Gemeindefinanzen 2017: Erleichterung, doch keine nachhaltige Lösung
Seinen Gemeindefinanzbericht 2017 hat der Deutsche Städtetag unter das Motto „Gleichwertige Lebensverhältnisse von Aachen bis Zwickau“ gestellt. Und auch der Kommunale Finanzreport 2017 der Bertelsmann Stiftung betont die regionalen Disparitäten, insbesondere bei der Verschuldung und den Gemeindesteuern. Zwar steigen die kommunalen Einnahmen auch 2017 im Bundesdurchschnitt deutlich an, doch hält die Finanzkrise bei vielen Kommunen mit dauerhaft defizitären Haushalten trotz positiver Gesamtentwicklung an. Die großen und weiter wachsenden Unterschiede bleiben Hauptthema bei den Gemeindefinanzen.
Gute und schlechte Nachrichten[Bearbeiten]
Zunächst das Positive: Die Gesamteinnahmen der kommunalen Haushalte stiegen 2016 im Vergleich zum Vorjahr um 6,7% und steigen 2017 voraussichtlich um weitere 5,9%. Das sind hohe Steigerungsraten, die ausnahmsweise auch in der Nähe der Ausgabensteigerung liegen (6,3 bzw. 5,9%). Für wachsende Einnahmen sorgt 2016 hauptsächlich die Gewerbesteuer (+9,8%), 2017 die Einkommensteuer (+5,6%). Das zeigt, dass vor allem die Konjunktur die Gemeindefinanzen stützt. Dass auch die Einnahmen der Länder steigen, schlägt sich in wachsenden Zuweisungen an die Kommunen nieder (+11,6 bzw. +6,0%, ohne Investitionszuweisungen).
Gleich zwei Botschaften gießen Wasser in diesen Wein: Zum einen profitieren von der guten Einnahmenentwicklung vor allem die Gemeinden, die ohnehin ausgeglichene Haushalte oder gar Überschüsse haben. Die meisten Kommunen mit Defiziten oder mit hohen Schulden können ihre Lage kaum verbessern. Rund ein Viertel der für das KfW-Kommunalpanel befragten Kommunen hat keinen ausgeglichenen Haushalt. Die Unterschiede zwischen „reichen“ und „armen“ Kommunen nehmen weiter zu. Und für die Jahre 2018-2020 sind die Erwartungen bezüglich der Einnahmen eher verhalten, es werden Steigerungen zwischen 1,8% und 3,7% erwartet.
Der strukturelle Sprengsatz der Gemeindefinanzen besteht weiter: Die Sozialausgaben wachsen ab 2018 durchweg wieder schneller als die Einnahmen (zwischen 3,8 und 4,2%), so dass die Spielräume für andere Aufgaben wieder schrumpfen. Für das Jahr 2019 wird bundesweit sogar wieder ein negativer Finanzierungssaldo erwartet, sprich höhere Ausgaben als Einnahmen.
Den Mangel verwalten[Bearbeiten]
Der Gemeindefinanzbericht betont daher auch, dass die aktuell gute Einnahmenentwicklung der Mehrzahl der Kommunen keine großen Spielräume verschafft: Zu viele von ihnen können weiterhin nur den Mangel verwalten. Dies trifft – wie das Deutsche Institut für Urbanistik einmal wieder feststellt – auf einen weiterhin (zu) hohen Investitionsstau. Aktuell schätzt das Institut den Rückstand im Kommunalpanel auf 126 Mrd. €, nahezu dieselbe Summe (129 Mrd. €, in der EY-Kommunenstudie gar 142 Mrd. €) wird für die kommunale Gesamtverschuldung angesetzt. Beide Beträge zusammen, also mindestens 255 Mrd. €, wären nötig, um die Gesamtheit der Kommunen (theoretisch) zu sanieren. Dabei konzentrieren sich diese Rückstände – ebenso wie die kommunale Verschuldung, insbesondere die Kassenkredite – auf einen Teil der Kommunen, vor allem größere Städte im Ruhrgebiet und im Bergischen Land (NRW), in Rheinland-Pfalz und im Saarland und einige weitere Regionen.
Eine andere Gegenüberstellung macht ebenfalls die regionalen Disparitäten deutlich: Im Jahr 2016 konnten die Kommunen in Bayern pro Kopf der Bevölkerung 517 € für Investitionen aufwenden, in Baden-Württemberg 451 €. Am anderen Ende der Skala stehen das Saarland mit 151 € und Mecklenburg-Vorpommern mit 169 € pro Kopf. Das heißt, die „ärmeren“ Kommunen sind nicht in der Lage, durch Investitionen die notwendigen Grundlagen für positive Zukunftsaussichten und damit auch für steigende kommunale Einnahmen zu schaffen.
Diskussion um steigende Hebesätze[Bearbeiten]
Der positive Saldo der vergangenen beiden Jahre ist natürlich in der Hauptsache der Konjunktur zu verdanken, die direkt (über Steuern) und indirekt (über Landeszuweisungen) Geld in die kommunalen Kassen gespült hat. Auch die anhaltende Niedrigzinsphase half den Gemeinden; teilweise können sie sogar von Negativzinsen profitieren, d.h. für aufgenomme Kassenkredite (geringe) Entgelte von den Banken erhalten, die ansonsten höhere Negativzinsen bei der Bundesbank zahlen müssten. Doch haben in der jüngeren Vergangenheit nicht wenige Kommunen auch die Hebesätze der Gewerbe- und Grundsteuer erhöht. Dies gilt natürlich vor allem für Kommunen mit Haushaltsdefiziten und geschah nicht immer freiwillig. Wo Haushaltssicherungskonzepte erstellt oder Mittel aus den Konsolidierungshilfen des Landes in Anspruch genommen werden, werden Gemeinden und Kreise von der Kommunalaufsicht dazu angehalten, alle Einnahmemöglichkeiten auszuschöpfen, um einen eigenen Sanierungsbeitrag zu leisten. So hat die Unternehmensberatung Ernst&Young in einer Studie festgestellt, dass allein in der ersten Jahreshälfte 2015 bundesweit 1558 Kommunen den Gewerbesteuer-Hebesatz erhöht und nur 35 Kommunen ihn gesenkt haben.
Das „Drehen an der Steuerschraube“ hat natürlich Diskussionen ausgelöst. So haben sich verschiedene Industrie- und Handelskammern kritisch zu Wort gemeldet, und der Bund der Steuerzahler hat in einigen Bundesländern eine „Grundsteuerbremse“ gefordert. Die neue schwarz-gelbe Landesregierung in Nordrhein-Westfalen will reagieren und hat – wenn auch noch nicht sehr konkrete – Gegenmaßnahmen angekündigt.
Dass ein höherer Hebesatz nicht immer der beste Weg zu höheren Einnahmen ist, zeigt das Beispiel der Stadt Monheim (NRW). War sie noch bis ins Jahr 2011 überschuldet und wurde zeitweilig sogar von der Kommunalaufsicht zwangsverwaltet, machte sich die Stadt seitdem zum Steuerparadies. Binnen vier Jahren wurde der Gewerbesteuersatz von 435 auf 260 Prozent gesenkt, was die Ansiedlung von rund 300 Firmen mit 4.500 Arbeitsplätzen nach sich zog. Ein Modell, das natürlich nur funktioniert, solange es die Ausnahme bleibt.
Konsolidierungsprogramme greifen kaum[Bearbeiten]
Ein Teil der Bundesländer hat – neben dem kommunalen Finanzausgleich – Hilfsprogramme aufgelegt, die den finanzschwachen Kommunen teils mit einem Defizitausgleich, teils mit Entlastungen bei Schulden oder Zinsen unter die Arme greifen sollen.[1] Diese Programme tragen meist fantasievolle Namen wie „Stärkungspakt“ (NRW), „Schutzschirm“ (Hessen) oder STARK (Sachsen-Anhalt). Die Zwischenbilanz zeigt: Die Mehrzahl dieser Programme greift zu kurz. Zu gering sind die eingesetzten Mittel, gemessen an den kommunalen Bedarfen, und meist wird entweder nur das Problem des Haushaltsausgleichs oder die Frage der Altschulden angegangen, obwohl für langfristig prekäre Kommunalhaushalte meist beides notwendig wäre. Lediglich in Hessen – wo zum „Schutzschirm“ (Tilgung langfristiger Schulden) jetzt die „Hessenkasse“ (Übernahme von Kassenkrediten durch eine landeseigene Bank) hinzukommt – gibt es relativ gute Aussichten, die kommunale Verschuldung deutlich zu senken. Doch auch hier geht die Konsolidierung mit starken Einschränkungen kommunaler Leistungen einher, durchweg müssen auch die Kommunen in ihrer Gesamtheit die Programme zu großen Anteilen mitfinanzieren. Dementsprechend bleibt zu befürchten, dass nach der Konsolidierung der kommunale Handlungsspielraum dauerhaft eingeengt bleibt, bis über die Grenze des Zulässigen hinaus – denn von kommunaler Selbstverwaltung kann nur gesprochen werden, solange die Kommunen neben den Pflichtaufgaben auch freiwillige Aufgaben erfüllen können.
Fazit: Kommunale Finanzkrise schwelt weiter[Bearbeiten]
So bleibt festzustellen, dass die Einnahmesteigerungen der letzten Jahre vielen Kommunen zwar Erleichterung brachten, doch die Finanzkrise im Kern nicht gelöst ist. Die Kommunen mit dauerhaft schwachen eigenen Einnahmen benötigen dazu dreierlei:
- bedarfsgerechte, d.h. gestärkte und verstetigte Einnahmen, ohne die der kommunale Finanzausgleich überfordert bleibt und keine Planungssicherheit entsteht;
- eine Lösung des Altschuldenproblems, das sich für rund ein Viertel der Kommunen verfestigt hat;
- und eine Entlastung von Sozialausgaben, insbesondere jenen, die mit hohen Raten steigen und steigende Einnahmen immer wieder aufzehren. Laut der EY-Kommunenstudie erwarten die Kommunen in ihrer Gesamtheit, dass die Ausgaben schneller steigen als die Einnahmen, so dass trotz teilweise positiver aktueller Daten die Hälfte von ihnen pessimistisch in die Zukunft schaut.
Besonders wichtig ist, die Investitionskraft der Gemeinden dauerhaft zu stärken. Kurzfristige Förderprogramme bleiben, wie der Städtetag schreibt, ein „Strohfeuer“ und scheitern teilweise schon daran, dass viele Kommunen nach mehreren Sparrunden weder über baureife Planungen noch über das notwendige Fachpersonal verfügen, um mit kurzfristig bereitgestellten Mitteln den Investitionsstau aufzulösen und notwendige Zukunftsinvestitionen auf den Weg zu bringen, ganz zu schweigen von den Herausforderungen, die der Klimawandel und die Digitalisierung stellen und die vor allem von den Kommunen angegangen werden müssen. Damit wird die kommunale Finanzausstattung zu einer Schlüsselfrage für die Gestaltung der Zukunft, für deren Lösung der Bund einen wesentlichen Beitrag leisten muss.
Fußnote[Bearbeiten]
- ↑ siehe dazu auch: Mario Krüger: Kommunale Schuldenkrise: Rezepte der Bundesländer, in: AKP 3/2014, S. 50 ff.
Weblinks: Aktuelle Veröffentlichungen zu den Gemeindefinanzen[Bearbeiten]
- Deutscher Städtetag: Gemeindefinanzbericht 2017 (November 2017, mit Länderreports; pdf-Format, 68 Seiten)
- Bertelsmann Stiftung: Kommunaler Finanzreport 2017 (August 2017, Link auf Download im pdf-Format, 180 Seiten)
- Deutsches Institut für Urbanistik im Auftrag der KfW-Bank: KfW-Kommunalpanel 2017 (Mai 2017, 40 Seiten, pdf-Format, mit Analyse der Investitionsrückstände und des kommunalen Finanzierungsmanagements; auch als Präsentation, 16 Seiten, pdf-Format, und als Kurzfassung, 3. Seiten)
- Ernst&Young: Kommunenstudie 2017 (Oktober 2017, Präsentation, pdf-Format, 31 Seiten)
Siehe auch[Bearbeiten]
Der vorstehende Text erschien in kaum veränderter Fassung auch in der Zeitschrift "Alternative Kommunalpolitik", Heft 1/2018, S. 51-53