u.), wird jetzt das kommunale Gasunternehmen für 1 Mrd. DM feilgeboten. Mit diesen und anderen Erlösen aus hastigen Transaktionen sollen die größten Löcher gestopft werden, um überhaupt zum Jahresende noch zahlungsfähig zu sein. Dennoch wird befürchtet, dass ab dem Jahr 2000 die Zinslast auf 4,5 Mrd. DM jährlich anwachsen wird. Nach den Vorstellungen des SPD-Fraktionsvorsitzenden Klaus Böger soll ein Löwenanteil der städtischen Liegenschaften im Wert von 60 Mrd. in einen Fonds überführt werden. Mit den sofortigen Auszahlungen sollen Kredite vorzeitig getilgt und somit die Zinslast gedrückt werden, die jährliche Haushaltsentlastung durch dieses Manöver wird auf 5 Mrd. DM taxiert. Die CDU bremst und hofft auf rosige Zeiten, wenn der Umzug der Regierung vollzogen ist und die Hauptstadt boomt.
Also nur ein weiterer Einzelfall, hier verursacht durch den Hauptstadt-Bazillus? Als der Autor dieser Zeilen auf einem Seminar bei bayerischen Kommunalos/-as weilte, waren die Haushaltslöcher aus anderen Teilen der Republik kaum bekannt. Im größten Bundesland Nordrhein-Westfalen weisen 28 Städte einen Fehlbetrag im Haushalt aus (Gemeindefinanzbericht 1997, S. 168), und einige Städte schieben die Defizite schon seit mehreren Jahren vor sich her. Als letztes Mittel ist deshalb vielerorts der Verkauf von kommunalem Tafelsilber im Gespräch bzw. im Gange. Schauen wir uns einzelne Fälle an, denn daran lassen sich die Möglichkeiten und Grenzen, die Erträge und die Kosten von Verkäufen studieren.
Sonderfall Bankfurt[Bearbeiten]
Das Beispiel Frankfurt: Tom Koenigs hat bei seinem erzwungenen Abschied als Kämmerer der Stadt Frankfurt nicht ohne Stolz darauf verwiesen, daß in seiner Amtszeit die Schulden der Stadt gesunken sind. Nach der Prognose seines Vorgängers hätten sie ansteigen sollen (vgl. AKP 3/1997, S. 54). Eine Ursache für den geringeren Schuldenstand ist der Verkauf städtischen Vermögens. Es wurden Immobilien, Aktien und in geringerem Umfang Wohnungen versilbert, und zwar auf Basis eines Konzepts: "Es gab Verkäufe, aber keinen Ausverkauf. Städtische Liegenschaften wurden nicht 'abgestoßen', sondern strategisch eingesetzt", beschrieb Tom Koenigs seine Leitlinie in o.g. AKP-Artikel. Und mit Verweis auf deutlich ärmere Städte: "Wenn selbst Duisburg am eigenen Wohnungsbesitz festhält, darf Frankfurt sich nicht der – auch finanziell sehr kurzsichtigen – Ausverkaufspolitik von Bund, Bahn und Post anschließen." Was wurde nun zu welchem Preis verkauft? In den Jahren 1991-1996 wurden folgende Einnahmen aus Vermögensverkäufen erzielt (kleinere Positionen sind nicht aufgeführt):
- Liegenschaften: 950 Mio. DM
- Sale and lease back: 150 Mio. DM
- VEBA-Aktien: 650 Mio. DM
- Junge Flughafen-Aktien: 440 Mio. DM
Die Summe: 2,2 Mrd. DM
Zum Vergleich: der gesamte Haushalt der Stadt Frankfurt beläuft sich auf rund 6,5 Mrd. DM, der Schuldenstand auf ca. 6,1 Mrd. DM.
Ein ähnlich imposanter Vermögensbestand findet sich sonst nur in wenigen anderen Städten. Auch die "sale and lease back"-Methode scheidet inzwischen als kopierbares Modell aus. Nach diesem Verfahren wurde das Technische Rathaus in Frankfurt veräußert. Ursprünglich plante Koenigs weitere Verkäufe nach diesem Muster. Im Gespräch waren die attraktivsten städtischen Kindertagesstätten. Diese Idee musste fallengelassen werden, als durch das Einheitswert-Urteil die steuerlichen Vorteile für Privatanleger bei solchen Sale and lease back-Geschäften fraglich geworden waren. Überhaupt läßt sich der Frankfurter Erfolg kaum auf andere Städte übertragen. Neben dem seltenen Fall des Aktienbesitzes: welche Stadt hat schon so horrend hohe Grundstückspreise wie "Bankfurt"?
Echtes Tafelsilber: Wohnungsgesellschaften und Stadtwerke[Bearbeiten]
Lukrativstes Verkaufsobjekt sind im allgemeinen die Wohnungsbauunternehmen (jüngst Bremen, siehe allgemein den AKP-Schwerpunkt 2/1997) und die Stadtwerke bzw. Beteiligungen daran. Konzentrieren wir uns auf letztere. In den letzten Jahren haben bereits Frankfurt am Main, Hannover und Bremen Anteile an die herrschenden Stromkonzerne verkauft, jüngst auch Hamburg (vgl. AKP 2/97, S.6) und Berlin; in Leipzig sollen jetzt 40% der Stadtwerke veräußert werden. Aus Sicht einer Energiewendepolitik wurden diese Transaktionen meist als schwerer Rückschlag gewertet. Aber auch in finanzieller Hinsicht wurde das Ziel verfehlt: der erzielte Preis war oft niedriger als kalkuliert oder versprochen.
Besonders aufschlussreich ist hier das Beispiel Berlin: Vom öffentlichen Berliner Energieunternehmen Bewag wurden 50,8 % Anteile für 2,85 Mrd. DM an ein Konsortium aus den beiden deutschen Oligopolisten Preußenelektra und Viag sowie an die amerikanische Southern Company verkauft. Banker und Energiefachleute halten diesen Preis für deutlich zu niedrig: Die Bewag hat 13 Kraftwerke, ein Stromleitungsnetz von 4.200 km, zuletzt einen Gewinn von 169 Mio. DM und eine Gewinnrücklage von 2,7 Mrd. DM (vgl. Hartwig Berger: Berlins Energiepolitik im Ausverkauf, in Kommune 6/1997, S.15ff.). Wesentliche Gründe für die hinter den Erwartungen zurückgebliebene Kaufsumme sind: die Finanzsenatorin Fugmann-Heesing (SPD) stand angesichts der Riesenlöcher im Berliner Etat mit dem Rücken zur Wand; durch Indiskretionen insbesondere des CDU-Fraktionsvorsitzenden Landowsky wurde ihre Verhandlungsposition noch schlechter. Insbesondere Landowsky vertrat das Interesse, in den Käuferkreis deutsche EVUs einzubeziehen, mit der Folge, daß das Kartell der großen EVUs gesichert ist. Fugmann-Heesings Option, komplett an Southern Company zu veräußern, hätte über einen "Paketzuschlag" einen höheren Preis erbracht.
Zum Verkauf öffentlichen Vermögens wurden Alternativen vorgelegt. U.a. vom Wuppertal-Institut stammt die auch von Bündnis 90/Die GRÜNEN in Berlin und Hamburg eingebrachte Idee, dass die großen deutschen Stadtwerke einen Verbund bilden: aus den Rücklagen des einen Unternehmens würden Anteile an einem anderen gekauft und diese Aktienanteile dann einer gemeinsamen Beteiligungsgesellschaft zugeordnet, deren inhaltliches Ziel eine gemeinsame Politik des Klimaschutzes und der Energieeinsparung wäre (Näheres im erwähnten Artikel von H. Berger sowie in der von der BAG Energie des Bündnis 90/Die GRÜNEN herausgegebenen Broschüre "Tafelsilber oder Kochgeschirr", S. 34ff.).
Was läßt sich aus den geschilderten und ohne weiteres verallgemeinerbaren Fällen lernen?
- Das Versilbern von Vermögen ist die scheinbar einfachste Lösung; aber die naheliegendste muss nicht die beste Lösung sein. Oft wird ein Unternehmen verkauft, weil die Verantwortlichen sich vor dessen Effektivierung drücken wollen und deshalb die Flucht nach vorn antreten. Der private Eigner soll dann eine Radikalkur durchziehen. Manchmal wird auch verkauft, um unliebsamen politischen Diskussionen aus dem Wege zu gehen - das Einstellen des Verkaufserlöses in den Haushalt ist auch hier nur willkommener Nebeneffekt. Besser wäre es, das Unternehmen zu reformieren.
- Besser als das ziellose Abstoßen von Immobilien ist es, den vorhandenen Bestand strategisch zu durchforsten.
- Wenn eine Kommune noch Politik gestalten will, können nur wenige Objekte versilbert werden. Denn zur Füllung der Verfassungs-Hülse "Kommunale Selbstverwaltung" gehören kommunale Unternehmen als Instrumente dazu. Folgt man dem, sind aus Verkäufen nur bescheidene Einnahmen zu erzielen.
- Nur reiche Städte können sich durch Vermögensverkauf etwas aus dem Schlamassel ziehen. Arme Städte haben im allgemeinen eine schlechtere Infrastruktur und niedrigere Grundstückspreise. Wer verkaufen muss, hat eine schlechte Verhandlungsposition: dies nützen potentielle Käufer aus. Verstärkt wird dies dadurch, dass der Verkauf öffentlichen Vermögens meist auf offener Bühne stattfindet.
- Wenn Vermögen verkauft ist: vorherige eventuelle Gewinne können nicht mehr eingenommen werden. Oft werden gegenläufige finanzielle Effekte (z. B. bei Steuern) nicht berücksichtigt und der tatsächliche Ertrag ist dann geringer als veranschlagt.
- Die Erlöse zum Ausgleich der Defizite im Verwaltungshaushalt zu nutzen, ist sehr kurzsichtig. Die strukturellen Defizite bleiben bestehen. Wenn überhaupt verkauft wird, ist unter finanzpolitischen Gesichtspunkten nur die Tilgung sinnvoll. Sonst ist der Geldregen nichts als der Tropfen auf den heißen Stein.
Vor allem würde dies Illusionen über die Krise der Gemeindefinanzen nähren. Das Ausmaß der in vielen Städten kumulierten Defizite (siehe Gemeindefinanzbericht 1997) zeigt doch, daß jedenfalls in diesen Städten die Strategie des "Sich aus eigener Kraft befreien" am Ende ist. Statt kurzatmiger und unwirtschaftlicher Vermögensverkäufe ist eine Lösung nur durch eine Reform der Gemeindefinanzen zu erreichen. Darauf müssen die Kommunen massiver als bisher drängen.
Zum Weiterlesen[Bearbeiten]
Ein weiterer interessanter Artikel zu diesem Thema: "Kooperation statt Verkauf" von Manfred Krause.