Genossenschaften und die Rekommunalisierung der Energiewirtschaft

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Energiegenossenschaften als Träger der Energiewende[Bearbeiten]

von Herbert Klemisch

Lange war es still um die Genossenschaften in Deutschland. Aktuell werden aber wieder mehr Genossenschaften gegründet als aufgelöst. Anlass genug, im UN-Jahr der Genossenschaften einen Blick auf die Entwicklungen rund um diese Unternehmensform zu werfen. Mittlerweile belegen eine Fülle von aktuellen Beispielen, dass die regionale Daseinsvorsorge von den Bürgern vor Ort durchaus in Eigenregie zu übernehmen und erfolgreich zu gestalten ist. Genossenschaften haben also grundsätzlich Potentiale im Bereich der kommunalen Infrastrukturaufgaben[1]. Dabei treffen sich die Geschäftsfelder von genossenschaftlichen Lösungen mit den zukunftsweisenden Infrastrukturbereichen, die im Wesentlichen darüber entscheiden, ob sich Kommunen nachhaltig entwickeln. Damit gemeint sind die Bereiche Ver- und Entsorgung, Energie, Gesundheit, Betreuung und Pflege sowie Kultur und Sport. Energiegenossenschaften sind der Bereich, der die höchste Gründungsdynamik aufweist.

Historie[Bearbeiten]

Energiewirtschaftlich tätige Genossenschaften sind kein neues Phänomen. Lokal agierende Elektrizitätsgenossenschaften fungierten schon Ende des 19. Jahrhunderts als Produzenten und Verteiler von Strom im ländlichen Raum. Sie entstanden überall dort, wo der verlängerte Arm der großen Energieversorger nicht hinreichte oder eine Erschließung nicht lukrativ war. Historisch sind Genossenschaften geradezu klassische Infrastrukturleistungsträger. So gab es 1910 in der Schweiz ca. 1.500 Energiewirtschaftsgenossenschaften. Seit 2007/2008 sind insbesondere im Bereich der Energieversorgung Genossenschaften entstanden, die sowohl ökologisch als auch ökonomisch als relevante und tragfähige Alternativen zu den bestehenden Formen der gemeindlichen Infrastrukturversorgung darstellen. Es lässt sich berechtigterweise von einer Renaissance der Energiegenossenschaften sprechen.

Was steckt hinter der aktuellen Entwicklung?[Bearbeiten]

Der Ausstieg aus der Atomenergie und die damit politisch eingeleitete Energiewende in Deutschland führen zu einem Umbau der Energiewirtschaft. Ein Kernelement der Energiewende und ein Mittel zur Umsetzung der klimaschutzpolitischen Zielsetzungen ist der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Im Gegensatz zur bisherigen Struktur der Energiewirtschaft vollzieht sich dieser Ausbau eher dezentral, d.h. in den Regionen und Kommunen. Engagierte Bürger/innen und Genossenschaften treten als neue Akteure ins Geschäftsfeld und betreiben mit ihren Investitionen und Zusammenschlüssen eine Energiewende vor Ort. Sie treffen dabei auf Kommunen, die nach einer Phase der Privatisierung kommunaler Aufgaben und Dienstleistungen tendenziell wieder ihre eigenen Geschäfte selber in die Hand nehmen wollen und eine Rekommunalisierung öffentlicher Aufgaben betreiben. Dies gilt besonders für den Bereich der Energieversorgung.

Welche Typen von Energiegenossenschaften existieren und in welchen Bereich sind Energiegenossenschaften tätig?[Bearbeiten]

Die Geschäftsfelder und Strukturen sind mittlerweile sehr ausdifferenziert. Grob lassen sich folgende Typen unterscheiden:

  • Energie-Erzeuger-eGen produzieren aus Primärenergieträgern (Wasser, Wind, Sonne, Biomasse) Sekundärenergie und vertreiben diese. Unter Umständen betreiben sie auch eigene Netze, über die sie die Energie einspeisen.
  • Energie-Verbraucher-eGen versorgen ihre Mitglieder mit Sekundärenergie (gemeinsamer Energieeinkauf). Häufig betreiben sie auch eigene Netze, über die sie die Energie regional verteilen.
  • Energie-Erzeuger-Verbraucher-eGen umfassen die gesamte Wertschöpfungskette über Erzeugung, Handel, Transport bis zum Konsum.
  • Dienstleistungs-eGen unterstützen die zuvor genannten Energie-eGen mit Serviceleistungen in den Bereichen Beratung, Kapitalvermittlung, ggf. Wartung etc.

Erste empirische Befunde zur Entwicklung von Energiegenossenschaften zeigen, dass der Trend zur Gründung in der Bundesrepublik erst ab 2007 einsetzt. In 2009 gab es 100 Neugründungen, 130 in 2010 und 105 im ersten Halbjahr 2011. Zum Stichtag 30.6.2011 waren 433 EE-Genossenschaften registergerichtlich verzeichnet. Die Ursachen dieser Gründungswelle sind eher in den energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen (EEG und Einspeisevergütung) als in der Novellierung des Genossenschaftsgesetzes von 2006 zu suchen. Dies wird indirekt auch dadurch belegt, dass Bürger und Landwirte die zentralen Träger der Energiewende sind, was die Investitionen in erneuerbare Energien angeht. Dies gilt noch einmal zugespitzt für kleine Anlagen.

EE-Genossenschaften sind vor allem im ländlichen Raum und insbesondere in kleinen Gemeinden entstanden. Damit folgen sie ihrer Tradition.[2]

Genossenschaften haben ihren Tätigkeitsschwerpunkt im Bereich der Photovoltaik. Entlang der Typologie handelt es sich vor allem um Energie-Erzeuger-Genossenschaften, mit Abstand gefolgt von Energie-Verbraucher-Genossenschaften, die auch regionale Netze betreiben. Die in Deutschland wohl bekannteste Genossenschaft im Energiebereich, Greenpeace energy, ist als überregionaler Anbieter in der Struktur der EE-Genossenschaften eher eine Ausnahme, denn die meisten Energiegenossenschaften sind dezentral tätig.

Es gibt aber auch weitere Genossenschaftssektoren, die stark von energiewirtschaftlichen Fragen tangiert sind. Gemeint sind damit vor allem die Wohnungsgenossenschaften, die ein hohes Potential im Bereich der energetischen Sanierung des Wohnungsbestandes aufweisen, und die Agrargenossenschaften, die durch die Nutzung von Bioenergie ihr Geschäftsfeld ergänzen.

Energiegenossenschaften verteilen sich räumlich sehr ungleichmäßig über die gesamte Bundesrepublik. Dabei lässt sich feststellen, dass vor allem die neuen Bundesländer, aber auch Rheinland-Pfalz und das Saarland zu den Diasporagebieten gehören. Dies liegt weder an den Ressourcen für erneuerbare Energien noch an den Förderstrukturen. Die rheinland-pfälzische Landesregierung ist sogar explizit ein Förderer von Energiegenossenschaften, z.B. durch die Unterstützung der Pilotmaßnahme einer Promotorenausbildung. Zu vermuten ist für die neuen Bundesländer, dass dort eine relative Einkommensschwäche mit begrenzter Partizipationsbereitschaft eine Gründungsbewegung hemmt.

Festzustellen ist auf jeden Fall, je ausgefeilter und nachvollziehbarer bestimmte Beratungsmodelle sind, die sich als Blaupausen oder Kopiervorlagen eignen, desto höher ist der Nachahmungseffekt. Für Energiegenossenschaften sind zumindest vier solcher Modelle auf dem Markt und haben sich bewährt. Agrokraft, entstanden aus dem Bayerischen Bauernverband betreibt die Gründung von bisher 27 Friedrich-Wilhelm-Raiffeisen-Energiegenossenschaften in Franken und der Röhn, der Genossenschaftsverband Weser Ems hat für Photovoltaikgenossenschaften die entsprechende Blaupause bereitgestellt, die Gründungshilfe des bayerischen Genossenschaftsverbandes und das baden-württembergische Netzwerk mit der ENBW als Netzwerkpartner sind weitere Modelle. Der Bayerische Genossenschaftsverband ist auch explizit ein Lobbyist des Zusammenhangs von Energiewende und Genossenschaften.

Die Motive zur Gründung der Genossenschaften liegen relativ gleichrangig zwischen sozialen, wirtschaftlichen und energiepolitischen Anforderungen, was den gängigen Nachhaltigkeitskriterien (Ökologie, Ökonomie und Soziales) entspricht. Sie wären aber ohne Bürgerengagement nicht umsetzbar. Die Energiegenossenschaften beurteilen den eingeschlagenen Weg aber durchaus als risikobehaftet. Dabei liegen die Risiken eindeutig im Bereich von Politik und Recht und weniger im Bereich von Markt, Finanzen oder Technik. Planungssicherheit durch Politik und Recht können als berechtigte Forderungen abgeleitet werden. Ein Wunsch zur Absicherung der Risiken ist eine Verbundbildung der Genossenschaften, mit der primär eine regionale Verbundbildung gemeint ist.

Zur Umsetzung der Energiewende treffen sich die Aktivitäten von Energiegenossenschaften mit dem Trend zu einer Rekommunalisierung der Energiewirtschaft. Das sozialökologische Umbaumodell der Energiewirtschaft trifft auf das kommunalwirtschaftliche Modell[3]. Im Zusammenhang mit der Rekommunalisierung der Energiewirtschaft werden hohe Potentiale für Genossenschaften gesehen. Es gibt eine Fülle unterschiedlicher Arrangements zwischen Genossenschaften, Kommunen und Stadtwerken, die hier leider nicht im Einzelnen aufgezeigt werden können.

Rekommunalisierung der Energiewirtschaft[Bearbeiten]

Forderungen nach Rekommunalisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge spielen im gegenwärtigen öffentlichen Diskurs eine zunehmende Rolle. So kann angesichts zahlreicher Rekommunalisierungsmaßnahmen von einem echten Trend gesprochen werden, der einer zum Ende der 1980er Jahre beginnenden Privatisierungseuphorie fundamental gegenüber steht. Ging eine Vielzahl politischer Entscheidungsträger zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass Privatisierungsentscheidungen im Rahmen eines freien Wettbewerbs maßgeblich zur Steigerung von Qualität und Preisstabilität beitragen, so führten „oligopolähnliche Strukturen“ in den Bereichen der öffentlichen Daseinsvorsoge und der Energiewirtschaft in vielen Regionen zu gegenteiligen Entwicklungen. Aufgrund von Verwaltungsmodernisierungen und Finanznotständen der kommunalen Haushalte kann nun hingegen ein Wandel der kommunalen Aufgabenwahrnehmung konstatiert werden, wobei die Rekommunalisierung auch als Instrument der regionalen Wertschöpfung in Erscheinung tritt. Das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu) ermittelte zwischen 2007 und 2011 mehr als 40 neu gegründete Stadtwerke und über 100 Konzessionsübernahmen durch Stadtwerke[4].

In der Diskussion über rekommunalisierende Maßnahmen spielt die regionale Energieversorgung eine entscheidende Rolle[5], und so scheint für die Wiedergewinnung strategischer Handlungsspielräume kommunaler Energieversorger der jetzige Zeitraum aus zwei Gründen optimal geeignet, denn bis 2015/2016 laufen eine Reihe von Konzessionsverträgen aus, die zum Ende der 1980er im Zuge der allgemeinen Privatisierungseuphorie zwischen den Kommunen und privatrechtlich organisierten Energieversorgungsunternehmen geschlossen wurden. So kann von ca. 950 ausgelaufenen Verträgen für das Jahr 2011 und von weiteren 1.200 in diesem Jahr auslaufenden Strom- und Gaskonzessionen ausgegangen werden[6].

Ausblick[Bearbeiten]

Die Netzübernahme durch kommunale Energieversorgungsunternehmen bietet nicht nur die Möglichkeit, die aus dem Netzbetrieb erzielten Gewinne in die Kassen der Eigentümerkommunen fließen zu lassen, sie impliziert zudem die Chance auf die Sicherung regionaler Arbeitsplätze bei kommunalen Energieversorgern. Strategische Ziele wie die Umsetzung von Klimaschutzkonzepten können des Weiteren direkt von der Kommune gesteuert und umgesetzt werden.

Ob die Energiegenossenschaften ein Bein in diese kommunalen Arrangements bekommen und man tatsächlich den Mut aufbringt, ein Stadtwerk als Genossenschaft zu betreiben, hängt von vielen Faktoren ab. In Oldenburg und Berlin sind Genossenschaften in den Startlöchern, um bei der Vergabe neuer Konzessionen mit dabei zu sein. Ein erstes Projekt der Beteiligung einer Bürgerenergiegenossenschaft an der Thüga als kommunalem Verbundunternehmen ist gescheitert[7]. Grundsätzlich ist die Genossenschaften ja eine ideale Unternehmensform zur Kooperation zwischen verschiedenen Akteuren. Neben der entsprechenden politischen und öffentlichen Unterstützung wird es auch hier darauf ankommen, Typen von Geschäftsmodelle zu entwickeln, die sich zur Nachahmung für bestimmte Gemeindetypen eignen.

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Klemisch/ Maron in: akp 5/2009, 63ff
  2. Siehe hierzu auch: Bioenergiedorf.
  3. Mautz/Rosenbaum 2012
  4. Libbe u.a. 2011
  5. George et.al 2008
  6. Libbe 2011: 6
  7. Flieger, in akp 5/2009, 26f

Literatur[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]

Angaben zum Autor[Bearbeiten]

Dr. Herbert Klemisch
Wissenschaftsladen Bonn
Reuterstraße 157, 53113 Bonn
Tel. (02 28) 201 61-19
herbert.klemisch@wilabonn.de