Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe?
Der Klimaschutz ist als Aufgabe in den Kommunen angekommen, doch agieren diese je für sich und sehr unterschiedlich ambitioniert. Niemand weiß, welchen Beitrag die deutschen Kommunen zum Klimaschutz insgesamt tatsächlich leisten. Zudem fehlen für kommunale Klimaschutzmaßnahmen oft die finanziellen und personellen Ressourcen, obwohl sie für die Zukunftssicherung enorm wichtig sind. Vor diesem Hintergrund wird seit einigen Jahren diskutiert, ob Klimaschutz nicht zur kommunalen Pflichtaufgabe werden sollte.
Nationale Klimaschutzziele[Bearbeiten]
Die Bundesrepublik Deutschland hat sich zu ambitionierten Klimaschutzzielen verpflichtet. Angetrieben durch internationale Vereinbarungen, insbesondere die UN-Klimarahmenkonvention[1] und daraus folgende EU-Regelungen, entstand auf Bundesebene das Klimaschutzgesetz (KSG),[2] das nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24.03.2021[3] verschärft werden musste.[4] Das Klimaschutzgesetz gibt seitdem in § 3 für Deutschland Minderungsziele für die Treibhausgasemissionen vor (bezogen auf 1990):[5]
- bis 2030: mindestens 65%
- bis 2040: mindestens 88%
- bis 2045: Netto-Treibhausgasneutralität
- nach 2050: negative Treibhausgasemissionen.
Im Gesetz wird der Bund u.a. verpflichtet, Klimaschutzprogramme aufzustellen und fortzuentwickeln sowie regelmäßig Bericht zu erstatten. Nach § 9 Abs. 3 KSG sind bei der Aufstellung der Programme neben anderen auch die Kommunen zu konsultieren. Zudem verpflichtet das KSG in § 13 die "Träger öffentlicher Aufgaben", zu denen selbstverständlich auch die Kommunen gehören, "bei ihren Planungen und Entscheidungen den Zweck dieses Gesetzes und die zu seiner Erfüllung festgelegten Ziele zu berücksichtigen". Dies folgt im Grunde auch schon aus dem oben erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das alle staatlichen Ebenen auf wirksame Klimaschutzmaßnahmen festlegt. Konkrete Vorgaben, was genau die Kommunen tun sollen, lassen sich daraus aber nicht ableiten.
Es ist klar, dass die Klimaschutzziele nur erreichbar sind, wenn alle Staatsebenen dafür zusammenarbeiten. Eine Vielzahl notwendiger Maßnahmen ist in den Kommunen zu leisten: Von Energieeinsparung und Umstellung auf Erneuerbare in Verwaltungen und öffentlichen Unternehmen über Naturschutzmaßnahmen bis zur notwendigen Transformation der Energieversorgung, um nur einige Beispiele zu nennen. Das Klimaschutzgesetz macht hierzu aber keine Vorgaben - und kann das aufgrund des Durchgriffsverbots wohl auch nicht unmittelbar tun. Lediglich die Länder sind in einem sehr vage gehaltenen Satz erwähnt: § 14 Abs. 2 lautet: "Der Bund und die Länder arbeiten in geeigneter Form zusammen, um die Ziele dieses Gesetzes zu erreichen." Daraus könnten die Länder die Aufgabe ableiten, ihrerseits die Kommunen in ihre Klimaschutzstrategien einzubeziehen.
Bedeutung der Kommunen[Bearbeiten]
Wie oben erwähnt spielen die Kommunen und auch die kommunalen Unternehmen eine Schlüsselrolle bei der Erreichung der nationalen Klimaziele. Insbesondere wenn es um die Transformation in Richtung auf die überwiegende und letztlich ausschließliche Verwendung erneuerbarer Energien geht, kommt es vielfach auf Stadtwerke, Verkehrsbetriebe, die kommunale Wohnungswirtschaft und andere lokale Akteur:innen an. Auch für die notwendige Einbeziehung von Bürger:innen, Unternehmen und der lokalen Zivilgesellschaft braucht es die Kommunen. Diese sind auch bereits vielfältig aktiv. Viele Kommunen haben Klimaschutzziele für sich formuliert, eine Klimaschutz- oder Nachhaltigkeitsstrategie beschlossen und eine entsprechende Berichterstattung eingeführt. Einige haben für sich den Klimanotstand ausgerufen oder sich Bündnissen wie dem Klima-Bündnis, ICLEI oder dem Europäischen Konvent der Bürgermeister/innen angeschlossen, was mit unterschiedlichen Selbstverpflichtungen zu Klimaschutzzielen verbunden ist. Insgesamt können wohl fast alle Kommunen in Deutschland Aktivitäten vorweisen, die in irgendeiner Hinsicht als Beiträge zum Klimaschutz gewertet werden können.
Die Maßnahmen, Strategie und Ziele, soweit sie überhaupt formuliert werden, sind jedoch unterschiedlich ambitioniert. Sie hängen u.a. von den politischen Mehrheitsverhältnissen vor Ort ab, oft auch von einzelnen Aktuer:innen, vor allem aber von den verfügbaren finanziellen und personellen Ressourcen. Allerdings wäre es unsinnig, von allen Kommunen gleiche oder gleichartige Aktivitäten zu erwarten. "Klimaschutz" ist in jeder Kommune anders auszubuchstabieren, je nach Größe und Struktur der Kommune, nach der Ausgangslage, den Möglichkeiten und Potenzialen. So manche kleine ländliche Gemeinde, die über Flächen für Photovoltaik und Windstrom verfügt oder in der landwirtschaftliche Betriebe Biogas produzieren, kann relativ schnell für sich allein gesehen energieautark und klimaneutral werden. Eine Großstadt steht vor ganz anderen Herausforderungen: Öffentlicher und privater Verkehr, Gebäudebestand, Ver- und Entsorgung oder auch kleinere Aufgaben wie die Straßenbeleuchtung und vieles andere werden hier zum Thema. Je nach Ausgangslage bieten sich unterschiedliche Maßnahmen an, lassen sich in verschiedenen Sektoren unterschiedliche Erfolge bei der CO2-Vermeidung erzielen.
Im Ergebnis lässt hat daher jedoch keine Stelle einen Überblick darüber, was die deutschen Kommunen in Sachen Klimaschutz tun, welche Klimawirkung diese Maßnahmen in der Summe haben und ob auf der kommunalen Ebene jeweils das getan wird, was die größte Wirksamkeit verspricht. Eine Gesamtbilanz, die zeigt, ob die kommunale Ebene auf dem Weg ist, ihren notwendigen Beitrag zum Klimaschutz tatsächlich zu leisten, ist jedenfalls in der Vorausschau nicht möglich.
Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass schon viele Vorgaben auf EU- und Bundesebene direkt oder indirekt bewirken, dass sich Kommunen am Klimaschutz beteiligen. Das gilt zum einen für gesetzliche Grenzwerte und Standards: Abgasvorschriften, Vorgaben zur Gebäudedämmung, das Verbot von Glühlampen, um nur einige Beispiele zu nennen. Es gilt aber auch für Anreize, seien es der steigende CO2-Preis oder Förderprogramme. Auf diesen Wegen wird die kommunale Politik flächendeckend in Richtung Klimaschutz beeinflusst. Auch die Länder haben Programme aufgelegt, die den kommunalen Klimaschutz voranbringen, z.B. Landesklimagesetze, Beratungsangebote durch Klimaagenturen oder eigene Förderprogramme, häufig in Ergänzung der Bundesprogramme. Viele dieser Förderprogramme erfordern allerdings einen kommunalen Eigenanteil und sind für Kommunen, die über geringe Finanzmittel oder über zu wenig Personal für Beantragung und Nachweislegung verfügen, nicht zugänglich. Zudem bilden die fast 900 Förderprogramme (Stand 2021)[6] einen fast undurchschaubaren Förderdschungel.
So nimmt die Diskussion an Fahrt auf, ob den Kommunen nicht striktere Vorschriften gemacht werden sollten, um den Klimaschutz auf der kommunalen Ebene verbindlich festzuschreiben. Dies könnte zugleich ein Hebel sein, um eine auskömmliche Finanzierung sicherzustellen.
Wissenschaftliche Dienste zur rechtlichen Situation[Bearbeiten]
Bereits im Jahr 2011 legten die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages eine Ausarbeitung "Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe" vor.[7] Dort wird zunächst gefragt, ob "Klimaschutz" als Aufgabe der örtlichen Gemeinschaft angesehen werden kann angesichts der Tatsache, dass der Schutz des Klimas "nur in einem größeren, einem globalen Zusammenhang stattfinden" kann: "Die Aufgabe Klimaschutz ergibt in ihrer eigentlichen Bedeutung für eine Gemeinde keinen Sinn." Jedoch sieht das Papier den Klimaschutz als einen "Oberbegriff von Umweltschutzmaßnahmen". Daher sei "denkbar (...), Maßnahmen im Bereich des Umweltschutzes vorzusehen, die darauf abzielen, in der örtlichen Gemeinschaft die CO2-Bilanz zu verbessern". Es ginge aber, so vermuten die Autor:innen, "weniger um die Übertragung einer neuen Aufgabe (...) als vielmehr um die Änderung von rechtlichen Rahmenbedingungen, beispielsweise des Bundesimmissionsschutzgesetzes oder der Naturschutzgesetze.
Anschließend werden das kommunale Selbstverwaltungsrecht und die kommunale Aufgabenstruktur juristisch erläutert, um herauszuarbeiten, was unter einer Pflichtaufgabe zu verstehen ist. Im dritten Abschnitt wird gefragt, ob "Maßnahmen, die in einem örtlichen Rahmen zum Schutz des Klimas beitragen", an die Kommunen übertragen werden können. Dabei muss zunächst unterschieden werden, ob die jeweiligen Maßnahmen der Bundes- oder der Landesgesetzgebung unterliegen. Soweit der Bund zuständig ist (als Beispiel werden Maßnahmen im Anwendungsbereich des Bundesimmissionsschutzgesetzes genannt), kann der Bund solche Aufgaben wegen des Durchgriffsverbots nicht direkt zur kommunalen Aufgabe machen. Er kann sie jedoch auf die Länder übertragen die sie ihrerseits - im Rahmen des jeweiligen Landesrechts - an die Gemeinden übertragen können. Zwar können solche Aufgabenübertragungen in den Schutzbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts eingreifen. Sofern sie jedoch nicht den unantastbaren Kernbereich dieses Rechts beeinträchtigt, kann der Eingriff - weil Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen einem überwiegenden Interesse dienen - gerechtfertigt sein. Dabei muss das Land, sofern die der Gemeinde auferlegten Aufgaben mit Kosten verbunden sind, das Konnexitätsprinzip beachten, d.h. den Gemeinden je nach Landesverfassung die Kosten ggf, ganz oder teilweise erstatten.
Drei Erkenntnisse bleiben festzuhalten:
- "Klimaschutz" als umfassender Begriff lässt sich nicht sinnvoll als (ggf. kommunale) Aufgabe beschreiben, wohl aber Maßnahmen, die dem Schutz der Umwelt und des Klimas dienen; diese können sehr vielfältig sein und teils dem Bundes-, teils dem Landesrecht zuzuordnen sein.
- Der Bund kann aufgrund des Durchgriffsverbots keine Aufgaben direkt an die Kommunen übertragen, wohl aber an die Länder.
- Die Länder können im Rahmen ihrer Länderverfassungen Aufgaben des Klimaschutzes an die Kommunen übertragen, wobei sie ggf. das Konnexitätsprinzip beachten müssen.
Bestehende Verpflichtungen der Kommunen[Bearbeiten]
Schon heute sind einige Aufgaben des Klimaschutzes für die Kommunen verpflichtend. Das ergibt sich zum einen, wie schon dargestellt, aus einer Vielzahl von Standards und übergreifenden Normen, seien es Abgasgrenzwerte für Fahrzeuge, Effizienzvorgaben für Gebäude oder viele andere Vorschriften zur Einhaltung von Umwelt- und Energiestandards. Aus dem Wärmeplanungsgesetz folgt u.a. die Pflicht für alle Kommunen, je nach Gemeindegröße bis 2026 (über 100.000 Einw.) oder bis 2028 Wärmepläne zu erstellen. Außerdem schreibt seit Mitte 2024 das Klimaanpassungsgesetz in § 12 den Ländern vor, diejenigen öffentlichen Stellen zu bestimmen, "die für die Gebiete der Gemeinden und Kreise jeweils ein Klimaanpassungskonzept – soweit nicht bereits vorhanden – aufstellen". Damit werden auch Klimaanpassungskonzepte zur kommunalen Pflichtaufgabe.
In diesen beiden Bereichen sind die Kommunen zu einer umfassenden Planung und Umsetzung rechtlich verpflichtet. Davon abgesehen wird die kommunale Politik über allgemein geltende Rahmenbedingungen und Anreize wie Förderprogramme und Beratungsangebote gelenkt - bei oft prekären Finanzen, die dem Handeln enge Grenzen setzen.
Eine allgemeine Verpflichtung zu Klimaschutzmaßnahmen folgt schon aus dem Klimaschutzgesetz und dem erwähnten Urteil des Bundesverfassungsgerichts; sie sprechen von "Träger(n) öffentlicher Aufgaben" (KSG) bzw. vom "Staat" (BVerfG), worin jeweils die Kommunen eingeschlossen sind. Doch daraus folgen keine konkreten Vorgaben, was genau die Kommunen tun sollen. Die Klimagesetze der Länder formulieren nur teilweise und sehr unterschiedlich konkrete Verpflichtungen für die Kommunen.[8]
Klima-Bündnis fordert Pflichtaufgabe[Bearbeiten]
In einem Positionspapier vom September 2022[9] fordert das Klima-Bündnis, den Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe zu erklären. Zunächst wird festgestellt, dass "eine systematische, personelle und finanzielle Verankerung von Klimaschutz und Klimaanpassung auf kommunaler Ebene" fehle. Das knappe Budget müsse schwerpunktmäßig für Pflichtaufgaben verwendet werden. Fördermittel könnten "wichtige Impulse für punktuelle Klimaschutz- und Anpassungsmaßnahmen und befristete Personalkapazitäten" geben, seien aber "nicht geeignet für deren erforderliche systematische, langfristige Planung und Umsetzung". Als Konsequenz daraus fordert das Klima-Bündnis den Bund dazu auf, "in Zusammenarbeit mit den Bundesländern (...) Klimaschutz und Klimaanpassung, in Verbindung mit einer Finanzierung gemäß dem Konnexitätsprinzip, als Pflichtaufgabe(n) für Kommunen zu verankern." Dadurch werde, so das Klima-Bündnis, "eine langfristige Finanzierung, eine ausreichende Personalausstattung und eine Besserstellung von Klimaschutz und Klimafolgenanpassung im Interessensausgleich konkurrierender gesellschaftlicher Ziele erreicht."
Diese Verpflichtung soll für die Kommunen konkret bedeuten:
- Klimaschutz und Klimaanpassung als Ziele von überragendem öffentlichem Interesse - folglich als Querschnittsaufgabe - in alle kommunalen Aufgabenfelder einzubeziehen;
- Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte müssten als Handlungsgrundlage für alle Städte und Gemeinden erstellt und umgesetzt werden;[10]
- Planung und Umsetzung konkreter Maßnahmen für treibhausgasneutrale und klimaangepasste kommunale Gebäude und Verwaltungen;
- Gewährleistung einer langfristigen, flächendeckenden und geschäftsbereichsübergreifenden Personalausstattung für Klimaschutz und Klimaanpassung.
Begleitend zur Festlegung des Klimaschutzes als Pflichtaufgabe für Kommunen müssten Klimaschutz und Klimaanpassung in allen Fachgesetzen und Planungsdirektiven ein starkes Gewicht erhalten, um die kommunalen Anstrengungen zu unterstützen und eine rechtsichere Umsetzung zu ermöglichen.
Klimaschutz als Gemeinschaftsaufgabe?[Bearbeiten]
Wenige Monate später, im Januar 2023, forderte ein Bündnis aus Gewerkschaften, Kommunen und Verbänden, darunter auch das Klima-Bündnis, den Klimaschutz zur Gemeinschaftsaufgabe zu erklären.[11] Gemeinschaftsaufgaben sind nach dem Grundgesetz (Art. 91a-91d) Aufgaben der Länder, an deren Finanzierung sich der Bund (mindestens) zu Hälfte beteiligt. Hauptgrund für diese Forderung ist die Feststellung, dass ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen der Kommunen häufig an den verfügbaren Ressourcen (Personal, Verwaltungsverfahren, rechtliche Grundlagen und vor allem finanziellen Mitteln) scheitern. Zur Fundierung der Forderung hatten die Verbände vorab ein Rechtsgutachten erstellen lassen, das sich vor allem mit der unzureichenden Finanzierung des kommunalen Kilmaschutzes beschäftigt.[12]
- Zum Forderungspapier und dem Rechtsgutachten gibt es einen eigenen Artikel: Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz und Klimaanpassung in Kommunen.
Beide Forderungen - den Klimaschutz zur kommunalen Pflichtaufgabe und zur Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe zu erklären - widersprechen sich nicht; sie können als gegenseitige Ergänzung verstanden werden. Beide zielen letztlich vor allem auf eine ausreichende und verlässliche Finanzierung, aber auch auf klare rechtliche Grundlagen für die Kommunen ab, damit diese ihren notwendigen Teil zu den nationalen Klimaschutzanstrengungen beitragen können. Eine andere Frage ist, ob beide Forderungen, parallel verfolgt, die gleiche Chance auf Verwirklichung haben bzw. welcher Weg im Zweifel der aussichtsreichere wäre.
Das Rechtsgutachten von Verheyen und Hölzen[Bearbeiten]
Da das Rechtsgutachten von Verheyen und Hölzen auch für die hier behandelten Fragen Hinweise liefert, soll es an dieser Stelle (verkürzt) dargestellt werden. Es stellt zu Beginn fest, dass aus verfassungsrechtlichen Gründen Klimaschutz schon jetzt eine verpflichtende Aufgabe der Kommunen sei. Dies folge bereits aus Art. 20a des Grundgesetzes (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen). Das Selbstverwaltungsrecht der Gemeinden stehe dieser Verpflichtung nicht entgegen, weil durch derartige rechtliche Rahmenbedingungen das pflichtgemäße Ermessen, mit dem die Kommunen ihre Aufgaben finden und wahrnehmen müssen, die Entscheidungsspielräume reduziert. Die Autorinnen räumen aber ein, dass es hierzu in der juristischen Debatte andere Auffassungen gibt.
Auch weitere rechtliche Vorschriften können eine solche Verpflichtung begründen; als Beispiel wird § 1 BauGB genannt, der im Absatz 5 explizit Klimaschutz, Klimaanpassung und die Erfüllung der Klimaschutzziele des Bundes-Klimaschutzgesetzes benennt. Die Erstellung der Bauleitpläne ist den Kommunen als Aufgabe explizit übertragen, dabei müssen sie zwingend den Klimaschutz berücksichtigen. Als weiteres Beispiel erörtert das Gutachten ausführlich das Thema der kommunalen Wärmeplanung, die seinerzeit nur in einigen Bundesländern verpflichtend geregelt war. Seit Inkrafttreten des Bundes-Wärmeplanungsgesetzes ist die Wärmeplanung in allen Kommunen Pflicht. Dieses Gesetz zeigt auch den Weg auf, wie der Bund trotz des Durchgriffsverbots eine kommunale Pflichtaufgabe schaffen kann: In § 4 steht: "(1) Die Länder sind verpflichtet sicherzustellen, dass auf ihrem Hoheitsgebiet Wärmepläne nach Maßgabe dieses Gesetzes spätestens bis zu den in Absatz 2 genannten Zeitpunkten erstellt werden. ..."
Als drittes Beispiel diskutiert das Gutachten das Thema des kommunalen Klimaschutzmanagements, das bisher eine freiwillige Aufgabe ist, jedoch zum Zeitpunkt des Gutachtens in ca. 800 Kommunen durchgeführt und zumeist über die Kommunalrichtlinie gefördert wird. Die Autorinnen schlagen vor, das Klimaschutzmanagement zumindest für größere Gemeinden, etwa ab 20.000 Einwohner:innen, zur Pflichtaufgabe zu machen. Teil dieses Managements sollte ein Klimaschutzkonzept sein, das für bestimmte Sektoren wie Verkehr, Gebäude, Energie etc. die Maßnahmen für die Erreichung der kommunalen Klimaschutzziele beschreibt. Die Umsetzung sollte durch ein begleitendes Monitoring der Treibhausgasreduzierungen begleitet werden.
Zusammenfassend stellen die Autorinnen fest, dass es bereits jetzt verpflichtende Aufgaben der Kommunen zum Klimaschutz gibt, nämlich in der Bauleitplanung. (Durch das Wärmeplanungsgesetz und das Klimaanpassungsgesetz sind seitdem weitere Pflichtaufgaben hinzugekommen, s.o.) Die Vorschriften der Verfassung, präzisiert durch das Klimaschutzurteil des Bundesverfassungsgerichts und das Klimaschutzgesetz, führen zumindest dazu, dass Kommunen "sich nicht rechtmäßig dazu entscheiden (können), gar keine Klimaschutzmaßnahmen zu ergreifen bzw. Klimaschutzaspekte bei ihrer Tätigkeit außer Acht zu lassen". Sie schreiben aber keine konkreten Maßnahmen vor. Die Länder, so die Einschätzung des Gutachtens, "scheuen sich, konkret Aufgaben zu übertragen, da dies mit der Pflicht einhergeht, Regelungen zur Kostendeckung zu treffen." Sofern der Bund Pflichtaufgaben im Klimaschutz definiert, müsste er gegenüber den Ländern dafür einen Kostenausgleich leisten und diese wiederum den Kommunen, an die sie diese Pflicht weiterreichen, ihrerseits Kosten erstatten.
Damit ist aber klar, dass der tatsächliche Umfang des kommunalen Klimaschutzes wesentlich von der Finanzierung abhängt. Die bestehenden Förderprogramme bieten zwar Mittel an, geben aber keine Planungssicherheit und damit auch keine starke Motivation, das für Klimaschutzplanungen notwendige Personal in den Kommunen vorzuhalten. Sofern bestehende Fachgesetze - analog dem BauGB - mit Klimaschutzkriterien angereichert werden, "wird der dadurch entstehende personelle Mehraufwand für die Umsetzung vor Ort bereits jetzt nicht berücksichtigt bzw. vergütet".
Schließlich benennt das Gutachten vier Optionen
- Klimaschutz bleibt freiwillige Aufgabe, jedoch mit auskömmlicher Finanzierung
- Klimaschutz wird Pflichtaufgabe durch Landesgesetze
- Klimaschutz wird Pflichtaufgabe durch Bundesgesetz
- Grundgesetzänderung: Entweder ein neuer Art. 104e, der dem Bund eine Mitfinanzierung des kommunalen Klimaschutzes über die Länder erlaubt, oder Ergänzung des § 91a, um eine dritte Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen.
Die Autorinnen entscheiden sich nicht klar für eine dieser Varianten, lassen im Fazit aber eine Präferenz für eine Grundgesetzänderung erkennen.
Diskussionspapiere 2024[Bearbeiten]
Der Deutsche Städtetag hat auf die Forderung nach einer Pflichtaufgabe "kommunaler Klimaschutz" im April 2024 mit einem Diskussionspapier reagiert.[13] Im Ergebnis stellt er sich hinter diese Forderung: "Eine freiwillige Aufgabe verschafft den Städten Gestaltungsfreiraum. Der freiwillige Aufgabencharakter führt aber auch dazu, dass Klimamaßnahmen (...) insbesondere in Haushaltsdebatten unter hohem Konkurrenzdruck stehen. (...) Eine Pflichtaufgabe bringt nicht automatisch mehr Mittel ins System. Sie wertet jedoch die Aufgabe im Vergleich zu anderen freiwilligen Leistungen auf. Damit kann die Forderung einer aufgabengerechten Finanzausstattung gegenüber Land und Bund fundierter unterlegt werden." Das Papier zählt auf, welche Maßnahmen möglicherweise unter die Aufgabe "Klimaschutz" fallen könnten:
- Ausbau des ÖPNV und Maßnahmen zur Verkehrswende
- Maßnahmen zur Wärmewende, insbesondere kommunale Wärmeplanung, energetische Gebäudesanierung, Ausbau von Fernwärme
- Ausbau erneuerbarer Energien mit Windenergie und PV-Ausbau
- Maßnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz
- Investitionen in die Abfallentsorgung, Recycling, energetische Nutzung von Restabfällen
- Investitionen in städtische Grünanlagen, Dachbegrünung, Stadtbäume
- Investitionen in Wasserinfrastruktur, Regenwassermanagement, Baum-Rigolen, Gefahrenkarten.
Damit stellt sich aus Sicht des Städtetages die Frage, ob ein solcher Katalog überhaupt gesetzlich normiert werden kann. Zudem müssten sich die Maßnahmen vor Ort "an den geografischen, topografischen, siedlungsstrukturellen, ökologischen Gegebenheiten der Region ausrichten". Daher sei der Klimaschutz nur als Pflichtaufgabe ohne Weisung denkbar, d.h. das "Wie" bleibe der kommunalen Gestaltungshoheit überlassen. Diese Anforderung könnten durch Instrumente wie Klimaschutzpläne, Klimaanpassungspläne und Wärmepläne erfüllt werden - dabei bestimmt die Kommune in weiten Grenzen selbst, welche Maßnahmen sie ergreift.
In einer Tabelle wird aufgezeigt, welche Pflichten die Kommunen durch die Landesklimaschutzgesetze bereits jetzt haben; dies stellt sich in den Bundesländern unterschiedlich dar. Beispielsweise ist die Aufstellung eines Klimaschutzkonzepts nur in NRW eine kommunale Pflicht. Hingegen enthalten die meisten Landesgesetze Verpflichtungen im Bereich der Energieversorgung, die für die Kommunen gelten, die Mehrzahl nennt auch das Ziel einer klimaneutralen Verwaltung.
Eine wichtige Frage bleibt die der Finanzierung. Das Konnexitätsprinzip, so der Städtetag, löse nicht alle Probleme; so könne z.B. Streit über die tatsächliche Höhe der Kosten entstehen oder darüber, ob die Änderung von Standards als Aufgabenübertragung zu verstehen ist, für die ein Kostenausgleich zu leisten wäre. Außerdem dürften die Länder nicht den Kommunen, die bereits jetzt eine ambitionierte Klimaschutzstrategie verfolgen, die finanzielle Unterstützung verweigern. Mit einer Pflichtaufgabe könnten die jetzt schon vorhandenen Förderprogramme an das Vorhandensein von Klimaschutz- und Klimaanpassungskonzepte bzw. einer Wärmeplanung gebunden werden. Der Bund dürfe sich aber nicht aus der Finanzierung zurückziehen.
Der Städtetag erwähnt auch die Möglichkeit, eine Gemeinschaftsaufgabe zu schaffen. Dabei müsste die Fördersystematik so gestaltet werden, dass Hemmnisse wie aufwändige Antragsverfahren oder kommunale Eigenanteile vermieden werden.
Auch das Klima-Bündnis veröffentlichte im Oktober 2024, rund zwei Jahre nach seinem Vorschlag, ein Diskussionspapier zum Thema.[14] Es beschreibt, wie der Vorschlag im Detail umgesetzt werden kann, und beruht auf einem mehrjährigen Diskussionsprozess innerhalb des Klima-Bündnisses. Folgende Eckpunkte werden genannt:
- Ein Bundesgesetz muss die Länder verpflichten, ihren Kommunen die "Pflichtaufgabe Klimaschutz" in Landesgesetzen zu übertragen. Durch das Bundesgesetz wird ein bundesweit einheitliches Mindestmaß an kommunalem Klimaschutz gewährleistet.
- Bund und Länder müssen einen gemeinsamen Finanzierungsmechanismus etablieren. Dafür stellt eine neue Gemeinschaftsaufgabe ein geeignetes Instrument dar.
- Der Bund muss die Länder verpflichten, Klimaschutzziele für Kommunen zu definieren.
- Der Bund muss die Länder zur flächendeckenden Erstellung und Umsetzung von Klimaschutzkonzepten verpflichten.
- Für die Umsetzung der Konzepte und die langfristige Verankerung des Klimaschutzes müssen Bund und Länder den Kommunen unbefristete Personalstellen finanzieren.
- Förderprogramme von Bund und Ländern sollten in einer Pro-Kopf-Pauschale für Klimaschutzinvestitionen gebündelt werden, für die die Kommunen keine Eigenanteile leisten müssen. Das Klima-Bündnis schlägt 100 € pro Kopf vor; der Aufwand könnte zu über 50% durch den Verzicht auf klimaschädliche Subventionen, außerdem durch den mit dem Wegfall der heutigen Förderprogramme verbundenen Bürokratieabbau finanziert werden.
Fazit[Bearbeiten]
Die Idee einer "Pflichtaufgabe kommunaler Klimaschutz und Klimaanpassung" wird seit mehreren Jahren diskutiert, ist insbesondere vom Klima-Bündnis im Sinne eines Umsetzungskonzeptes ausbuchstabiert worden und erscheint, wenn der politische Wille auf Bundesebene vorhanden ist, machbar. Auch der Deutsche Städtetag steht der Idee positiv gegenüber. Ziel ist nicht nur, Aufgaben des Klimaschutzes für Kommunen verpflichtend zu machen, sondern auch - und vielleicht vor allem - eine auskömmliche, verlässliche Finanzierung für den kommunalen Klimaschutz und die Klimaanpassung sicherzustellen (und am besten dabei auch noch den Förderdschungel kräftig zu lichten). Im Kern würde eine kommunale Pflichtaufgabe "Klimaschutz" konkret vor allem bedeuten, dass Kommunen - jedenfalls ab einer bestimmten Größe - verpflichtend ein Klimaschutzkonzept verabschieden und regelmäßig über die getroffenen Maßnahmen berichten müssen. Die Klimaschutzkonzepte könnten durch eine Stelle des Landes, z.B. eine Klimaagentur, beratend begleitet und evtl. auch geprüft und genehmigt werden. Das Gesetz könnte festlegen, welche Sektoren und Bereiche in diesem Konzept (mindestens) betrachtet werden, ohne bestimmte Maßnahmen zwingend vorzuschreiben. Auch ein personell ausreichend ausgestattetes Klimaschutzmanagement könnte Teil der Pflichtaufgabe sein.
Für eine sichere Mitfinanzierung durch den Bund könnte die Schaffung einer dritten Gemeinschaftsaufgabe hilfreich sein; dadurch wäre sichergestellt, dass der Bund die Aufgaben des kommunalen Klimaschutzes und der Klimaanpassung mindestens zur Hälfte mitfinanziert. Doch dies erfordert eine Grundgesetzänderung und damit Zweidrittelmehrheiten in Bundestag und Bundesrat. Demgegenüber kann eine Pflichtaufgabe mit einfacher Mehrheit (in Bundestag und Bundesrat) erreicht werden, z.B. durch eine Ergänzung des Bundes-Klimaschutzgesetzes. Allerdings hat schon die Ampel-Koalition diesen Vorschlag von sich aus nicht aufgegriffen, und von Schwarz-Rot ist das noch weniger zu erwarten. Ohne politischen Druck von unten wird das Thema daher nicht vorankommen.
Fußnoten[Bearbeiten]
- ↑ Siehe dazu Umweltbundesamt, Klimarahmenkonvention der Vereinten Nationen (UNFCCC), mit Link auf den Text der Konvention
- ↑ Bundes-Klimaschutzgesetz (aktuelle Fassung)
- ↑ Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 24. März 2021, Az. 1 BvR 2656/18, 1 BvR 78/20, 1 BvR 96/20 und 1 BvR 288/20
- ↑ Siehe dazu: Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, Neues Klimaschutzgesetz: Bundesregierung setzt sich ambitioniertere Ziele, 27.09.2021
- ↑ Siehe auch Umweltbundesamt: Treibhausgasminderungsziele Deutschlands
- ↑ PD-Perspektiven und Deutscher Städtetag: Analyse der kommunalen Förderlandschaft (02.12.2021, pdf-Format, 76 Seiten)
- ↑ Wissenschaftliche Dienste: Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe (13.04.2011, pdf-Format, 12 Seiten)
- ↑ Siehe dazu die Tabelle in: Deutscher Städtetag: Klimaschutz und Klimaanpassung als Pflichtaufgabe, Diskussionspapier, 30.04.2024, S. 9
- ↑ Klima-Bündnis: Klimaschutz und Klimaanpassung als kommunale Pflichtaufgabe(n) verankern, September 2022 (pdf-Format, 9 Seiten); es gibt auch eine Kurzfassung (pdf-Format, 3 Seiten). Das Papier wird von eine Reihe weiterer Verbände unterstützt, siehe am Schluss des Dokuments.
- ↑ Als Vorbild wird die in Frankreich für alle Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohner:innen geltende Verpflichtung genannt, einen territorialen Klima-Luft-Energie-Plan ("Plan climat-air-énergie territorial" - PCAET) aufzustellen; er besteht aus vier Teilen: Diagnose, Strategie, Aktionsprogramm sowie Überwachung und Bewertung.
- ↑ Das Forderungspapier von Klima Allianz Deutschland, Deutsche Umwelthilfe, WWF, Germanwatch, DGB, ver.di, IG BAU, Misereor, Institut für Kirche und Gesellschaft sowie Klima Bündnis Deutschland: Allen Kommunen sozial gerechten Klimaschutz ermöglichen – Bewältigung der Klimakrise muss Gemeinschaftsaufgabe werden (Januar 2023, pdf-Format, 6 Seiten)
- ↑ R. Verheyen, K. Hölzen: Kommunaler Klimaschutz im Spannungsfeld zwischen Aufgabe und Finanzierung am Beispiel der kommunalen Wärmeplanung und des kommunalen Klimaschutzmanagements, Oktober 2022 (mit Link zum Download im pdf-Format, 64 Seiten, 1 MB)
- ↑ Deutscher Städtetag: Klimaschutz und Klimaanpassung als Pflichtaufgabe, Diskussionspapier, 30.04.2024, mit Link zum Download des Papiers (pdf-Format, 16 Seiten)
- ↑ Klima-Bündnis: Diskussionspapier "Klimaschutz als kommunale Pflichtaufgabe". Eckpunkte für die bundesweite Verankerung von Klimaschutz auf kommunaler Ebene (Oktober 2024, pdf-Format, 16 Seiten
Materialien[Bearbeiten]
- Angelika Paar, Fabian Bergk, Miriam Dingeldey, Clemens Hecker, Vanessa Herhoffer (Umweltbundesamt): Klimaschutzpotenziale in Kommunen. Quantitative und qualitative Erfassung von Treibhausgasminderungspotenzialen in Kommunen (2022, pdf-Format, 98 Seiten, Kurzfassung verfügbar)
- Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und Nationale Klimaschutz-Initiative: Klimaschutz in Kommunen – gewusst wie!, Praxisleitfaden