Kommunalfinanzen 2023: Schweres Fahrwasser

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"Prognosen sind schwierig, besonders wenn sie die Zukunft betreffen." Dieser mal Mark Twain, mal Karl Valentin oder einem dänischen Politiker zugeschriebene Satz war selten treffender als heute. Endet 2023 der Ukraine-Krieg? Liegt dann die Inflation bei 10% oder vielleicht "nur" bei 5%? Wie steht es im kommenden Jahr um die Pandemie, beispielsweise in China? Was folgt aus all dem für die Weltkonjunktur und für die Wirtschaft in Deutschland? All das ist ganz entscheidend für die Frage, wie es im kommenden Jahr und danach um die Gemeindefinanzen bestellt sein wird.

Dennoch, die Politik braucht Planungsgrundlagen, und so gab es auch in diesem Herbst eine Steuerschätzung, die den Kommunen für 2022 einen Anstieg der Steuereinnahmen um 4,9% und für 2023 um weitere 5,6% versprach. Allerdings legt die amtliche Steuerschätzung immer die geltende Rechtslage zugrunde, das jüngste Entlastungspaket war noch nicht eingepreist. Und so erwartet der Städtetag in seiner fast zeitgleich erschienenen Publikation zu den Stadtfinanzen für 2022[1] eher einen leichten Rückgang der kommunalen Steuereinnahmen. Immer mitzudenken ist bei diesen nominalen Angaben die aktuelle Inflationsrate von über 10%: Auch wenn die Einnahmen ansteigen, können sich die Gemeinden weniger leisten.

Multiple Krisen[Bearbeiten]

Vorbei sind die Zeiten, in denen eine Krise immer hübsch nach der anderen und vor allem nach ihrer Überwindung kam. Heute fallen sie zeitlich zusammen und sind miteinander verflochten. Der Ukraine-Krieg beschert uns gebrochene Lieferketten, Energieknappheit, die zu Inflation führt und Stadtwerke sowie Krankenhäuser in Nöte bringt, und einen Zustrom von Geflüchteten; zugleich sorgen der demografische Wandel und Versäumnisse der Vergangenheit für einen teils schon dramatischen Fachkräftemangel, den die Kommunen nicht nur in den eigenen Dienststellen, sondern auch bei Lieferanten und Auftragnehmer*innen spüren. Die Klimakrise spitzt sich zu, Hitze, Dürre und Starkregenereignisse werden auch in der Zukunft für Stress sorgen, von den notwendigen Investitionen in Klimaschutz und -anpassung nicht zu reden. Also mehr als schweres Fahrwasser für die Kämmereien und die gesamte Kommunalpolitik.

Während der Deutsche Städtetag dies eher zurückhaltend kommentiert und im altbekannten Stil fordert "Bund und Länder sind aufgefordert, die Handlungsfähigkeit der Kommunen zu stabilisieren und zu sichern",[2] schlägt der Städte- und Gemeindebund Alarm: "Wir stehen sehr wahrscheinlich vor der größten Finanzkrise der Städte und Gemeinden seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland",[3] kommentiert er die Steuerschätzung. Ob es wirklich so kommt, ist – siehe oben – ungewiss. Doch dass, wie der Städtetag prognostiziert, mehrere Jahre mit kommunalen Defiziten vor uns stehen, scheint sicher. Kommunen mit Rücklagen werden ihre Reserven aufzehren müssen, die anderen – wieder einmal – ihre Schulden erhöhen.

Kommunale Handlungsfähigkeit sichern[Bearbeiten]

Die Forderung des Städtetages ist völlig berechtigt. Es geht dabei nicht um Gerechtigkeit: Natürlich sind auch Bundes- und Länderhaushalte enorm belastet. Doch wird die gesamte Gesellschaft Schaden nehmen, wenn die Kommunen ihren Beitrag zur Bewältigung der genannten Krisen nicht leisten können. Der "Doppelwumms" gegen die wirtschaftlichen Folgen des Überfalls auf die Ukraine wird auch die Kommunen punktuell entlasten, zugleich jedoch bezahlen sie ihn durch Mindereinnahmen bei einigen Steuern mit. Und ein Sondervermögen wie für die Bundeswehr ist für die Sicherung der Daseinsvorsorge oder den Klimaschutz nicht in Sicht.

"Handlungsfähige Kommunen" heißt nicht zuletzt: Kreise und Gemeinden müssen die notwendigen Investitionen stemmen können. Zwar sind in seit 2016 – nach drei aufeinanderfolgenden Finanzkrisen in drei Jahrzehnten – die kommunalen Investitionen wieder angestiegen, doch halten sie mit dem wachsenden Bedarf bei Verkehrswegen und Gebäuden, bei Schulen, Kitas und nicht zuletzt beim Katastrophenschutz nicht Schritt. Das jüngste Kommunalpanel des difu für die KfW-Bank sieht einen ungedeckten kommunalen Investitionsbedarf von 159 Mrd. Euro, 10 Mrd. € mehr als ein Jahr zuvor.[4]

Selbst wenn die kommunalen Einnahmen in den kommenden Jahren steigen sollten, wird die Inflation die Handlungsspielräume weiter einengen. Das gilt besonders beim Bau. Nach den Erhebungen des Städtetages stiegen die Baukosten seit 2011 um über 50% an, das ist mindestens das Doppelte der allgemeinen Inflation in der gleichen Zeit. Hier spielen der Fachkräftemangel und zeitweilig fehlende Kapazitäten in der Baubranche wie auch beeinträchtigte Lieferketten eine Rolle. Die Folge: Auch mit immer mehr Mitteln können die Kommunen immer weniger bauen.

Entschuldung auf der langen Bank?[Bearbeiten]

Noch ein Faktor ist schwer zu kalkulieren: Für den kommenden Tarifabschluss voraussichtlich im April 2023 haben die Gewerkschaften einen Inflationsausgleich und besondere Entlastungen für niedrige Einkommen gefordert. Auch wenn am Ende nie so hoch abgeschlossen wird wie gefordert, dürfte der Personalkostenanstieg für die Kommunen schwer zu verkraften sein. Momentan bereiten ihnen natürlich die Energiekosten noch größere Sorgen. Zu allem Überfluss steigen die Zinsen, was gerade verschuldete Kommunen zusätzlich belastet.

Und die Entschuldungsinitiative des Bundes? Sie steht seit einem Jahr im Koalitionsvertrag,[5] doch nichts bewegt sich. Zu vernehmen ist, dass das FDP-geführte Finanzministerium bremst. Die Liberalen hatten sich dies Projekt abverhandeln lassen, stehen aber selbst nicht dahinter – und nun steht zu befürchten, dass Lindner immer wieder andere Dinge als prioritär ansehen wird. Einige Länder haben gehandelt und eine Teilentschuldung auf den Weg gebracht: Nach der vergleichsweise erfolgreichen "Hessenkasse" beschlossen das Saarland (seit 2020)[6] und Rheinland-Pfalz (voraussichtlich ab Sommer 2023)[7] eigene Programme. In der Landesregierung Nordrhein-Westfalens wird Insider*innen zufolge zumindest intensiv darüber nachgedacht. Schade, dass trotz vieler Forderungen der Spitzenverbände die Zeit der Niedrig- oder sogar Negativzinsen für diese überfälligen Finanzhilfen verpasst wurde.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Deutscher Städtetag: Stadtfinanzen 2022, Schlaglichter des Deutschen Städtetages, Beiträge zur Stadtpolitik 119 (20.10.2022, pdf-Dokument zum Download, 48 Seiten). Siehe zu dieser Publikation auch: KOMMUNAL, Die Risiken für die kommunalen Haushalte, 25.10.2022
  2. Deutscher Städtetag, Stadtfinanzen 2022, S. 10
  3. Deutscher Städte- und Gemeindebund: Trügerische Ruhe vor dem Sturm, Pressemitteilung vom 28.10.2022
  4. KfW-Bank: KfW-Kommunalpanel 2022, Mai 2022
  5. Siehe dazu den Abschnitt Gemeindefinanzen im Artikel Was bedeutet der Koalitionsvertrag für die Kommunen?
  6. Siehe den Artikel Saarland-Pakt
  7. Siehe dazu: Partnerschaft zur Entschuldung der Kommunen in Rheinland-Pfalz

Siehe auch[Bearbeiten]

Dieser Artikel erscheint, redaktionell leicht bearbeitet, auch in der AKP Nr. 1/2013.