Schuldschein

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Der Schuldschein ist ein Instrument, Kredite außerhalb des Bankensektors aufzunehmen. In jüngerer Zeit greifen zunehmend auch Kommunen zu diesem Mittel, um sich von der manchmal restriktiven Kreditvergabepraxis der Banken unabhängiger zu machen.[1] Umgekehrt verleihen Kommunen jedoch auch Geld an Unternehmen gegen Schuldscheine, weil sie sich davon höhere Zinsen versprechen als Banken derzeit gewähren.[2]

Laut dem "Kommunal-Barometer 2021" der Commnex mit der TU Darmstadt[3] haben bis Ende 2020 7% der befragten Kommunen das Instrument des Schuldscheins bereits genutzt, 2% auch Anleihen und weitere 3% nur Anleihen.

Merkmale[Bearbeiten]

Beim Schuldschein wird der Kreditvertrag unmittelbar zwischen Kreditgeber und -nehmer geschlossen. Kreditgeber sind häufig "Kapitalsammler" wie Versicherungen, Pensionskassen oder Banken, neuerdings auch Kommunen; Kreditnehmer können große Unternehmen oder Banken, aber auch Kommunen sein. Schuldscheine sind nicht handelbar und benötigen daher keinen (teuren) Wertpapierprospekt, was aus Sicht einiger Kommunen ein Vorteil gegenüber der Anleihe ist. Dagegen kann der Zinssatz für einen Schuldschein höher liegen als der für Anleihen, weil es für den Darlehensgeber einen Nachteil darstellen kann, den Schuldschein nicht kurzfristig veräußern zu können. Wegen des geringen Aufwands sind auch kleinere Darlehensbeträge möglich, Schuldscheine eignen sich daher auch für kleinere Kommunen. Schuldscheindarlehen werden in der Regel gleichmäßig getilgt, Sondertilgungen sind meist ausgeschlossen.

Kreditaufnahme von Kommunen und kommunalen Unternehmen gegen Schuldschein[Bearbeiten]

In Kommunen dienen Schuldscheine häufig nicht der Investitionsfinanzierung, sondern der Liquiditätsssicherung; sie fallen somit häufig unter die Kassenkredite bzw. ersetzen diese. Die Kommunalaufsicht in NRW ist in dieser Hinsicht besonders großzügig und akzeptiert Kredite mit einer Laufzeit von bis zu 10 Jahren als Liquiditätssicherungsinstrument; die Kommunalaufsicht in Niedersachsen zumindest bei Laufzeiten bis zu vier Jahren.[4]

  • Die Stadt Salzgitter in Niedersachsen gab seit 2010 mehrfach Schuldscheine aus und finanziert inzwischen 40% der Investitionskredite sowie 20% der Liquiditätskredite auf diesem Weg.[5]
  • Die Stadt Gelsenkirchen platzierte im Sommer 2013 erfolgreich Schuldscheine am Markt. Ursprünglich war beabsichtigt, auf diese Weise Kredite von insgesamt 30 Mio. € aufzunehmen; da die Schuldscheine jedoch mehr als zweifach überzeichnet waren, wurde das Emissionsvolumen auf 65 Mio. € aufgestockt.[6]
  • Bielefeld konnte im Mai 2014 Schuldscheine über 90 Mio € ausgeben, mit denen Liquiditätskredite abgelöst wurden.[7]
  • Dortmund nahm im Februar 2013 Schulden von 120 Mio. € über Schuldscheine auf;[8] Bochum folgte im März 2013 mit einen Volumen von 100 Mio. €.[9]
  • Offenbach hat 2014 Schuldscheindarlehen im Volumen von knapp 190 Millionen Euro aufgenommen, darunter war ein Schuldschein über 140 Mio. €, der an ein nicht näher bezeichnetes "süddeutsches Versorgungswerk" ging.[10]
  • Auch Essen und Recklinghausen haben Schuldscheine ausgegeben.[11]
  • Hannover legte im Mai 2018 einen "Green & Social Schuldschein (SSD)" auf. Das ursprünglich geplante Volumen von 80 Mio. € war schnell doppelt überzeichnet und wurde deshalb auf 100 Mio. € aufgestockt. Der „grüne Schuldschein“ hat eine Laufzeit von 30 Jahren und erbringt jährliche Zinsen von 1,56%. Die Mittel sind für den städtischen Gebäudebestand bestimmt, sie sollen energetische Sanierungsmaßnahmen und Investitionen in die Unterbringung von Geflüchteten und Obdachlosen finanzieren.[12]
  • München nahm im Herbst 2021 Schuldscheindarlehen über insgesamt 400 Mio. € auf. Die Schuldscheine wurden in drei Tranchen ausgegeben: 38 Mio. € mit einer Laufzeit von 8 Jahren und einem Zinssatz von 0,245%; 112 Mio. € mit einer Laufzeit von 10 Jahren und einem Zinssatz von 0,383%; 250 Mio. € mit einer Laufzeit von 20 Jahren und einem Zinssatz von 0,713%. Das Orderbuch war doppelt überzeichnet. Die Landeshauptstadt löst mit den Darlehen bestehende Kredite ab und will sich auf diese Weise die niedrigen Zinsen langfristig sichern.[13]
  • Im Oktober 2022 gab die Stadt Münster (Nordrhein-Westfalen) einen Schuldschein über 140 Mio. €[14] aus, der als Green Bond nur zur Finanzierung nachhaltiger Investitionen dienen soll. Die Mittel dürfen ausschließlich für Investitionen verwendet werden, die mindestens einem der 17 globalen Ziele für nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals / SDG) zugeordnet werden können. Geplant sind Neubauten und Erweiterungen im Schulbereich nach modernen Standards der Energie-Effizienz und die Realisierung der vierten Reinigungsstufe an der Hauptkläranlage. Doch auch "zukunftsweisende Projekte im Stadtkonzern" wie zum Beispiel in der Stadtnetze Münster GmbH "können hierbei berücksichtigt werden".[15]

Schuldscheindarlehen können auch ein Finanzierungsinstrument für kommunale Unternehmen sein:

  • So haben die Dortmunder Stadtwerke DSW21 bis März 2020 über die Finanzierungsplattform Finpair ein Schuldscheindarlehen über 50 Mio. € in insgesamt drei Tranchen mit unterschiedlichen Laufzeiten aufgenommen. Insgesamt zahlen die DSW21 hierfür nur ca. 1% Zinsen. Im Nachhinein bewerten die Stadtwerke den Zeitpunkt als "Glücksfall", nach Ausbruch der Corona-Krise wäre eine so günstige Schuldschein-Finanzierung nicht mehr möglich gewesen.[16]
  • Im Oktober gaben die Stadtwerke Offenbach (Hessen) einen "grünen Schuldschein" über 25 Mio. € aus; alleiniger Investor ist die Evangelische Bank (EB). Mit dem Betrag soll die weitere Elektrifizierung der Busflotte finanziert werden (Ende 2021 fuhr diese bereits zu 45% elektrisch, was 36 Fahrzeugen entspricht). Der Schuldschein hat eine Laufzeit von knapp 10 Jahren (bis 31.03.2032) und ist endfällig, d.h. er wird nicht laufend getilgt, sondern in einem Betrag am Ende der Laufzeit; der Zinssatz beträgt 1,49%.[17]

Schuldscheindarlehen als Geldanlage oder "Carry Trade" durch Kommunen[Bearbeiten]

Kommunen kaufen in jüngerer Zeit gelegentlich Schuldscheine von Unternehmen als Geldanlage. Hintergrund dafür sind die stark gesunkenen Zinsen von Banken, die teilweise sogar Negativzinsen erheben. Einige Kommunen finanzieren gar den Kauf von Schuldscheinen durch Kreditaufnahme, da sie sich hiervon einen Zinsgewinn versprechen: Die Zinsen, die Kommunen für Kommunalkredite zahlen, sind erheblich geringer als die Zinsen, die sie durch Schuldscheine erlösen können. Diese sogenannten "Carry Trades" sind jedoch spekulative Geschäfte, da die Kommunen das Ausfallrisiko tragen; sofern das Unternehmen, das den Schuldschein ausgegeben hat, insolvent wird, ist ihr Geld verloren. In der Regel dürfte die Kommune weniger gut als eine Bank in der Lage sein, das Risiko eines jeden derartigen Geschäfts einzuschränken.[18] Damit dürften solche Carry Trades in einigen Bundesländern, deren Gemeindeordnung spekulative Finanzgeschäfte verbietet, nicht zulässig sein.[19]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Siehe hierzu den Artikel Basel III
  2. Siehe hierzu den Artikel Negativzinsen
  3. Commnex und TU Darmstdt, Kommunal-Barometer 2021, März 2021, S. 57. Das Kommunal-Barometer kann kostenlos hier bestellt werden (pdf-Format, 57 Seiten)
  4. vgl. Tobias Schmidt in: Der Neue Kämmerer, Ausgabe 2, Mai 2013 - siehe Weblinks
  5. Stadt Salzgitter: Stadt platziert Schuldscheindarlehen, Pressemitteilung vom 1.9.2014
  6. Handelsblatt: Stadt Gelsenkirchen platziert erfolgreich Schuldscheindarlehen über 65 Millionen Euro, 10.07.2013
  7. Tobias Schmidt: Bielefeld löst mit Schuldschein Liquiditätskredite ab (aus: Der Neue Kämmerer, 2.05.2014)
  8. Tobias Schmidt, Dortmund platziert 120-Millionen-Euro-Schuldschein, aus: Der Neue Kämmerer, 01.03.2013
  9. Bochum holt sich an der Börse frisches Geld, Ruhrnachrichten, 22.03.2013
  10. Tobias Schmidt (Der neue Kämmerer), Offenbach platziert 140 Millionen Euro schweren Schuldschein, 20.06.2014; heute-Redaktion (Brigitte Scholtes), Wie die Kommunen von den Niedrigzinsen profitieren, 29.06.2016
  11. Vgl. vorige Fußnote
  12. Der Neue Kämmerer, Stadt Hannover platziert ersten grünen Schuldschein, 04.05.2018
  13. Der Neue Kämmerer: Münchener Kämmerei platziert Schuldscheindarlehen, 23.11.2021
  14. Ursprünglich war ein Umfang von 100 Mio. € geplant, der aufgrund großer Nachfrage im September 2022 auf 140 Mio. € aufgestockt wurde; siehe Der Neue Kämmerer, Münster stockt Volumen des grünen Schuldscheins auf, 06.10.2022
  15. Stadt Münster, Grüner Schuldschein für ökologische und soziale Investitionen, Pressemitteilung vom 13.04.2022; Der Neue Kämmerer, Münster bereitet grünen Schuldschein vor, 27.04.2022. Siehe zum Stand Anfang September 2022 Der Neue Kämmerer, Grüner Schuldschein auf der Zielgeraden in Münster, 07.09.2022
  16. Der Neue Kämmerer, Dortmunder Stadtwerke platzieren digitalen Schuldschein, 31.03.2020; DSW21-CFO Jacoby: „Schuldschein aktuell nicht mehr möglich“, 15.04.2020
  17. Der Neue Kämmerer, Offenbach legt grünen Schuldschein auf, 24.10.2022
  18. Vgl. Wirtschaftswoche, Kommunen spielen mit dem Feuer, 29.03.2017
  19. z. B. Hessen und Sachsen; vgl. Artikel "Derivate", Abschnitt Kommunale Bedeutung

Weblinks[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]