Stärkungspakt (Nordrhein-Westfalen)

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Das Stärkungspaktgesetz für überschuldete Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, oft als "Stärkungspakt Stadtfinanzen" bezeichnet, wurde am 08.12.2011 vom Landtag Nordrhein-Westfalen beschlossen und am 16.12.2011 im Gesetz- und Verordnungsblatt Nordrhein-Westfalen (GV. NRW. 2011 S. 662) veröffentlicht.

Inhalt des Stärkungspakts[Bearbeiten]

Für überschuldete oder von Überschuldung bedrohte Kommunen stehen insgesamt Konsolidierungshilfen von 5,85 Milliarden Euro für den Zeitraum 2011 bis 2020 zur Verfügung. Im Gegenzug müssen die betroffenen Städte und Gemeinden einen klaren Sanierungskurs einschlagen. In der ersten Stufe stellte das Land ab 2011 für 34 akut von Überschuldung betroffene Kommunen[1] jährlich 350 Millionen Euro bereit. Für sie ist die Teilnahme am Stärkungspakt rechtsverbindlich. Bis zum Jahr 2020 stehen hierfür insgesamt 3,5 Milliarden Euro aus Landesmitteln zur Verfügung. Zum Stichtag 31.12.2011 betrugen die kommunalen Schulden in Nordrhein-Westfalen insgesamt 44,469 Mrd. €, davon waren 25,574 Mrd. € Kassenkredite.

In einer zweiten Stufe wurden ab 2012 weitere 27 Kommunen in den Pakt einbezogen, bei denen die Haushaltsdaten 2010 eine Überschuldung bis 2016 erwarten ließen. Für sie wurden Mittel in Höhe von 65 Millionen Euro in 2012, 115 Millionen Euro in 2013 und 310 Millionen Euro ab 2014 vorgesehen. Diese Mittel in Höhe von insgesamt 2,35 Milliarden Euro bis 2020 wurden über das Gemeindefinanzierungsgesetz (GFG) bereitgestellt. Sie werden von den Kommunen selbst gegenfinanziert: Die Mittel stammen aus der Entlastung der Kommunen aufgrund verminderter Hartz-IV-Sonderbedarfszuweisungen sowie dem im GFG vorgesehen höheren kommunalen Anteil an der Grundwerwerbsteuer ab 2013, außerdem wird seit 2014 eine zusätzliche Solidaritätsumlage (meist "Kommunalsoli" genannt) von jährlich 195 Mio. € von den abundanten Kommunen erhoben (die 2016 gerichtlich als zulässig bestätigt wurde; siehe hierzu den Abschnitt 2016: Solidaritätsumlage bestätigt).

Im Gegenzug zu der Sanierungshilfe des Landes muss die Empfängergemeinde eine Konsolidierungsvereinbarung mit der Aufsichtsbehörde abschließen. Der kommunale Haushalt muss mit dem Geld aus dem Stärkungspakt innerhalb von fünf Jahren (Stufe 1) bzw. sieben Jahren (Stufe 2) ausgeglichen sein. Bis spätestens zum Jahr 2020 muss ein Haushaltsausgleich dann aus eigener Kraft erreicht werden.

Für die teilnehmenden Kommunen ersetzt der Sanierungsplan nach dem Stärkungspaktgesetz das bisher nach § 76 der Gemeindeordnung (GO) erforderliche Haushaltssicherungskonzept (HSK), ein eigenes HSK ist für sie damit nicht mehr erforderlich. Durch das Stärkungspaktgesetz wird der Zeitraum, bis zu dem der Haushaltsausgleich erreicht werden soll, wesentlich gestreckt. Die Bestimmungen des Stärkungspaktgesetzes gehen insgesamt denen der GO vor.

Der Stärkungspakt soll für die teilnehmenden Kommunen zunächst den Haushaltsausgleich bis 2016 herstellen. Anschließend soll ein positiver Finanzsaldo teilweise zur Reduzierung der aufgelaufenen Kassenkredite genutzt werden. Bis 2021 soll auch dies erfolgt sein, so dass das "strukturelle Gesamtdefizit" insgesamt auf Null zurückgeführt wurde. Ob dies realistisch ist, muss für viele Städte bezweifelt werden; für Wuppertal wurde dies beispielhaft in einem Gutachten der Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft gezeigt.

Politische Einbettung[Bearbeiten]

Der Stärkungspakt wurde bei seiner Einführung von weitern politischen Maßnahmen flankiert. Dazu gehörten strukturelle Veränderungen am kommunalen Finanzausgleich, die zu höheren Zuweisungen an Kommunen mit hohen Sozialausgaben führten. Hinzu kam die "Hochzonung" der Finanzaufsicht, die jetzt für die am Stärkungspakt teilnehmenden Kommunen bei den Regierungspräsidien angesiedelt ist. Die teilnehmenden Kommunen werden von der Finanzaufsicht stärker begleitet, sie müssen dreimal jährlich Bericht erstatten und mit einer restriktiveren Praxis bei der Genehmigung des Haushalts rechnen, sollen zugleich aber auch intensiver beraten werden.

Verfassungsgerichtshof bestätigt Stärkungspakt[Bearbeiten]

2012: Klage wegen falscher Datengrundlage[Bearbeiten]

Im Jahr 2012 legte die Stadt Oer-Erkenschwick Verfassungsbeschwerde vor dem Verfassungsgerichtshof gegen das Stärkungspaktgesetz ein. Die Berechnungen der Zahlungen an die Gemeinden beruhten auf falschen Daten, Oer-Erkenschwick habe daher in den Jahren 2011 und 2012 insgesamt rund 6 Mio. € zuwenig erhalten. Der Verfassungsgerichtshof stellte dazu fest, dass es tatsächlich eine "objektive Ungleichbehandlung" der beschwerdeführenden Stadt gegeben habe. Die Datenbasis sei veraltet gewesen. "Die im Ergebnis unrichtige, weil nicht mit dem tatsächlich vorhandenen Haushaltsdefizit korrespondierende Mittelverteilung ist jedoch dadurch sachlich gerechtfertigt, dass realitätsgerechte Rechenwerte für die strukturellen Haushaltslücken der Gemeinden wegen fehlerhafter statistischer Daten im Gesetzgebungsverfahren noch nicht verfügbar waren, der Gesetzgeber sich auf finanzwissenschaftlichen Sachverstand stützen konnte und dringender Handlungsbedarf gegeben war."[2] Das Land hat die Zahlungen ab 2013 durch ein Änderungsgesetz angepasst.

2016: Solidaritätsumlage bestätigt[Bearbeiten]

Am 30.08.2016 bestätigte der Verfassungsgerichtshof Münster ebenfalls die Zulässigkeit der Solidaritätsumlage, mit der abundante Gemeinden an der Finanzierung des Stärkungspaktes beteiligt werden. Die Umlage stehe zwar in einem Spannungsverhältnis zur kommunalen Selbstverwaltung, sei aber im Grundsatz zulässig und in der Höhe zumutbar.[3]

2014: Erste Evaluation des Stärkungspakts[Bearbeiten]

Am 15.09.2014 legte das Innenministerium NRW einen Evaluationsbericht über die Ergebnisse des Stärkungspakts für die pflichtig teilnehmenden Kommunen (erste Stufe) in den Jahren 2012 und 2013 vor. Danach wurden Konsolidierungsergebnisse von 253 Millionen Euro (2012) bzw. 434 Millionen Euro (2013) erreicht. Zu 72% wurden diese Summen durch das Streichen freiwilliger Leistungen erreicht, zu 28% durch Steuererhöhungen. Die kommunalen Spitzenverbände warnen davor dass der harte Konsolidierungskurs nicht zum "Kaputtsparen" führen darf. Eine dritte Stufe des Pakts sei nötig, um zu verhindern, dass Kommunen, die derzeit noch nicht teilnehmen, in eine Überschuldung geraten.

Weblinks[Bearbeiten]

2016: Keine Nachbesserung, aber dritte Stufe[Bearbeiten]

Am 03.03.2016 scheiterte ein Antrag der CDU-Fraktion im Landtag NRW,[4] der darauf abzielte, die finanzielle Situation der Kommunen in NRW zusätzlich zu verbessern und den Anstieg der kommunalen Steuern, insbesondere der Grundsteuer, zu begrenzen. Spitzenreiter ist hier derzeit Bergneustadt, dessen Hebesatz für die Grundsteuer B 1255 Punkte beträgt.[5] Wenige Tage später warnten die Landesverbände der kommunalen Spitzenverbände, angesichts der Belastungen durch die Flüchtlingsunterbringung, -versorgung und -integration, aber auch die Entwicklung der Sozialausgaben stünde der Stärkungspakt "auf der Kippe". Zumindest ein Teil der Stärkungspaktkommunen halte die gesetzten Konsolidierungsziele für nicht mehr erreichbar.[6] Angesichts dessen forderte der Städtetag NRW einen "Stärkungspakt III", der jenen Kommunen zugutekommen soll, die in die Finanzmisere abzurutschen drohen.[7]

Auch der Städte- und Gemeindebund NRW sah im Juni 2016 "keine Trendwende bei den Gemeindefinanzen" und forderte eine Weiterentwicklung des Stärkungspaktes. 2016 könne nur jede siebte Mitgliedskommune einen strukturellen Haushaltsausgleich erreichen. 259 Mitgliedsgemeinden hätten bis Ende 2016 ihre Ausgleichsrücklage vollkommen aufgebraucht. Bis 2020 gelte dies voraussichtlich für 327 Mitgliedskommunen, das sind 83% der Mitglieder. 19 Kommunen (bis 2018 20 Kommunen) seien auch nach neuem Haushaltsrecht überschuldet.

Unterdessen haben 30 von 34 Kommunen, die von 2011 an am Stärkungspakt teilnahmen, bis 2016 einen ausgeglichenen Haushalt erreicht. Oberhausen und Wuppertal erhielten ein Jahr Aufschub, Bergneustadt im Bergischen Land und Hagen verfehlten das Konsolidierungsziel. Die Mittel zur Erreichung des Ziels waren drastisch. So baute beispielsweise Witten rund 300 Stellen im Rathaus ab, Stadtteilbibliotheken wurden geschlossen, der Grundsteuerhebesatz wurde auf 910 Punkte angehoben.[8]

Im August 2016 beschloss die Landesregierung eine dritte Stufe des Stärkungspakts, der Landtag verabschiedete sie am 9.11.2016. Für die Unterstützung von Kommunen, die bis zum Jahr 2015 überschuldet waren, sollen Mittel verwendet werden, die durch das Ausscheiden einiger Kommunen aus dem Stärkungspakt frei werden. Für diese neue Stufe kommen u. a. Alsdorf bei Aachen, Heiligenhaus im Kreis Mettmann, Lünen im Kreis Unna, Mülheim an der Ruhr und Laer im Münsterland in Frage. Zahlungen in der dritten Stufe sollen ab 2017 fließen. Kommunen, die sie in Anspruch nehmen, müssen auch durch eigene Sparanstrengungen ihren Haushalt bis 2023 ausgleichen.[9]

2017: Zweite Evaluation des Stärkungspaktes[Bearbeiten]

Im Januar 2017 legte die Landesregierung einen neuen Evaluationsbericht vor.[10] Danach haben sich die Jahresergebnisse der teilnehmenden Kommunen kontinuierlich verbessert. Das Defizit verringerte sich von insgesamt 2,195 Mrd. € 2010 auf 455 Mio. € 2015 (vgl. S. 14 des Berichts). Einige Stärkungspaktkommunen haben sogar einen ausgeglichenen Haushalt erreicht, z.B. Burscheid, Datteln, Marl, Minden, Stolberg und Werl. Diese Entwicklung wurde jedoch auch "durch die vergleichsweise günstige gesamtwirtschaftliche Lage und die hiermit verbundenen Steuerzuwächse sowie durch die Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank begünstigt" (S. 15). Da jedoch insgesamt ein Defizit blieb, stieg auch die Verschuldung der teilnehmenden Kommunen weiter an: von 13,6 Mrd. € 2010 auf 16,3 Mrd. € 2015 (Summe Liquiditätskredite und Wertpapierschulden, vgl. S. 18); jedoch verlangsamte sich der Anstieg und kam 2015 praktisch zum Stillstand. Dennoch sieht das Ministerium Risiken, beispielsweise bei zurückgehender Konjunktur oder steigenden Zinsen.

Im März 2017 zogen die Vertreter der kommunalen Spitzenverbände im Land NRW eine verhalten positive Bilanz. Viele Stärkungspakt-Städte könnten schon jetzt ihre Haushalte ausgleichen, andere würden es in den nächsten Jahren schaffen, sagte der Geschäftsführer des Städtetages NRW, Helmut Dedy. Der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Bernd Jürgen Schneider, sagte: "Der Stärkungspakt war ein wichtiges Signal, denn er hat den teilnehmenden Kommunen erstmals seit vielen Jahren wieder Perspektiven eröffnet". Auch der Landkreistag NRW sah "gewisse positive Entwicklungen für die Haushalte".[11] Nach Angaben des Innenministeriums gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass eine Kommune das Ziel des Haushaltsausgleichs nicht erreiche. Remscheid beispielsweise konnte 2016 erstmals seit 1993 einen ausgeglichenen Haushalt aufstellen. Die Zwischenbilanz machte aber auch deutlich, dass dies mit Einschnitten verbunden war: Die Stärkungspakt-Kommunen erhöhten Grund- oder Gewerbesteuer, verkauften Vermögen, reduzierten Kultur- und Freizeitangebote oder reduzierten ihr Personal.[12]

Anlässlich des Endes der rot-grünen Koalition nach der Landtagswahl 2017 zog Innenminister Jäger im Juni 2017 erneut eine positive Bilanz. Für die finanzschwachen Kommunen seien ausgeglichene Haushalte in greifbare Nähe gerückt. Das kumulierte Defizit sei von 2,2 Mrd. € 2010 auf 86 Mio. € 2016 gesunken, 34 Kommunen hätten bereits einen ausgeglichenen Haushalt. „Die Liquiditätskrise der nordrhein-westfälischen Kommunen ist abgewendet. Ihre Kreditwürdigkeit ist gesichert.“[13] Dies bezieht sich jedoch nur auf die Kommunen im "Stärkungspakt"; nahezu gleichzeitig teilte das Statistische Landesamt mit, dass die Verschuldung der nordrhein-westfälischen Kommunen insgesamt innerhalb eines Jahres um 1,4 Mrd. € auf 63,3 Mrd. € angestiegen ist.[14] Ende 2017 gab das Innenministerium NRW bekannt, dass bis Ende 2016 173 Kommunen (von insgesamt 427[15]) einen ausgeglichenen Haushalt hatten, 39 mehr als noch 2011.[16]

2017: Zwischenbilanz durch das RWI[Bearbeiten]

In einer Studie "Stärkungspakt Stadtfinanzen - Weg aus der Schuldenfalle oder gekaufte Zeit?" zieht das RWI - Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung im Oktober 2017 eine Zwischenbilanz des Stärkungspaktes. Sie bescheinigt dem Programm eine "positive Hebelwirkung": Durch die Verpflichtung der Stärkungspakt-Kommunen auf eigene Konsolidierungsbeiträge "generierte 1 € Konsolidierungshilfe 2,4 € an Konsolidierungsvolumen", sprich: Der Eigenbeitrag der Kommunen war im Schnitt höher als die Konsolidierungshilfe des Landes. Die eigenen Beiträge der Kommunen sind jedoch schwerpunktmäßig Steuererhöhungen, insbesondere der Grundsteuer B. "Diese gefährden allerdings - zumal bei gleichzeitigen Leistungskürzungen - die Standortattraktivität." Der angestrebte Haushaltsausgleich könne bei den teilnehmenden Kommunen meist bis spätestens 2018 erreicht werden, doch sei der Konsolidierungspfad weiterhin anfällig gegen externe Störungen wie z.B. Zinserhöhungen. "Selbst wenn der Haushaltsausgleich dann ohne Konsolidierungshilfen erreicht wird, kann man bei zwei Drittel der Stärkungspaktgemeinden wegen fehlenden Eigenkapitals und/oder unzureichendem Schuldendienstdeckungsgrad nicht von nachhaltigen Finanzen sprechen." Erforderlich sei eine "Verbesserung der sozioökonomischen Rahmenbedingungen und Neuordnung der Kommunalfinanzen". Weiterhin empfiehlt die Studie, die Abundanzumlage ("Kommunal-Soli") durch eine Finanzkraftumlage zu ersetzen, um nicht die abundanten Gemeinden übermäßig zu belasten.

Weblink[Bearbeiten]

2017-2019: Debatte über Reform des Stärkungspaktes[Bearbeiten]

Die neue schwarz-gelb Landesregierung will den Stärkungspakt ab 2020 zu einer "kommunalen Kredithilfe" weiterentwickeln. Dabei soll jedoch der "Kommunalsoli" in Höhe von zuletzt 91 Mio. € abgeschafft werden.[17] Der Städtetag NRW begrüßt diese Absicht, fordert jedoch darüber hinaus, dass dass der Stärkungspakt vollständig aus Landesmitteln finanziert wird. Die kommunale Haushaltslage bleibe trotz des Stärkungspakts und weiterer Maßnahmen von Bund und Land besorgniserregend. Eine Umfrage unter den 359 Mitgliedskommunen habe gezeigt, dass nur 41 einen strukturell ausgeglichenen Haushalt erreichten.[18] Die Sparauflagen, mit denen der Stärkungspakt verbunden ist, machen diesen für die unterstützten Kommunen oft zwiespältig. So beklagt Karin Welge, Kämmerin in Gelsenkirchen, es gebe nach vielen Sparrunden kaum noch Personal in der Verwaltung, das Fördermittel abrufen und den Sanierungsstau angehen könne. Der Stärkungspakt könne auch zum Teufelskreis werden.[19]

Die Gewerkschaft ver.di fordert dagegen in ihrem Kommunalfinanzbericht Nordrhein-Westfalen 2017 einen Entschuldungsfonds als Sondervermögen des Landes, der einen wesentlichen Teil der kommunalen Schulden übernimmt. Ähnlich wie bei der Hessenkasse könne dies über eine öffentliche Förderbank abgewickelt werden. Die Kassenkredite der Kommunen haben sich bis 2016 auf fast 27 Mrd. € summiert, rund zwölfmal so viel wie im Jahr 2000. Arme Kommunen könnten sich nicht allein aus der Schuldenspirale befreien. Die 5 Millionen Bürger/innen der Stärkungspakt-Kommunen seien wegen der damit verbundenen rigiden Sparmaßnahmen von gleichwertigen Lebensbedingungen abgehängt. Soziale Ungerechtigkeit und Kinderarmut hätten sich dadurch verschärft.[20] Die SPD-Fraktion im Landtag hat sich diesem Vorschlag im Grundsatz angeschlossen. Nach Beratungen dazu im Kommunalausschuss am 13.01.2018 sollen nun Anhörungen folgen.[21]

Anfang 2019 forderte der Vorsitzende des Städtetags NRW Thomas Hunsteger-Petermann (Oberbürgermeister von Hamm) erneut, den Kommunen beim Abbau ihrer Altschulden zu helfen. Die Landesregierung dürfe nicht abwarten, bis die von der Bundesregierung einberufene Kommission zur Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse Ergebnisse vorlege, sondern müsse jetzt die günstige Zinssituation nützen. Vor allem strukturschwache Städte mit hohen Sozialausgaben entfernten sich immer weiter von den Finanzdaten starker Städte und hätten Sorge, endgültig von der guten wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt zu werden. Die kommunale Gesamtverschuldung in NRW ist zwischen Mitte 2017 und Mitte 2018 um 2 Mrd. € auf ca. 53 Mrd. € gesunken, davon sind ca. 24. Mrd. € Kassenkredite.[22] Nach Presseinformationen wird auch in der Landesregierung seit Anfang 2019 über ein weiteres Programm zur Unterstützung von Kommunen mit hohen Altschulden diskutiert.[23]

Hierzu hat die Landtagsfraktion Bündnis 90 / Die Grünen im November 2018 den Vorschlag eines Altschuldenfonds vorgelegt, der auf einem Gutachten des ehemaligen Bochumer Kämmerers Manfred Busch basiert. Der Fonds übernimmt den Schuldendienst auf die bestehenden Kassenkredite, aber die Altschulden bleiben in der Bilanz der Kommunen solange sichtbar, bis die Altkredite vollständig getilgt sind. Über den Fonds sollen sich Land und Bund an der Schuldentilgung beteiligen; zudem soll auf diese Weise das derzeit historisch niedrige Zinsniveau auf 30 Jahre gesichert werden.[24] Mit dem gleichen Argument forderte Mitte 2019 auch der DGB NRW ein neues Entschuldungskonzept für die Kommunen.[25] Auch das arbeitgebernahe Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln schlägt ein entsprechendes Programm vor, das aus einem "Schuldenschnitt in Verbindung mit einer Konsolidierung der Aufwendungen" bestehen solle. Dabei können sich NRW an Vorbildern aus Hessen (siehe: Hessenkasse) und Niedersachsen orientieren. Konkret schlägt das Institut einen "kommunalen Zukunftsfonds NRW" vor, der sich an den Kassenkrediten orientiert, ergänzt um eine Investitionsoffensive für Kommunen ohne oder mit nur geringen Kassenkrediten. Nach den vom IW vorgeschlagenen Kriterien nähmen 143 Kommunen in NRW an einem Schuldenschnitt teil, 253 Kommunen würden Investitionszuschüsse erhalten. Je nach Ausgestaltung würde der „Zukunftsfonds NRW“ Finanzmittel in Höhe von bis zu 25 Milliarden Euro erfordern.[26]

Durch die Ankündigung von Bundesfinanzminister Scholz, auch der Bund wolle zur Entlastung überschuldeter Kommunen beitragen, kam die Diskussion im Herbst 2019 neu in Gang. Am 27.10.2019 fasste der Landesparteirat der Grünen einen Beschluss, in dem ein gemeinsam von Bund, Ländern und Kommunen finanzierter "Neustartfonds" gefordert wird. Dieser solle die Kassenkredite der am höchsten verschuldeten Kommunen bis zur vollständigen Tilgung übernehmen.[27] Doch konkrete Beschlüsse blieben bis Mitte 2022 aus. Erst der schwarz-grüne Koalitionsvertrag vom Juni 2022 trifft konkrete Aussagen: "Die vom Bund klar angekündigte einmalige gemeinsame Kraftanstrengung zur Entlastung der Kommunen von ihren Altschulden muss unmittelbar erfolgen. Zu diesem Zweck werden wir noch in diesem Jahr gemeinsam mit dem Bund eine Lösung vereinbaren. Sollte der Bund seiner Verantwortung nicht nachkommen, bekennen wir uns dazu, im kommenden Jahr selbst eine Lösung herzustellen und dafür einen Altschuldenfonds einzurichten, der für die teilnehmenden Kommunen eine substanzielle und bilanzielle Entlastung bringt."[28]

Fußnoten[Bearbeiten]

  1. Die beteiligten Kommunen sind in einer Karte aufgeführt (pdf-Format)
  2. Verfassungsgerichtshof NRW, Urteil vom 19.05.2015, Aktenzeichen: VerfGH 24/12; vgl. auch die Pressemitteilung des Gerichts vom gleichen Tag.
  3. Urteil im Wortlaut: VerfGH 34/14 (pdf-Format, 73 Seiten); vgl. Pressemitteilung vom 30.08.2016
  4. Landtag NRW, Drucksache 16-11227 vom 23.02.2016 (pdf-Format)
  5. Oberbergischer Anzeiger, Landtag lehnt den CDU-Antrag auf Lockerung für belastete Kommunen ab, 03.03.2016
  6. Städte- und Gemeindebund NRW sowie Landkreistag NRW, Stärkungspakt auf der Kippe, Pressemitteilung vom 10.03.2016
  7. RP online, Kommunen fordern vom Land Stärkungspakt III, 12.03.2016
  8. Der Westen: Bis zur schwarzen Null im Stadt-Haushalt dauerte es fünf Jahre, 30.12.2016
  9. Welt: Dritte Stufe des Kommunen-Hilfsprogramms, 30.08.2016; Ruhr-Nachrichten: Hilfsprogramm für Kommunen: Letzte Pakt-Stufe kommt, 16.10.2016; WDR: Landtag erweitert Stärkungspakt für klamme Kommunen, 09.11.2016
  10. Ministerium für Inneres und Kommunales NRW, Evaluation des Stärkungspaktes gemäß § 13 Stärkungspaktgesetz (Stand 09.12.2016), pfd-Format, 353 Seiten (davon 323 Seiten Anlagen); vgl. auch Presseportal: Innenministerium NRW: NRW-Kommunen senken Defizit dank Stärkungspakt um 80 Prozent, 18.01.2016
  11. RP online, Silberstreif für 66 klamme Kommunen, 30.03.2017. Siehe jedoch auch: Städte- und Gemeindebund NRW, Kommunalfinanzen weiterhin zu knapp, 22.03.2017
  12. Aufgrund solcher Maßnahmen erreicht z.B. Duisburg im Jahr 2022 einen ausgeglichenen Haushalt, siehe Zeit: Duisburg beendet nach mehr als zehn Jahren Überschuldung, 24.09.2021
  13. siehe Innenministerium NRW, Pressemitteilung vom 26.06.2017; vgl. auch focus, Jäger: Ausgeglichene Kommunalhaushalte „in greifbarer Nähe“, 25.06.2017
  14. IT NRW, NRW-Kommunen waren Ende 2016 mit 63,4 Milliarden Euro verschuldet, Pressemitteilung 163/17 vom 21.06.2017; die Zahl in der Überschrift ist offensichtlich falsch, vgl. Text und Tabelle
  15. 396 Gemeinden und 31 Kreise; siehe wikipedia: Liste der Städte und Gemeinden in Nordrhein-Westfalen, Liste der Kreise und kreisfreien Städte in Nordrhein-Westfalen
  16. Welt, NRW-Kommunen kommen finanziell auf die Beine, 01.11.2017
  17. focus, Jäger: Ausgeglichene Kommunalhaushalte „in greifbarer Nähe“, 25.06.2017. Kommunalministerin Ina Scharrenbach (CDU) wiederholte am 28.06.2018 die Ankündigung, den Stärkungspakt "zu einer kommunalen Kredithilfe" weiterzuentwickeln, siehe Aachener Zeitung: NRW-Städte brauchen Geld auch nach Stärkungspakt: „Hilfe unverzichtbar”, 28.06.2018
  18. t-online: Verbände: Kommunen brauchen weitere Finanzentlastung, 24.11.2017. Die auf den ersten Blick widersprüchlichen Zahlen (Innenministerium: 173 Kommunen mit Haushaltsausgleich - Städtetag: 41 Mitgliedskommunen) lässt vermuten, dass überwiegend kleine Kommunen den Haushaltsausgleich erreicht haben, die nicht Mitglied des Städtetages sind.
  19. Aachener Zeitung: NRW-Städte brauchen Geld auch nach Stärkungspakt: „Hilfe unverzichtbar”, 28.06.2018
  20. vgl. Haufe, Verdi fordert Entschuldungsfonds des Landes für NRW-Kommunen, 12.07.2017; focus regional, Verdi fordert Entschuldungsfonds des Landes für Kommunen, 11.07.2017; siehe auch NRZ: Verdi drängt auf Entschuldung der NRW-Kommunen, 17.11.2017
  21. RP online: Landtag erwägt Schuldenfonds für Kommunen, 13.01.2018
  22. Welt: Altschulden drücken NRW-Kommunen: Städtetag fordert Handeln, 05.01.2019
  23. WDR, Schulden-Rettung für NRW-Kommunen?, 21.01.2019
  24. Grüne im Landtag NRW: Altschuldenfonds – Kommunen bei Entschuldung unterstützen, 23.11.2018; das Gutachten: Manfred Busch, Projekt „Neustart“.Qualifizierung und Quantifizierung eines Vorschlags zur Entschuldung der Kommunen (November 2018, pdf-Format, 35 Seiten); siehe auch: Westfalenpost, Grüne fordern „Bad Bank“ für verschuldete Revierstädte.
  25. DGB Nordrhein-Westfalen: Landesregierung muss Konzept zur Entschuldung der Kommunen vorlegen, Pressemitteilung vom 05.07.2019
  26. Institut der Deutschen Wirtschaft: Ein Zukunftsfonds zur Tilgung der kommunalen Kassenkredite in Nordrhein-Westfalen, Policy Paper (mit Link zum Download im pdf-Format, 24 Seiten), 13.08.2019. Siehe auch RP online: Ökonomen fordern Schuldenschnitt für 143 NRW-Kommunen, 13.08.2019
  27. Bündnis 90 / Grüne NRW, Leitantrag Zukunft beginnt hier, 27.10.2019; siehe auch Süddeutsche Zeitung: NRW-Grüne: Land muss bei Schulden-Städten Initiative zeigen, 27.10.2019. Sie zur gesamten Diskussion auch WDR, Klamme Kommunen: Kommt der Schuldenschnitt?, Video, 10.11.2019, ca. 5 min. (Abschnitt)
  28. CDU NRW und Bündnis 90 / Die Grünen NRW: Zukunftsvertrag für Nordrhein-Westfalen, Koalitionsvereinbarung von CDU und GRÜNEN 2022–2027 (pdf-Format, 148 Seiten; S. 105 f. Zeile 5177 ff.)

Literatur und Weblinks[Bearbeiten]

Siehe auch[Bearbeiten]