Gemeindefinanzen 2022

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Finanzlage bleibt angespannt[Bearbeiten]

In der Corona-Krise – die bekanntlich nicht vorbei ist – hatten die Gemeinden zunächst größte Befürchtungen, was ihre finanzielle Situation betrifft. Die schlimmsten Erwartungen sind nicht eingetroffen. Doch die kommunale Finanzlage bleibt angespannt, wie der Deutsche Städtetag sagt.[1] Zwei Ereignisse sorgten für Entlastung: Zunächst Mitte 2020 das Konjunkturpaket des Bundes, in dem der damalige Finanzminister Scholz „mit Wumms“ auch die kommunalen Haushalte stützte. Und dann gab es die unerwartet starke Konjunktur, die zu einer nach oben korrigierten Steuerschätzung im November 2021 führte. Dennoch müssen die Gemeinden für die Jahre 2021 bis 2024 zusammen – gemessen an den Erwartungen vor Corona – einen Steuerausfall von fast 20 Milliarden Euro verkraften, so schätzt es der Deutsche Städte- und Gemeindebund.[2] Andere Ausfälle, pandemiebedingte Mehrbelastungen und zurückgehende Zuweisungen aus den ebenfalls gebeutelten Länderhaushalten sind dabei noch nicht eingerechnet.

Wie immer treffen die Ausfälle die Kommunen nicht gleichmäßig. Rückgänge bei der Gewerbe- und der Einkommensteuer hängen örtlich teils von der An- oder Abwesenheit einzelner Branchen, teils auch von der allgemeinen Wirtschaftskraft in der Kommune ab. Bereits überschuldete Gemeinden mit hohen Soziallasten und geringen Steuereinnahmen werden, jedenfalls meistens, von den höheren Steuereinnahmen wenig haben. Am besten ergeht es zurzeit Mainz, das dank der Gewerbesteuer von Biontech seine 1,3 Milliarden Euro Schulden innerhalb von zwei Jahren komplett tilgen und zugleich in ein neues Biotechnologiezentrum investieren kann.

Der Bund jedenfalls will nach der „Bazooka“ auf dem Höhepunkt der Krise von einem weiteren Ausgleich kommunaler Steuerausfälle nichts wissen und sieht die Länder in der Pflicht. Immerhin hat er mit der Übernahme eines höheren Anteils an den Kosten der Unterkunft – ein lange vorgetragener Wunsch der Gemeinden – auch eine längerfristige Entlastung vorgenommen. Zugleich sank mit dem Auslaufen des Fonds Deutsche Einheit auch die von den Gemeinden zu zahlende Gewerbesteuerumlage.

„Long Covid“ befürchtet[Bearbeiten]

Für die Mehrzahl der Kommunen, die nicht in akuter Not sind, geht es eher um langfristige Herausforderungen. Das Kommunalpanel 2021 des Deutschen Instituts für Urbanistik im Auftrag der KfW-Bank befürchtet „Long Covid“ für die Gemeindefinanzen und sieht für die Gesamtheit der Kommunen einen Investitionsrückstand von 149 Milliarden Euro. Zum Vergleich: Die jährlichen Brutto-Investitionen der Kommunen liegen 2021 bei 39 Milliarden Euro, sie müssten deutlich aufgestockt werden. Die kommunalen Spitzenverbände erwarten jedoch einen Rückgang der kommunalen Investitionstätigkeit.

Wie sich der Investitionsrückstand zusammensetzt, hängt nicht zuletzt von den politischen Prioritäten und Zielen der Kommunen ab, aus deren Befragung diese Angaben ermittelt werden. Der größte Investitionsstau herrscht momentan bei den Schulen, gefolgt von der Verkehrsinfrastruktur und den öffentlichen Gebäuden. Für den Verkehrsbereich gaben nur 41 Prozent der Gemeinden an, dass sie in den vergangenen fünf Jahren den laufenden Unterhalt sicherstellen konnten. Das ist zwar eine Steigerung, doch bleibt es dabei, dass in großen Teilen des Landes die Infrastruktur nicht komplett erhalten wird. Immerhin zwei Drittel der Gemeinden können bei Kitas und Schulen den notwendigen Unterhalt leisten. Insgesamt meldet aber nur jede dritte Kommune keine nennenswerten Rückstände bei den Investitionen. Kurz gesagt: Deutschland lebt weiter von der Substanz.

In Zukunft werden neue Investitionsbedarfe entstehen. Die absehbaren Programme der neuen Bundesregierung bei Klimaschutz und Digitalisierung und die notwendigen Transformationsprozesse der Wirtschaft werden auch bei den Kommunen ankommen. Auch jenseits der Investitionen kommen neue Belastungen auf die Kommunen zu, beispielsweise durch das Recht auf Ganztagsbetreuung in der Grundschule, das ab 2026 gilt. Diese Investitionsbedarfe betont auch der Deutsche Städte- und Gemeindebund im Rahmen seiner Bilanzpressekonferenz Anfang Februar 2022. Die Kommunen in Deutschland, so DStGB-Präsident Ralph Spiegler und Hauptgeschäftsführer Dr. Gerd Landsberg, hätten 2021 ein Gesamtdefizit von 9 Mrd. € verzeichnet, für 2022 sei mit einem weiteren Defizit von 10 Mrd. € zu rechnen. Der DStGB fordert einen weiteren kommunalen Rettungsschirm für die Einnahmeausfälle, insbesondere im Bereich der Gewerbesteuer und der Einkommenssteuer, sowie die Umsetzung eines „Zukunftsplans für Deutschland“. Die größten Herausforderungen sieht er bei den Themen Pandemie, Klima, Schule und Digitalisierung.[3]

Teil-Entschuldung in Sicht[Bearbeiten]

Seit langem warten überschuldete Kommunen auf eine (Teil-)Entschuldung durch den Bund. Jetzt lässt der Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Regierung hoffen: Er erklärt nicht nur die Entschuldung zu einem Ziel der Regierung, er beschreibt auch den Weg dorthin – und macht dabei deutlich, wie steinig dieser ist.

Der Bundeskanzler und ehemalige Finanzminister Scholz hatte sich schon länger für einen Neustart eingesetzt – jetzt ist er Regierungsprogramm. Eine „gemeinsame, einmalige Kraftanstrengung des Bundes und der Länder“ soll überschuldete Kommunen entlasten. [4] Zu den Bedingungen gehört, dass die betreffenden Länder einen eigenen Beitrag leisten und dass eine erneute Überschuldung in Zukunft verhindert wird. Zugleich will man die kommunale Investitionskraft stärken und ein Monitoring etablieren. Auch unverschuldete Altlasten ostdeutscher Kommunen aus dem Wohnungsbau sollen berücksichtigt werden. Länder, die bereits eigene Anstrengungen zur Entschuldung unternommen haben, sollen dabei nicht benachteiligt werden. Ohnehin ist für dieses Vorhaben eine Grundgesetzänderung erforderlich. Das heißt die Regierung muss die entsprechenden Mehrheiten in Bundestag und Bundesrat finden. Dazu braucht es nicht nur Einigkeit mit der CDU, auch die finanzstarken Bundesländer, die von einer solchen Initiative mangels überschuldeter Kommunen nicht profitieren, müssen mit ins Boot. Bis Ende 2022 sollen die notwendigen Verhandlungen geführt werden – ein ambitioniertes Vorhaben.

Förderdschungel entwirren[Bearbeiten]

Ein weiteres, nicht minder ehrgeiziges Vorhaben der neuen Koalition ist die Neuordnung der Förderlandschaft.[5] Hier treten sich bislang die verschiedenen Ressorts mit je eigenen Programmen, Kriterien und Verfahrensweisen gegenseitig auf die Füße. Viele Programme, auch solche der EU, erreichen ihre Ziele nicht, weil die Bedingungen zu kompliziert sind. So manche kleine Kommune wendet am Ende mehr Personalkosten für die Abwicklung auf, als sie Fördermittel erhält. Oder aber finanzschwache Kommunen können den Eigenanteil der Programme nicht aufbringen. Der Koalitionsvertrag verspricht, die gesamte Förderlandschaft neu zu ordnen, die Zahl der Förderprogramme – nicht aber die Mittel – deutlich zu reduzieren und die Hindernisse abzubauen. Ein wichtiges Kriterium soll künftig die Strukturschwäche sein – eine gute Nachricht für manche Städte im Umbruch, besonders aber für ländliche Räume. Ein solches Umsteuern wird natürlich auch Verlierer haben, nämlich die finanzstärkeren Kommunen beispielsweise im Süden der Republik – ohne Konflikte wird auch dies nicht abgehen.

Konnexität: Ja, nein, vielleicht?[Bearbeiten]

Besonders vage bleibt der Koalitionsvertrag dagegen beim Thema Konnexität – landläufig: Wer bestellt, bezahlt. Alle Bundesländer haben entsprechende Vorschriften, mehr oder weniger strikt formuliert, in ihre Landesverfassungen aufgenommen. Und auch zwischen Bund und Ländern gilt dies Prinzip: Wer Aufgaben auf die nächstniedrigere Ebene überträgt, muss auch die Finanzierung bereitstellen. Doch gegenüber den Kommunen verpflichtet sich der Bund dazu nicht. Das sogenannte Durchgriffsverbot im Grundgesetz verbietet stattdessen die unmittelbare Aufgabenübertragung vom Bund auf die Kommunen. Doch verhindert es nicht, dass Bundesgesetze zusätzliche Kosten für Kommunen verursachen können, wie derzeit am Beispiel des Rechts auf Ganztagsbetreuung in Grundschulen zu sehen ist. Die Ampelparteien konnten sich hier nur auf die Forderung nach einer ausgewogenen Lastenverteilung zwischen den Ebenen verständigen. Einklagbar – wie bei den verfassungsrechtlich verankerten Konnexitätsregeln – ist da gar nichts.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Deutscher Städtetag: Trotz positiver Steuereinnahmen-Prognose: Haushaltslage der Städte bleibt angespannt und bessere Finanzausstattung für Investitionen zwingend, 11.11.2021
  2. Deutscher Städte- und Gemeindebund: Kommunale Finanzen weiter im Corona-Tief, Pressemitteilung vom 11.11.2021
  3. eGovernment Computing, Drängende Aufgaben für Kommunen, 01.02.2022
  4. Siehe dazu im Koalitionsvertrag das Unterkapitel "Bund-Länder-Kommunalfinanzen" (ab S. 163, Zeile 5540)
  5. Siehe dazu den Koalitionsvertrag, ab Zeile 4293

Aktuelle Publikationen zum Thema[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]

Die erste Fassung dieses Artikels wurde für die Alternative Kommunalpolitik Heft 1/2022 geschrieben und für die Veröffentlichung im KommunalWiki um Links und Fußnoten ergänzt.