Kassenkredite
Kassenkredite oder Liquiditätskredite sind Kredite, die die Kommune nur kurzfristig zur Sicherstellung der Liquidität (Zahlungsfähigkeit) aufnimmt. Sie unterscheiden sich damit grundsätzlich vom klassischen Kommunalkredit, der meist lange Laufzeiten von 10-20 Jahren hat und dem, weil er an ein Investitionsvorhaben gekoppelt ist, ein entsprechender Sachwert (z. B. ein Bauwerk) gegenübersteht.
Begriff[Bearbeiten]
Kassenkredite haben Kommunen schon immer in geringem Umfang aufgenommen, um Ausgaben zeitgerecht leisten zu können, wenn die entsprechenden Einnahmen Tage, Wochen oder Monate später der Kommune zufließen. Sie ähneln damit dem Dispositionskredit, der Privatpersonen auf ihrem Girokonto eingeräumt wird. Da Kassenkredite immer innerhalb überschaubarer Zeiträume ausgeglichen werden sollen, sind sie weder im kameralistischen noch im doppischen Haushalt als eigene Position aufgeführt. In welchem Maße die Aufnahme von Kassenkrediten einer landesrechtlichen Regulierung unterliegt und ggf. gar von der Kommunalaufsicht genehmigt werden muss, ist von Land zu Land unterschiedlich[1]. In jedem Fall muss der Stadtrat den Höchstbetrag der Kassenkredite in der Haushaltssatzung festlegen.
Krisenindikator[Bearbeiten]
Seit Beginn der 90er Jahre bis 2016 war ein Anstieg der Kassenkredite beobachtbar. Im Jahr 2001 wurde die Schwelle von 10 Mrd. Euro überschritten, 2015 jene von 50 Mrd. Euro. Immer mehr Kommunen gelang es nicht, aufgenommene Kassenkredite unterjährig vollständig zu tilgen. Der finanztechnische Hintergrund liegt in beständigen Haushaltsdefiziten, welche die Kommunen über zusätzliche Kassenkredite decken. Das Volumen der Kassenkredite spiegelt damit in gewisser Weise die kumulierten Defizite der Vorjahre wider. Aus diesem Grund werden die Kassenkredite als zentraler Krisenindikator betrachtet. Inzwischen haben sich die hohen und stetig steigenden Kassenkredite in den betroffenen Städten zu einem ernsthaften Problem und zu einer Gefahr für die Kommunalfinanzen entwickelt. Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund guter Konjunktur und bundesweiter Finanzierungsüberschüsse. Immerhin sind die Kassenkredite seit 2017 bundesweit wieder gesunken: Ende 2017 lagen sie nach Angeben des Statistischen Bundesamtes bei 42,3 Mrd. €, Ende 2018 noch bei 35,2 Mrd. €. Der Rückgang 2018 geht überwiegend auf die Hessenkasse zurück. Außerhalb Hessens ist der Rückgang - gemessen am günstigen Umfald, was Konjunktur und Zinsentwicklung angeht - eher gering.
Niedrig- oder Minuszinsen als Anreiz[Bearbeiten]
In jüngerer Zeit wird das Aufnehmen von Kassenkrediten auch durch die anhaltende Niedrigzinsphase begünstigt, in der kurzfristige Kredite oftmals zu niedrigeren Zinsen erhältlich sind als langfristige; die Kommunen fahren also häufig mit Kassenkrediten günstiger als mit einem herkömmlichen Kommunalkredit.[2] In Einzelfällen bieten Banken sogar Negativzinsen, d. h. Kommunen "verdienen" mit dem Aufnehmen von Kassenkrediten sogar (geringfügig) Geld. Darum und weil andere Finanzierungsquellen kurzfristig nicht zur Verfügung stehen, hat die Kommunalaufsicht in vielen Bundesländern diese Praxis toleriert. So hat nach einem Bericht der heute-Redaktion Gelsenkirchen 2015 gut 783 Millionen Euro als Kassenkredite aufgenommen, 2008 waren es nur 145 Millionen Euro; dennoch stieg die Zinsbelastung in diesem Zeitraum nur geringfügig an von 4,6 auf 7,6 Mio. €[3].
Siehe auch[Bearbeiten]
- Artikel: Negativzinsen
Risiken[Bearbeiten]
Risiken der Kassenkredite liegen in der Zinsentwicklung, denn da jene Kredite sehr kurzfristig finanziert sind, schlagen sich etwaige Zinsanstiege kurzfristig im Ergebnishaushalt nieder. Diesem Risiko begegnet z.B. das Innenministerium NRW, indem es, im Grunde systemwidrig, die Aufnahme von Kassenkrediten mit bis zu zehnjähriger Laufzeit genehmigt. Infolge der Finanzkrise hat sich dieses Risiko umgekehrt, da stetig sinkende Zinssätze zu stetig sinkenden Zinsausgaben führten und den Haushalt sogar entlasteten.
Das eigentliche Problem der Kommunen sind die Ursachen der Kassenkredite und Haushaltsdefizite. Sie sind Indikator struktureller Schieflagen in den Haushalten und mittelbar der wirtschaftlichen und sozialen Lage im Ort (Sozialausgaben). Nicht zufällig finden sich in den Top Ten der Kassenkredite gehäuft die alten Industriestädte NRWs. Eine rechtliche Folge der Defizite ist ein ebenso stetig strengeres Regime der Kommunalaufsicht, welches sich in nur noch minimalem politischem Gestaltungsspielräumen, sinkenden Stellenzahlen und Investitionen ausdrückt.
Trends[Bearbeiten]
Kassenkredite sind vor allem ein Problem in den vier Ländern Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland und Hessen. Trotz guter Konjunktur, niedriger Zinsen und Konsolidierungshilfen der Länder sind sie dort bis 2016 kontinuierlich angestiegen. Gleichzeitig kommen Kassenkredite in den Ländern Bayern, Baden-Württemberg und Sachsen nahezu nicht vor. Doch die eigentliche dramatische Lage zeigt sich erst bei einem Blick auf die 398 Kreise und kreisfreien Städte. Die Hälfte des bundesweiten Volumens entfällt auf lediglich 25 Kommunen.[4] Diese Kommunen haben sich von der Konjunktur abgekoppelt. Die weit überwiegende Mehrheit der Gemeinden in Deutschland ist kaum oder gar nicht betroffen. Die Zahl der Kommunen mit nennenswerten Kassenkrediten steigt seit einigen Jahren nicht mehr an.
Eine Analyse der zeitlichen und regionalen Trends zeigt, dass vor allem die hoch verschuldeten Kommunen sich nicht aus eigener Kraft aus ihrer Misere befreien können. Die 100 höchst belasteten Kommunen (von 398 kreisfreien Städten und Kreisen) waren im Jahr 2008 und 2013 zu 84% dieselben.[5]. Die Mobilität ist gering. Keiner dieser Kommunen gelang im Zeitverlauf ein Abbau der Kassenkredite aus eigener Kraft. Positiv kann angeführt werden, dass auch die Gruppe der durchgängig schuldenfreien Kommunen recht stabil ist.
Um strukturell überschuldete Kommunen zu unterstützen, haben mehrere Bundesländer in den vergangenen Jahren zusätzlich zum kommunalen Finanzausgleich Konsolidierungshilfen bereitgestellt, die teilweise die Reduzierung von Altschulden zum Ziel haben. Abgesehen von Hessen sind diese Programme aber - gemessen am Gesamtvolumenen der Kassenkredite - sehr gering ausgestattet. Siehe hierzu den Artikel Konsolidierungshilfen.
Verweise[Bearbeiten]
- ↑ Zabler, Person, Ebinger 2016, S. 8
- ↑ Vgl. z. B. Bergische Landeszeitung, Kassenkredite in Rhein-Berg sind tickende Zeitbomben, 15.06.2015
- ↑ heute-Redaktion (Brigitte Scholtes), Wie die Kommunen von den Niedrigzinsen profitieren, 29.06.2016
- ↑ An der Spitze steht dabei Essen, das mit ca. 2,5 Mrd. € etwa 5% des bundesdeutschen kommunalen Kassenkreditvolumens verantwortet (Stand 2016); vgl. heute-Redaktion, Wie Städte mit Schulden Geld verdienen, 13.06.2016
- ↑ Bertelsmann Stiftung: Kassenkredite wachsen regional weiter, 2015
Literatur[Bearbeiten]
- Bertelsmann Stiftung (2015): Kommunaler Finanzreport, Gütersloh
- Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (2012): Kommunale Kassenkredite - von der Ausnahme zur Regel
- Benjamin Holler (2012): Liquiditätsverschuldung außer Kontrolle? Kommunale Finanzaufsicht im Ländervergleich, Forschung für Kommunen – Arbeitspapier 01/2012 (pdf-Format, 18 Seiten)
- Karolin Herrmann (2011): Kommunale Kassenkredite. Missbrauchsgefahr und Reformvorschläge, Juni 2011. Herausgegeben vom Karl-Bräuer-Institut des Bundes der Steuerzahler e.V., ISSN 0173-3397
- Gemeindefinanzbericht; vgl. die Grafik aus dem Gemeindefinanzbericht 2015 (pdf-Format)